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Vollansicht: "Tatort"-Debatte: M*ssbrauch, nicht Inz*st!
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nico
Moin werte Gemeinde!

Das Thema ist ja eigentlich nicht mehr ganz aktuell, zumindest dachte ich es. Der Tatort lief im Dezember und die öffentlichen Gemüter haben sich scheinbar beruhigt.
Und auch ich hatte mich mit der persönlich empfundenen Schräglage der Debatte abgefunden, bis der DLF heute Abend mit Studiogästen das Thema wieder aufgriff. (http://www.dradio.de/dlf/vorschau/)

Für mich ist der Aufstand, dessen Beurteilung bezüglich des Verhältnisses zur Kunstfreiheit vs. Religion hier absolut nicht zur Diskussion steht, hinfällig und ohne jegliche Berechtigung.

Ich habe den Film natürlich gesehen.
Aber für mich war das Thema nicht Inzest, sondern sexueller Missbrauch mit der Folge der Schwangerschaft.

1. Es wurde die Beziehung Vater-Tochter gewählt, nicht die als eindeutig anzusehende Beziehung z.B. Sschwester-Bruder.
2. Diese Beziehung ist per se, und auch im Film so dargestellt, nicht egalitär, sondern hierachisch und - als wichtigster Punkt -, beruht keinesfalls auf Freiwilligkeit. (Vielleicht könnte mich eine Versierte berichtigen, aber beruht Inzest nicht immer auf Freiwilligkeit der Beteiligten?)
3. Die Darstellung der Tochter, die ihren Vater, den Täter, schützt, ist typisch für Missbrauchsopfer.
4. Die Darstellung des Vaters zur Tochter ist ebenfalls exemplarisch für ein Missbrauchsverhältnis, seine Geschenke zur Zeit ihres Rückzugs sollen die heimliche Bindung verstärken.
5. Schließlich sagt die Kommissarin zu dem Kollegen in der Mitte des Films sogar: Ich glaube, sie wird missbraucht.


Die Verantwortlichen hätten gut daran getan, sich für eine klare Thematik zu entscheiden.
Wäre es tatsächlich ein klassischer Inzest gewesen, hätte der Protest der alevitischen Gemeinde seine Begründung gehabt oder eben auch nicht.

Aber es geht hier nach meiner Argumentation um ein mindestens ebenso bestehendes Tabu, welches die patriachalen Strukturen zeigt. Bei aller Liberalität der Aleviten, die Tatsache, dass sich auf das Thema des Inzest "gestürzt" wurde, zeugt von der Blindheit aufgrund auch des dort herrschenden Hierachiegefüges. Auch wenn sie an dem Punkt historisch sensibel sein mögen.


Die Frauen, die den Film gesehen haben, welchen Eindruck hattet Ihr?



... nico, die glaubt, vielleicht doch einen anderen Film als alle anderen gesehen zu haben ...

regenbogen
Ich habe den Titel entschärft, um der Triggergefahr zu begegnen.
sahi
QUOTE (nico @ 11.Jan.2008 - 20:38)
Aber für mich war das Thema nicht Inzest, sondern sexueller Missbrauch mit der Folge der Schwangerschaft.

Auch ich habe den Film gesehen und muss Dir absolut zustimmen.
Genau das habe ich auch gedacht: Nicht um Inzest ging es, sondern um Missbrauch!
Und ganz unabhängig davon halte ich schon den Versuch der alevitischen Gemeinde im Vorfeld, die Ausstrahlung zu verhindern, für ... na, ich nenne es mal "unglücklich".
Die Inhalte der Tatort-Folgen sind allesamt fiktiv und ich persönlich muss sagen, ich habe den Film keineswegs als "volksverhetzend" (weswegen die alevitische Gemeinde ja klagen wollte, soviel ich weiß) empfunden und ich denke, dass ich diesbezüglich wirklich sehr sensibel bin! Es war eine Tatort-Folge von vielen, die nun einmal zufällig in einer solchen Familie spielt, das war mein Empfinden, nicht mehr und nicht weniger.
Ich vermute, dass der Protest der Aleviten gegen diese Tatort-Folge eher auf patriarchalischen Strukturen als auf der Historie ihrer Religion beruht.
Oldie
Leider habe ich den "Tatort" nicht gesehen und kann zu dem Film selbst keine Stellung nehmen. sleep.gif Allerdings hörte ich wenige Tage nach dieser Ausstrahlung ein Interview mit einer alevitischen Frau, die sich "nur" darüber ärgerte, dass ausgerechnet in einer alevitischen Familie ein Fall von Inz*st vorgekommen sei. Denn der Vorwurf des se*uellen Missbrauches von Familienangehörigen wird den Aleviten seit Jahrhunderten gemacht. Dieses Vorurteil gegen Aleviten würde besonders in der Türkei geschürt.
Diese interviewte Frau meinte, wäre der Inz*st innerhalb einer anderen islamischen Gruppe gezeigt worden, gäbe es kein Problem.
Hierzu auch dieser Artikel
Mausi
Nur mal kurz für die Unterscheidung:
*nzest umfasst ebenfalls auch den Begriff des M*ssbrauches!
Die wenigstens *nzestuösen Verhältnisse sind freiwillig!
Von dem her ist da sehr oft nicht zu trennen!

