Jakobsweg, Tipps? Einstellungen

[june]

Liebe Grüße zum Ende meines Weges...

eben bin ich wieder daheim angekommen.
Mein Weg wurde zum Ziel hin immer häufiger von Tränen erfüllt, die einfach so flossen. In Finisterre habe ich Rotz und Wasser geheult, nun ist das freie Peregrina-Leben zu Ende. Ich bin ganz schön traurig deswegen und hoffe, so viel wie möglich in den Alltag rüber retten zu können.

Ob ich wohl nochmal gehe, eine längere Strecke?

Jedenfalls werde ich von den zahlreichen Begegnungen mit anderen (und mit mir selbst) noch lange zehren können.

Liebe Grüße
eine müde
Ju

[edelbratschi]

Das ist so schön, das zu lesen! Ich hoffe, so wird es mir nach dem Rest auch gehen. *seufz* Ich beneide dich! :)

Du gehst bestimmt nochmal. Macht doch Spaß, oder?! ;)

[sonnenstrahl]

Hi June, wenn du Lust hast, erzähl doch mal ein bisschen, was du erlebt hast auf dem Rest-Camino. :)

[june]

Was ich erlebt habe...

Mhm...ein alter Kanadier meinte so treffend: "Man kann den Camino nicht beschreiben, man muss ihn gehen"
Ich merke auch, wie schwer es mir fällt, meinen Freunden davon zu erzählen.

Ungewöhnlich war wohl, dass wir eine feste Gruppe hatten. Zunächst war es Zufall, dass wir uns immer wieder trafen. Später wurde es uns selbst unheimlich, und die letzten vier Tage hatten wir uns geplant verabredet in den Herbergen. Das war schön!
So konnte jeder tagsüber für sich gehen und war abends im gemütlichen Kreis.
Anfangs habe ich noch viel mit meiner Mama geredet, über früher; irgendwann haben wir angefangen, alle Lieder zu singen, die wir kennen (von "Alle ahre wieder" über Heintjes "Mama" bis hin zu Vicky Leandros "Ich liebe das Leben")...und nach einigen Tagen wurde das Bedürfnis, alleine zu gehen und zu schweigen, immer stärker.

Alles auf dem Camino erschien mir so unkompliziert, ich habe die Freiheit unglaublich genossen!
Und das alleine sein (nix Pilgerautobahn - ich habe zeitweise stundenlang niemand gesehen!! ...und wunderte mich dann, wie viele Leute doch in den Herbergen abends waren...).
Und das gemeinsam gehen. Und: ich habe niemanden (!) auf dem ganzen Camino getroffen, der einfach unbeschwert als Wanderer dadurch gelaufen ist. JedeR hatte sein Päckchen zu tragen. Es ist unglaublich, wie offen die Menschen sind und was für (an und für sich) schlimme Dinge sie erlebt haben. Aber: ich finde, der Camino ist ein heilsamer Weg, ein heilender Weg.

Vielleicht ein paar Einzelheiten, die in meinem Kopf schwirren:

- Ich habe sehr viel geweint, vor Glück, vor Erleichterung, vor...
- Es gab Situationen, die mich unglaublich angerührt haben. Z.B. ein Mädchen, ca. 14 Jahre alt, das seit Leon unterwegs war und ihren blinden Vater sicher über den Camino geführt hat. Ihre zwei Freundinnen (oder Schwestern?) sind immer um sie rumgesprungen.
- Ein alter Mann aus dem Schwarzwald, 70 Jahre alt, der von der Haustür aus losgepilgert ist. Im März. Er war einer von wenigen, die schon so lange unterwegs waren.
- "Sakrales Tanzen": Am Dienstag abend hat ein Geige-Gitarre-Duo vor dem Brunnen unterhalb der Basilika gespielt. Spontan fingen zwei kleine Mädchen an, zur Musik zu tanzen. Dann ist erst meine Mama in den Tanzkreis gegangen, schließlich immer mehr. Es war für mich der perfekte Moment.
- Dinge klären, Menschen loslassen...wie viel habe ich in den zwei Wochen erreicht! Wie viel mehr hätte ich noch erreichen können, wenn mich nicht die 2. Staatsexamensarbeit zurück an den Schreibtisch geschubst hätte...(Wäre lieber nach Finisterre gelaufen als mit dem Bus zu fahren)

Ankunft zurück in der Heimat.
Das erste, was ich erfahre, ist, dass mein Schwarm eine "Neue" hat.
Es verletzt mich, klar, aber irgendwie haut es mich auch nicht um.

Ich fühle mich unglaublich wohl und ganz ruhig. Und warm.
Und bereit, das anstehende 2. Staatsexamen zu bestreiten ;-)



Hui, jetzt habe ich erst gesagt, ich kann nix schreiben - und dann ist das mein wohl längster Beitrag hier im Forum geworden.
Ich denke, jedeR zieht individuell verschiedene Dinge aus diesem spirituell aufgeladenen Weg - aber irgendwie ähneln sich die Erfahrungen doch.



Ein negatives Erlebnis, das ihr nicht lesen müsst, wenn ihr nicht wollt.

