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> Challenge wann?, Vorsicht Satire
Rafaella
Beitrag 01.May.2009 - 17:00
Beitrag #1


Freies Vögelchen
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Ich glaube, vor Jahren ist hier mal von blui oder von mir ein Challenge "Vorsicht Satire" ausgelobt worden. (IMG:style_emoticons/default/biggrin.gif)

Also hier ist dann mal eine satirische Geschichte...

Gummitwist
oder
Warum in M. die Lesbenbewegung gegründet wurde


Soziale Phänomene, politische Aufbruchstimmungen und historische Umbrüche scheinen manchmal in der Luft zu liegen oder, ähnlich den Kantaten von JS Bach oder dem „Messias“ von Händel, wie vom Himmel gefallen zu sein.

Auch der Gummitwist (Frauen der Jahrgänge bis, sagen wir, 1960 werden sich erinnern) lag im Jahre 1963 „in der Luft“. Da ich als Kind in einem Informationsloch lebte, d.h. Fernsehen mir aus pädagogischen Gründen selten erlaubt wurde, war mir nicht klar, dass Gummitwist keineswegs nur in unserem Dorf gespielt wurde, ja noch nicht einmal nur in V., meinem Wohnort, dem aus vielen Dörfern zusammengesetzten Kuhdorf mit damals ca. 44 000 Einwohnern (die nordrheinwestfälische Gemeindereform kam erst 1974).
Ich war damals fest davon überzeugt, dass Jutta Sommer, die immer mit straffer, wie gebügelter Pferdeschwanzfrisur im Kindergottesdienst vor mir saß, den Gummitwist erfunden hatte. (Ich hatte einmal meine beste Freundin gefragt, wer den Gummitwist erfunden habe und sie hatte gesagt: „Jutta Sommer!“ – Ich muss ein sehr gläubiges Kind gewesen sein). Dabei brach Gummitwist damals ganz sicher, wie einige Jahre später auch die Langhaarmode, die APO und die Frauenbewegung an allen Ecken der alten BRD aus.
Nicht erfunden, sondern irgendwann einfach da, reifes Obst vom großen Baum der Kulturhistorie gefallen und somit aufzuheben.

Und so verhielt es sich doch auch mit der Lesbenbewegung, die im Schlepptau der Frauenbewegung mit dieser verflochten war, wie die Zweige des Christusdorns in Tante Hermines Wohnküche in V. Davon war ich überzeugt, jedenfalls bis vor 2 Wochen. Bis ich im „schwullesbischem Kontext“ eine andere Jutta kennen lernte und erfreut feststellte: sie kommt aus meiner Ecke, genauer aus M.

Wenn ich hier in Köln Menschen aus meiner niederrheinischen Heimat treffe, fühle ich mich manchmal so, wie sich eine Überlebende einer Schiffskatastrophe fühlt, wenn sie nach Jahren eine andere, ebenfalls Überlebende wiedertrifft.
Staunend und mit einer gewissen Anerkennung der Leistung der Anderen, es „da raus“ geschafft und den Weg in ein anderes Leben, vielmehr es erst ins eigentliche Leben überhaupt geschafft zu haben. Schaudernd, weil die Gewissheit in einen Abgrund geblickt zu haben, wieder ganz real ist. Dankbar für das Wunder der Rettung.

Übrigens staune ich auch bei meinen – seltenen – Besuchen in meiner Heimat, wenn ich sonntags Menschen in den Straßen der Stadt sehe, Eis essend, im Bistro, im Straßencafé, Wein- oder Espresso trinkend, kommunizierend. Irgendwie...lebendig.

Solche Sonntage hat es damals hier nicht gegeben. Wenn die Tür der Eckkneipe ab und zu aufging, sahen wir hinter blauen Rauchschwaden Männer, dunkel und massig, am Tresen stehen. Der Frühschoppen nach dem Kirchgang zog sich bis den frühen oder späten Nachmittag. Frauen kamen öffentlich nicht vor damals, sie saßen grimmig wartend vor erkaltenden Bratenstücken und Schüsseln mit Gurkensalat. Die ganze Stadt roch sonntags im Sommer nach Gurkensalat, der, geschält, geschnitten und nicht verzehrt, von Stunde zu Stunde penetranter roch.
Heute: sehe ich Männer, meist nüchtern, mit ihren Frauen und Kindern auf den Straßen. Keine Stehtisch-Düsternis mehr, keine kollektive Sonntagsödnis... ach wenn doch gleich Montag käme und gäbe mir mein kleines Stück eigenes Leben wieder.

Jutta und ich tauschen Schiffskatastrophen-Erinnerungen aus: wie war es damals? Klar doch, einfach schrecklich, so als einzige Lesbe auf der ganzen Welt und noch nicht einmal „das Wort“ wurde jemals ausgesprochen. In Lexika suchten wir ´damals unter „L:“ oder auch unter „H.“ Millionen kleine Lesben in den Provinzstädten der alten BRD durchblätterten den „Brockhaus“ oder „Meyers Konversationslexikon“ auf der Suche nach einem Namen für sich und ihre Schande. Nach Erklärung und Freisprechung.
Überlebende. „Aber dann....wurde alles anders“, sage ich. „Anders?“ „Naja, dann kam die Frauenbewegung, okay, es ging erstmal um die Heten und die unerwünschte Frucht ihres Leibes...“, wir kichern.
„Die „Ich habe abgetrieben“-Aktion, wann war die? - 1972, 36 Jahre sind eine stolze Zahl“ , sage ich, „okay, im Vergleich zum niederrheinischen Pleistozän ein Fliegenschiss, aber hier zählen ja die menschliche Dimensionen. Die Frauenbewegung, entstanden aus der 68-er Bewegung hat uns auch befreit, all die kleinen L. und H. aus M. und V.“

