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Die gute alte Küche - in neuem Gewand _ Politik & Wirtschaft _ Entscheidung und Verantwortung

Geschrieben von: Gilgamesch.Minerva-ath am 09.Sep.2004 - 11:56

Entscheidung und Verwantwortung
Ursprünge und Wirkungsmechanismen einer gewalt(tät)igen Entwicklung

Inzwischen jährt sich mal wieder der 9.11.Von welchem Standpunkt man es aus sehen will, dieses Ereignis hat weiteichende politisch-globale Folgen gehabt. Redner von Terrorismus, Sicherheit, Massevernichtungswaffen und Apokalypse werden nicht mehr als hysterische Spinner angesehen. Und Angriff scheint nun fast legitimes Mittel zur Verteidigung. Fast. Denn wenn man von ständig präsenten militärischen Prozessen in den USA, Israel, Palästina, vielen Guerilla-Kriegen in Ländern Afrikas u.a. Gebieten einmal absieht, stellen sich Fragen-
Kann der Mensch auf Dauer ohne Krieg leben? Inzwischen werden Kriege ja auch nicht mehr allein aus Konkurrenz um begrenzte, notwendige Güter- sonder aus Erhaltung eines Überschusses geführt. Und ist es gerade dieser Überdruss an der Zufriedenheit, die Langeweile, die viele für einen heroisierten Schrecken begeistern lässt? Es scheint eine ständige Widerholung zu sein- Menschen die voller Übermut losziehen, völlig blind und die als Wrack zurückkehren und die Verantwortung wie ein Kind von sich weisen, Schuldige suchen mit dem Satz „Ich wusste es nicht, ich habe doch nichts getan. Es war (nur)...“
Aber auf der anderen Seite gibt es auch Länder und Menschen die trotz massiver Bedrohung versuchen gewaltlos und friedlich handeln. So zum Beispiel die tibetische Bevölkerung, als Mao und seine roten Truppen einmarschiert sind und die immer noch unter Maßnahmen zu leiden hat. Da hat kein Land der Welt nach „Befreiung der Bevölkerung geschrieen“. Na ja, die Tibeter haben ja auch kein Öl, nur einen schönen Ausblick...
Liegt es am Menschen oder (auch) an Kultur, Land, Klima, Familie, ... Inwieweit ist der Mensch für seine Handlungen verantwortlich und wieweit sollte er es sein?
Wo liegen die Ursprünge von Gewalt- im Menschen veranlagt oder äußerer Einfluss? Beides- und in welchem Zusammenspiel? Der Mensch unter dem Blickwinkel von Wille, Entscheidung und Verantwortung.

Wir hatten im Wohnzimmer bereits die Diskussion welche Rolle Frauen im Krieg spielen- die Frage ist leider dann ein wenig eingeschlafen- inwieweit unterscheidet sich da nocheinmal Gewalt oder wird durch Erziehung geprägt- oder aich durch politische Einflüsse? Die Frage nach den Zusammenhängen...

Geschrieben von: Leonie am 09.Sep.2004 - 12:37

@ Gilgamesch

QUOTE
Menschen die voller Übermut losziehen, völlig blind und die als Wrack zurückkehren und die Verantwortung wie ein Kind von sich weisen, Schuldige suchen mit dem Satz „Ich wusste es nicht, ich habe doch nichts getan. Es war (nur)...“


Ich möchte dir hier wiedersprechen. Ob Übermut der richtige Ausdruck ist, und nicht Selbstherrlichkeit bzw. -überschätzung besser passen lasse ich ebenfalls dahin gestellt. Übermut ist für mich assoziiert mit Kindern. Nun, jene fangen auch Kriege an, aber m. E. n. um das Vertragen zu erlernen. Wird ein Kind grausam geboren?

How ever.

Worauf ich hinaus will: Wenn der Mensch KINDER missbraucht, um seine Interessen durchzusetzen, möchte ich nicht mehr von Unüberlegtheit sprechen. Wenn ein Mensch Kinder einsetzt, dann ist das eiskaltes Kalkül.

Meine Behauptung: Seit 09/11 wird der Terror in anderen Maßstäben gemessen. Es gibt keine Grenze mehr. Und je mehr sich der Mensch in seine Wahne hineinsteigert, desto härter und unberechenbarer werden Angriffe.

Nairobi war der Anfang - Über NY ging es weiter - Moskau bot ein grauenhaftes Bild und nun, nun sind wir als im Kaukasus angekommen.

QUOTE
Kann der Mensch auf Dauer ohne Krieg leben?


Nein, der Mensch hat noch nie und wird nie ohne Kriege leben können. Vereinzelte Gruppierungen mögen das eine zeit lang hinkriegen aber irgendwann wird die Machtposition in Frage gestellt und dann geht es los. Eine intelligentes Wesen, wie es der Mensch ist, wird nie ohne Kriege leben können.

QUOTE
Und ist es gerade dieser Überdruss an der Zufriedenheit, die Langeweile, die viele für einen heroisierten Schrecken begeistern lässt?


Mag sein. Ich halte vornehmlich den Verlust des Sich-Selbst-Fühlens für einen Grund. Der Mensch ist leicht zu manipulieren. In der westlichen Welt geschieht das u. a. durch die Medien (Spiele, TV etc.), in der muslimischen auf andere Art und Weise. Alles jedoch nimmt dem Individuum seinen Geist / seine Seele. Schönes Gegenbeispiel, vielleicht einziges, ist Tibet. Dort herrscht Geist / Herz.

Deine anderen Fragen diesbezüglich führen m. E. nach auf diese Grundfragen oben zurück.

Zur Rolle der Frau: Leichte Beeinflußbarkeit bis hin zur Hörigkeit in muslimischen Staaten vs. Emanzipation und Aufstand in der westlichen Welt.

Auf jeden Fall wird sie GE- bzw. MISSbraucht, wie alle anderen, die ins "Gefecht" ziehen.

Leonie



Geschrieben von: Gilgamesch.Minerva-ath am 09.Sep.2004 - 13:19

@Leonie- moin moin erstmal-

QUOTE
Übermut ist für mich assoziiert mit Kindern. Nun, jene fangen auch Kriege an, aber m. E. n. um das Vertragen zu erlernen. Wird ein Kind grausam geboren?

Nun, ich denke nicht, dass Kinder "Kriege"/Rangeleien o.ä. anfangen, um sich- vertragen zu lernen- eher um die Grenzen zu erforschen, wie weit man gehen kann und bis wohin man momentane Interessen durchsetzen kann. Daher ist gerade in der Erziehung ein gesundes Maß wichtig- Grenzen und Entwicklungsfreiraum zu bieten. Ein Kind grausam geboren? Nun- von einem "Gewalt-Gen" gehe ich nicht aus, aber gewisse erblich bedinghte hormonelle UNterschiede zwischen Menschen sind nicht ganz fern jeglicher theorie. Nur sind dies Anlagen- und der mensch lernt im Laufe seines Lebens ihr- also sein- Potenzial zu nutzen und zu verwenden. Also von einer erblichen oder genetischen Bestimmung von Gewalt gehe ich nicht aus, aber von einer Veranlagung die Welt zu sehen und wahrzunehmen- mit der der einzelne Mensch erst umzugehen hat.
Es liegt also weiterhin für mich in seiner Verwantwortung.
QUOTE
Worauf ich hinaus will: Wenn der Mensch KINDER missbraucht, um seine Interessen durchzusetzen, möchte ich nicht mehr von Unüberlegtheit sprechen. Wenn ein Mensch Kinder einsetzt, dann ist das eiskaltes Kalkül.

Da stimme ich dir zu. Es stellt sich auch die Frage, wenn man die fiktive Situation eines Gerichts sich vorstellt, bis zu welchem Punkt man diesen jungen Menschen Verwantwortung zusprechen kann. Heikel.
Natürlich wird der Terror nach 9-11 mit anderen Maßstäben gemessen- er wird realer, lebendiger , einfach durch die Plätze, die ausgesucht werden. gerade die russische Tragödie zeigt, wie kalkuliert wird. Da fehlt mir jedwedes Verständnis für Unterdrückung von Bevölkerungsgruppen und Gerechtigkeit, wenn diese Gruppen mitunter dann zu solchen Mitteleln greifen. Es bleibt die Frage iniweweit es auch sogenannten "terroristischen Gruppierungen" noch um die usprünglichen Ziele und Anlässe (arme Bevölkerung, Diktatur o.ä.) wirklich noch geht...
Meiner Meinung nach hat das damit nichts mehr zu tun- immerhin schänden sie teilweise die Menschen, für die sie behaupten zu kämpfen (siehe afrikaniscxhe Bürgerkriege).
QUOTE
Eine intelligentes Wesen, wie es der Mensch ist, wird nie ohne Kriege leben können

Dazu fällt mir ein Auszug aus R. Musils Text "Schafe, anders gesehen ein"- unabhängig davon ob es einen Gott gibt wink2.gif .
Zur Geschichte des Schafes:
Der Mensch findet das Schaf dumm.
Aber Gott hat es geliebt.
Er hat die Menschen wiederholt mit Schafen verglichen.
Sollte Gott ganz Unrecht haben?"

Intelligent bedeutet nicht rein Wissen zu sammeln, sondern wie man damit umgeht. Das wird zu oft verwechselt.

Zur Beinflussung durch Medien o.ä. und zur Stellung der Frau innerhalb dieses Konfliktes melde ich mich später noch- ich muß leider jetzt doch los.

Geschrieben von: Leonie am 09.Sep.2004 - 13:26

QUOTE
Nun, ich denke nicht, dass Kinder "Kriege"/Rangeleien o.ä. anfangen, um sich- vertragen zu lernen- eher um die Grenzen zu erforschen,


in diesem kontext hatte ich das auch gemeint... ph34r.gif

Geschrieben von: Bilana am 09.Sep.2004 - 13:30

Verdammt, warum kann ich mich nur nicht zurückhalten?
Aber das Thema, dass du anschneidest ist zu interessant.

Zuerst will ich sagen, dass ich nicht dran glaube, dass ein Volk/eine Gruppe unter gewaltsamen Druck friedlich und diplomatisch bleiben kann. Das Miterleben von Gewalt und Ungerechtigkeit verändert psychisch zu sehr. Ich würde sagen Gewalt korrumpiert.

Tibet ist auch nur eine westliche Wunschvorstellung. Es mag sein, dass die damaligen Herrscher in Tibet keinen so hegemonialen Zielen anhingen wie die andere Großmächte der Region. Die Chinesen kamen mit Bombern und Maschinengewehren und haben die berittene (!) Armee der Tibeter einfach überrannt. Tibet wollte sich wehren, war aber einfach zu schwach. Die tibetische Geschichte ist ein ganzes Stück weit mystifiziert, Shangri La sei dank.
Auch wenn es niemand gerne hört, aber den jetzt noch lebendes Tibetern geht es materiell wesentlich besser als damals. (Das es einen Genozid an den tibetischen Völkern gab und die Staatengemeinschaft weggesehen hat, soll damit nicht abgestritten werden.) Aber bevor die Chinesen kamen war Tibet eines von vielen feudalistisch organisierten Ländern, nicht mehr. Die romantischen Beschreibungen des tibetischen Lebens aus damaliger Zeit rühren daher, dass die Westler, die damals dort leben durften von den feudalen Herrschern, den weltlichen und geistlichen Landlords aufgenommen wurden und nicht das Leben des normalen Volkes gelebt haben. (Namentlich Harrer, Aufschneiter, Baron und Younghusband ). Das die damaligen Herrscher keinen Kontakt zur Außenwelt wollten hatte den gleichen Grund warum Fremde in allen Diktaturen der Welt nicht willkommen sind.
Das sind die einzigen „unabhängigen“ Quellen von damals. Lediglich Alexandra David-Néel zeigt, dass es nicht so war. Allerdings sind ihre Aufzeichnungen schon älter.
Wer sehen will wie Tibet vor der Invasion Chinas ausgesehen haben muss, sollte das Königreich von Lo Manthang besuchen, heute offiziell zum nepalesichen District Mustang gehörend. Vergleiche von historischen Aufzeichnungen und die gemeinsame Geschichte des kleinen Königreiches mit Tibet legen das nahe.
Sicher nicht gerade Prince Charming der König von Lo, wenn selbst das nepalesische Königshaus, ihn bezüglich der Menschenrechte ermahnt. Die sich diesbezüglich dieses Themas auch nicht gerade mir Ruhm bekleckern. Soll ich mit Anekdoten fortfahren? Schweife ich ab....? Wie dem auch sei.


