lesbenforen.de

Willkommen, Gast ( Anmelden | Registrierung )

> Bitte beachten

Denk bitte daran, dass unser Forum öffentlich einsehbar ist. Das bedeutet: wenn du hier dein Herz ausschüttest, kann das von allen gelesen werden, die zufällig unser Forum anklicken. Überleg also genau, was du preisgibst und wie erkennbar du dich hier machst. Wir löschen keine Threads und keine Beiträge, und wir verschieben auch nichts in unsichtbare Bereiche.

Du kannst deinen Beitrag nach dem Posten 90 Minuten lang editieren, danach nicht mehr. Lies dir also vor dem Posten sorgfältig durch, was du geschrieben hast. Dazu kannst du die "Vorschau" nutzen.


Diese Webseite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Webseite erklärst du dich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.

6 Seiten V   1 2 3 > »   
Reply to this topicStart new topic
> Butch / Femme..., ... und was denn dann?
Joey
Beitrag 19.Jan.2010 - 00:02
Beitrag #1


Im Frühling.
************

Gruppe: Members
Beiträge: 14.196
Userin seit: 14.12.2004
Userinnen-Nr.: 931



Liebe Damen,
auch auf das Wissen und die Gefahr hin, dass dieses Thema schon vielfach ausdiskutiert und besprochen wurde - nach einem Gespräch mit zwei lieben, weisen Frauen und der Auseinandersetzung mit Leslie Feinbergs Roman Träume in den erwachenden Morgen muss ich dieses Thema einfach eröffnen, da mich seither einige Fragen beschäftigen.

Kurz zum Inhalt des Buches (damit auch die, die es nicht kennen, wissen, worum es mir geht): Das Buch handelt u.a. von der Lesbenszene in den 60er/70er-Jahren in Amerika. Aufgrund des Verbotes von Homosexualität traf man sich in den Hinterzimmern von Kneipen und Bars, lebte in der ständigen Angst, der nächsten Polizeirazzia zum Opfer zu fallen, und träumte von einer Gleichberechtigung und der Möglichkeit, sich und seine Liebes- und Lebensweise offen zeigen zu dürfen. Ich mag nicht weiter ausschweifen, das soll nur kurz den Inhalt wiedergeben. (Und wer das Buch bisher nicht gelesen hat: es ist absolut lesenswert!)

Dieses Buch hat mich jedenfalls sehr bewegt und mit vielen Gedanken und Fragen zurück gelassen. Letztere wurden mir teilweise schon von Frauen, die die damalige Zeit selbst miterlebt haben, beantwortet. Den Rest mag ich hier veröffentlichen:
In dem Buch gibt es klare Vorgaben, was die damalige lesbische Lebensweise angeht: Butch und Femme gehörten einfach zusammen. Es schickte sich nicht, als Butch mit einer anderen Butch das Bett und Leben zu teilen. Für Femmes galt das Gleiche. Strikte Rollenvorgabe, so will man meinen. Mittlerweile weiß ich, dass diese "Vorgabe" damals sein musste, da man nicht auffallen wollte und nicht noch mehr aus der Norm brechen wollte. Es hatte eben auch schlimme, schmerzliche Folgen (siehe nur die zahllosen Razzien zur damaligen Zeit, die meistens die Butches brutal und zerstörend traf).

Was mich anfangs irritierte (noch immer irritiert) ist die strikte Trennung zwischen Butch und Femme. Es gab nur das Eine oder Andere. Alles dazwischen wurde sogar in der Szene nur wenig bis gar nicht akzeptiert. Vielleicht gar totgeschwiegen. Eine Butch musste stark sein und durfte keine Gefühle zeigen. Von einer Femme erwartete man Gegenteiliges.

Es hat sich bis heute vieles getan. Sehr viel. Öffentlich und gesellschaftlich, als auch bezüglich der inneren Haltung. Dennoch frage ich mich: gibt es so ein Rollendenken immer noch in unserer Szenen-Gesellschaft? Besser gefragt: in unseren Köpfen? Ich habe immer noch oft das Gefühl, dass man als Lesbe gleich in eine Schublade gesteckt wird - egal, ob "Butch", "Femme" oder "Sonstiges" darauf steht. Ich habe das Gefühl, dass wir sogar einander selbst in Schubladen stecken. Mag ja sicher nicht immer verkehrt sein, denn Schubladen helfen dem Ein- und Zuordnen und können bisweilen gar einen Schutz darstellen. Dennoch beschäftigt mich dieses Thema.
Ich merke ja selber, dass ich kategorisiere. Von einem "Ich steh nur auf weibliche Frauen - Femmes" habe ich mich nun auf ein "Ich habe gerade gar keine Ahnung" geeinigt. Mir ist in der "Szene" aufgefallen, dass es doch sehr oft noch so ist, dass man eher Butches/Femmes antrifft als andere Konstellationen und ich selber merke, dass ich mich in der Gegenwart einer Butch ganz anders gebe als in der einer Femme.
Hinzu kommen zu den ganzen Femmes und Butches mittlerweile Androgyne und Queers, deren Definitionen ich allerdings nicht kenne. Mir scheint, dass Beides jeweils für Etwas "dazwischen" zu sein scheint. Für Jene, die sich offensichtlich in keiner vorhandenen Schublade unterbringen lassen. Man möge mich korrigieren.

Zum Anderen würde mich als Femme interessieren, wie eine Butch denkt und fühlt. Ob sie mit dem "Weiblichen" an ihrem Körper gut zurecht kommt oder sich eher unwohl fühlt. Was unterscheidet eine Butch von einer Femme tatsächlich (unabhängig vom Äußeren)? Leslies Buch behandelt ein sehr, sehr sensibles Thema. Die Protagonistin fühlt sich nicht wohl in ihrem Körper - fremd. Und mag diesen gegen einen Körper tauschen, der dem anderen Geschlecht zugetan ist. (Ich weiß, das Thema soll hier nicht diskutiert werden.)
Ich kann die Protagonistin verstehen, aber nachvollziehen kann ich das Denken und Fühlen nicht. Wie auch? Ich habe mich in meinem Körper immer wohl gefühlt - bis auf zwei Jahre meiner Anfangsschulzeit, in denen ich mich allen mit dem Namen meines männlichen Pendants vorstellte.
Dennoch würde mich interessieren: was ist der Auslöser, dass man sich als Butch bezeichnet? Hat es nur mit Körperempfinden zu tun? Was ist Auslöser, dass man sich als Femme einordnet?

So viele Fragen. Ich weiß.


Anmerkung:
Dies ist ein sehr sensibles Thema und es braucht Feingefühl, um sich nicht irgendwelchen Klischees zu bedienen oder Einer auf die Füße zu treten. Sollte dies passiert sein, bitte ich schon jetzt um Entschuldigung.
Ich habe mir Mühe gegeben, alles so verständlich wie möglich zu schreiben. Nichts verurteile ich.
Ich habe nur so viele Fragen.
..