Ich habe den Film nicht gesehen - nur mal so vorweg.

Aber *nzest und M*ssbrauch per se zu trennen finde ich falsch und unangebracht.
Bei dem Wort *nzest habe ich, persönlich, mit Sicherheit nicht die Freiwilligkeit im Kopf und denke meist an Vater - Tochter/Sohn; Mutter - Tochter/Sohn.
Selten an "freiwillige Paarungen"!

My 2 cents.

Mausi
LadyGodiva
Nein, Mausi.
In*est bezeichnet lediglich den Umstand, dass zwei erstgradig blutsverwandte Individuen Geschlechtsverkehr haben. Per se ohne anklingendes Machtgefälle wie beim M*ssbrauch. Darin liegt ja gerade die Problematik der Ungenauigkeit.
Liane
Ich persönlich würde den geschilderten Fall (schaue keinen Tatort - das wahre Leben ist kriminell genug) nach meinem Wortgebrauch als inzestuösen Missbrauch bezeichnen.
Missbrauch ist eine Sache, Inzest zeigt die Verwandtschaft an, die die se**elle Verbindung zur ungesetzlichen Handlung macht, unabhängig davon, ob sie von beiden gewünscht wird oder nur einseitig.
In diesem Fall (der alles andere als selten vorkommt), treffen beide zusammen.
LadyGodiva
M*ssbrauch ist der forensische, In*est der ethische Stein des Anstoßes, wenn ein Vater glaubt, seine Tochter zur Frau nehmen zu können.

Gerade in einem so sensiblen Bereich, an dem sich viele Wundmale begegnen, ist sprachliche Hygiene von größter Bedeutsamkeit.
Ehrlich gesagt - ich bin sogar ein bißchen froh, dass sich viele nicht zu schade sind, den Finger in Wunden zu legen, die so gar nicht offen liegen müssten.
DerTagAmMeer
Hallo Nico,
ich hab den Tatort tatsächlich ganz anders gesehen.
Vielleicht waren meine "lesbischen Erwartungen" an einen Tatort mit einem Drehbuch von Angelina Maccarone und Frau Furtwängler* als Kommissarin auch einfach besonders hoch. Ich hatte befürchtet, dass mehr Problemkomplexe gestreift würden als das Format verkraftet - diesbezüglich wurden meine Erwartungen leider erfüllt.
Dafür war der Plot spannend erzählt.

Geärgert haben mich die platten und schulmeisterlichen Dialoge - umso mehr nachdem die nachfolgende Diskussion zeigte WIE nachlässig das Milieu recherchiert worden war.
Möglicherweise ist es ungerecht von mir, von einer Frau, deren Spezialgebiet die Sicht der Minderheiten ist, besonders viel Sorgfalt zu erwarten, wenn sie ihren eigenen Erfahrungshorizont verlässt. Ich weiß es nicht.

Zwischen Inzest und Missbrauch zu differenzieren, ändert für mich nichts an der Ärgerlichkeit dieses Fettnapfes.
Beide Begriffe unterscheiden sich wohl eher in ihrem kulturellen Kontext als dass sie unterschiedliche Phänomene bezeichnen. Der eine bezieht sich auf den Verwandtschaftsgrad, der andere auf das Machtgefälle einer Beziehung.
Im geschilderten Fall traf beides zu. Insofern fand ich die Kritik berechtigt.

edit: freudscher Verschreiber, danke Skin!
Liane
QUOTE (LadyGodiva @ 11.Jan.2008 - 21:28)
Ehrlich gesagt - ich bin sogar ein bißchen froh, dass sich viele nicht zu schade sind, den Finger in Wunden zu legen, die so gar nicht offen liegen müssten.