Ich möchte noch kurz eine Warnung aussprechen. Wir sind einem E*hibitionisten begegnet, den wir bei der Polizei beschrieben haben und der dank unserer schnellen Reaktion gefasst werden konnte.
Der Polizist berichtete mir, dass solches leider nahezu täglich auf dem Camino passiert. Falls es passiert, so meinte er, direkt den Täter fotografieren und umkehren und zur Polizei gehen.
Wir hatten nicht die Kraft dazu.
Das war wirklich das einzige, was schlimm für mich war auf dem ganzen Weg.


Alles Liebe
June
...die hier in Deutschland immer noch nach gelben Pfeilen sucht...

[sonnenstrahl]

Danke, June.

[Zinnober]

[sonnenstrahl]

[Zinnober]

@Sonnenstrahl,
was irritiert Dich? Sicher frei nach dem Motto: Jedem Tierchen sein Plesierchen.
Allerdings wuerde ich auf einer Reise andere Prioritaeten setzen. Also etwas ganz persoenliches. :-)
Das duerfte somit genauso legitim sein, wie die Sehnsucht und der Anspruch nach familiaere Bindung in der Community oder aehnlichem. ;)

[sonnenstrahl]

Was du suchst, oder nicht suchst auf dem Camino, Zinnober, irritiert mich weder, noch würde ich mich erdreisten wollen, es zu vergleichen, oder zu beurteilen.
Was mich stutzen ließ, war eher deine kryptische, auf mich ein wenig unfreundlich wirkende Art, den Austausch in diesem Thread (und auch schon in dem über "Spießigkeit") zu kommentieren, ohne wirklich etwas Eigenes preiszugeben.
Was ist dein Anliegen, was du so verpackst?

[Zinnober]

[sonnenstrahl]

[june]

Weil ich das Missverständnis ja indirekt ausgelöst habe:
Ich war auf dem Camino bestimmt nicht in Sachen "auf Freiersfüßen wandelnd" (? wie heißt dieser Ausdruck eigentlich für Lesben?) unterwegs, sondern ich schätze einfach stets die Anwesenheit von frauenliebenden Frauen... und da ich darüber grübelte, ob dieser Weg meine "Schwestern" ebenso stark anzieht wie mich...stellte ich die Frage.

Dass andere diese meine Frage so spannend finden wie die letzte Friedensfahrt (? was ist das eigentlich genau?) finde ich ebenso legitim, allerdings möchte ich darauf hinweisen, dass ich persönlich meine Frage dadurch irgendwie ins Lächerliche gezogen fühle.

[Marsali]

Liebe June,

oh, den Jakobsweg würd ich auch gern mal gehen und das nicht erst seit Hapes Buch, aber auch das hat mir sehr gefallen. Doch glaube ich nicht, dass ich das jemals konkretisieren werde. Dennoch, ich freu mich immer über Erfahrungen auf dem Weg zu lesen. Danke dafür!

[Zinnober]

[Lucia Brown]

@June
Herzlich willkommen wieder hier. War ganz neugierig über deine Erfahrungen. Die Tage dachte ich mal... sie müßte doch eigentlich wieder hier sein. Ich kann schon aus deinem Bericht raus-lesen, dass dich vieles sehr bewegt hat und doch auch einiges ins Fließen gekommen ist.

Herzlichen Glückwunsch noch mal und ich bewundere deine Kraft und den Mut diesen Weg gegangen zu sein und was du dabei erleben durftest.

[june]

Hallo Melancholia,

wieso glaubst du nicht, dass du es je realisieren wirst? Fühlst du dich nicht fit genug? In diesem Falle könnte ich dich beruhigen...Den Weg schafft man auch absolut untrainiert, wenn man langsam macht...

@Lucia: ich finde das ja total lieb, dass du sozusagen auf meine Rückkehr gewartet hast! Nun ist es schon zehn Tage her, dass ich wieder daheim bin und ich kann nur bestätigen: es ist einiges ins Fließen gekommen...und ich merke auch, wie ich ganz ganz viel Kraft an meine Freundinnen weitergeben kann. Das ist wirklich ein schönes Gefühl, gerade, weil viele von ihnen vorher mir Kraft einflößen mussten.

Auch, wenn es nur zwei Wochen Jakobsweg waren, kann ich dieses Erlebnis nur weiterempfehlen.

Nur Mut! :)

[Marsali]

[june]

@melancholia:

Es gibt tatsächlich die Möglichkeit, den Camino zu reiten. Einige Herbergen sind speziell für reitende Pilger ausgerichtet. Statt 100km Fußmarsch muss man dann, um die Compostella zu erhalten, 200km zu Rosse bewältigen. (Genau wie die Radfahrer übrigens auch.)
Ich würde dann allerdings empfehlen, eine geleitete "Tour" mitzumachen. Haben einige Spanier auf ihren Pferden gesehen, die schien aber jeweils eine solche geleitete Tour zu sein.

Das nur als Anmerkung, um Deinen Träumen noch mehr Farbe zu geben...vielleicht sparst Du Dir den Camino ja tatsächlich noch eine Weile auf ;-)

Liebe Grüße
june

PS: Über den Camino hoch zu Pferde gibt es glaube ich sogar noch gar kein Buch, obwohl sonst zum Camino so unglaublich viel geschrieben wurde! *grins*

[Marsali]

Au ja, ein Buch wollte ich ja auch immer mal schreiben... :rolleyes:

Der Beitrag wurde von Melancholia bearbeitet: 24.Jul.2008 - 14:23