Mag mal wieder jemand ein großes Thema, oder haben gerade alle Liebeskummer?
Seit dem Ende des Kalten Krieges wird unsere Gesellschaft massiv umgebaut. Derzeit geht es ja sogar geradezu rasant voran, es passieren Entscheidungen von riesiger Tragweite. Die Laufrichtung dürfte den meisten eigentlich nicht so passen, beziehungsweise entspricht jedenfalls nicht den unmittelbaren Interessen der Mehrheit. Dennoch: kein Mucks.
Ich finde jedenfalls dass das eine sehr spannende Zeit ist, das reinste Lehrstück in politischer Durchsetzung. Da es mir selber gerade relativ gut geht, muss ich manchmal fast schon lächeln über die Eleganz mit der bei laufendem Betrieb demontiert und ersetzt wird. Für viele andere ist das natürlich eher bedrohlich. Viele der Gefüge, an denen entlang mein Begriff von der Gesellschaft in der ich lebe gewachsen ist, sind infrage gestellt, werden abgeschafft oder lassen Zweifel an ihrer Dauerhaftigkeit aufkommen. Ich meine hier relativ grundlegende Dinge wie den Souverän, das Solidarprinzip, möglicherweise sogar die Verfassung.
Habt Ihr noch das Gefühl in der Gesellschaft zu leben in der Ihr aufgewachsen seid?
Nein , ich habe heute als offen lesbisch lebende Frau sehr viel mehr Freiheiten als das verschüchterte kleine Mädchen
aus den Sechzigern , das sich schämte , für die Kindergärtnerin und später die Klassenlehrerin zu schwärmen und von Anfang
an dachte , dass etwas mit ihr ( "ihm" heisst es eigentlich , aber das geht mir so gegen den Strich ) nicht stimmte und die
das Gefühl hatte, völlig alleine mit solchen Gefühlen zu sein . Das ist meine Politik , diesen Missständen nachzuspüren und zu
beobachten , was sich gesellschaftlich auf dieser Ebene tut . Und ja, Liebeskummer habe ich auch , und auch das hat sogar damit
zu tun , denn ich denke oft , er rührt unter anderem mit daher , dass die Betreffende keine hohe Meinung von sich als Frau und Lesbe hat und daher auch
nicht von mir und sich viel zu wenig Mühe gibt , sich mit mir auseinanderzusetzen.
Spannendes Thema. Ich muss mich da erstmall ein bisschen hineindenken. Grundsätzlich kann ich die Frage aber so beantworten:
Ja, ich lebe nicht mehr in der Gesellschaft in der ich aufgewachsen bin.
Bei der Trennung zwischen politischen und privaten fängt es dann an, schwierig zu werden zu bewerten, ob ich das gut finde oder nicht.
Ich denke nochmal darüber nach und werde die Farge mal weiter differenzieren bzw. verschiedene Blickwinkel vornehmen.
Tatsächlich ist das wohl eine ziemliche Wessi-Frage - bitte ich zu entschuldigen. Einen solchen Umbruch habe ich natürlich nicht erlebt.
Was ich meinte waren auch weniger die Freiheiten in der persönlichen Lebensgestaltung, sondern die massive Machtverlagerung die sich seit den 90er Jahren vollzieht und seit ein paar wenigen Jahren besonders viel Fahrt aufgenommen hat. Stichworte könnten sein: Deregulierung, Umgehung der Volksinteressen, Staatsverschlankung und Privatisierung, Entscheidungsverlagerung in nicht oder nur mittelbar gewählte Gremien usw.
Mich wundert dass dies zum Beispiel in meinem unmittelbaren Kreis kaum Thema ist, sprich die Leute leiden schon unter Arbeitslosigkeit, gehen nicht mehr wählen usw., aber tauschen sich wenig über Hintergründe aus. Obwohl ja ganz offen gesagt wird was zu geschehen hat. Der Staat soll marktkonform sein, das Grundgesetz könnte per Volksentscheid auf die EU zurechtgeschneidert werden (steht also als ganzes zur Debatte), Krisen werden gebraucht um neue Ordnungen durchzusetzen, sowas wird alles durch höchste Entscheidungsträger ohne Umschweife in den Medien gesagt (das waren eben alles O-Töne, keine Interpretationen meinerseits). Ich finde das so verrückt, dass vor 30 Jahren zigtausende gegen alles mögliche mobilisiert werden konnten, und heute ist das praktisch verschwunden. Die Zeitspanne ist eigentlich nicht so groß, die Veränderung hingegen enorm. Ich nehme an, sie hat im wesentlichen mental stattgefunden und sowas finde ich interessant - leider mit wenig Austausch. Aber vielleicht bin ich auch bloß schrullig.
naja, schrullig... weiß jetzt nicht :-)
ich erlebe das auf zwei ebenen - die eine ist meine sag ich jetzt mal konservative, die sich demos zurücwünscht und dass doch alle mal... auf die strasse , an die transparente...
und bei der ich lgeichzeitig merke, dass ich da selbst nicht mehr so motiviert für bin
die andere eben ist die, wo ich feststelle, dass sich ganz viele für oder gegen was engagieren, das jedoch sehr viel im netz und da finden wohl auch einige diskussionen statt -
da fehtl mir manchmal der drive dranzubleiben und auch technisch auf der höhe zu sein
und ich erlebe, dass sich gleichzeitig viele mit anderen als den angenommenen "mainstream-werten" neue perspektiven suchen, neue wohnformen ... und so, was jetzt nicht unbedingt revolutionär im alten sinne ist, aber eben sehr "das leben selbst gestalten" -
was sich um stuttgart 21 getan hat, also auch die konsequenz mit der dann eine moderation versucht wurde... das hat mich schon beeindruckt, jetzt mal ganz abgesehen von dem was dann passiert, finde ich den prozess der beteiligung ziemlich neu... anders....
und ich finde die diskussionen um "das gute Leben" http://www.boell.de/publikationen/publikationen-schriften-oekologie-band17-12027.html
spannend, die reisen der http://grandmotherscouncil.org/ - das alles finde ich politisch und spirituell interessant und für mich ist das das 21. jhdt.