Worauf beziehst Du das?
Mausi
Ok - ohne Machtgefälle.
In dem Beispiel ist es aber wiederum wohl vermischt.
Daher auch meine Vermischung roetel.gif
Allerdings kann man es da nicht trennen - da es für mich immer ein Machtgefälle ist.
Der das Elternteil mit dem Kind, das ältere mit dem jüngeren Geschwister - wenn miteinander aufgewachsen wurde - da ist dann irgendwo Macht im Spiel.

Allerdings schließe ich mich dann eher Liane an, die den Umstand als "inz*stuöser Missbrauch" betitelt.
Ich denke das triffts am Besten.
LadyGodiva
Ich habe mich darauf bezogen, dass es doch nicht verwunderlich ist, wenn sich eine Glaubensgemeinschaft dagegen wehrt, dass für ein forensisches Unterhaltungsstück im Öffentlichen ein Jahrhunderte altes Vorurteil bedient wird, das die ethisch-religiösen Belange der Minderheit berührt.
Liane
@Mausi
Ich glaube nicht, dass z.B. bei Geschwistern Macht im Spiel sein muss.
Schon gar nicht in dem speziellen Fall, dass Geschwister nicht miteinander aufwachsen und dann ein Paar werden.
Mausi
@Liane

Den Fall, dass Kinder nicht miteinander aufwuchsen, nahm ich raus - vielleicht habe ich mich da auch missverständlich ausgedrückt.
Aber wenn Kinder miteinander aufwachsen, so denke ich durchaus, dass da Macht mit im Spiel ist.

Bei all dem was ich schreibe gibt es durchaus auch Ausnahmefälle - jedoch könnte ich einfach erstmal nicht von der Ausnahme von Macht ausgehen.
Aber das ist nur meine persönliche Meinung.

Per Definition ist das alles etwas neutraler smile.gif
sahi
QUOTE (DerTagAmMeer @ 11.Jan.2008 - 21:32)
Vielleicht waren meine "lesbischen Erwartungen" an einen Tatort mit einem Drehbuch von Angelina Maccarone und Ulrike Folkerts als Kommissarin auch einfach besonders hoch.

In dieser Tatort-Folge war allerdings Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) die ermittelnde Kommissarin... wink.gif
Liane
QUOTE (LadyGodiva @ 11.Jan.2008 - 21:37)
Ich habe mich darauf bezogen, dass es doch nicht verwunderlich ist, wenn sich eine Glaubensgemeinschaft dagegen wehrt, dass für ein forensisches Unterhaltungsstück im Öffentlichen ein Jahrhunderte altes Vorurteil bedient wird, das die ethisch-religiösen Belange der Minderheit berührt.

@LadyGodiva
Welches ist das Vorurteil?
Ich habe weder den Tatort gesehen, noch konnte ich auf dem link zum Radioprogramm nähere Angaben finden.

@nico
Was war denn das Thema der Radiodiskussion? Die Frage der Definition?
LadyGodiva
Ich habe selbst den Tatort auch nicht gesehen, aber in der Presse einiges darüber gelesen.
Kritikpunkt der Glaubensgemeinschaft ist, wenn ich die Problematik nicht völlig falsch verstanden habe, dass der Tatort das Motiv eines sunnitischen (radikalen) Vorurteils aufgreift, das der recht liberalen Gemeinschaft religiös instrumentalisierten In*est vorwirft und damit deren Verfolgung über Jahrhunderte rechtfertigen sollte.
Liane
Und der Vater aus dem Tatort war Teil genau dieser Relionsgemeinschft?
nico
DLF setzt den link zum Dossier wohl erst morgen ins Netz. Es ging vornehmlich um die Legitimität des Protestes. Hier ein link zum Thema, es gibt im Netz aber genügend
Artikel.
http://www.taz.de/1/debatte/kommentar/arti...rdnen/?src=SE&c
Hash=c7ce6cc431


sahi
QUOTE (LadyGodiva @ 11.Jan.2008 - 21:52)
Ich habe selbst den Tatort auch nicht gesehen, aber in der Presse einiges darüber gelesen.
Kritikpunkt der Glaubensgemeinschaft ist, wenn ich die Problematik nicht völlig falsch verstanden habe, dass der Tatort das Motiv eines sunnitischen (radikalen) Vorurteils aufgreift, das der recht liberalen Gemeinschaft religiös instrumentalisierten In*est vorwirft und damit deren Verfolgung über Jahrhunderte rechtfertigen sollte.