„In Wirklichkeit war es nicht so“, Jutta scheint eine von den Genauen zu sein. „Nicht?“ frage ich aufmunternd.
„Na, zumindest in M. ist die Lesbenbewegung entstanden, weil meine Ex, eine Hete übrigens, mich loswerden wollte.“ „Wie bitte?“ „Also, ich habe damals an der FH eine Frau kennen gelernt, ich wollte nur eine Affäre, sie hat sich in mich verliebt, obwohl sie stockhetera war und wir sind dann auch bald zusammengezogen.“ „Aha“ sage ich und denke mir, ein bisschen unglaubwürdig finde ich das schon, erst nur eine Affäre wollen und dann gleich zusammenziehen.
„Und wie das so ist“, fährt sie fort, „als ich mich dann auf sie einlassen wollte, ich meine, als ich so richtig bereit für eine Beziehung war, wurde ihr das alles zu eng und zu viel und dann fiel ihr wieder ein, dass sie ja eigentlich hetera war...“
Wir nicken beide bedeutungsvoll vor uns hin-welche Lesbe kennt das nicht, den berüchtigten Rollenswitch, wenn das Idol, das sich einen Moment schwach und liebesbereit zeigt, stracks vom Sockel gekippt wird.

An der Stelle hätten wir dann eine neue gemeinsame Schiffsbrüchigen-Erfahrung teilen können, allerdings hatte Jutta die Geschichte ja ganz anders eingeleitet.
„Und warum wurde nun in M. die Lesbenbewegung gegründet?“ „Ganz einfach“, sie lächelt maliziös, „meine Ex wollte mich nun loswerden und dachte, dies ginge am besten mit Ablenkung und Beschäftigung, sie war ursprünglich ja Kindergärtnerin. Darum hat sie an der FH in R. einen Aushang gemacht:
,Rufe alle Lesben, bitte kommen!!!
Wann: am Montag um 18:00.
Wohin: in die Bettrather Straße 90, 4. Stock.,“
„Und...?“ „Es war bumsvoll, es kamen tatsächlich mindestens 35 Frauen in unsere 2-Zimmerwohnung. Von manchen hätte ich „es“ nie und nimmer gedacht..“ „Und wie war das Meeting?“ „Keine Ahnung“ sagt sie, „ich war doch nicht dabei?“ „Was?“ „Na, mir waren das echt zu viele Lesben auf einmal, ich habe mich dann davon gemacht und mit einem Kumpel in Eicken in der Kneipe von Borussia Billard gespielt. Meine heterosexuelle Ex hat dann das erste Lesbentreffen in M. ganz alleine moderiert. Aber damals liefen solche Treffen ja sowieso eher basisdemokratisch ab. Und so ist dann in M. die Lesbenbewegung entstanden.“

Ich schweige beeindruckt, denke an kleine Ursachen und große Wirkungen, an Napoleons geringe Körpergröße, die ihn kompensatorisch zum großen Kriegsherrn machte, an die Lesbenbewegung in der rheinischen Provinz und an Jutta Sommer und den Gummitwist. Den sie damals ja vielleicht doch erfunden hat.


Der Beitrag wurde von Rafaella bearbeitet: 01.May.2009 - 21:29
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DerTagAmMeer
Beitrag 02.May.2009 - 08:51
Beitrag #2


Adiaphora
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Noch eine! (IMG:style_emoticons/default/bounce.gif) Mehr davon!
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regenbogen
Beitrag 02.May.2009 - 09:57
Beitrag #3


a.D.
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Danke, Rafaella! (IMG:style_emoticons/default/thumbsup.gif)

Ich falle jahrgangsmäßig ja nicht mehr ganz in deine Zeitspanne rein, aber Gummitwist habe auch ich mit Hingabe gespielt. (Falls jemand mal einen Link hätte, wie diese einzelnen Übungen damals gingen... (IMG:style_emoticons/default/roetel.gif) )

Und auch wenn's nicht ganz der Niederrhein ist, hier natürlich der ultimative Lesetipp - ein fantastisches Buch (das übrigens auch sehr überzeugend verfilmt wurde):

Ulla Hahn: Das verborgene Wort
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Rafaella
Beitrag 02.May.2009 - 10:19
Beitrag #4


Freies Vögelchen
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ZITAT(DerTagAmMeer @ 02.May.2009 - 09:51) *



gerne (IMG:style_emoticons/default/smile.gif)

ZITAT(regenbogen @ 02.May.2009 - 10:57) *
Danke, Rafaella! (IMG:style_emoticons/default/thumbsup.gif)

Ich falle jahrgangsmäßig ja nicht mehr ganz in deine Zeitspanne rein, aber Gummitwist habe auch ich mit Hingabe gespielt. (Falls jemand mal einen Link hätte, wie diese einzelnen Übungen damals gingen... (IMG:style_emoticons/default/roetel.gif) )

Und auch wenn's nicht ganz der Niederrhein ist, hier natürlich der ultimative Lesetipp - ein fantastisches Buch (das übrigens auch sehr überzeugend verfilmt wurde):

Ulla Hahn: Das verborgene Wort

liebe regenbogen, danke, auch für den tipp.

das buch habe ich, allerdings hat es mich literarisch nicht so beigeistert (ich weiiß, dass viele leserinnen des romans ganz anderer meinung sind)
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Hortensie
Beitrag 02.May.2009 - 21:03
Beitrag #5


"Jeck op Sticker"
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Hallo Rafaella,
vielen Dank für diesen tollen beitrag. Das war ganz grosses Kino.

Hallo Regenbogen,
das Buch hat mir nicht gefallen.
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