Meine Diskussion zur Rolle von Frauen in gewaltsamen Auseinandersetzungen ist sicher eingeschlafen, weil ich nicht mehr geantwortet habe. Hätte es nicht gekonnt ohne möglicherweise Dinge zu sagen, die mir irgendwann Leid getan hätten. Vielleicht geht es jetzt?

Ich denke Gewalt liegt in der Natur des Menschen, genauso wie die Fähigkeiten zu Lieben, zu vergeben und zu Bereuen. Kommen wir zurück zu Gewalt korrumpiert:
Ich finde das völlig nachvollziehbar, auf persönlicher Ebene. Aber gerade in Hinblick auf 9/11 muss ich festhalten, dass es die Aufgabe von Volksvertretern, Volksführern ist den Überblick zu behalten und sich nicht korrumpieren zu lassen. Oder schlimmer noch, das eigene Volk selbst korrumpieren, wie es in der US-amerikanischen Geschichte schon zu oft passiert ist und passiert.

Aber ich denke, es ist die Natur der Gewalt, dass ihr nur schwer zu widerstehen ist. Das gilt mE über Kulturgrenzen hinweg. Ohne Frage ist die Einstellung zur Gewalt, zur physischen Gewalt in verschiedenen Kulturen unterschiedlich. Aber wenn es hart auf hart kommt, dann lassen sich auch Menschen von Gewalt anziehen, von denen man sagen würde, sie hätten dazu weniger Potential als andere. Kinder, Frauen, Buddhisten, Hindus. Buddhistische Frauen, Mädchen, keine 20 Jahre alt, manche erst 14, 16.
Haben sie wirklich weniger Potential? Ich denke Gewalt kriegt (fast) jeden.

bilana

PS: Hab jetzt leider keine Zeit auf all die Posts einzugehen, die entstanden sind, wäre ich selbst geschrieben habe. wacko.gif Hoffentlich später.

Geschrieben von: Kérridis am 09.Sep.2004 - 13:37

QUOTE (Bilana @ 09.Sep.2004 - 14:30)
Verdammt, warum kann ich mich nur nicht zurückhalten?

laugh.gif

Warum solltest du?? wink.gif

Geschrieben von: Sägefisch am 09.Sep.2004 - 14:45

Es mag an mir liegen, aber ich finde den Eingangspost etwas verwirrend...sehr, sehr viele Themen auf einmal. Wäre es möglich, das Thema etwas kürzer zu umreissen, oder geht es hier gerade darum, Teilaspekte nebeneinander zu stellen?

Mir fiele nämlich schon das eine oder andere ein, aber da ich den Themenkomplex oben sehr groß finde bin ich mir nicht sicher ob es passt...
rosie.gif

Geschrieben von: Bilana am 09.Sep.2004 - 17:58

OT @ Kérridis:
Weil gerade hier im Politik UFO es wert ist, bis zum Ende mitzudiskutieren um selbst an einem möglichen Erfolg teilzuhaben. Aber die Posts kommen hier seit einiger Zeit sehr schnell. wink.gif Wärend dieses UFO lange Zeit für meinen Geschmack zu wenig Beachtung fand.

OT @ Sägefisch und Gilgamesch:

Generell erscheinen mir Gilgameschs Eröffnungsposts thematisch immer sehr sehr interessant, aber gleichzeitig werden so viele Aspekte angesprochen, das es schwer ist den Thread in einem Stück zu halten.
Pick dir doch einfach die Aspekte heraus, die dich Interessieren. sleep.gif

Geschrieben von: LadyGodiva am 09.Sep.2004 - 18:22

http://www.dialog-frieden-fairness.de/denkwerkstatt/literarisches/borchert-dann-gibt-es-nur-eins.htm
...und später mehr aus meiner Sicht

Geschrieben von: Gilgamesch.Minerva-ath am 10.Sep.2004 - 00:09

Nun- ich gehe mal ganz kurz OT-
@Sägefisch: Meine Einführungsbeiträge halte ich deswegen sehr weitreichend, weil es bei einer Thematik so viele interessante Aspekte gibt, die man beleuchten kann und die sich in Verbindung miteinander zwangsläufig stellen. Schreib doch einfach deine Gedanken, anstatt dir Gedanken über die gedankliche Möglichkeit deiner Gedanken innerhalb des Themas zu machen...
Im Ernst- ich sehe Diskussionen nicht als Schema:
"Problem- Vorschlag A – Vorschlag B- A gegen B- A- besser als B- also Lösung A"
Diskussion ist kein strategisches Überzeugen, sondern eine Sammlung von Gedanken, die anregen und jeden in seinem persönlichen Brainstorming und Wissenspuzzle weiterführen/-bilden können. Das einzelne Positionen in sehr starke Kritik geraten können, ist nur legitim, immerhin soll auch der Einzelne ehrlich genug sein, sein eigenes Bild überdenken zu können. Und nun bitte endlich raus aus diesem ganzen- off-topic über die Diskussion zu diskutieren- zumindest hilft Metaebene-Diskussion im Thread weniger, sondern zersetzt ihn manchmal leider. Also, zurück zum Thema.
Schreib einfach, was dir zu dem Thema in den Sinn kam (jetzt hast du mich nämlich neugierig gemacht). Ich stürz mich schon drauf... laugh.gif

@Bilana-
Nein, halte dich bitte nicht zurück- gerade deine Gedanken zu den verschiedenen Ländern interessieren mich- eben weil du vieles im Gegensatz zu mir persönlich erlebt hast und das immer wieder einen anderen Eindruck macht, als bspw. Meine Gedanken, die sich in meinem Zimmer zusammenbrauen... (Naja, der Harrer war in der Tat vor ein paar Jahren der Einstieg für meine Tibet-Interessen... *lol*)
Danke übrigens für den Hinweis mit Lo Manthang. thumbsup.gif


Und nun endlich mal wieder zurück zum Thema- ich fange auch schon an zu off-topicen- Falkin- das muss wohl ansteckend sein wink2.gif

@Bilana- diesmal On-Topic

QUOTE
Aber ich denke, es ist die Natur der Gewalt, dass ihr nur schwer zu widerstehen ist.

Aber es ist dennoch möglich- Gandhi, King- außergewöhnliche Menschen? Nun- sie zeigen eigentlich nur eines- das der Mensch genug Mensch ist, um es auch zu bleiben. Das Prinzip des gewaltlosen Widerstandes ist sicherlich nicht einfach und es dauert... und dauert. Aber es besitzt letztendlich- wenn man es genau überlegt- mehr Potential an Widerstand und Provokation und führt eher zum Ziel (denn gewalttätige Mittel haben bisher die Konflikte eher endlos verlängert- siehe Israel und Palästina). Und provoziert hat Gandhi- er hat es nicht weggeschaut und nicht weitergelebt- er ist seinen Ideen gefolgt- unablässig und er war so etwas von unnachgiebig- aber er ist stets mit Respekt unnachgiebig gewesen- eine Einheit von Vernunft-Gefühl-Moral (um mal mit einem Augenzwinkern au eine andere Diskussion zu verweisen).
Daher kommt für mich die Frage auf- wie viele der gewaltbereiten und letztlich gewalttätigen Kämpfer haben ihre Ideen der Veränderung noch vor Augen?
Die meisten haben doch das Ursprüngliche wofür sie kämpfen eben durch das vergessen, und ersetzt wogegen sie kämpfen. Und was ist da das Ziel, die Rechtfertigung- der Sinn?
Es bleibt für mich unmenschlich so zu handeln- und auch nicht durch Verweise auf- das und jenes an Umfeld- zu entschärfen.
Gewalt ist zu widerstehen. Es mag schwer sein- aber warum sollte auch alles in der Welt denn immer nur einfach sein?
Da liegt doch eben die Frage nach der Verantwortung- Wille, Entscheidung... die Frage inwieweit der Mensch mit sich selbst umgehen kann. Das Thema.
Denn bei Wille und Entscheidung schreien viele nach Eigenverantwortung und Freiheit- Selbstbestimmung- nur wenn es um Konsequenzen des eigenen Handelns geht, dann stellt sich immer wieder die Frage- konnte ich dies wirklich wissen, wodurch wurde ich beeinflusst? Mein Problem an dieser Haltung liegt darin, dass man sich nicht selbst fragt- was habe ich falsch gemacht, oder weshalb habe ich mich falsch entschieden, nicht genug überlegt, sondern nach Gründen der Wegnahme der eigenen Gewichtung hinsichtlich der Entscheidung sucht. Vielleicht liegt darin das Problem am modernen Moralverständnis- Moral wird zu sehr im rechtlichen, wertenden Sinne benutzt- dabei verliert sie oft ihren zwischenmenschlichen und auch selbst-denkenden (der Mensch sich selbst gegenüber- auch um sein inneres Wohl bemüht) Charakter.
Oder was denkt ihr?

Zu den Frauen- leider ist die Wohnzimmertür noch zu, sonst hätten wir mal zurückschauen können. Aber vielleicht ein Punkt, der in dieser und in Verbindung zu einer anderen momentanen Diskussion eigentlich wichtig erscheinen könnte (es ist so schwierig Zusammenhänge darzustellen ohne sich darin zu verlieren)-
Nun inwieweit Frauen eine Rolle spielen und wie man ihr Verhalten bewertet- meist ja eben anders als Männer, meist entrüsteter und als unverständlicher empfunden- hängt doch eben auch mit dem Gesellschaftsbild der Frauen zusammen.
Und kulturübergreifend wird dann doch meist ein einheitliches weibliches Prinzip untergründig Aufgestellt- die Frau wird in Handlungen meist als Verbindungspunkt gesehen- als Basis. Einerseits die passive, Empfangende, andererseits die Gebende, Behütende. Aber selbst zweiteres wird immer passiv gesehen, da sie auf andere reagiert und nur re-actio vollbringt. Eben meist auf soziale Bereiche bezogen.
Das ist ein reaktionäres Bild- aber genauer betrachtet ist es trotz feministischer Bewegungen oft noch in den Köpfen der Menschen. Denn meist ist man über „schwarze Witwen“ (siehe Moskau) besonders entsetzt- schließlich sind sie ja Frauen, welche die Kinder getötet haben- dabei müssten sie es doch wissen, da sie Kinder gebären können. (Prinzip- Frauen geben Leben- daher umso entsetzlicher, wenn sie es nehmen- siehe Empörung Kindsmord bei Frauen, besonders in der Literatur) Aber eigentlich ist die Tat an sich- Kinder zu töten- gleichwertig schlimm und unverständlich - ob Mann oder Frau.