Ich sehe TV und erlebe das die Parteien keine Veränderung wollen. Die Parteioberen geben den Ton an und der Rest folgt im Gleichklang. Parteiübergreifende Zusammenarbeit bemerke ich nicht. Ja, die EU Krise. Aber mal so kleine Dinge wie Schulthemen, Sozialethemen, Wildbrücken, Tempolimit oder oder. Öhm
Die Grünen starten den Wahlkampf und wollen die Steuernerhöhen. Na, wenigstens sind die ehrlich. Warum hat die jetztige Regierung ihre "unerwarteten" Mehreinnahmen zur Schuldentilgung genutzt? weil es billiger ist die Geldscheine zu drucken und damit die Schulden zu bezahlen? okay, dass war jetzt unteres Stammtisch geschwätz. Ich für mich wende mich an und lebe mein Leben. Die politische Kaste schwebt in einem Ufo und hat irgendwelche Pläne. Aber was für welche?!
@ PikSieben:Ich finde dein posting nicht am Thema vorbei.
Ich denke, dass sich bei den Menschen so wenig nach außen sichtbarer Widerstand regt ist auch auf die Lebensumstände zurück zu führen. Die meisten Menschen, die heute beschäftigt sind, sind in sehr unsicheren Beschäftigungsverhältnissen beschäftigt.
Es gibt halt durch die vorangeschrittene Deregulierung viele Menschen in Zeitverträgen, oder in Beschäftigungsverhältnissen die den Lebensunterhalt nicht absichern.
Ich sage mal, etwas provokant: Wer in 2 Beschäftigungsverhältnissen steckt, um den Lebensunterhalt abzusichern, dem bleibt wenig Zeit, sich politisch (egal ob in einer Partei oder in einer Initiave) oder gewerkschaftlich zu engagieren.
Die gesellschaftliche Veränderung oder der Umbau lässt sich doch überall sehen: Rente ab 67, Leiharbeit nimmt drastisch zu, etwa 2 Millionen Kindern in Deutschland wachsen in Armut auf, Hartz IV zwingt Menschen Hungerlohnjobs anzunehmen und nicht zu vergessen die Kriegsbeteiligung der Bundeswehr.
In meiner Jugend gab es eine Friedensbewegung, die Ostermärsche waren eine oilitische größe und gegen den Irak-Krieg wurden Massendemos organisiert.
Heute ist der Ostermarsch eine Art Treffpunkt altbekannter Menschen ohne dass Jugendliche dazu kommen und der Arbeitsvertrag mit der Bundeswehr auch wenn Auslandseinsätze dazu gehören bietet eine überlegenswerte Jobalternative.
Manchmal bekomme ich das Gefühl, es gibt für eine Regierung in Deutschland keine Hemmschwelle mehr, soziale Leistungen zu zerstören oder Steuern für Normalverdienerinnen zu erhöhen.
Soweit erstmal von mir. Ich denke nochmal etwas weiter nach und vielleicht poste ich dann nochmal etwas.
@sägefisch: Vielen Dank für das Eröffnen dieses Threads. Für mich kam er auf jeden Fall zum richtigen Zeitpunkt, um das gesellschaftliche "Standing" nochmal zu überdenken.
Nicht eine Frage an Westdeutsche sondern von einer.
Strassenkämpfer vermisse ich nicht wirklich. Und auch kein Heldentum. Natürlich ist man erstmal mit seiner Existenz beschäftigt und muss sich für diese auch anpassen.
Worum es mir geht, ganz vage: was passiert mental? Mir wird ein neues Untertanentum auf den Leib geschneidert, eine Rolle die den mir vordem lange angebotenen Bürgerbegriff also durchaus aufkündigt. Das ist in vollem Gange und wird auch offen kommuniziert. Dagegen tun kann ich wenig, ich würde sogar sagen: jenseits gewisser zugestandener Tobeecken (Petitionen, Meinungsäusserung, private Lebensgestaltung) praktisch gar nichts. Wie also verhalte ich mich innerlich dazu, will ich diesbezüglich überhaupt in die Klarheit? Oder ist man besser dran wenn einen nur die unmittelbarste Ebene interessiert, auf der das alles noch nicht so deutlich ist?
Was ich beobachte ist eine Art Werteverfall in Richtung Konsumorientierung und Wertelosigkeit und Beliebigkeit. Das drückt sich auch in einer zunehmenden Bindungslosigkeit aus, in Scheidungszahlen und "Mobiliät" und "Flexibiliät". Die Fassade wird immer wichtiger als der Inhalt, eine Art von Amerikanisierung der Gesellschaft.
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