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> Über die Natur von Vorurteilen, Ein Weg zu (mehr) Selbstakzeptanz?
miriam
Beitrag 08.Aug.2008 - 14:46
Beitrag #1


Gut durch
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Im Urlaub habe ich ein sehr interessantes Buch gelesen (Daniel Goleman "EQ Emotionale Intelligenz" im dtv-Verlag erschienen), in dem es u.a. 2 Kapitel über die Natur von Vorurteilen und Möglichkeiten zu ihrer Bekämpfung bzw. Beseitigung gibt.
Diese Kapitel haben mir ziemlich zu denken gegeben und ich möchte Euch diese Gedanken nun gerne mitteilen (auch wenn's "etwas" länger wird):

zusammenfassend ist zu sagen, daß die Bildung von Vorurteilen eine Form des emotionalen Lernens ist, die sich in früher Kindheit vollzieht. (Die intellektuellen Rechtfertigungen für die Vorurteile kommen erst später dazu.) Daher ist es schwer, vorurteilsbeladene Reaktionen vollständig zu beseitigen, selbst wenn der Erwachsene es für unrichtig hält, Vorurteile zu haben.
Und so kommt es, daß man später zwar den Wunsch haben mag, seine Vorurteile abzuschaffen, sich der intellektuelle Überbau aber viel leichter ändern läßt als die tiefen Emotionen.

Daraus folgt, daß es utopisch ist, durch kurzfristige Aktionen, etwa durch Wochenendseminare o.ä. Vorurteile abschaffen zu wollen. Sinnvoller ist wenn versucht wird, Diskriminierung und Intoleranz erst einmal zu unterdrücken , es muß ins Bewußtsein des Vorurteilsbeladenen gebracht werden, daß sie nicht hinnehmbar sind. Dadurch entsteht eine "soziale Atmosphäre", in der der Diskriminierung die Kraft genommen wird. (Besonders effektiv ist natürlich, wenn Führungspersönlichkeiten wie Lehrer, Personalleiter etc. energisch gegen Diskriminierung in ihrem Umfeld vorgehen.)

Und doch ist es auch möglich, Vorurteile in einem Menschen vollständig zu beseitigen, allerdings nicht durch kurze Aktionen: da Vorurteile eine Form des emotionalen Lernen sind, ist auch ein Umlernen möglich. Dieses braucht allerdings seine Zeit. In dieser Hinsicht etwas bewirken kann längerer näherer Umgang oder das Hinarbeiten auf ein gemeinsames Ziel mit einer diskriminierten Person/Personengruppe. (Z.B. in Sportmannschaften, Bands, Orchestern etc.) Dann lösen sich die Vorurteile nach und nach auf.


Soviel in kurzer (!) Zusammenfassung. (Das Buch ist übrigens wärmstens zu empfehlen!)

Manch eine von Euch denkt nun vielleicht:"ist doch alles nichts Neues." Mag sein. Für mich neu waren jedoch die Gedanken , die Golemans Ausführungen bei mir ausgelöst haben; und zwar nicht im Hinblick auf den Umgang mit Leuten voller Vorurteile (gegen Homosexuelle), sondern in Bezug auf mich selbst:

vor längerer Zeit habe ich hier im Forum eine Umfrage bezüglich der Akzeptanz des eigenen Lesbischseins gestartet. Nicht wenige Frauen bekannten damals, damit (ja alleine schon mit dem Wort lesbisch) ein mehr oder minder großes Problem zu haben - meine Person eingeschlossen. (Auch beim Lesen der Beiträge hier bemerke ich immer wieder, daß eine beachtliche Anzahl von Frauen diese Probleme hat.)

Golemans Beschreibungen scheinen mir die Erklärung dafür zu liefern:

von früher Kindheit an (im Buch nicht näher definiert) wurden diesen Frauen (und vielleicht auch dem Gros derer, die ihr Lesbischsein akzeptieren, weil sie die Vorurteile bereits überwunden haben, s.o./s.u.) Vorurteile gegenüber Homosexuellen angelernt, sei es im Elternhaus (welch schrecklichen Nährboden liefern da z.B. gewisse religiöse Vorstellungen und Überzeugungen), durch aufgeschnappte beleidigende Äußerungen wie "schwule Sau" o.ä. und andere abwertende Äußerungen, sonstwo gehört.