Der Beitrag wurde von Joey bearbeitet: 19.Jan.2010 - 00:57
Go to the top of the page
 
+Quote Post
DerTagAmMeer
Beitrag 19.Jan.2010 - 08:29
Beitrag #2


Adiaphora
************

Gruppe: Members
Beiträge: 1.987
Userin seit: 14.10.2004
Userinnen-Nr.: 596



ZITAT(Joey @ 19.Jan.2010 - 00:02) *
Strikte Rollenvorgabe, so will man meinen.


Im Gegensatz zu meinem Leben als Frau ist meine Femme-Identität keine Vorgabe, sondern meine freie Wahl. Das macht für mich einen gewaltigen Unterschied aus.

Butch/Femme sind für mich keine Schubladen, sondern zwei Rollen in einem aufeinander bezogenen Tanz. Es geht nicht darum, wer wie ist, sondern darum, wer welche Haltung einnimmt, wer folgt und wer führt.
Heutzutage ist es sozial unnötig klassische Gesellschaftstänze zu beherrschen. Es ist eine Chance auf eine gemeinsame, hochkomplexe Bewegung. Es ist eine Form, die sich mit Vertrauen, Hingabe und Verantwortung füllen lässt. Eine Leidenschaft, die zwei Menschen gemeinsam entdecken (oder auch ablehnen) können.
Für mich ist es vor allem Vertrauen. Denn der Stolz beider Haltungen liegt darin, dass die Partnerin sich darauf einlässt. Dass sie die Differenz zulässt, stützt und ihrerseits vertraut. Nur aufeinander bezogen macht Tanzhaltung Sinn.

Ich habe nicht den Anspruch in allem, was ich bin und tue, das Rad neu zu erfinden. Es bereitet mir auch kein schlechtes Gefühl zunächst mit Kochbuch zu kochen (mit Handbuch zu schrauben) bevor ich improvisiere. Traditionen sind für mich eine Hilfe - eine Möglichkeit aus Erfahrungen anderer zu lernen und meinen eigenen Weg zu gehen (statt mich mit der Machete durchs Unterholz zu schlagen).
Die Schwierigkeit bei der Nutzung befestigter Straßen liegt in den Kreuzungen. Es gehört Orientierungsfähigkeit und Erfahrung dazu, einschätzen zu können, wohin ein Weg führt, wo ich wem begegnen kann, was mich erwartet und welche Steigungen ich meiner Kondition zutrauen sollte.
Insofern erwarte ich von Femmes wie Butches Reflexionsvermögen und -bereitschaft. Ich erwarte, dass sie sich ihrer Entscheidungen bewusst sind. Ich erwarte, dass sie nicht einfach "nehmen, was zu kriegen ist", sondern sich darauf einlassen, der Geliebten die größtmögliche Freiheit und Freiwilligkeit zu lassen. Darin liegt für mich die Chance und die Gefahr dieses lesbischen "Beziehungskonzeptes".
So wird vielleicht verständlich, warum ich B/F in der Praxis mit Reife, wohl auch einem gewissen Alter assoziiere und einige Jahre des Freestyle-Austestens voraussetze, was das Einfühlungsvermögen erst möglich macht, das ich als Femme von einer Butch erwarte.

Der Beitrag wurde von DerTagAmMeer bearbeitet: 19.Jan.2010 - 08:51
Go to the top of the page
 
+Quote Post
dandelion
Beitrag 19.Jan.2010 - 10:39
Beitrag #3


don't care
************

Gruppe: Admin
Beiträge: 34.734
Userin seit: 21.01.2005
Userinnen-Nr.: 1.108



ZITAT(DerTagAmMeer @ 19.Jan.2010 - 08:29) *
Butch/Femme sind für mich keine Schubladen, sondern zwei Rollen in einem aufeinander bezogenen Tanz. Es geht nicht darum, wer wie ist, sondern darum, wer welche Haltung einnimmt, wer folgt und wer führt.
Heutzutage ist es sozial unnötig klassische Gesellschaftstänze zu beherrschen. Es ist eine Chance auf eine gemeinsame, hochkomplexe Bewegung.

interessant daran: ich übe noch - insbesondere im Paartanz (IMG:style_emoticons/default/wink.gif) bei uns ist es so - Femme führt, Butch folgt. (IMG:style_emoticons/default/biggrin.gif)

zu deinem letzten Absatz bräuchte ich wohl noch mal ein bißchen Input - ich verstehe die meisten Umschreibungen in Anführungszeichen nicht... (IMG:style_emoticons/default/roetel.gif)


Danke für den Thread, Joey (IMG:style_emoticons/default/flowers.gif) Diesen Grund für B/F-Kategorisierungen kannte ich bisher nicht. Und ich glaube nicht, daß wir das Thema wirklich aus dem Blickwinkel schon mal hatten... Jedenfalls nicht die letzten Jahre (IMG:style_emoticons/default/wink.gif)

Mittlerweile ist es durchaus so, daß zwei Frauen eher gar nicht, wenn, dann eher als Butch, Anfeindungen in der Öffentlichkeit ausgesetzt sind. Von daher ist die Aufteilung aus praktischen Gründen nicht mehr so wichtig.

Die Einheit von männlich und weiblich konnotierten Charaktereigenschaften, die Verbindung der Gegensätze, ist ein Ideal, das alle Kulturen eint. Keine von ihnen ist so vermessen, zu behaupten, daß eine Seite ohne die andere besser dran wäre.
Letzten Endes glaube ich an diese Einheit, die für mich auch wie ein Tanz erscheint - wie jedes mit Herzblut gelebte Miteinander allerdings. Das Harte und das Weiche, das Helle und das Dunkle, das Laute und das Leise, der Antrieb und die Besonnenheit - sie und viele mehr tanzen umeinander, loten sich im Miteinander aus.
Wenn es für beides Stereotype aus der Vergangenheit gibt, werden sie schnell zu Sammelpunkten von Eigenschaften: gemeinsame Antipoden all der Dinge, die da tanzen.

Was ich meine, zeigt sich an manchen Aspekten meiner Geschichte fast schon exemplarisch:
Als ich, gerade 19 oder 20, den Weg in die Lesbenwelt fand, war das Bild der Butch für mich ein Identifikationspunkt. Genau wie ich hatte sie eine winzige Schnittmenge mit der Masse, setzte sich ab von dem Mädchenklischee, vor dem ich mein Leben lang geflüchtet war. Sie symbolisierte für mich den Mut, anders zu sein, gab mir scheinbar Freiheiten, die ich brauchte. Schon Monate später sah ich mich als Butch. Damit endete für mich die latent vorhandene Ablehnung meines Körpers, weil es eine Rolle gab, in der ich als Frau sein konnte, was ich sein wollte, ohne das jedes Mal wieder erklären zu müssen.