So- dies erst mal als zwei herausgegriffene Punkte, wenn wir irgendwann nicht weiterkommen, können wir ja auch noch auf andere eingehen, die angedeutet wurden. Oder falls euch irgendwas auf den Fingernägeln brennt- rein damit. biggrin.gif

Geschrieben von: Leonie am 10.Sep.2004 - 08:14

Ist aufgefallen, dass die letzten Selbstmordattentate, egal ob in Israel, in Moskau etc., meistens von Frauen ausgeführt wurden?


Geschrieben von: Kérridis am 10.Sep.2004 - 08:25

QUOTE (Gilgamesch.Minerva-ath @ 10.Sep.2004 - 01:09)
Und nun endlich mal wieder zurück zum Thema- ich fange auch schon an zu off-topicen- Falkin- das muss wohl ansteckend sein  wink2.gif


*unschuldigen Augenaufschlag üb* rolleyes.gif

Geschrieben von: blue_moon am 10.Sep.2004 - 11:27

QUOTE (Leonie @ 10.Sep.2004 - 09:14)
Ist aufgefallen, dass die letzten Selbstmordattentate, egal ob in Israel, in Moskau etc., meistens von Frauen ausgeführt wurden?

dahinter steckt ganz sicher die taktik, eben die rollenbilder zur tarnung zu benutzen. die leute, die solche attentate verhindern sollen, gucken ganz sicher in erster linie immer noch nach männern, weil da die vermutete gewaltbereitschaft höher scheint.

die frage, die sich in meinem hinterkopf seit einer woche festgebissen hat (und vor der ich immer noch relativ fassungslos stehe), ist die danach, was einen menschen dazu bringt, sich dermassen dem irrsinn der gewalt hinzugeben. wieviele grenzen müssen da eingerissen werden? sind da überhaupt noch ziele, jenseits von grenzenlosem hass? und trotz dieser ganzen gewalt beharren die beteiligten parteien immer wieder auf das alleinige moralische an ihren handlungen. schieben ihre götter vor, in deren namen die einen heiligen krieg führen. das ist allerdings nicht neu, die dimensionen der gewalt haben sich nur insofern geändert, als dass sie heute wesentlich ausführlicher dokumentiert in den wohnzimmern der welt landen. wir sind quasi live dabei. und wenn's 'nur' per foto aus den foltergefängnissen im irak ist. wir können hingucken. wer kann da heute noch behaupten, "wir haben es ja gar nicht gewusst"?

und was passiert da mit uns? je mehr wir hingucken, desto abgestumpfer müssen wir gucken, registrieren. je detailierter berichtet wird, desto mehr müssen wir uns vor dem schützen, was wir sehen. wer beachtet denn noch die täglichen toten im irak, wenn es bilder aus einer schule gibt, in der menschen abgeschlachtet werden? als die türme in new york fielen, hab ich vor der glotze gehockt und konnte einfach nicht glauben, was ich sah. letzte woche hab ich mir die nachrichten gar nicht erst angesehen. den bildern aus der schule wollte ich mich nicht aussetzen. und wenn das so weitergeht? hab ich am ende dann auch nichts gewusst? weil ich nichts wissen wollte? *grübelt mal ne runde für sich weiter*

Geschrieben von: Sägefisch am 10.Sep.2004 - 12:01

Gewalt ist ein Mittel, einen Konflikt auszutragen, und als solches natürlich. So kann man auch praktisch jede kriegerische Auseinandersetzung auf irgendeinen materiellen Verteilungskampf zurückführen.

Was sie für uns so monströs macht sind zum einen das irrwitzige Instrumentarium an Waffen das sich der Mensch geschaffen hat, und die z.T. völlige Enthemmung mancher "Kämpfer" (nennen wir sie ruhig so), für die ein gewalttätiger Konflikt fast immer Raum bietet. Nicht zuletzt aber auch unsere diesbezügliche "Entwöhnung". Die sicherlich positive Ächtung von Gewalt und physischer Konfliktaustragung in unserem Teil der Welt bringt es mit sich daß wir ratlos und entsetzt davor stehen. Und zwar nicht erst, wenn Grenzen überschritten werden, wie in Beslan, sondern eigentlich immer wenn sich Gewalt zeigt.

Wir haben nur noch ein Verhältnis zu Gewalt, und das ist Unsicherheit und Abscheu. Wir sanktionieren sie, und das auch nicht selbst, sondern delegieren diese Aufgabe. Im Gegensatz zu vielen Regionen, wo es diese Möglichkeit des Vertrauens in eine schützende Exekutive aus Entwicklungs- und Armutsgründen nicht gibt, ist unsere Reaktion auf Gewalt nicht die Entwicklung von eigener Wehrhaftigkeit, sondern das Zurückweichen.

Darum erschließen sich uns auch so viele Geschehnisse in der Welt nicht in ihrer ganzen Breite.

Darum finden wir Begriffe wie "Irrsinn der Gewalt" - ich denke aber, daß es gar nicht die Logik ist an der es hier mangelt, sondern am Gegenteil: an Empathie und Achtung.

Vorgehensweisen wie in Beslan sind in ihrem Kontext VOLLKOMMEN logisch. Der Kontext heißt Krieg, also im weitesten Sinne Verteilungskampf. Und wer sich einer völligen Übermacht gegenüber sieht, muß nach Effektivität seinerseits und Schwachstellen beim Gegner suchen. Zivilbevölkerung (und dann noch Kinder) zum Ziel zu machen ist zwar die zynischste "Lösung" dieser "taktischen Aufgabe", aber es ist eine.





Anbei: ich beziehe mich hier auf Gewalt in politisch-militärischen Konflikten - Gewalt im Privaten und im "Kleinen" hat andere und eigene Facetten.


Geschrieben von: Gilgamesch.Minerva-ath am 10.Sep.2004 - 23:20

Hm- Sägefisch, du hattest die innere Logik erwähnt- das betrifft aber nur die Logik einer Taktik oder eines auszuführenden Kommandos- der Irrsinn, von dem gesprochen wird, ist die Tatsache, Menschen (vor allem eben unschuldige, wehrlose...) dann letztendlich wirklich zu töten. Nicht allein, dass du tötest, sondern es belastet dich ja eben auch selbst. Viele Aufzeichnungen aus Tagebüchern, Notizheftchen o.ä. der Soldaten im Ersten und Zweiten Weltkrieg bspw. sind ein Zeugnis, dass es viele in seelische Ausnahmezustände geführt hat- sie haben sich eingeredet, dass das "da drüben" kein Mensch sei, sondern "der Feind". Allein durch solche Abstraktionen, Anonymisierungen wird klar, dass es eben nicht logisch ist (und der Mensch handelt nach einer für ihn logischen Entscheidungskette- also nach Einsicht), einen anderen zu töten... Aber wenn ich mir Moskau ansehe- wie kann ein Mensch so sehr von der eigenen Wahrnehmung abgeschnitten sein, um dergleichen zu tun? Das ist Irssinn und das bleibt unlogisch.

@Blue moon- hey, ein ziemlich interessanter Aspekt, den ich vergessen hatte. Inwieweit wird auf Gewalt reagiert- auf aktiv bzw. vor allem passiv erlebte/ erfahrene. Schwierig.
Vielleicht hängt eben auch dies mit der Wahrnehmungsbeeinflussung (von der ich oben schon geprochen habe) zusammen. Immehin haben wir hier doch teilweise die Möglichkeit unsere Umgebung (wie wir sie erleben) noch umzuwandeln. Der Fernseher wird abgestellt, die Zeitung nur im Sportteil gelesen etc.- die Frage bleibt zu welchen Mitteln der Mensch greifen könnte oder würde, um seine Wahrnehmung zu manipulieren (also sein Weltbild zu erhalten), wenn die Probleme direkt und unmittelbar eintreten.
Wie weit geht der Mensch und inwieweit ist er fähig dazu sich selbst und seine Wahrnehmung zu manipulieren- und welchen Stellenwert nimmt diese Entscheidung hinsichtlich der Frage nach Verantwortung ein?

Geschrieben von: Sägefisch am 11.Sep.2004 - 11:09

Welchen Maßstab legst Du an, GMA?

Sicher muß man sich von dem was wir unter Menschlichkeit verstehen, sehr weit entfernen um zu töten.

Es scheint ja aber eine Tatsache zu sein, daß manche Konflikte so ausgeufert sind daß Menschen durchaus in der Lage sind, eine taktische Logik über moralische Fragen zu stellen.

Wir wollen eine solche Logik nicht anerkennen, weil sie unseren grundlegenden Werten zuwiderläuft, und wir sind ja auch in der glücklichen Lage, auf diesen Werten zu bestehen. Existieren tut sie aber, nichts desto trotz.

Ihr die eigenen Gesetzmässigkeiten abzusprechen, weil sie einem nicht passen, wird nichts lösen. Sie als Irrsinn zu bezeichnen, zeugt eher davon daß wir in unserem materialistischen Weltbild rationale Entscheidungen als eine Art Rechtfertigung anerkennen, jedenfalls teilweise. Darum muß alles, was unserer Moral widerspricht, irrational sein. Ist es aber nicht, auch fürchterlichste Situationen wie der Krieg haben ihre eigene Ratio.

Der Begriff "Irrsinn" lullt uns ein, weil es dann alles schön weit weg ist. Wir sind ja nicht irrsinnig. Genauso hat man versucht, SS-Aufseher in Auschwitz auf pathologische Strukturen zu reduzieren - ein Monster ist für alle leichter zu handhaben als die Frage nach Verrohung, weil das auch immer die Frage nach uns selbst wäre.

Und heute wird versucht, Terror als völlig aus dem usprünglichen Kontext gefallenen Wahnsinn abzufertigen. Weil auch das leichter zu handhaben ist als die Frage, ob man da nicht doch die falschen Leute ein Stück zu weit getrieben hat.

Und bevor hier jetzt irgendwelche Verdächtigungen aufkommen: ich will nicht sagen, daß irgendwer dazu gezwungen ist die Kinder des "Feindes" zu ermorden. Natürlich nicht.

Nur, daß man auf einer rein moralischen Ebene Konflikte zwar (einseitig?) beurteilen, aber nicht ihre Tatsachen in voller Breite verstehen kann.

Geschrieben von: LadyGodiva am 11.Sep.2004 - 11:48

Rational liegen zwischen Besiegen/Unterwerfen und Erniedrigen/Meucheln Welten.
Das eine scheint, so schwer zu akzeptieren die Tatsache auch immer ist, ein notwendiger Kampf ums bestmögliche Dasein und nur allzu lebensnah zu sein, das andere eine zerstörerische Enthemmung und allzu unmenschlich.
Ein anderes Leben zu vernichten, noch dazu eines, das mir kräftemäßig niemals ebenbürtig ist - gibt es dafür eine Rechtfertigung?! Was geht in dem Moment des Tötens eines mir völlig unbekannten Opfers vor - ist Terror nicht pathologisch? Die, die ich verängstige und quäle sind doch nur Werkzeuge, die viel Mächtigeren in die Knie zu zwingen. Darf David menschliche Steinschleudern gegen Goliath einsetzen?
Wie groß muss der Hass auf Menschen allgemein sein, wenn ich - schon selbst durch Krieg und Tod und Elend betroffen - mir völlig fremde Personen mit in meinen "Opfertod" reiße. Wo sind die Grenzen meines Elends? Wo hört auch meine Würde auf? sad.gif

Geschrieben von: Sägefisch am 11.Sep.2004 - 11:58

Menschlich betrachtet alles richtig - ich habe mich auf den Begriff Irrsinn bezogen, weil mir das als zu einfache Antwort auf die Frage nach Terror erscheint.