Zum Zeitpunkt des "Coming-Outs" vor sich selbst ist die betroffene Person dann - leider meist auch noch mehr oder weniger alleine und damit haltlos - der vollen Wucht vor allem und erst einmal der eigenen Vorurteile ausgesetzt! (Leider fehlt ja meistens die Stütze durch "Gleichartige", die beispielsweise ein wegen seiner Hautfarbe diskriminiertes Kind in seiner Familie/Community hat.)

Golemans Beschreibungen zeigen dann auch auf, warum "der Kopf" (die erkämpfte nachträgliche intellektuelle Überzeugung, daß meine Homosexualität o.k. ist) den Kampf mit "dem Bauch" (das erlernte emotionale Vorurteil) eigentlich nicht gewinnen kann.


Daraus folgt für mich, daß dieser Disput (der tragische Kampf gegen die eigenen die eigene Person bzw. Sexualität abwertenden Vorurteile) letztlich fruchtlos bleiben wird - wenn er lediglich im stillen Kämmerlein ausgefochten wird, wenn man nicht aktive Schritte unternimmt um jener Strategie zu folgen, die Goleman zum Löschen von Vorurteilen nennt:
man begebe sich längerfristig in die Personengruppe, gegen die man Vorurteile hegt - in unserem Fall also paradoxerweise unter "Gleichartige".

Nach vielen Jahren der von außen her gefährdeten Existenz unserer Beziehung und daraus folgender Fixierung aufeinander ist das genau das, was meine Partnerin und ich seit einiger Zeit bewußt tun: wir gehen regelmäßig zu einem "Lesbentreff".
Wir empfinden das nicht nur als bereichernd und entspannend, sondern ich bemerke bei mir selbst ein recht flottes Schrumpfen meiner offensichtlich vorhandenen emotionalen Vorurteile gegen (meine) Homosexualität und proportional dazu natürlich ein Wachsen meiner Selbstakzeptanz.

In Kurzform sieht die Strategie zur Bekämpfung der emotionalen Vorurteile gegen die eigene Homosexualität für mich demnach so aus:

1) Akzeptiere, daß du in früher Kindheit emotionale Vorurteile (gegen Homosexualität) erlernt hast, wo, warum und wodurch auch immer.

2) Akzeptiere, daß du aufgrund psychologisch-neurologischer Umstände auf intellektuellem Weg kaum Chancen hast, diese emotionalen Vorurteile zu bekämpfen, aber:

3) da die emotionalen Vorurteile erlernt wurden, ist ein Umlernen möglich:

4) Lerne um, indem du den Weg gehst, der tatsächlich mit deinen emotionalen Vorurteilen aufräumen kann: begib dich unter die Personen, gegen die du diese Vorurteile hast (in unserem Fall: unter Homosexuelle/Lesben.)

5) (Um)lernen benötigt Zeit. Also hab' Geduld mit dir selbst.


Auch wenn's vielleicht schwierig zu organisieren ist (keine geeignete Gruppe in der Nähe, kein fahrbarer Untersatz usw.) und anfangs möglicherweise Überwindung kostet (wer begibt sich schon unbefangen alleine in eine neue Gruppe): ich weiß aus eigener Erfahrung, daß sich dieser Weg lohnt, daß er (längerfristig) zu Selbstakzeptanz und damit mehr Kraft, Gesundheit, Freude, Zufriedenheit usw. etc. führt - einmal ganz abgesehen von all den Vorzügen, die neue Bekanntschaften oder gar Freundschaften sonst so mit sich bringen.

Miriam

PS. Danke für's geduldige Lesen. :morgens:

edit: der Kampf mit dem Kursiv.....

Der Beitrag wurde von miriam bearbeitet: 08.Aug.2008 - 15:00
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shark
Beitrag 10.Aug.2008 - 01:04
Beitrag #2


Strösenschusselhai
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Ich habe keine Vorurteile gegenüber Homosexuellen "erlernt"... das ist fast seltsam, denn ebenso wie mein Vater mir vermittelte, dass ItalienerInnen allesamt schmutzig seien, "Zigeuner Kinder stehlen" und VegetarierInnen einfach übergeschnappt seien, war der Grundton, wenn er über Schwule und Lesben sprach, negativ und ohne Respekt gewesen...