Bis Eigenschaften an mir hervortraten, die damit nicht vereinbar waren. Ich wollte nicht zugunsten einer Rolle auf Teile von mir verzichten.
So werde ich in vielen Freundschaften als eher maskuliner Kumpel wahrgenommen, erlebe aber an mir einen teils bemerkenswerten Mutterinstinkt. Und gelegentlich darf je nach Kontext ein kleines Hippie-Mädchen meine Schuhe unter den nächsten Baum werfen und über die Szenerie hopsen. Nur wie man 8mm-Haar im Wind wehen läßt, muß ich noch eruieren. (IMG:style_emoticons/default/cool.gif)
Andererseits fällt mir gerade auf, daß ich eine Freundschaft mit einer Hetera seit dieser Jung-Butch-Zeiten pflege - und in der "spielen" wir immer noch in der gehabten Verteilung B/F. (IMG:style_emoticons/default/biggrin.gif)


Wenn ich mir das so durchlese... Der Begriff "Mutter" ist sowohl mit Emotionalität als auch mit Stärke eng verbunden. Paßt schon der nicht mehr ins Butch/Femme-Bild?
Go to the top of the page
 
+Quote Post
sonnenstrahl
Beitrag 19.Jan.2010 - 11:58
Beitrag #4


verboden vrucht
************

Gruppe: Members
Beiträge: 2.903
Userin seit: 16.07.2005
Userinnen-Nr.: 1.862



Ich bezweifle, dass das Konzept Butch/Femme das Leben homosexueller Menschen jemals leichter gemacht hat, was Ablehnung, Verfolgung und Sanktionen angeht.* Ich denke, es entstand eher aus einem inneren Bedürfnis als aus einer äußeren Notwendigkeit heraus: Dem Bedürfnis, sich mit einer Rolle zu identifizieren, und sich so erneut Heimat zu schaffen. Für die meisten Menschen, die etwas leben, was in der Gesellschaft so nicht vorgesehen ist, ist es enorm wichtig, über Identifikation doch wieder zu einem Zugehörigkeitsgefühl, und damit zu einem Gefühl von Halt und Orientierung zu gelangen.

ZITAT
Wikipedia: Identifikation (von lat. idem: „derselbe“, facere: „machen“) bedeutet wörtlich übersetzt „gleichsetzen“.


Dass dieses Konzept sich aufgeweicht hat, hat m.E. weniger damit zu tun, dass Lesben und Schwule mittlerweile (und zum Glück) vielerorts mehr Akzeptanz erfahren, als damit, dass Individualismus insgesamt eine große gesellschaftliche Aufwertung erfahren hat, bis hin zu einer Art Individualitätsgebot.
Wir dürfen, können, sollen mitunter sogar bunt und anders sein.

Zumindest jedoch haben wir sehr viel freie Wahl, was die Gestaltung unseres Privatlebens, und die Abgrenzung von allen möglichen Gruppierungen angeht.

Das Bedürfnis, sich zu identifizieren, und somit sich irgendwo zuhause und zugehörig zu fühlen, ist deswegen nicht kleiner geworden.
Nur stehen uns inzwischen weit mehr Rollenmodelle und weit mehr Möglichkeiten der Selbsterfahrung zur freien Verfügung.
Ich kann, wenn ich will, heute im Piraten-Outfit mit Moustache, morgen als Vamp, und übermorgen als Cellophan-Bombe durch die Straßen gehen.
Ob ich es tu, ist eine Frage meiner Prägung, meines persönlichen Geschmacks, meines Mutes, meiner Neugier, meiner Phantasie, meiner momentanen oder dauerhaften Entscheidung, meiner Lebenshaltung. Ich kann es wichtig, reizvoll, aufregend oder lächerlich finden, mit Stilen zu experimentieren.
Ich kann es (heutzutage und in bestimmten Ländern dieser Welt) tun oder lassen. Lesben auf Tonga, in Benin oder in Afghanistan werden gänzlich andere Erfahrungen machen.

Dass das Konzept Butch und Femme sich bei uns im freien "Westen" nach wie vor großer Beliebtheit erfreut, hat sicherlich zum einen damit zu tun, dass unsere Ur-Vorbilder (meist Mama und Papa und Oma und Opa) die Schablonen dafür lieferten, zum anderen damit, dass die meisten von uns mit Hollywood und Co. aufgewachsen sind und leben: Mit Liz Taylor und Paul Newman, Ingrid Bergmann und Humphrey Bogart, Vivien Leigh und Clark Gable, Mia Farrow und Robert Redford, Katherine Hepburn und Cary Grant, Lilian Harvey und Willy Fritsch, Romy Schneider und Karlheinz Böhm, ... oder später Juliette Binoche und Olivier Martinez, Julia Roberts und Richard Gere, Jennifer Grey und Patrick Swayze uvm. Wenn das keine Identifikationsvorlagen sind (IMG:style_emoticons/default/biggrin.gif) !

Persönlich fühle ich mich von all dem durchwoben.
Als wirklich kleines Kind spürte ich, wo (äußere) Macht, Glanz und Ruhm angesiedelt waren, und meinte, die Wahl zu haben: Ich erklärte mich zum Jungen.
Mit 12 1/2 beschloss ich - anlässlich eines Umzugs - meine Identität zu ändern: Ich probierte das Mädchensein aus.
Von da an bewegte ich mich mal hier, mal dort, doch die früheste Entscheidung, die zum Jungen, erwies sich als die tiefverwurzeltste. Ich blieb meinem inneren Jungen in gewisser Weise treu, indem ich es mir äußerlich höchstens gestattete, mich auch mal burschikos-feminin zu geben, von wenigen "Von Kopf bis Fuß Femme"-Experimenten mit Lippenstift, Augen-Make-up und entsprechender Garderobe in den späten Zwanzigern einmal abgesehen. Mein Gefühl dabei war: "Ich betreibe Travestie. Das bin nicht ich." Und: "Göttin, ist das unbequem!" Also ließ ich es fortan, ganz Femme darstellen zu wollen, und beschränkte mich auf das eine oder andere Accessoire.

Je besser ich mich mit den Jahren kennenlernte, umso mehr wurde mir klar:
Die klassische Butch bin ich nicht. Und wenn mal ein bisschen, dann keinesfalls durch und durch, auch wenn es Zeiten gibt, in denen Haarschnitt und Aufmachung diese Annahme nahelegen mögen.
Am ehesten noch würde ich mich als Tunte bezeichnen:
Ich habe absolut nichts dagegen, wenn mir Türen aufgehalten und Blumen geschenkt werden. Ich lasse mich liebend gerne umwerben, umschmeicheln und verführen. Ich lehne mich gerne in freudiger Erwartung zurück, und lasse mich nach allen Regeln der Kunst verwöhnen. Nichts schöner, als mich in starke Liebhaberinnen-Arme zu schmiegen. Abgesehen davon, dass sich mir der Paartanz noch immer nicht wirklich erschlossen hat, neige ich eher dazu, mich führen zu lassen. Vielleicht, weil ich im Alltag tendenziell schon dominant genug bin. So oder so: Ich finde es toll, mich beschützt zu fühlen. Ich mag Glitzerarmbänder an mir. Ich kann fürchterlich zickig und divenhaft sein. ...
Dennoch: Mit einer attraktiven Femme an meiner Seite blüht mein Ego weit mehr auf, als mit einer sexy Butch.
Nicht, dass ich noch nie heftigst in eine Butch verliebt gewesen wäre - aber es fühlt sich spontan eher nach Reibung an, als nach Topf und Deckel.
Spontan, wohlgemerkt.
Warum nicht gelegentlich mit diesem uralten Reiz spielen?
Um ihn dann bei anderer Gelegenheit nonchalant zu vernachlässigen ...