Aber anscheindend ist das der springende Punkt:
Wenn man diese Tatort-Folge gesehen hat, kam man nicht zwangsläufig zu dem Ergebnis, dass es sich hierbei um In**st, sondern vielmehr um Mi**brauch handelte.
nico
QUOTE (Liane @ 11.Jan.2008 - 21:54)
Und der Vater aus dem Tatort war Teil genau dieser Relionsgemeinschft?

Zur Info: Interessanterweise meinte Jürgen Busche, Publizist und Buchautor, Berlin im DLF, daß alle Familienmitglieder als Aleviten dargestellt wurden - bis auf den Vater.
Was immer das auch heißen mag ...
Oldie
QUOTE (Skin @ 11.Jan.2008 - 21:55)
QUOTE (LadyGodiva @ 11.Jan.2008 - 21:52)
Ich habe selbst den Tatort auch nicht gesehen, aber in der Presse einiges darüber gelesen.
Kritikpunkt der Glaubensgemeinschaft ist, wenn ich die Problematik nicht völlig falsch verstanden habe, dass der Tatort das Motiv eines sunnitischen (radikalen) Vorurteils aufgreift, das der recht liberalen Gemeinschaft religiös instrumentalisierten In*est vorwirft und damit deren Verfolgung über Jahrhunderte rechtfertigen sollte.

Aber anscheindend ist das der springende Punkt:
Wenn man diese Tatort-Folge gesehen hat, kam man nicht zwangsläufig zu dem Ergebnis, dass es sich hierbei um In**st, sondern vielmehr um Mi**brauch handelte.

Ich denke, wenn es um Vorurteile im s**uellen Bereich geht, ist die Definition dieser Begriffe nicht mehr ausschlaggebend.
nico
QUOTE (LadyGodiva @ 11.Jan.2008 - 21:37)
Ich habe mich darauf bezogen, dass es doch nicht verwunderlich ist, wenn sich eine Glaubensgemeinschaft dagegen wehrt, dass für ein forensisches Unterhaltungsstück im Öffentlichen ein Jahrhunderte altes Vorurteil bedient wird, das die ethisch-religiösen Belange der Minderheit berührt.

Ich sagte ja, wenn die Thematik eindeutig gewesen wäre, dann könnte man über die Legitimität des Protestes, der ja bisweilen auch seltsame Züge annahm (so warfen Mitglieder der Gemeinde dem Sender vor, sich von Suniten sponsern zu lassen), streiten.

Aber - das ist in meinen Augen hinfällig!
Was nicht heißt, dass ich auch Verständnis für die Sensibilität habe.
nico
QUOTE (DerTagAmMeer @ 11.Jan.2008 - 21:32)
Zwischen Inzest und Missbrauch zu differenzieren, ändert für mich nichts an der Ärgerlichkeit dieses Fettnapfes.
Beide Begriffe unterscheiden sich wohl eher in ihrem kulturellen Kontext als dass sie unterschiedliche Phänomene bezeichnen. Der eine bezieht sich auf den Verwandtschaftsgrad, der andere auf das Machtgefälle einer Beziehung.
Im geschilderten Fall traf beides zu. Insofern fand ich die Kritik berechtigt.


Für mich macht das sehr wohl einen Unterschied, da Mi*brauch niemals auf Einverständnis beider beruht, Inz*st hingegen ist zumindest die Möglichkeit gegeben.

Inz*st ist ein Begriff, der in der Titulierung und Beschreibung, sobald es um eine se*uelle Beziehung zwischen Vater und Tochter geht, welche letztere nicht will, defintiv nichts zu suchen hat.
Es ist Mi*brauch, und nichts anderes.
Alles andere verschleiert das Machtverhältnis.
Oldie
QUOTE (DerTagAmMeer @ 11.Jan.2008 - 21:32)

Beide Begriffe unterscheiden sich wohl eher in ihrem kulturellen Kontext als dass sie unterschiedliche Phänomene bezeichnen.

Oh doch. Nicht nur mein Empfinden sagt, es sind unterschiedliche Phänomene.Und darin sind sich ziemlich viele Kulturen, jedenfalls die, die mir gerade einfallen, ziemlich einig.
Liane
Was sagt Wikipedia zu Inzest?