Das nur klärenderweise.

Geschrieben von: Gilgamesch.Minerva-ath am 11.Sep.2004 - 23:20

@Lady Godiva
unterschreib

QUOTE
Wo hört auch meine Würde auf?

Die Frage finde ich gut. Würde- als was begriffen in diesem Kontext?

@Sägefisch
QUOTE
Es scheint ja aber eine Tatsache zu sein, daß manche Konflikte so ausgeufert sind daß Menschen durchaus in der Lage sind, eine taktische Logik über moralische Fragen zu stellen.

Die auch keiner bestritten hat- die Frage bleibt warum, wie ist das möglich.
QUOTE
Wir wollen eine solche Logik nicht anerkennen, weil sie unseren grundlegenden Werten zuwiderläuft, und wir sind ja auch in der glücklichen Lage, auf diesen Werten zu bestehen.

Nein, wir wollen eine Logik nicht anerkennen, weil sie in sich nicht schlüssig ist- das ist eben das Wesen von Logik.
QUOTE
Ihr die eigenen Gesetzmässigkeiten abzusprechen, weil sie einem nicht passen, wird nichts lösen.

Sie wird doch auch nicht nur abgesprochen, weil sie teilweise als "unpassend empfunden werden". Warum habe ich doch oben versucht zu erklären- zumindest, warum ich es "abspreche". Wenn jemand soweit seine Wahrnehmung manipuliert, dass er eigentlich jeden Bezug zu irgendetwas verliert- dann ist es unlogisch- eben weil diese Manipuliation aus dem Grund sich zu schützen und seinen Selbstbezug zu wahren unternommen wurde. Das ist, als würde sich jemand aus Angst vorm Tod über eine Klippe flüchten. Und das ist in der Tat irrsinnig.
QUOTE
Und heute wird versucht, Terror als völlig aus dem usprünglichen Kontext gefallenen Wahnsinn abzufertigen. Weil auch das leichter zu handhaben ist als die Frage, ob man da nicht doch die falschen Leute ein Stück zu weit getrieben hat

Tut mir leid- das musst du mir nochmal erklären, ich weiß nicht, wie du das meinst. Also hat man mit Gandhi, King u.a. die richtigen Leute zu weit getrieben? Egal welchen Menschen man in eine solche Lage drängt- es ist nicht gut. Aber das es nicht gut ist, legitimiert noch nicht unbedingt diese Reaktion. Mit Schema A klaut B die Schaufel, daraufhin entwendet B den Rasenmäher von A usw. kommt nicht gerade eine Lösung zustande- und das ist dóch eigentlich das Ziel (worauf wir wieder bei der Logtik wären)l? Es sei denn, es geht darum kein Ziel zu finden- aber weshalb hat man dann nochmal angefangen?
QUOTE
Nur, daß man auf einer rein moralischen Ebene Konflikte zwar (einseitig?) beurteilen, aber nicht ihre Tatsachen in voller Breite verstehen kann.

Nun- man kann aus einer einseitigen Perspektive ein Urteil (und somit ein evtl. falsches) fällen- aber Moral an sich kann nicht einseitig sein, weil sie eine zwischenmenschliche Komponente ist, die sich immer auf beide Seiten hin ausrichtet. Und in der vollen Bandbreite kann man gar nichts in dieser Welt verstehen- das liegt im Wesen der menschlichen Wahrnehmung. Aber es gibt gewisse Denkweisen, die jedem Menschen zu eigen sind und unter denen man sich verständigen kann- und selbst wenn A durch eine Handlung B Schaden zufügt, heißt das nur, dass A ggf. falsch gehandelt hat- nicht das B jetzt eine Legitimation (sei es jetzt rechtlich oder moralisch) hat, A ebenfalls Schaden zuzufügen.
Verständlich mag einiges sein- nur hat auch Verständnis gewisse Grenzen- und das sind meist Formen von Gewalt.
Und das ist auch nicht als "Antwort" auf "den Terror" gedacht, sondern vielleicht als Punkt, bei dem man zur Lösung ansetzen könnte.
Übermüdete Grüße, Gilgamesch

Geschrieben von: Gilgamesch.Minerva-ath am 12.Sep.2004 - 17:14

Nachtrag-
Die Problematik an der ganzen Debatte über Gewalt und viele der Mißverstädnisse liegt doch eigentlich im dualistischen Denken, wenn man mit nur zwei Möglichkeiten rechnet - und hinzu evtl. mit einer sympathisierend. Und das sogar das Verständnis des einen zum anderen von mainstream-Reaportagen und Ansichten weiterhin beeinflusst bleibt.

QUOTE
Und heute wird versucht, Terror als völlig aus dem usprünglichen Kontext gefallenen Wahnsinn abzufertigen. Weil auch das leichter zu handhaben ist als die Frage, ob man da nicht doch die falschen Leute ein Stück zu weit getrieben hat

Hm- Auf der Seite der "Terroristen" bedeutet dies eine Verständnis für ihre Handlungen und Motivation. Und eine leichte Legitimierung.
Die unterdrücken uns- wir sprengen- die machen noch mehr Terror- wir auch.
Auf der Seite der Amerikaner bedeutet dies ein Verständnis für ihre Handlungen und Motivation. Und eine leichte Legitimierung.
Wir haben die mal unterstützt, die arbeiten nicht mehr mit uns zusammen (Vertragsbruch)- wir üben Druck aus- sie sprengen uns- wir bomben...
... und so weiter und so fort.
Und? Was fällt auf? Das beide Seiten die gleichen Reden führen. Und das wäre irrsinnig komisch, wenn es nicht so real wäre.


Geschrieben von: Artemis am 14.Sep.2004 - 21:58

QUOTE (Sägefisch @ 11.Sep.2004 - 11:09)
Und heute wird versucht, Terror als völlig aus dem usprünglichen Kontext gefallenen Wahnsinn abzufertigen. Weil auch das leichter zu handhaben ist als die Frage, ob man da nicht doch die falschen Leute ein Stück zu weit getrieben hat.

Eine Frage, die ebenso in die Sackgasse führt wie die nach den Anschlägen vom 11. September häufig zu hörenden mea-culpa-Seufzer: "Was haben wir bösen Westler den armen Muslims angetan, dass sie so etwas tun (müssen)." Und kaum jemand wollte sehen, dass es schon damals um einen Krieg der Kulturen ging und nicht nur gegen das böse Amerika.

Missverständnisse? Das dualistische Denken ist nicht etwa eine Problematik an sich, sondern eine Reflexion der Realität. Ohne Schwarz ist Weiß nicht zu erkennen. Und über ein "So nicht!" kommen wir leichter zu etwas, was sinnvoll sein könnte.

Gegenüber Menschen aber, für die Entscheidung und Verantwortung und Moral keine relevanten Kategorien sind, versagen alle unsere wohl überlegten Konfliktlösungsmechanismen und Deeskalationsstrategien.

Bei allem Entsetzen über das Gewaltpotenzial von Menschen an sich (auch unser eigenes) muss es erlaubt sein, ein Verbrechen ein Verbrechen und eine Terrorbande eine Terrorbande zu nennen.

Die einzige intelligente Stimme hierzulande, die das tut, ist "Die Zeit".
http://www.zeit.de/2004/38/01___Leit_1_38
http://www.zeit.de/2004/38/intern__Terrorismus


Geschrieben von: Laura am 14.Sep.2004 - 23:10

QUOTE (Artemis)
Bei allem Entsetzen über das Gewaltpotenzial von Menschen an sich (auch unser eigenes) muss es erlaubt sein, ein Verbrechen ein Verbrechen und eine Terrorbande eine Terrorbande zu nennen

Ja, und wir haben hier bislang (wohl mit Ausnahmen) das Glück gehabt, dass wir die blutigen Buchstaben dieser Worte nicht kennen.

Hab' mich manchmal gefragt, wie ich mir den Hass, den Terror und das Leid beispielsweise in Palestina irgendwie näher bringen könnte. Doch so, wie ich herangewachsen bin, ist mir dies nicht möglich, denn all Hintergrundwissen spottet meiner Menschenkenntnis und Phantasie bei weitem.
Ich lebe dort nicht!

Ist Terror relativ? Natürlich ist er das, solange man nicht selber betroffen ist.
Ist Terror nachvollziehbar? Natürlich ist er das, solange man nicht selber betroffen ist.
Ist Terror...? Natürlich ist er das, solange man nicht...

Und wenn ich doch betroffen wäre?
Würde aus meiner Verzweiflung und Ohnmacht etwa Hass und Rache wachsen?
Ich möchte niemals in eine Lebenswirklichkeit geraten, so fern der meinigen, wo diese Fragen einen Nährboden vorfinden könnten, beantwortet zu werden.

Ist Terror irre, wahnwitzig, unmenschlich?
Nein, das ist er nicht!
Doch Terror war, ist und bleibt Terror, denn er verursacht enorm großes Leid.

Vielleicht ist es ein riesiger Vorteil, dass ich wie viele andere die Möglichkeit haben, Terror als Terror bezeichnen zu können.

Dieser Vorteil, der uns bleibt... es liegt an uns, ihn zu nutzen, auch wenn wir seinen Wert kaum ermessen können.
Diejenigen, die mittlerweile betroffen sind, hätten jedenfalls alles versucht ihn zu nutzen, hätten sie ihn nur rechtzeitig erkennen können.

Geschrieben von: Gilgamesch.Minerva-ath am 15.Sep.2004 - 13:19

QUOTE
Ist Terror irre, wahnwitzig, unmenschlich?
Nein, das ist er nicht!

Warum denn nicht? Ist er denn menschlich, logisch, nachvollziehbar- ja schon fast im Toleranzbereich...?