Sobald der Mensch in all seiner Vielschichtigkeit hinter seiner Rolle zutage tritt, geht es meiner Erfahrung nach sowieso nur noch um Wahrhaftigkeit, und nicht mehr darum, irgendwelchen Klischees "in Echt" zu entsprechen.

Klischees als Auflagen und Bürde: Nein danke. Klischees als Kompositionselemente eines bewusst und genussvoll vorgetragenen Bühnenstückes: Gerne.

Und zuguterletzt: Wenn zwei sich selbst und gegenseitig wirklich kennen und achten, bleibt das Erkennen bestehen, ganz gleich, ob sie sich zu bestimmten Anlässen aus der Butch/Femme-Requisitenkiste bedienen, und damit ihren Spaß haben, oder ob sie ihren Spaß eher anderweitig finden.
Aus innerer Not und bitterem Ernst darf endlich Spiel werden, aus Spiel Leichtigkeit - und aus Leichtigkeit vielleicht Lust. Auf was auch immer.


edit: Zwei unauffällig gekleidete, sich liebende Frauen sind vermutlich in prekären Situationen eher als Schwestern oder Freundinnen durchgegangen, und von Gewalt verschont geblieben, als ausgerechnet ein Butch/Femme-Paar.

Der Beitrag wurde von sonnenstrahl bearbeitet: 19.Jan.2010 - 12:25
Go to the top of the page
 
+Quote Post
pfefferkorn
Beitrag 19.Jan.2010 - 12:11
Beitrag #5


Gut durch
************

Gruppe: Validating
Beiträge: 1.332
Userin seit: 16.02.2006
Userinnen-Nr.: 2.620



ich glaube, außer acht zu lassen ist nicht, dass es sich bei b-/f- um ein erotisches konzept handelt -
das begehren der anderen spielt eine herausragende rolle

und, nach vielem was ähnlich auch dtam geschildert hat, ist für mich klar, dass ich mich als femme identifiziere und für mich völlig klar ist, dass ich butches begehre - und zwar solche, die sich selbst auch so definieren -
was hab ich schon zu lesben gesagt, "ganz schön butch" und es positiv gemeint und die sind zusammengezuckt, weil sie das als schimpfwort verstehen
was hab ich schon erlebt, dass lesben irgendwelche klamotten von mir mit abfälligem ton als "femmenkram" , wenn nicht gar als "miezenkack" bezeichnet haben -

das will ich nicht mehr

ich will stolz darauf sein können, dass ich femme bin und hab keine lust im frauenzentrum erstmal stundenlang geschirr zu spülen, bevor mir eine glaubt, dass ich auch eine "richtige" lesbe bin und ich erwarte tatsächlich von meinem erotischen gegenüber, dass sie soweit "mitspielt", dass ich mich bei veranstaltungen nicht darum kümmern muß, wo mein getränk herkommt - eigentlich keine frage

sabine fuchs hat zu diesem thema vor kurzem ein buch veröffentlicht, dass deutlich macht, in welcher form die frauenbewegung in ihrer zum teil berechtigten ablehnung des sogenannt "weiblichen" das kind mit dem bade verschüttet hat - und warum soviele sich "feminin" nennende lesben eben nicht "femme" sind

einen guten einblick in das kämpferische femmenpotenzial gibt auch die website von minnie bruce pratt, der lebensgefährtin von feinberg

Der Beitrag wurde von pfefferkorn bearbeitet: 19.Jan.2010 - 12:13
Go to the top of the page
 
+Quote Post
LadyGodiva
Beitrag 19.Jan.2010 - 14:00
Beitrag #6


Strøse
************

Gruppe: Admin
Beiträge: 10.010
Userin seit: 27.08.2004
Userinnen-Nr.: 166



...müsste das Korrelat zu erwartetem Feingefühl nicht generell gestandene Haltung sein, Pfefferkorn?
Vielleicht ist es auch nur einfach meinem privaten Glück geschuldet - aber ich sehe mich nur selten genötigt, Aufmerksamkeit mir gegenüber explizit anmerken zu müssen. Das, jedenfalls dachte ich, wäre ein Geheimnis erotischer Geneigtheit weniger.
...kann es eine Generationenfrage sein - und von welchen Rahmenbedingungen sprichst du dann?
Ebenso vielleicht - jedoch bewege ich mich durchaus meinen Interessen geschuldet eher unter lesbischen Frauen, die z.T. älter als meine Mutter sind und habe noch nie eine derart abwertende Haltung bezüglich meines Auftretens erfahren müssen. Ich wüsste auch nicht, dass mein unverhüllter Lebensstil nach Überwindung des ersten Blicks in irgendeiner Weise diskreditiert oder in Frage gestellt worden wäre. Und fühle mich wahrlich nicht als lebender Beweis für oder gegen... und ganz vielleicht führt verminderte (wenn auch "nur unterschwellige") Aggressivität auch zu größerer (und vielleicht eben auch nur in ihrer Nicht-Anwesenheit spürbarer) Akzeptanz.
Go to the top of the page
 
+Quote Post
ele
Beitrag 19.Jan.2010 - 14:07
Beitrag #7


Satansbraten
***********

Gruppe: Members
Beiträge: 558
Userin seit: 21.05.2006
Userinnen-Nr.: 2.965



ZITAT(Joey @ 19.Jan.2010 - 00:02) *
Was ist Auslöser, dass man sich als Femme einordnet?

So viele Fragen. Ich weiß.


Auch wenn ich wohl nicht sooo fundiertes Wissen über das Thema habe und (frauen)politisch eher eine Niete bin (IMG:style_emoticons/default/roetel.gif) , möchte ich kurz diese eine Frage beantworten.

Da ich ja erst seit knapp vier Jahren weiß, daß ich lesbisch bin, waren viele Themen, Begriffe, Kategorien komplettes Neuland für mich (und sind es auch heute oft noch (IMG:style_emoticons/default/wink.gif) ). Ich hatte zwar lesbische Freundinnen/Bekannte, das lesbische Leben kannte ich allerdings nur von sporadischen Besuchen einer Frauendisco (IMG:style_emoticons/default/sleep.gif)

Den Begriff "Butch" hörte ich zum ersten Mal in einem Gespräch mit meiner Frau, damals waren wir allerdings noch nicht zusammen. Im Gesprächskontext hatte ich schon eine ungefähre Vorstellung davon bekommen, was sie wohl mit Butch meint, aber da ich immer schon sehr neugierig war, habe ich dann zuhause im Internet gestöbert, mich durch mehr oder weniger seriöse Seiten gelesen und tolle Fotos von B/F Paaren gesehen. Beim Lesen dieser Seiten und beim Erinnern an "butchige" Frauen, die ich in meinem Leben schon getroffen hatte, wurde mir ziemlich klar, daß mich Butches sehr ansprechen, allerdings kannte ich außer meiner Frau sonst keine persönlich. Auch wurde mir bewußt, daß, wenn ich mich wohl einordnen müßte, ich wohl am ehesten eine Femme bin.