Trotzdem habe ich in all diesen Fällen keine Vorurteile entwickelt.

"Erfolgreicher" waren jene, die mir einredeten, Psychiater hätten alle selbst ne Macke, Spinnen spürten, wenn wer sie fürchtete (und kämen absichtlich zu diesen Angsthasen) und Mädchen könnten weniger gut rechnen als Jungs.

Wieso waren die Effekte in einem Fall ganz im Sinne des/der VertreterIn des Vorurteils ausgefallen und wie konnten andere Vorurteile gar nicht bei mir ankommen, wirkungslos bleiben?

Ich erkläre mir das so:
Vorurteile Anderer erhalten erst dann wirklich Macht über meine emotionalen (nicht intellektuellen) Reaktionen, wenn eigene Erfahrungen dazu kommen, die etwa in die gleiche Richtung gehen.

Der erste Psychiater, den ich kennengelernt habe, war einer unserer Nachbarn und ganz eindeutig hatte dieser einen Knall, um es mal salopp zu formulieren. Das konnte ich jeden Samstag nachmittag beobachten, wenn er mit einem Taschentuch stundenlang einen Volvo polierte und dabei wirres Zeug vor sich hinmurmelte. Dass dieser Psychiater bereits 84 Jahre alt war - und daher vielleicht schon ein bisschen senil - spielte keine Rolle bei meiner Einschätzung: Man hatte mir gesagt, Psychiater seien allesamt selbst nicht ganz dicht, der Psychiater im Nebenhaus sprach mit seinem Auto... also war da wohl was dran...

Und die Spinnen... Nachdem ein Nachbarsjunge vor meinen Augen von einer Spinne angegriffen worden war, war ich von der Bosheit der Achtbeiner zutiefst überzeugt gewesen und schliesslich begegneten mir auch ständig Spinnen... da musste es wohl wahr sein, dass Spinnen fiese Viecher sind, die nur auf mich lauern.

Meine Rechenprobleme und die damit verbundenen saumässigen Zensuren in diesem Fach schmeckten gleich weniger bitter, wenn ich mir vorstellte, dass dies nicht an mangelndem Interesse und Faulheit lag, sondern ganz bestimmt mit der Tatsache zusammenhing, dass ich als Mädchen geboren worden war.

Hingegen war die erste Person in meinem Leben, die sich fleischlos ernährte, ein Mann, den ich oft beim "Hundespaziergang" traf und der so nett und tierlieb und distinguiert war, dass ich ihm einfach keinen Dachschaden attestieren konnte. Wahrscheinlich hatte mein Vater keine Ahnung von Vegetariern...

Meine Klassenkameradin Anna, die erst in der zweiten klasse aus Italien zu uns gekommen war, roch, wie ihre Frau Mama, stets lecker nach Seife und Waschpulver und ihr Federmäppchen war im Gegensatz zu meinem nicht voller Tintenflecke.. Bestimmt hatte mein Vater noch nie an einem Italiener gerochen oder in seinen Schulranzen geschaut...


"Zigeuner" habe ich lange keine gekannt... irgendwie war mir egal, was mein Vater über sie sagte. Sie kamen in meinem Leben nicht vor. Der ersten Roma-Frau begegnete ich Jahre später in einem Schuhladen und wir sprachen freundlich miteinander, wärend sie meiner Grossen in die neuen Schuhe half, was ich wegen des nächsten Kindes in meinem dicken Bauch nicht so leicht tun konnte.

Und die erste Lesbe, die ich kennenlernte, war meine wunderhübsche, faire und kluge Sportlehrerin... mein Vater hatte sich ja wohl geirrt...


Ich denke, es kommt immer darauf an, von wem (oder auch wie vielen), zu welcher Zeit und in welchem Rahmen Vorurteile (subjektive Wahrheiten) zu vermitteln versucht werden.

Eigentlich ist es so wie beim "Umlernen": Allein das Formulieren von subjektiven Ansichten Anderen gegenüber (und werden diese noch so "fundiert" hergeleitet) genügt zur Bildung von Vorurteilen ebensowenig wie die intellektuelle Feststellung, dass Vorurteile falsch sind, diese sofort abschafft.



shark

Der Beitrag wurde von shark bearbeitet: 10.Aug.2008 - 01:10
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