Mir ist in dem ersten Artikel von Artemis der Wortlaut "genzenlose Selbstgerechtigkeit" aufgefallen.
Ein Metin Kaplan (auch wenn er im ganzen Geschehen sicherlich nur eine Witzfigur ist- so ist er dennoch eine öffentliche) wirft einem demokratischen System Unmenschlichkeit vor, weil es ihn in die Heimatländer schicken will- weil er eben gegen jenes demokratische System agiert u. propagiert. Und Deutschland- immer noch unter dem Joch des Vorwurfes einer Fremdenfeindlichkeit- gibt sich wieder einmal schuldig und lässt ihn hier bleiben und weiter schimpfen. Wann findet sich endlich mal eine Grenze der demokratischen Dummheit?
Nun anscheinend hat dieses Land seine Geschichte immer noch nicht aufgearbeitet und begriffen. Sorry- aber es wirkt mehr als nur seltsam, wenn jemand die Vorteile (Rede- Presse- Versammlungsfreiheit, Studienplätze in sehr vielen Fachbereichen und trotz der Bildungskrise immer noch relativ gute Ausbildung, Sozialsstaat...) in Ansprch nimmt und dann sich gegen dieses Konzept wendet. Wenn man da sagt, dass dies mehr als dreist ist- dann hat das nichts mit Fremdenfeindlichkeit o.ä. zu tun- immerhin sprechen wir auch davon, dass sich Deutsche bei Urlaub und Auswanderung ebenfalls den Sitten des jeweiligen Landes anzupassen haben. Also- wann traut sich dieses Land endlich mal ins Gesicht zu schauen?
Wir scheinen die Motive der mißverstandenen Unterdrückten zu vergessen- es sind durchaus nationalistische- die Faschisten des neuen Jahrtausends, kann man nicht anders sagen. Und wenn ich höre- "die können ja nichts dafür, wir haben sie all die Jahre unterdrückt, das liegt nicht an Ihnen, wir müssen Ihnen helfen"-
heißt das
1.) wir nehmen eine Umerziehung vor? Missionarisch das Gedankengut verbreiten- wie soll denn das gehen- nicht nur das diese Idee ein wenig lächerlich erscheint- sie wird wohl auch nicht funktionieren. Man redet hier nicht über Kinder.
Oder aber auch 2.) wir geben unsere gesamtgeschichtliche Entwicklung mit all den angekreideten westlichen Unartigkeiten auf- mitunter natürlich die Menschenrechte. Frau bitte verschleiert, hinter (geheiratetem- muslimischen) Mann, mit Kindern und bitte ungebildet. Homosexualität- löst man mittels steinigen. Geht auch einfacher. Also keine Religionsfreiheit, keine Meinungsfreiheit, keine Presse- oder sonstiges Freiheit- und noch nichteinmal Sicherheit. Denn selbst wenn Frau "als gute Muslimin lebt", kann sie immer noch wie der letzte A*** behandelt werden. Wir hatten ja vergessen- sie war nur eine Frau.
Oder an welche Lösung wird bei diesem möglichst politisch korrekten Satz "wir sind schuld, dass sie töten" gedacht? Also bitte- das klingt wie
- Frauen sind schuld, wenn sie vergewaltigt werden (sie senden ja die Signale)
- die Juden sind für Antisemitismus verantwortlich
- ... ... ...
Fällt was auf? ph34r.gif

Und wenn die demokratischen Parteien dabei weiter in ihrem Falschverständnis von "Toleranz"-weiterreden, dann ist es nachvollziehbar, weshalb rechte und rechtsextreme Parteien Rückenwind erhalten. Und diese Entwicklung bereitet mir abseits davon ebenfalls Bauchschmerzen. Frage also nocheinmal- Wann findet sich endlich mal eine Grenze der demokratischen Dummheit?

[edit- die soll keinesfalls das ebenfalls auftretende Mißverhalten der westlichen Wirtschaftsstaaten entschuldigenoder rechtfertigen- nur legitimieren diese Fehler keine solchen Maßnahmen des Terrors- und um politische Freiheut geht es da doch auch nicht.]

Geschrieben von: Bilana am 15.Sep.2004 - 14:52

QUOTE
Es bleibt für mich unmenschlich so zu handeln-


Muss ich widersprechen. Könnte aber daran liegen, das ich etwas anderes unter menschlich verstehe. Es ist für mich nur eine dunkle Seite der Menschlichkeit. Eine der man sich bewusst sein muss. Was ist schon ein Ghandi gegen die Millionen von Menschen jeglichen Alters und Geschlechts, die der Gewalt nicht widerstehen konnten?

(BTW: Wie Erfolgreich ist diese Strategie wirklich? Bestes Beispiel Sonja Ghandi, als Mitglied des berühmten indischen Politik-Clans. Friedlich hat sie die Stimmen und Herzen der InderINNEN gewonnen, hat lange gekämpft und schlussendlich die Wahlen gewonnen und ist dann durch subtile Gewalt genötigt von ihrer Kandidatur als Präsidentin zurückgetreten. Weil sie wusste sie wäre nicht die erste ermordete Ghandi.)

QUOTE
Gewalt ist zu widerstehen.


Sicher das ist absolut wünschenswert. Aber realistisch?
Ich sehe das eher pragmatischer. Gewalt kann verhindert oder minimiert werden, wenn Menschen in einem Umfeld leben können, in dem sie etwas zu verlieren haben. Geliebte Menschen, materielle Güter, „Heimat“.

QUOTE
Warum denn nicht? Ist er denn menschlich, logisch, nachvollziehbar- ja schon fast im Toleranzbereich...?


Warum nicht?
Kann wirklich ein Mensch sagen, sein Pazifismus ist grenzenlos? Ich fände es bewundernswert.
Mein Pazifismus hat Grenzen! Dem Himmel sei dank bin ich mit einem Intellekt ausgestattet und so besteht meine Strategie einfach darin mich nicht in Situationen zu bringen, in denen diese Grenzen überschritten werden. Es ist ganz offensichtlich, dass nicht alle menschen diesen Luxus haben.

QUOTE
den bildern aus der schule wollte ich mich nicht aussetzen. und wenn das so weitergeht? hab ich am ende dann auch nichts gewusst? weil ich nichts wissen wollte? *grübelt mal ne runde für sich weiter*


Sich nicht den Bildern aussetzten und nichts Wissen sind mE zwei paar Schuhe.


Die Schuldfrage stellt sich mir auch anders. Sicher die Opfer und Angehörigen von Breslan keine Schuld. Wir nennen es Terror und verurteilen es. Aber haben die Tschetschenen schuld? Ist das , was dort ist kein Terror, nur weil es von einer international anerkannten Regierung verübt wird?

Hinzu kommt, was wenn Menschen sich so sehr in die Enge gedrängt fühlen, dass sie keinen anderen Ausweg sehen. S.o.

In meinen Augen nichts weiter als actio = reactio.

Führt mich wieder zu dem Ansatz Menschen etwas zu geben, aus dem sie Hoffnung schöpfen können und das es wert ist bewahrt zu werden.

Geschrieben von: Gilgamesch.Minerva-ath am 15.Sep.2004 - 15:23

@Bilana-
da haben wir wohl in der Tat ein unterschiedliches Menschenbild.
Aber nach deinem Bild kommt mir eine Frage- also gibt es eine "dunkle Seite" im Menschen- dann kann er ja gar nichts dafür! Das heißt er müsste für seine Entscheidungen nicht die Verantwotung übernehmen, wenn es vor allem eins- wie du selbst angedeutet hast- tolerierbar ist...? blink.gif Dein Wort im Ohr einer der Mütter, die ihr Kind in einem Holzkasten zurückbekommt.
Das widerstrebt mir zum äußersten- sicherlich ist der Gedanke an Gewalt oder ähnliche Mittel kein fremder Teil vom Menschen- aber der Mensch hat Bewusstsein- d.h. Gefühle, Vernunft und moralische Überlegungen in einem permanenten Zusammenspiel. Und eben durch diese ist er verwantwortungsfähig- er trägt die Konsequenzen für seine Handlungen und es ist ihm bewusst, welche Folgen seine Entscheidungen auch haben können. Und demnach legitimiert sich Gewalt als "menschliche Seite" für mich immer noch nicht- "die dunkle Seite" klingt vielmehr als entschuldigender Ausweich. Denn was sollte man für Maßstäbe bei Verantwortlichkeit anlegen- oder anders- wie reagiert man auf einen verantwortlichen Menschen...
Zur Sonja Gandhi- es spricht nichts gegen den Erfolg der Strategie. Hätte sie mit Gewalt reagiert, wäre sie gescheitert. Manche Dinge wie friedliche Methoden brauchen zwar mehr Zeit, sind dafür aber tiefgründiger und stabiler. Ihr Verhalten baut eine Symoathie auf- mit der später mehr gearbeitet werden kann, als mit einer Tat, die ihren Reden widerspricht- dann hätte keiner was gewonnen und es wären nur enttäuschte Hoffnungen und Demotivation zurückgeblieben.
Und der Mensch kann Gewalt also widerstehen- keine Utopie- sondern es ist möglich. Problem st nur, dass es den meisten Menschen nicht mehr um zu verwirklichende Ziele geht, sondern in der tat nur um Gewalt. Einfach weil er das Bewusstsein über ein Ich- mit all seinen Konsequenzen (Zeifel, Sinn, Glaube, Tod- die elementaren Teile halt) nicht ertragen kann. Der Mensch stumpft sich selbst ab und versucht dann sich seine Lebendigkeit durch Grenzsituationen wiederzuholen.
Ist Gewaltlosigkeit also möglich? - Unter wirklich bewusstdenkenden (heißt Vernunft und Emotion im Zusammenklang) Menschen ja- aber die meisten menschen sind leider zu blind. Die härtere Varinate will ich gar nicht erst aussprechen. Ich würde schon einmal hier auf mein Menschenbild angesprochen- was ich glaube, wozu der Mensch eigentlich fähig sei. Nun- noch einmal- zur (Selbst-)Lüge. Es ist so schön einfach. Und selbstgerecht.

Wenn man den Menschen also als bewusstseinhaftes Wesen sieht- dann ist Gewalt- insbesondere Terror- irrational und vor allem unmenschlich weiterhin. Um also Terror als menschlich bezeichnen zu können, muß man ja dem Menschen jegliches Verantwortungsbewusstsein, jegliches Handlungsdenken absprechen.
Aber was ist er dann noch, was bleibt dann noch menschliches übrig?

Geschrieben von: Gilgamesch.Minerva-ath am 15.Sep.2004 - 15:28

Nachtrag zu
actio und re-actio- bestes Beispiel, inwieweit Gewalt in der Tat vermeidbar und unnötig ist.
Denn entweder der mensch kann für seine Entscheidungen Verantwortung übernehmn- oder er ist nur ein Spielball in Kausalketten (was irrsinnig wäre, wenn man so denken möchte, weil dann auch ein Gandhi eher die Flinte geworfen oder abgefeuert hätte). Der Mensch hat die Willensfreiheit innerhalb von Aktionen seine Reaktion bestimmen zu können.
Gewalt ist also durchaus nicht menschlich und unabdingbar.

Geschrieben von: Sägefisch am 15.Sep.2004 - 17:07

Ich glaube, was Bilana sagen will (und falls dem so ist stimme ich ihr zu), ist daß es sehr wohl am einzelnen liegt, sich für oder gegen ein bestimmtes Handeln zu entscheiden, und diese Entscheidung auch zu verantworten.

Daß es zum anderen aber durchaus etreme Situationen und Umstände gibt, die es einem Menschen schwer machen, immer die andere Backe hinzuhalten, sich ruhig zu verhalten, gewaltfrei zu bleiben, usw.

Überspitzt könnte man sagen: wir haben leicht reden.

Zum Begriff Terror möchte ich noch anmerken daß ich nicht eine Legitimation will, aber gerne eine Differenzierung. Mir sind in letzter Zeit zu viele verschiedene Leute mit zu vielen verschiedenen Anliegen und Zielen unter diesem ungenauen und für manche Machthaber sehr bequemen Begriff zusammengefasst worden.

Für mich sind z.B. die 9/11-Attentäter etwas völlig anderes als die von Beslan, auch wenn es sich in beiden Fällen sicher um Mörder handelt.

Ich mag diesen Brei aus dümmlicher Angst, hysterischer Aggressivität, Halbwissen, Vereinfachen und gleichzeitigem Weggucken nicht, der seit 3 Jahren überall rumwabert.

Geschrieben von: Bilana am 15.Sep.2004 - 17:44

Da verstehen wir uns wieder falsch, dabei sprechen wir doch die selbe Muttersprache? wink.gif Ich hielt mich kurz, dachte aber es wäre verständlich.