Die Strukturen der Butch/Femme Beziehung sind für mich allerdings kein strenges Regelwerk, ich verbiete mir oder meiner Frau nichts, weil es eventuell nicht in's Schema passt. Wir passen halt zufällig in dieses Schema, es schränkt uns aber nicht in unserem Leben ein und wir sehen es auch nicht als Nachahmung einer Heterobeziehung. Wir sind einfach zwei Menschen, die sehr gut zusammenpassen, sich in allen Lebensbereichen prima ergänzen und für die die jeweilige Rolle/Position in unserer Beziehung genau das ist, was sie sich immer schon gewünscht haben. In welche Schublade man uns wohl einordnet, hat unser Leben (bis jetzt) noch nicht negativ beeinflußt, neugierige Blicke oder Getuschel gab es und wird es wohl immer geben.

Ich bin schon gespannt auf viele weitere tolle Beiträge von den smarten Frauen hier!
Go to the top of the page
 
+Quote Post
McLeod
Beitrag 19.Jan.2010 - 14:50
Beitrag #8


mensch.
************

Gruppe: Members
Beiträge: 6.490
Userin seit: 29.03.2006
Userinnen-Nr.: 2.777



Vielleicht sollte ich das Buch endlich mal lesen! (IMG:style_emoticons/default/biggrin.gif)

Ich glaube, nicht sonderlich viel beitragen zu können. Ich wurde und werde weiterhin hier und da als "Butch" identifiziert, obwohl ich befürchte, dass es sich dabei um ein schlichtes Mißverständnis handelt: Ich trage meine Haare kurz und hab mir früh viel angeeignet, was exklusiv in der Schublade "männlich" lag. Bewegungen, vielleicht auch Denkweisen. Ich kann das, da sich diese Schubladen männlich und weiblich längst nicht mehr so strikt trennen lassen wollen, wie noch vor 30 Jahren, nicht genau behaupten für mich. Ich will's eigentlich auch gar nicht. Ich trage mein Herrenhemd nicht, weil ich in der Abteilung für Herren hing und ich damit lustvoll Grenzüberschreitungen zelebriere. Sondern weil ich mich darin wohl fühle. Okay... ich gebe zu... es gab anfangs auch großen Spaß beim Stöbern in der Herrenabteilung, aber sowas nutzt sich leicht und schnell ab. Und ich denke nicht, dass es ein Herrenhemd ist, dass eine Frau zu einer Butch macht. Oder eine Frisur. Oder ein Habitus.

Für mich - und deswegen sehe ich mich als anders - ist Butch mit Femme verknüpft. Weil es dazuzugehören scheint - wie Du es beschreibst - dass es auf das Zusammenspiel hinausläuft. Oder wie dertagammeer schreibt: auf einen Paartanz. Und der reizt mich nicht, ich bin eher Tanzbär, als Tanzbutch. Mir fehlt das Vokabular und ich bin daran auch sonderbarerweise wenig interessiert. An der Femme an sich.

Die Göttin weiß, ich hab das "Du bist so butch" eine Weile als Beleidigung gesehen (weil es einfach eine Fehlinterprettion aufgrund diverser Äußerlichkeiten ist). (IMG:style_emoticons/default/wink.gif)

Und wenn ich den B/F-Expertinnen zuhöre, dann trifft das wahre Bucht/Femme-tum nur auf einen kleinen Teil der hiesig-heutigen Lesbenschaft zu. Der große Rest pflegt andere Lebensentwürfe.

Eine kluge Freundin von mir sagte mal (sinngemäß): Es ist hilfreich, sich an bestehenden Rollen und Modellen zu orientieren und sich auszuprobieren. Manchen passt das Modell, andere gehen weiter oder verknüpfen mehrere.

So... viel geschrieben, wenig gesagt scheint mir (IMG:style_emoticons/default/biggrin.gif)

McLeod
Go to the top of the page
 
+Quote Post
pfefferkorn
Beitrag 19.Jan.2010 - 15:47
Beitrag #9


Gut durch
************

Gruppe: Validating
Beiträge: 1.332
Userin seit: 16.02.2006
Userinnen-Nr.: 2.620



ZITAT(McLeod @ 19.Jan.2010 - 14:50) *
Und wenn ich den B/F-Expertinnen zuhöre, dann trifft das wahre Bucht/Femme-tum nur auf einen kleinen Teil der hiesig-heutigen Lesbenschaft zu. Der große Rest pflegt andere Lebensentwürfe.


so seh ich das auch!

an gestandener haltung gebricht es mir nicht -
ich sehe mich selten genötigt, aufmerksamkeit einfordern zu müssen, wie die lady meint - das bringt auch nix und grundsätzlich bin ich ja schon in der lage, mich um meine getränke selbst zu kümmern

aber ich war eben auch schon flirtatous involviert und sehr erstaunt darüber, wenn mir mein gegenüber eben nicht die aufmerksamkeit zollt, die femme gerne hätte :-) - das ist beileibe keine generationenfrage, ich stand mit - von mir fälschlicherweise als gentlebutch gelesenen menschen durchaus älteren jahrgangs und durchaus rauchend - schon mit zigarette in der hand da und hab schlicht kein feuer bekommen, bis ich es mir nicht umständlicherweise selbst organisiert habe -
das ist für mich in diskussionsrunden und bei veranstaltungen aller art völlig in ordnung, aber eben völlig unsexy

vor meinem "femming out" (den ausdruck hat konny mal geprägt, danke!) war ich diesbezüglich auch nicht - auch nur unterschwellig - aggressiv, sondern stets bemüht, mich dem, was als "lesbisch" galt irgendwie anzupassen und die femme in mir kleinzuhalten - das klappte schlecht und führte zu heftigen mißverständnissen, aber ich wollte eben auch mal, das eine sieht, dass ich "dazugehöre" -

ich weiß nicht, in welchen szenen sich die lady bewegt, ich kenne einige und auch einige femmes, die meine erfahrungen durchaus teilen -
da stellt sich von meiner seite an die lady die frage:
siehst du dich als femme?


Go to the top of the page
 
+Quote Post
sonnenstrahl
Beitrag 19.Jan.2010 - 15:57
Beitrag #10


verboden vrucht
************

Gruppe: Members
Beiträge: 2.903
Userin seit: 16.07.2005
Userinnen-Nr.: 1.862



ZITAT(McLeod @ 19.Jan.2010 - 14:50) *
... Paartanz. Und der reizt mich nicht, ich bin eher Tanzbär, als Tanzbutch.


(IMG:style_emoticons/default/biggrin.gif)

Und ich eher ein lesbisches Äffchen, was sich gelegentlich in ´ne Disco verirrt, und diese in der Not zum Urwald-Fitnesscenter erklärt (IMG:http://www.en.kolobok.us/smiles/artists/just_cuz/JC_banger.gif)
Go to the top of the page
 
+Quote Post
Deirdre
Beitrag 19.Jan.2010 - 16:00
Beitrag #11


Satansbraten
***********

Gruppe: Members
Beiträge: 532
Userin seit: 11.03.2009
Userinnen-Nr.: 6.616



Ich sehe mich heutzutage als Femme. (IMG:style_emoticons/default/knicks.gif) In meinen vorlesbischen Zeiten wäre ich nie auf diese Idee gekommen.

Es liegt nicht an meinem Aussehen, es liegt nicht an meinem als "Dämchen" behandelt werden Wollen (das mag ich noch nicht einmal) und schon gar nicht an meiner Rolle innerhalb einer Beziehung (ich liebe Ausgewogenheit). Nein, ich habe bei mir schlicht und einfach eine "weibliche" Haltung festgestellt. Und gemerkt, dass ich es an Frauen besonders genieße, wenn sie etwas ausstrahlen, das bei mir als "männliche" Energie ankommt. Irgendwie ist das eine Voraussetzung dafür, dass es funkt ... (IMG:style_emoticons/default/smile.gif) (IMG:style_emoticons/default/roetel.gif)

Das Buch habe ich mir bei Amazon bestellt. Auf Englisch heißt es "Stone Butch Blues". Jetzt bin ich sehr neugierig, Joey! Danke für den Tipp! (IMG:style_emoticons/default/smile.gif)
Go to the top of the page
 
+Quote Post
LadyGodiva
Beitrag 19.Jan.2010 - 16:12
Beitrag #12


Strøse
************

Gruppe: Admin
Beiträge: 10.010
Userin seit: 27.08.2004
Userinnen-Nr.: 166



@pfefferkorn:

Nein, ich verstehe mich beleibe (sic!) nicht als eine solche - mir selbst fehlt es wohl nicht nur an Stringenz, um das Kostbarste meines Lebens derart zu konzipieren, sondern schlechthin an der Einsicht einer Notwendigkeit. (IMG:style_emoticons/default/engel.gif)

Wohl bin ich aber von anderen Lesben schon als eine solche betrachtet worden - etwas, das mich so wenig bewegte, dass ich es weder entkräften noch weiter ergründen wollte. Zurückweisung, Diskreditierung oder Distanziertheit habe ich, wenn überhaupt, in meinen Augen weniger als "pseudo-Femme" erhalten, sondern eher, weil ich meiner eigenen Unsicherheiten im entsprechenden Moment nicht hinreichend bewusst war, um lieber den Weg zu anderen über freundliche Souveränität und weniger durch stereotyp-hilflose Unfreundlichkeit zu wählen.*


edit*: ...und das anderen schlussendlich unter umgekehrten Vorzeichen gar noch zum Vorwurf zu machen.

Der Beitrag wurde von LadyGodiva bearbeitet: 19.Jan.2010 - 16:29
Bearbeitungsgrund: :D freud'sch: sic, nicht sich
Go to the top of the page
 
+Quote Post
Joey
Beitrag 19.Jan.2010 - 17:16
Beitrag #13


Im Frühling.
************

Gruppe: Members
Beiträge: 14.196
Userin seit: 14.12.2004
Userinnen-Nr.: 931



ZITAT(sonnenstrahl @ 19.Jan.2010 - 11:58) *
Ich bezweifle, dass das Konzept Butch/Femme das Leben homosexueller Menschen jemals leichter gemacht hat, was Ablehnung, Verfolgung und Sanktionen angeht.* Ich denke, es entstand eher aus einem inneren Bedürfnis als aus einer äußeren Notwendigkeit heraus: Dem Bedürfnis, sich mit einer Rolle zu identifizieren, und sich so erneut Heimat zu schaffen. Für die meisten Menschen, die etwas leben, was in der Gesellschaft so nicht vorgesehen ist, ist es enorm wichtig, über Identifikation doch wieder zu einem Zugehörigkeitsgefühl, und damit zu einem Gefühl von Halt und Orientierung zu gelangen.


Das mit dem Bedürfnis, sich identifizieren zu können, verstehe ich, kann ich nachvollziehen und ähnlich sehen. Gehe ich vom Buch aus und so manchem Erlebnis von Frauen damaliger Zeit, so denke ich aber schon, dass das Bedürfnis auch irgendwo aus der Notwendigkeit heraus entstand. Das musste ja nicht zwangsläufig auf freiem Willen aller Beteiligten geschehen. Da reichte der Umstand, dass es damals eben polizeiliche, staatliche Kontrollen gab und diese oft mit Demütigungen und Kämpfen einhergingen. In dem Buch wird ziemlich deutlich, dass ein anderes Bild zum damaligen Zeitpunkt schlichtweg nicht denkbar war. Selbst Butch und Femme fielen genug auf, wie dann erst zwei Femmes oder zwei Butches?

In dem Zusammenhang fällt mir übrigens ein, dass es heute noch sehr unterschiedliche Reaktionen gibt, wenn ein Butch-Pärchen oder ein Femme-Pärchen offensichtlich zeigt, dass es zusammen gehört. Ich habe oft miterlebt, dass zwei Butches von Außenstehenden nieder gemacht wurden, zwei Femmes hingegen - womöglich aus dem von Dir beschriebenen Grund - weniger aneckten. Mag vielleicht daran liegen, dass sie als "Schwestern" oder "gute Freundinnen" durchgehen. (Man sieht ja häufig unter den Jugendlichen, dass Begrüßungs- und Abschiedsküsse - egal wohin - nicht selten sind.)



An alle Anderen: vielen Dank schon einmal für eure Beiträge. Ich werde mich später noch mehr zu Wort melden. (IMG:style_emoticons/default/smile.gif)
Go to the top of the page
 
+Quote Post
dandelion
Beitrag 19.Jan.2010 - 17:53
Beitrag #14


don't care
************

Gruppe: Admin
Beiträge: 34.734
Userin seit: 21.01.2005
Userinnen-Nr.: 1.108



ZITAT(Joey @ 19.Jan.2010 - 17:16) *
In dem Zusammenhang fällt mir übrigens ein, dass es heute noch sehr unterschiedliche Reaktionen gibt, wenn ein Butch-Pärchen oder ein Femme-Pärchen offensichtlich zeigt, dass es zusammen gehört. Ich habe oft miterlebt, dass zwei Butches von Außenstehenden nieder gemacht wurden, zwei Femmes hingegen - womöglich aus dem von Dir beschriebenen Grund - weniger aneckten.

ich habe ein bißchen die Befürchtung, dieser Unterschied basiert auf der am häufigsten gebrochenen Macho-Regel (außer "echte Kerle weinen nicht, echte Kerle haben nur was im Auge") von allen: keine Frauen schlagen - und was nicht femme aussieht, ist keine Frau.
Sogar Wochenend-Hooligans haben ein Wertesystem.
Go to the top of the page
 
+Quote Post
sonnenstrahl
Beitrag 19.Jan.2010 - 18:32
Beitrag #15


verboden vrucht
************

Gruppe: Members
Beiträge: 2.903
Userin seit: 16.07.2005
Userinnen-Nr.: 1.862



ZITAT(Joey @ 19.Jan.2010 - 17:16) *
In dem Buch wird ziemlich deutlich, dass ein anderes Bild zum damaligen Zeitpunkt schlichtweg nicht denkbar war. Selbst Butch und Femme fielen genug auf, wie dann erst zwei Femmes oder zwei Butches?