Menschlichkeit: Ist für mich ein wertneutraler Begriff. Gute Dinge wie Liebe, Aufopferung, Verständnis sind menschlich. Hass, Rachegelüste, Gewalt auch.
Vieles liegt sicher in einer Grauzone, Gewalt meist auf der dunklen Seite. Ist es deshalb entschuldbar? Diese Worte hast du hinein interpretiert, habe ich nie gesagt. Und natürlich muss jeder irgendwie die Verantwortung für sein Handeln übernehmen. „Die dunkle Seite“ legitimiert nichts, sie ist einfach da.
Verantwortung übernehmen heisst für mich (wie ich schon schrieb) mich Situationen zu entziehen, die meine Grenzen überschreiten würden. Aber das ist eine lächerlich leichte Aufgabe für eine weiße, deutsche Staatsbürgerin.
Hier nur ein Gegenbeispiel: Wie ist es mit einer Frau, die einer ethnischen Minderheit angehört? Über Generationen in bonded labour gefangen, mit der Aussicht auf ein so trostloses Leben für sich und ihre Kinder, wie das ihrer Eltern. Wenn dann jemand kommt und ihr sagt erdulde das oder kämpfe für uns, was hast du zu verlieren?
Wenn sie weiß, das es schon seit Jahrhunderten so ist, hat sie dann noch das Vertrauen, das es sich überhaupt mal friedlich ändert? Und darf sie sich den Egoismus nicht leisten, eine Besserung für sich erstreiten zu wollen?
Oder wenn Menschen psychisch so sehr verändert werden, dass sie außer Banance geraten. Weil sie ständig Gewalt um sich haben, obwohl auch sie „unschuldig“ sind und einfach nur ihr Leben leben wollen.



QUOTE
- sicherlich ist der Gedanke an Gewalt oder ähnliche Mittel kein fremder Teil vom Menschen- aber der Mensch hat Bewusstsein- d.h. Gefühle, Vernunft und moralische Überlegungen in einem permanenten Zusammenspiel


Nichts anderes meine ich. Nur gehe ich einen Schritt weiter und sage für (fast) jeden Menschen gibt es eine Situation, in der das Bewusstsein der Gewalt nicht mehr widerstehen kann. Situationen, in denen Gefühle, der Wille zum Überleben den rationalen Verstand überschreiben. Sei es impulsiv oder wohl überlegt.
Impulsiv, simpel, wenn du entscheiden musst ob du zu erst abdrückst oder erschossen wirst. Ich würde mich nicht freiwillig erschießen lassen. Bin ich deshalb ein schlechter Mensch?
Durchdacht, wenn es keinen anderen Ausweg mehr zu geben scheint. Und davon gibt es leider zu viele auf dieser Welt.

Ich sehe selbst ein, das Schulkinder, Büroangestellte, Opernbesucher, Bahnfahrer „unschuldig“ sind. Und es ist absolut falsch sie zur Zielscheibe zu machen, es ist verachtungswürdig. Aber es gibt auch weniger unschuldige Personengruppen.
Ich gehe nur mit deiner so sehr verurteilenden Meinung nicht mit. Wie gesagt, jeder Mensch hat seine Grenzen. Ich habe Verständnis dafür, was nicht bedeutet, das ich Gewalt gut heiße oder sage die Menschen seien Spielbälle des Schicksals (doch aber vom Schicksal beeinflusst) und bräuchten keine Verantwortung übernehmen.

Grüße bilana




Geschrieben von: Gilgamesch.Minerva-ath am 15.Sep.2004 - 18:30

QUOTE (Sägefisch @ 15.Sep.2004 - 17:07)
Ich mag diesen Brei aus dümmlicher Angst, hysterischer Aggressivität, Halbwissen, Vereinfachen und gleichzeitigem Weggucken nicht, der seit 3 Jahren überall rumwabert.

Ah ja.
Nun, es ist lustig, genauso möchte ich eine Differenzierung. Und zwar von diesem ganzen Einheitsgedümpel- "wir dürfen nicht verurteilen, alles ist relativ und der Terror- naja, da muß man wieder unterscheiden, man steckt ja nicht drin..." (ist dies nicht gerade auch eine Art des Wegschauens, dass allharmonische politisch korrekte Relativieren) zu stichhaltigen Argumenten- wenn wir dabei gerade sind, ich hatte dich gefragt, ob du mir folgenden Aussage
QUOTE
Und heute wird versucht, Terror als völlig aus dem usprünglichen Kontext gefallenen Wahnsinn abzufertigen. Weil auch das leichter zu handhaben ist als die Frage, ob man da nicht doch die falschen Leute ein Stück zu weit getrieben hat
im Kontext meiner Fragen und Anmerkungen dazu (oben) beantworten könntest.
Das du Terror für nicht irrinnnig, zu schnell als eben jenes abgeurteilt siehst und gerne Differenzierung möchtest hast du das ein oder andere mal bereits erwähnt. Warte nun auf das, was folgt.

Vielleicht als erfrischenden Aspekt- ich ging hier zwar von "Terrorbeispielen" aus, allerdings dachte ich an Gewalt allgemein. Und da gibt es auch Formen, über die man "mitreden kann". Mobbing, Straßenprügeleien, etc. So fern von aller Gewalt leben wir hier dann doch nicht- vielleicht als neuer Ansatzpunkt, damit das Argument- "wir sind zu weit entfernt" sich neu bewähren muß. Denn Gewalt fängt doch nicht erst mit solchen extremen Maßen wie die des globalen Terrors an.

p.s. Terror- natürlich sind die 9/11 Leute anders als Breslan- aber Terror/ Terrorristen ist ein Sammelbegriff (und kategorisierende Gemeinsamkeiten sind unübersehbar vorhanden). Genauso wie Frauen ein Sammelbegriff ist unter den viele Facetten PLatz haben. So what?

edit-
@Bilana,Daher meinte ich auch, wir haben ein unterschiedliches Menschenbild- deines ist weitaus realistischer, während meines in den Zeiten von Goethes (nur mit feministischer Reformierung) humanistischem Ideal hängen geblieben ist. Das Grundfazit mag gleich sein, aber ich räume déiner "dunklen SEite" nicht so viel Entscheidungsspielraum und eine so gewichtige Rolle zu. Nun- dein Beispiel mit dem entweder du erscheßt den Menschen vor dir oder du stirbst- zu plakativ gesagt, immerhin agieren hier diese Gruppen mit Feindbildern und vor allem sind es nicht immer die bösen Westler, die die Bevölkerung verarmen und verelenden lassen, sondern meist eben jene selbstgerechte "Krieger". Und ja- mein Urteil ist hart- denn hier wurde bewusst auf Kinder gezielt. BEWUSST.

[edit- mein Großvater stand übrigens einmal im dritten Reich vor einer ähnlichen Entscheidung. Polizei- entweder er hätte den jüdischen Mitbewohner erschossen, oder sein Chef ihn. Er hat nicht geschossen- und daraufhin haben die anderen Kameraden ihn geschützt. Es geht auch anders.]

Geschrieben von: Gilgamesch.Minerva-ath am 15.Sep.2004 - 18:33

QUOTE (Bilana @ 15.Sep.2004 - 17:44)
Da verstehen wir uns wieder falsch, dabei sprechen wir doch die selbe Muttersprache? wink.gif Ich hielt mich kurz, dachte aber es wäre verständlich.

OT
Hey- na aber dann haben wir genug Beispielmaterial für den anderen Thread, wo es über eben das nicht verstehen bei einer Sprache geht laugh.gif .

Geschrieben von: Sägefisch am 16.Sep.2004 - 08:45

Ich glaube kaum daß ich besonders pc bin.

Ich will auch keinen Terror legitimieren. Ich denke allerdings, daß eine Aussage wie "man steckt nicht drin" durchaus ehrlicher sein kann als das große moralische Zähneklappern.

Ich weiß es eben nicht. Ich maße mir nicht in jedem Fall an zu beurteilen, was die Beweggründe gewesen sein mögen.

Was würde ich tun wenn ich zwischen Bombenkratern großgeworden und meine toten Eltern aus einer Hausruine gezogen hätte, und mein großer Bruder wäre rein auf Verdacht verschwunden worden?

Ich kann mir zwar nicht vorstellen Kinder als Geiseln zu nehmen oder einen vollbesetzten Bus hochzujagen...aber woher sollen wir hier denn wissen was so ein Leben mit einem macht? Was da alles zum Vorschein kommt?

Meinetwegen, nenn es Irrsinn. Auch wenn ich finde daß Grausamkeit, Hass, Abstumpfung, Lebensverneinung besser passen, weil diese Begriffe näher an uns selbst sind.

Natürlich bleibt selbst unter schlimmsten Umständen Verantwortung erhalten. Davon spreche ich auch niemanden frei.

Und es ist auch keine Legitimierung, sich genau anzugucken was eigentlich los ist. Ich stehe hier auf seiten keiner Konfliktpartei. Anzuerkennen, daß beide Seiten Beweggründe haben (auch wenn sie noch so schlecht sind) ist keine Parteinahme, sondern hat was damit zu tun, die Lage erst mal zu sortieren.

Da wo die Beweggründe tatsächlich nur auf Hass hinauslaufen, wie bei religiös motivierten Attentätern, halte ich es auch für angebracht, entsprechend zu reagieren. Mir ist schon klar daß man mit denen nicht diskutieren kann.

----

Wolltest Du denn einfach nur auf die Frage hinaus ob der Mensch eine Wahl hat? Ja, sicher hat er die. Sie ist aber nicht immer so einfach zu treffen wie bei uns im Wohnzimmer.

Geschrieben von: Bilana am 16.Sep.2004 - 09:18

Ich würde dir eine persönliche Frage stellen. Hast nicht auch du deine Grenzen? Was passiert wenn die überschritten werden?

Ich stimme da Sägefisch zu.

Wenn du wirklich relativierst, dann bleibt wohl nichts mehr allharmonisch und schon gar nicht politisch korrekt.
Ich sprach auch nicht von bösen Westlern, das finde ich nun wieder plakativ. Ich sprach von ethnisch/religiös unterdrückten und lokalen Landlords.
Es braucht aber gewisse Bedingungen um in solch verbitternde Formen von Unfreiheit oder Aussichtslosigkeit zu geraten. Und ich finde es beschämend, das es diese Bedingungen noch immer gibt, heute im 21. Jh. Das solche Landlords Menschen in den Krieg treiben können, sie noch immer in Formen der Unfreiheit unterwerfen können, daran ist der Westen und andere Großmächte mit Schuld, das ist Fakt.
9/11 usw sind sicherlich sehr scharf zu verurteilen. Aber wie viele Kinder und Erwachsene haben Amerikanische und Russiche Soldaten umgebracht? Wie viele Frauen und Männer vergewaltigt? Wie viele Menschen mussten sterben weil Amerika sich in der Vergangenheit für Leute wie Pinochet und Saddam entschieden hat, zu eigenen Gunsten?
Und die amerikanische Regierung hat sich bis heute nicht ein Stück von einer derartigen Außenpolitik entfernt, nicht ein Stück! Sie tun es immer noch und wundern sich, dass ihre Bürger an vielen Orten unwillkommen sind oder gar gehasst werden.

Im übrigen denke ich, dass du die Dynamik unterschätzt, die zwischen Menschen entsteht, zwischen denen Waffen sind. Man braucht nicht sonderlich unintelligent sein um sich davon mitreißen zu lassen.

Nicht immer, eher selten sind es selbstgerechte Krieger. Meist sind es Menschen, wie du und ich, mit denen man sich „normal“ unterhalten kann. Ich denke dass ist es, was viele nicht wahr haben wollen. Sie zu gewissenlosen Kampfmaschinen und selbstgerechten Kriegern zu machen, sie als unmenschlich abzustempeln beruhigt wahrscheinlich. Es sind halt die andern.

Nachtrag: Nochmal Zustimmung zu Sägefisch.
und zur Abstumpfung: Es ist eine Überlebensstrategie. Und ich finde es anmaßend das zu verurteilen. Es ist einfach etwas anderes, ob die Bilder des Terrors vom andern ende der Welt kommen, mit dem frau nichts zu tun hat oder ob frau die Zeitung aufschlägt und in den Bildern Dinge wiedererkennt, die ihr vertraut sind.

Geschrieben von: Laura am 16.Sep.2004 - 12:12

Gewalt, Terror, Krieg – diese Begriffe sind hochgradig emotional besetzt, so sehr, dass wir sie in unserem Alltag kaum an uns heranlassen. In Mitten all den Meldungen und der Bilderflut ahnen wir von dem Grauen und dem Schmerz, die dahinter stecken, und wie brüchig doch die Fassade des guten Lebens jenseits von enormem Hass und schrecklicher Grausamkeit geworden ist.
Ich glaube es ist diese Ahnung, die so sehr erschreckt und ängstigt, denn es wird immer schwieriger die Gewalt, den Terror und den Krieg 'Draußen' fern ab vom hier und heute zu halten und zu bannen - sie scheinen näher zu rücken. Die strukturelle Gewalt und die Gewaltbereitschaft von Menschen hierzulande nimmt eher zu als ab, deutsche Soldaten sind an internationalen militärischen Einsätzen beteiligt und der Terror hat selbst ein Urlaubsland wie Spanien erreicht.
Es ist mir unmöglich festzustellen, ob nach 9/11 und dem Krieg im Irak das Leben in der immer kleiner werdenden Welt gewaltätigiger geworden ist, wieviel davon und zu welchem Zweck medienpolitisch beeinflusst ist -das massenhafte Töten in Teilen Afrikas findet ja kaum Beachtung-, aber nach meinem subjektiven Empfinden ist die Gefahr gestiegen, nicht nur beobachtender Zaungast zu bleiben.

QUOTE (sägefisch)
Meinetwegen, nenn es Irrsinn. Auch wenn ich finde daß Grausamkeit, Hass, Abstumpfung, Lebensverneinung besser passen, weil diese Begriffe näher an uns selbst sind.

Terror, also im weitesten Sinne die Anwendung von Gewalt, um durch großes Leid in vermeindlich sichere Lebensfelder einzubrechen und damit Angst und Schrecken zu verbreiten... wie damit bloß umgehen?
Nichts wäre furchtbarer, als bei Gewalt in fatalistischer Apathie oder Gleichgültigkeit zu verfallen, doch ausbreitendem Terror wird nicht der Nährboden entzogen, wenn nur die unmittelbare, schreckliche Spitze des Eisberges wahrgenommen und lediglich TäterInnen dämonisiert, entmenschlicht werden. Dies kann nicht nur u.U. in eine verheerende Gewaltspirale führen, sondern es beraubt jeden von uns durch kollektive Abspaltung und Projektion die Chance, die verschärftende Bedingungen von tiefgreifenden Konflikten überhaupt noch realisieren zu können.

Ich war enorm beeindruckt davon, wie die Menschen auf den Straßen Madrids auf den Terroranschlag reagiert haben. Manchmal kann es eben schon ausreichen, um ein klares Zeichen zu setzen, indem Menschen unmissverständlich deutlich machen: Stop, so nicht!


Geschrieben von: Gilgamesch.Minerva-ath am 16.Sep.2004 - 12:22

QUOTE
Sie zu gewissenlosen Kampfmaschinen und selbstgerechten Kriegern zu machen, sie als unmenschlich abzustempeln beruhigt wahrscheinlich. Es sind halt die andern.

Nein- weder "stempel" ich die Menschen ab, noch sage ich "es sind die anderen" und reölativieren tue ich erst gar nicht- das müsste eigentlich in meinen Beiträgen wohl am deutlichsten geworden sein. Beruhigen würde so eine Vorstellung auch nicht- im Gegenteil- es würde ja eine ausweglose Situation darstellen- das w#äre beunruhigend. Und als gewissenslos aburteilen- nun, ich meinte in einem oberen Beitrag, dass mein Menschenbild dementsprechend aussieht, dass ich jedem Menschen ein Gewisse zuspreche- mich aber dann eben genau frage inwieweit so etwas möglich sein kann. Weder unterstütze ich auch die eine, noch die andere Seite- ich werfe beiden unrechtes Verhalten vor. Und das sehe ich nicht als schlichtes verurteilen- soll ich es ignorieren mit den Worten "man steckt nicht drin." oder nur sagen, es ist so und so, weil...- und was mache ich aus dem weil? Viele Gründe sind doch bekannt, und es wird trotzdem nicht damit gearbeitet, im Gegenteil, die Konflikte verschärfen sich.
In so einer extremen Situation wie die im nahem Osten war ich bisher glücklicherweise auch noch nicht. Aber wie gesagt- Gewalt hat viele Facetten- und andre Formen habe ich durchaus erlebt. Ja, und ich habe vor ein paar Jahren auch einmal zurückgeschlagen- und das tut mir bis heute leid. Aber eben weil sich der Mensch Gedanken machen kann, sollte es ihm möglich sein aus dem Geschehen zu lernen. Wenn Grenzen überschritten werden- nun dann muß die schlußfolgernde Konsequenz nicht immer ein Gegenschlag sein. Und ja- wenn jemand einen mir nahestehenden ohne Reue- oder Anzeichen davon- ermordet, wer weiß, ob ich dann nicht Rache ausüben würde- aber wenn dann möglichst an dem Schuldigen und nicht blindlings auf andere, nur weil sie dieselbe Sprache wie der Möder sprechen (und am besten noczh Opfer denen ich mich gewachsen sehe- wie Kinder...). Das ist der Irrsinn, von dem ich spreche- denn das ist blinder Hass.

edit- sicherlich ist das Argument "man steckt nicht drin." wichtig- nur in den nach den Anschlägen geführten Diskussionen nimmt es auf relativierende Weise einen sich selbst auch besänftigenden Charakter an- das meine ich jetzt nicht auf euch bezogen- nur sind mir eben jene Worte zu oft in einem lapidaren Zusammenhang entgegengebracht worden.

Anderes Beispiel- ein 15-jähriger verprügelt einen Mitschüler, weil dieser bessere Noten hat. Ein anderer vergewaltigt eine Mitschülerin, weil sie ihm einen Korb gegeben hat- was ist damit, kann man da wirklich immer noch sagen- "man steckt nicht drin?" Und das sind eben auch Formen von Gewalt, von denen ich gesprohen hatte.

Geschrieben von: Laura am 16.Sep.2004 - 12:42

QUOTE (Gilgamesch.Minerva-ath @ 16.Sep.2004 - 13:22)
Anderes Beispiel- ein 15-jähriger verprügelt einen Mitschüler, weil dieser bessere Noten hat. Ein anderer vergewaltigt eine Mitschülerin, weil sie ihm einen Korb gegeben hat- was ist damit, kann man da wirklich immer noch sagen- "man steckt nicht drin?" Und das sind eben auch Formen von Gewalt, von denen ich gesprohen hatte.

Wir arbeiten alle in irgendeiner Form mit Bildern und Vorstellungen, um ein Phänomen wie den Terrorismus erfassen zu können, und dabei bedienen wir uns der Erfahrungen und Erlebnissen, die wir kennengelernt haben. Leider werden sich uns dadurch die weitreichenden Differenzen zwischen und die Varianz von Aggression, Gewalt, Terror und Krieg kaum erschließen lassen.
Die relevanten Fragen, die gemeinsam dahinter stehen könnten, sind für mich: wie erlebe ich Bedrohung und wie gehe ich mit Leid um.

Nachtrag:
Bedenke dabei vielleicht das Einsichtspotential des geprüften Dalai Lamas: 'Wenn ich nur noch die Wahl zwischen Gewalt und Feigheit hätte, ich würde die Gewalt wählen'.
Unsere Chance liegt also vielleicht darin, mit Bedrohung und Leid so umzugehen, dass unser Blick für Alternativen nicht auf Dauer getrübt wird.
Dies verlässt für mich dann endgültig den Boden der Moral...

Geschrieben von: Artemis am 16.Sep.2004 - 12:44

QUOTE (Gilgamesch.Minerva-ath @ 16.Sep.2004 - 12:22)
Anderes Beispiel- ein 15-jähriger verprügelt einen Mitschüler, weil dieser bessere Noten hat. Ein anderer vergewaltigt eine Mitschülerin, weil sie ihm einen Korb gegeben hat- was ist damit, kann man da wirklich immer noch sagen- "man steckt nicht drin?"

Das ist Gewalt und als solche vom Übel. Aber es hat mit Terror nichts zu tun, denn in deinen Beispielen geht es um Gewalt an Menschen, mit denen die Gewalttäter direkt zu tun hatten (das schreckliche, aber korrekte Wort "Beziehungstat").

Bei den Terroranschlägen werden massenhaft Menschen umgebracht, mit denen die Täter persönlich nicht das geringste zu tun haben - die Leute im World Trade Center, die Kinder in der Schule eines Nachbarlandes, die schwarze Bevölkerung im Sudan. "Unschuldige" also. Al Kaida hatte damals nach dem 11.9. kolportieren lassen, die Menschen im WTC seien aber per se keine Unschuldigen, weil sie Angehörige des verbrecherischen amerikanischen Volkes seien.

So viel zu den perversen "Rechtfertigungen" des Terrors.


Geschrieben von: Gilgamesch.Minerva-ath am 16.Sep.2004 - 13:27

Ich hatte ja eben nicht ausschließlich über Terror reden wollen, sondern von Verantwortungs- und Entscheidungsbewusstsein inGewaltsituationen. Der Terros ist dabei wohl die momentan heftigst umstrittene Form.
@Laura-
eben das es nicht nur Schwarz-Weiß-Möglichkeiten gibt, wird durch solche Bildwelten manchmal erschwert- und die Menschen sind sich darüber aber auch bewusst. Du hattest die Rede aus dem Dritten Reich angesprochen- vergleiche diese und die darauffolgenden Reaktionen doch einmal mit den heutigen Hasspredigten einiger hoher islamischer Terrorführer oder eines Herrn Busch- haben wir wirklich immer noch nichts verstanden?
@Artemis-
eben- es geht um anonymen Massenmord- und bei dieser Art funktioniert die Motivlage, man hat diesen Menschen Unrecht getan, nicht mehr. Denn es trifft doch eben nicht die Verantwortlichen. Genauso wie es "Verantwortliche" in diesem Sinne bei den wenigsten Gewalttaten eigentlich gibt.

Und von nachvollziehbarer Rache-Reaktion kann ich ebenfalls nicht sprechen- wäre als würde ich alle türkischen Mitbewohner verdammen, nur weil zwei mir gestern "Schlampe" (so viel zu Gewalt-Facetten) nachgerufen haben. Tritt oft auf, nur spricht man dann speziell in D von Fremdenhaß, der nicht gut und sogar eigentlich irrsinnig sei (vor allem wenn man dann beim türkischen Gemüsehändler um die Ecke wieder einkauft). Wehren heißt nicht blind auszuholen- und nicht-gewalttätig reagieren hat noch lange nichts mit Feigheit zu tun.
@Laura-
an diesem Punkt- Gewalt oder Feigheit- ungünstiges Beispiel- Gewalt kann oftmals Feigheit sein. Und Feigheit oftmals Gewalt.
Und die Dunkelmänner sind sich über die Welle von Schwarz-gegen-Weiß-Reaktionen doch sehr bewusst, wollen sie geradezu provozieren. Sinn? Irrsinn?