Ich dachte eher an Frauen, die sich weder betont feminin-reizvoll, noch betont kerlig-anziehend geben/gaben, und sich, durch eben diese Unauffälligkeit und gezielt erotikbefreite Ausstrahlung nach außen, einen gewissen, fragilen, mimeseartigen Schutz zu verschaffen trachte(te)n.


edit: 2 Kommata

Der Beitrag wurde von sonnenstrahl bearbeitet: 19.Jan.2010 - 18:34
Go to the top of the page
 
+Quote Post
DerTagAmMeer
Beitrag 19.Jan.2010 - 23:24
Beitrag #16


Adiaphora
************

Gruppe: Members
Beiträge: 1.987
Userin seit: 14.10.2004
Userinnen-Nr.: 596



ZITAT(dandelion @ 19.Jan.2010 - 10:39) *
zu deinem letzten Absatz bräuchte ich wohl noch mal ein bißchen Input - ich verstehe die meisten Umschreibungen in Anführungszeichen nicht.


Grundsätzlich würde ich gern sagen, dass ein Flirt zwischen Butch und Femme trotz aller Nostalgie und Formverliebtheit ein unglaublich individuelles, persönliches und einzigartiges Ereignis ist, das äußerst unwirsch auf Vergleiche und Pauschalisierungen reagiert.
Sage einer Butch, dass sie so reagiert wie sie reagiert, weil sie ja offensichtlich eine Butch ist - dann ist sie entweder keine Butch oder hat Dich bereits stehen gelassen. Sage eine Femme, dass sie so aussieht wie sie aussieht, weil sie ja offensichtlich eine Femme ist - dann ist sie entweder keine Femme oder bereits auf dem Weg zur Butch aus Beispiel eins (IMG:style_emoticons/default/biggrin.gif)

Insofern kann und möchte ich immer nur für mich sprechen. Denn trotz aller Vertrautheit und Vertraulichkeit ist jede mit bekannte Femme ein sehr spezielles Unikat und würde es sich (zu Recht) verbitten, hier durch mich "beschrieben" zu werden.

Für mich liegt (um es ein wenig weniger metaphorisch auszudrücken) ein großer Reiz der B/F-Kultur in der Entschleunigung erotischer Begegnungen. Es gibt unzählige unaufdringliche Gesten, sich aufeinander einzustellen, Nähe zuzulassen und wieder auf Distanz zu gehen, eine noch fremde Stimme nachhallen zu lassen, der eigenen Intuition zu lauschen, Berührungen ganz bewusst und entspannt wahrzunehmen.
Letztlich verhält sich auch diese wie die meisten Ausprägungen von Kultur: sie steigert den Genuss, indem sie eine lose Reizfolge der Wahrnehmungsfähigkeit anpasst. Die optimale Trinktemperatur für einen Wein, die ideale Saalakustik für ein Konzert, der passende Rahmen für ein Bild, der ultimative Soundtrack in einem Film ... Rituale und Gewohnheiten, in deren Erwartbarkeit wir uns ganz auf die unvorhersehbare Quintessenz, das Wesentliche, konzentieren können.

Kurz: Ich mag's halt langsam.

Das geht natürlich auch anders - das lesbische Tierreich fällt ja (zumindest soweit ich das beobachten konnte bzw. selbst involviert war) auch eher selten beim ersten Date übereinander her und baut umgehend eine gemeinsame Höhle. Manche lernen sich erst schriftlich kennen, andere gehen erst "rein freundschaftlich" miteinander um und bekunden zu gegebener Zeit weitergehendes Interesse, wieder andere fallen dann doch lieber erst übereinander her und lernen sich nachträglich nüchtern kennen. Wie auch immer .... es funktioniert definitiv auch anders! Fastfood, Trennkost, FDH, Haute Cuisine alles ist erlaubt ... doch nicht alles find ich sexy (IMG:style_emoticons/default/wink.gif)
Und erst recht nicht alles fühlt sich noch nach ein paar Jahren frisch, gesund und wohltuend an.

Der Absatz mit den Anführungsstrichen bezog sich also auf die "Langstrecke". Denn nur weil mir eine Butch galant die Tür aufhält, heißt das ja nicht, dass sie mich auch partnerschaftlich respektieren, wertschätzen und in ganz besonderen Bereichen unseres Lebens durchaus über Jahre auf Händen zu tragen bereit wäre. Und nur weil ich mich Hals über Kopf in den Stolz und die Unabhängigkeit einer Butch verlieben kann, heißt das nicht, dass ich ihr diese Freiheit auch in einer Liebesbeziehung mit mir lassen kann.
In den Rollenbildern sind ja leider nicht nur die Happy Ends kultiviert, sondern auch die vielfältigen Varianten des Scheiterns, die Rosenkriege und gefährlichen Liebschaften, Bitter Moon und Lola&Bilidikid, Schmerz und Verlust. Insofern kann ich gut verstehen, dass viele Frauen die Nase gestrichen voll davon haben und etwas Neues, Unbelastetes erfinden wollen.

Der Beitrag wurde von DerTagAmMeer bearbeitet: 19.Jan.2010 - 23:45
Go to the top of the page
 
+Quote Post
pfefferkorn
Beitrag 20.Jan.2010 - 09:25
Beitrag #17


Gut durch
************

Gruppe: Validating
Beiträge: 1.332
Userin seit: 16.02.2006
Userinnen-Nr.: 2.620



ach ja, seufz :-) das hast du schön beschrieben!


@LG:
ich will betonen, dass ich selbstverständlich keine "nowendigkeit" darin sehe, mich nach einem bestimmten "kodex" zu verhalten, sondern es mir ein inneres bedürfnis ist, für das ich irgendwann den namen gefunden habe - femme eben
und: wenn andere für sich andere umgangsformen bevorzugen, mache ich da keiner einen vorwurf draus (wie komme ich denn dazu?), kann aber feststellen, dass diese form von kontakt dann sehr unerotisch für mich ist - da knistert dann halt nix - insofern bevorzuge ich als partnerinnen bekennende butches

wenn du dich nicht femme identifizierst, ist es natürlich klar, dass du dich als solche auch nicht mißverstanden oder gar diskreditiert fühlen kannst

Go to the top of the page
 
+Quote Post
LadyGodiva
Beitrag 20.Jan.2010 - 11:46
Beitrag #18


Strøse
************

Gruppe: Admin
Beiträge: 10.010
Userin seit: 27.08.2004
Userinnen-Nr.: 166



Aber jetzt mal zurück zur Realität, Pfefferkorn:

Wenn mir selbst schon bewusst ist, dass ich innerhalb einer bestimmten Szene zu einer weiteren Minderheit gehöre, die nach bestimmten ungeschriebenen Mustern zu interagieren hat, woher kommt dann die Gewissheit, andere nach - ich nenne es mal ganz platt - dem erstgeblickten Habitus in ein solches Muster integrieren zu können und es ihnen dann aber übel zu nehmen, wenn sie dem Attribut in der erwarteten Konsequenz gar nicht entsprechen (können)?
Nach dem, was ich begriffen habe, ist doch gerade die vielgenannte Dynamik das Salz in der Suppe - warum also über den Koch klagen, wenn kein Salz im Haus ist? Oder ist das Allein-Stehen dann noch viel schmerzhafter, wenn erkennbar wird, dass die selbstgefundene Schablone halt nicht immer einen Rahmen bieten kann?

Ich kann insofern mitgehen, als dass mich Unaufmerksamkeit nicht anspricht - wer mit mir ausgeht, wer sich mit mir befassen möchte, der hat eine gewisse Sorgfältigkeit im Umgang mit mir zu beweisen. Dann fühle ich mich auch als Person oder gar erotisches Wesen gesehen und geschätzt.
Mir ist bewusst, dass es gerade in Lesbenkreisen oft an dieser Aufmerksamkeit mangelt - aus Gründen, die wohl in einem recht grobschlächtigen Verständnis von "my way" zu suchen sind. Diese Aufmerksamkeit ist aber mit einer Leichtigkeit einzufordern, dass es eine Freude werden kann, aneinander zu wachsen. Ein offensiv zugelächeltes "Danke" hat mir z.B. schon so manche Tür geöffnet, bei Mann und Frau. Über den "Erotik-Faktor" kann ich wenig Aussage treffen, da Aufmerksamkeit für mich, wie schon gesagt, eher eine Frage der Höflichkeit und Bildung ist.

Ich hätte also Verständnis für dein Wehklagen, wenn die "Rollenverteilung" eine abgesprochene Kiste ist und es der jeweils anderen dann einfach am grundlegenden Handwerkszeug mangelt. Wenn also klar und freundlich kommuniziert wäre, welchen Rahmen du dir vorstellst - dazu braucht's im besten Fall auch keiner Worte.

Ein wenig erinnert mich das auch an das alte Vorurteil, dass bei zwei Frauen das "erotische Gegenüber" ja alle Bedürfnisse intuitiv erfassen könnte - der Rahmen sei ja klar, die Bedürfnisstruktur ähnlich gelagert.
Forderst du letztenendes nicht eine ähnliche unmögliche Allbewusstheit?

So lange Begegnung jedoch im Fluss bleiben darf, sind doch eher die Momente zu genießen, in denen Wunsch und Wahrnehmung eine Liaison eingehen dürfen und weniger, wenn vorgefasste Erwartungen und Ansprüche das Potential zur Entwicklung bereits erstickt haben, bevor ein wenig frischer Wind aufkommen konnte.

Der Beitrag wurde von LadyGodiva bearbeitet: 20.Jan.2010 - 12:02
Go to the top of the page
 
+Quote Post
pfefferkorn
Beitrag 20.Jan.2010 - 13:07
Beitrag #19


Gut durch
************

Gruppe: Validating
Beiträge: 1.332
Userin seit: 16.02.2006
Userinnen-Nr.: 2.620



ich habe mich wohl mißverständlich ausgedrückt:

also in aller deutlichkeit nochmal, was ich schon meine ausgedrückt zu haben

ich nehme es keiner übel, wenn sie sich nicht verhält, wie ich es "erwarte" -
und ich bin durchaus auch in der lage mit menschen nett zu kommunizieren, die keine butches sind
aber ich finde es eben nicht "sexy" oder besonders sinnlich, wenn die B/F -dynamik nicht greift
mich darüber zu "beklagen", wäre nachgerade albern

wenn ich schreibe, dass femmes in der lesbenbewegung gerne diskreditiert wurden und werden, dann gibt es dazu eigene erfahrungen von mir und anderen, es gibt diese diskreditierung durchaus auch in der literatur, eine bekannte von mir hat aus den usa berichtet, dass es dort in manchen Kreisen durchaus üblich ist, dass butches über femmes herziehen - so wie es in "träume in den erwachenden morgen" an einigen stellen auch geschildert wird - das finde ich weniger beklagenswert, als ärgerlich und dummdreist -


das einzige, was ich wirklich beklage ist, dass es sowenig bekennende gentlebutches gibt :-)
Go to the top of the page
 
+Quote Post
LadyGodiva
Beitrag 20.Jan.2010 - 13:26
Beitrag #20


Strøse
************

Gruppe: Admin
Beiträge: 10.010
Userin seit: 27.08.2004
Userinnen-Nr.: 166



Ok - das ist dann klarer, danke. Zunächst klang es für mich nämlich sehr nach Allgemeinplatz und Generellmissverstandenheit.

Mir als lesbischer Frau ist nicht nachvollziehbar, wie sich frauenliebende Geschlechtsgenossinnen abwertend und abfällig über Weiblichkeit äußern können - aber vielleicht ist das ebenso eine Frage der Bildung und des Stils. Und des entsprechenden Milieus, in dem ich mich bewege - oder nach dem ich strebe.
Wenn ich beispielsweise auf den Machismo von knie-zu-zwickel-behosten Hip-Hop-Gangstern anspreche, kann ich mich eigentlich auch nicht über deren imitierte Stringenz in puncto Weiblichkeit wundern. Oder ist das gerade keine Frage des Stils?

Etwas Biographisches: meinen Weg zu meiner Weiblichkeit habe ich tatsächlich über eine etwa 1,5 Jahre absolut stimmige Dynamik gefunden, die von Außen (und im Nachhinein) durchaus als B-F zu klassifizieren war. Die Zeit hat mich in meinem stolzen und bewussten Anderssein (erst recht unter Lesben) eher bestärkt als verletzt. Weil ich am eigenen Leib erleben durfte, dass Ichsein nicht um den Preis der Anpassung gelebt werden kann. Ich halte es nach wie vor für eher erfrischend, gar nicht einer gewissen Eindeutigkeit zu bedürfen, um Definitives leben zu können. Von da habe ich mich wirklich gefragt, ob du von historischen oder aktuellen Reaktionen auf dich und dein Erscheinen schreibst.
Go to the top of the page
 
+Quote Post

6 Seiten V   1 2 3 > » 
Reply to this topicStart new topic
1 Besucherinnen lesen dieses Thema (Gäste: 1 | Anonyme Userinnen: 0)
0 Userinnen:

 



Vereinfachte Darstellung Aktuelles Datum: 29.03.2024 - 15:23