Geschrieben von: Artemis am 16.Sep.2004 - 13:44

QUOTE (Gilgamesch.Minerva-ath @ 16.Sep.2004 - 13:27)
Ich hatte ja eben nicht ausschließlich über Terror reden wollen, sondern von Verantwortungs- und Entscheidungsbewusstsein inGewaltsituationen. Der Terros ist dabei wohl die momentan heftigst umstrittene Form.
.....
Und von nachvollziehbarer Rache-Reaktion kann ich ebenfalls nicht sprechen- wäre als würde ich alle türkischen Mitbewohner verdammen, nur weil zwei mir gestern "Schlampe" (so viel zu Gewalt-Facetten) nachgerufen haben.

Ich halte es für sinnvoll, diese Dinge gerade nicht in einen Topf zu werfen. In bestimmten konkreten Situationen habe ich die Möglichkeit zur Entscheidung und habe auch eine Verantwortung. Im Zusammenhang mit dem Terror sieht das anders aus. Gewalt (Körperverletzung, Totschlag, Vergewaltigung, Mord usw.) und Terror sind absolut zweierlei. Es ist ein qualitativer Unterschied, kein quantitativer.

Wenn dir ein Türke auf der Straße "Schlampe" hinterher ruft und du daraufhin überlegst, ihm zwischen die Beine zu treten, wäre das eine Gewaltsituation und du könntest dich in eigener Verantwortung entscheiden, ob du das tust oder nicht. Jedenfalls würdest du aber sicher nicht auf die Idee kommen, zur Vergeltung den Laden des türkischen Gemüsehändlers nebenan in die Luft zu sprengen.

Wenn du in einem Pendlerzug sitzt und dieser wird in die Luft gesprengt und du überlebst und liest anschließend in der Zeitung, dass sich irgendeine Gruppe zu diesem Anschlag "bekennt", ist das eine Terrorsituation und da gibt es keine persönliche Reaktion zu entscheiden oder zu verantworten. Sondern vielleicht nur wie in Madrid gegen solchen Terror demonstrieren zu gehen.


Geschrieben von: Gilgamesch.Minerva-ath am 16.Sep.2004 - 14:06

QUOTE
Wenn dir ein Türke auf der Straße "Schlampe" hinterher ruft und du ihm daraufhin zwischen die Beine trittst, wäre das eine Gewaltsituation und du könntest dich in eigener Verantwortung entscheiden, ob du das tust oder nicht. Jedenfalls würdest du aber sicher nicht auf die Idee kommen, zur Vergeltung den Laden des türkischen Gemüsehändlers nebenan in die Luft zu sprengen.

Ich nicht, aber weshalb zünden manche glatzköpfige Stiefelträger Asylantenheime an?

Die Reaktion in Spanien war bemerkenswert- aber auf der anderen Seite nicht so sonderlich erstaunlich. Hätten sie militärische Maßnahmen fordern sollen? Gegen wen- die "Terrorgruppen" sind nicht unbedingt mutig und stellen sich den Reaktionen, sondern sitzen weiter feige im Hinterhalt. Zudem sind sie direkter davon betroffen- heißt auf Gegenschlafg folgt garantiert ein noch größerer Gegenschlag. Eigentlich ist diese Reaktion ein Beispiel dafür, dass auf Gewalt nicht neue Gewalt folgen muß.
Nur wie wird sich das änden, wenn immer wieder und immer wieder Anschläge folgen- obwohl man nicht zu Gegenreaktionen (gegen wen wiederum- die Terrorbanden zeigen sich nicht, es würde nur die Zivilbevölerung treffen können insofern wäre es sinnlos) greift...

Die Spirale ist schwer zu durchbrechen, wenn es gewisse Strömungen (auf beiden Seiten) gibt, die manipulativ eben jene zu fördern versuchen. Und vor allem zudem in sehr einflußreichen Positionen sitzen.

Geschrieben von: Laura am 16.Sep.2004 - 14:44

Möchte nicht den Eindruck erwecken, dass die Wahl, die ich angesprochen hab', das Resultat kluger strategischer Vernunftsentscheidung sei. Das würde an dem vorbeigehen, was ich mit Madrid andeuten wollte.
Was war denn dort so bemerkenswert - dass Menschen entrüstet gegen den Terror demonstrieren? Nein, mit Sicherheit nicht.
Meiner Meinung nach wurden die Menschen von tiefempfundenen Emotionen geleitet und haben damit letztendlich eine Regierung voller Heimlichtuerei und Lügen zu Fall gebracht; und dies ohne dass die Situation gewaltsam eskaltierte.

QUOTE
[...] Um zehn Uhr begannen die Leute, in Richtung Plaza del Sol loszuziehen, ohne Anmeldung oder Erlaubnis, auf den Strassen. Wir wollten erst einmal kurz nach Hause, um was zu essen, und etwas warmes zum Anzuziehen zu holen, ich konnte meine Händer vor lauter Kälte kaum noch spüren. Die Strassen in Lavapies waren leer, und als wir in Calle Cabeza ankamen, trafen wir auf ein junges Mädchen, die vor der Tür ihres Hauses stand und mit einem Löffel auf einen Kochtopf schlug. Zögerlich kamen Nachbarn an die Fenster und auf die Balkone, um dasselbe zu tun. Zunächste nur ein leises Klackern, doch plötzlich öffnen sich die Türen und Fenster in allen Strassen und es beginnt ein ohrenbetäubender Lärm, der sich über das ganze Viertel erstreckt. Wir gehen auf die Plaza, die sich mit Menschen füllt, die alle auf ihre Kochtöpfe, Pfannen, und Trommeln schlagen. Ein deutsches Fernsehteam erscheint, während immer Menschen hinzukommen, die ohne Worte, ohne zu rufen protestieren, und für einen wunderbaren Moment erscheint es als schlagen wir alle denselben Rythmus. Ein düsterer, schlüssiger Rythmus, trocken, hart, voller Wut und Verzweiflung. Und alle gehen los Richtung Plaza del Sol, auf dem wir dann nicht einmal annähernd ankommen können, weil ganz Madrid auf der Strasse ist. [...]

Ich kenne leider nur einige Erlebnisberichte, deren Zustandekommen ich nicht überprüfen kann, doch was dort in den Straßen geschah, erinnerte mich weniger an die Inanspruchnahme demokratischer Rechte, sondern an zivilen Ungehorsam, gespeist aus dem Schmerz, den viele Menschen miteinander geteilt und zusammengeführt, nicht jedoch gegeneinander aufgebracht hatten.

Ich sehe darin ein menschliches Potential, das in jedem von uns liegt.

Geschrieben von: Gilgamesch.Minerva-ath am 16.Sep.2004 - 14:58

Gewaltloser ziviler Ungehorsam- was das Bemerkenswerteste und Beste an diesem Protest ist. Man hat den Schmerz nicht einfach kanalysiert und auf Bilder projiziert, so dass Stellvertreterreaktionen folgen, sondern ihn gezeigt auf eine mich berührende ehrliche Art. Man geht mit dem Schmerz um, weil man ihn zulässt und nicht blind verdrängt.

edit- das Beispiel vom Dalai Lama hatte ein wenig den Eindruck von einem heroischen Wehren- halt in einer gegenüberstellung zur Feigheit. Nunja, vermutlich würde ich auch eher zu Gewalt greifen. Aber der Mensch lebt halt nicht in Schwarz-Weiß-Welten. Das wird zu oft vergessen. Daher mein Einwand, dass du keinesfalls Freund von dafür oder dagegen- Auslese bist, sonder hinterfragst, weiß ich doch wink2.gif .

Geschrieben von: Gilgamesch.Minerva-ath am 17.Sep.2004 - 12:30

Zum Thema- das Verstehen eventueller Motive der Täter/ Terroristen wird oft genug ausdiskutiert, vergessen dabei werden immer weiter die Opfer:
http://portale.web.de/Schlagzeilen/Terrorismus/?msg_id=5413118
http://portale.web.de/Schlagzeilen/Irak/

Geschrieben von: Laura am 17.Sep.2004 - 13:12

QUOTE (minerva)
das Beispiel vom Dalai Lama hatte ein wenig den Eindruck von einem heroischen Wehren- halt in einer gegenüberstellung zur Feigheit.

Hab' keinen blassen Schimmer, wie er dieses Zitat gemeint hat, kann nur meine Gedanken dazu beschreiben, die es ausgelöst hat.

Eines der schwierigsten Probleme bei der Frage nach der geeigneten Reaktion auf Terror ist die enorme Versuchung, darauf mit harten Maßnahmen zu reagieren. Manchmal werden nur Sicherheitsbestimmungen verschäft, dann schon Teile der Bürgerrechte beschnitten, bis hin zu militärischen Operationen, ja gar zu einem Krieg. Der Maßstab, der dabei angelegt wird, ähnelt dem Verhältnisprinzip – je schlimmer die Auswirkungen des Terrors, desto heftiger und brutaler die Gegenreaktionen.

Der Dalai Lama (natürlich nicht nur er) stellt hingegen diesem, fast schon als selbstverständlich erscheinenden Mechanismus eine andere Sichtweise gegenüber, da er in der Lage ist in Alternativen zu denken. Dies ist für ihn kein Zeichen von Feigheit (oder Schwäche u.ä.), da er prinipiell den Einsatz von Gewalt für sinnvoll erachtet, nämlich genau dann, wenn jegliche andere Aktion Ausdruck von Feigheit (oder Schwäche u.ä) wäre.
Sieht man darin eine Rechtfertigung von Gewalt, so kann man einen heroischen Bezug ableiten.
Sieht man darin die Begründung von Gewaltvermeidung, so wird aufgezeigt, dass Beherztheit (Stärke u.ä ) die Quelle dafür ist.
Sieht man darin die Beschreibung der Wahlmöglichkeit, so wird herausgestellt, dass sie von dem Wahrnehmen und Empfinden der eigenen Situation entschieden wird.
*manchmal ist Buddhistische Weisheit (so wie ich sie auffasse) erstaunlich scharfsinnig*
Diese Betrachtungsweise kann den Opfern von Terrorismus nicht den geringsten Trost spenden – dafür gibt es keinen, außer den, den sie sich selber geben können – aber mir dient sie manchmal als eine Art Kompass, um mich im Wirrwarr der Medienberichte etwas zu orientieren.

Auch vergesse ich oftmals zu schnell, welches ungeheure nicht nur militärische Potential Länder wie USA, Israel und Russland (u.a.) haben im Vergleich derer, die den Begriff des modernen Terrorismus' beeinflusst haben.
Kürzlich war zu lesen, dass Frauen wie diejenigen, die zuletzt die beiden Flugzeuge in Russland gesprengt hatten, deshalb Schwarze Witwen genannt werden, weil russische Soldaten, die in ihre Dörfen einfielen, vor ihren Augen ihre Männer und Söhne ermordet hatten. Ein Mythos? Gut möglich. Wenn nicht, so wäre es zweckdienlicher gewesen, sie hätten die Frauen nicht überleben lassen in einem Kulturkreis, wo die Familienbande höchsten Wert besitzt und selbst Blutrache tief verankert ist.

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