Es sind zwei verschiedene Phänomene, die oft zusammenfallen.
nico
Der Wiki Artikel ist mehr als unzureichend und bedient zudem die Klischees der Mißbildung bei Inzestgeburten. (Leider ist mir die Quelle entfallen, die das wissenschaftlich entkräftet ... )

Liane
Ich wollte auch nur ein Defintionsbeispiel anführen. Hast Du etwas besseres auf Lager? *freundlich anfrag*

edit: mein kluger Brockhaus sagt "Sexuelle Beziehung unter Verwandten - Eltern, Kindern, Geschwistern"
nico
Nochmal zu den Begrifflichkeiten:

Ich komme aus der feministischen Sozialarbeit. In der Fachliteratur (Theorie) wie in der Praxis ist das Wort Inz*st überhaupt nicht existent, wenn sie sich explizit parteilich auf die Seite der Opfer (Mädchen wie Jungen) stellt.
Es gibt Täter. Und es gibt Opfer. Diese zu benennen kann nur in einem eindeutigen Begriffsrahmen gelingen, der Macht und Gewalt nicht ausklammert, wie der Begriff Iz*st, sondern mitmeint.
nico
QUOTE (Liane @ 11.Jan.2008 - 22:38)
Ich wollte auch nur ein Defintionsbeispiel anführen. Hast Du etwas besseres auf Lager? *freundlich anfrag*


Sorry fürs "abbügeln" Liane, ich hatte mich nur über die "wikipediatische" Unzulänglichkeit geärgert ...

Nein, leider nicht; deshalb auch die Frage im Anfangsbeitrag, ob sich jemand versiertes dazu äußern kann?
Liane
QUOTE (nico @ 11.Jan.2008 - 22:48)
In der Fachliteratur (Theorie) wie in der Praxis ist das Wort Inz*st überhaupt nicht existent, wenn sie sich explizit parteilich auf die Seite der Opfer (Mädchen wie Jungen) stellt.

Kannst Du das nochmals anders formulieren? gruebel.gif

"Inzest" klammert aber doch Gewalt und Macht nicht aus, also schließt nicht aus, dass sie enthalten ist. Das Wort sagt einfach nichts darüber aus, ob.

edit: "...." zur besseren Verständlichkeit eingefügt
Liane
§173
§174
§176

Der Begriff Inzest ist dadurch nicht als macht(un)abhängig definiert, aber beide Straftaten sind separat angeführt.
nico
Eben, es sagt nichts darüber aus.
Das muss es aber, wenn ich (potentielle) Opfer physisch und psychisch schützen will.
Inzest kann in einem egalitären Rahmen geschehen, Mißbrauch wird es nie.

Zu Deiner Frage:
Parteilichkeit ist ein Paradigma oder auch ein Statut der feministischen Sozialen Arbeit. Es bedeutet, weibliche Lebenszusammenhänge vor dem Hintergrund patriachaler Machtstrukturen zu erkennen. Es erkennt Opfer als Opfer von patriachaler Gewalt. (Jetzt etwas verkürzt, Kolleginnen mögen's mir nachsehen.)
Dafür sind Begrifflichkeiten notwendig, die diesen Blickwinkel ermöglichen und Macht nicht verschleiern, sondern offenlegen.
Liane
Ich verstehe noch nicht ganz, worauf Du eigentlich hinaus willst: Du hättest lieber gehabt, wenn im Film klar von "Missbrauch" die Rede gewesen wäre, nicht von "Inzest", um die Opfer- und Täterrollen klar zu definieren und die Gewalt hinter der Tat nicht zu verschleiern (strafbar machte der Mann sich ja durch beides).

Richtig? gruebel.gif

Ich persönlich (als Nichtjuristin) würde Sexualität zwischen Vater und minderjähriger Tocher grundsätzlich als Missbrauch einschätzen, denn der Vater hätte - selbst wenn sie aus irgendwelchen Gründen den Wunsch selber äußern würde - die Aufgabe, seine Schutzbefohlene zu beschützen.
Evt. triggernde Ironie Wenn eine Tochter sagt, "Du Papa, ich möchte gerne vom Kirchenturm springen.", dann wäre es auch die Aufgabe des Vaters, sie daran zu hindern, selbst wenn er ihren Mut bewundern würde.


"Inzest" ist eine Zusatzinformation, die besagt, dass es sich bei dem Täter nicht um den Nachbarn handelt, sondern um einen nahen Verwandten. Aber kein austauschbarer Begriff.
LadyGodiva
Wird einer Gemeinde eine Art "ritueller" Inzest vorgeworfen - ähnliche Beispiele sind uns durch andere historische Zusammenhänge bekannt - und dient dieser Vorwurf als Legitimation für ethnische Unterdrückung, ist es mehr als unklug, dieses Vorurteil in dieser Diktion für auch noch so fiktive mitteleuropäische Fernsehunterhaltung zu verwenden.

Es ist problematisch, über religiöse und soziale Zusammenhänge zu schreiben, die einer nicht durch die eigene Biographie vertraut sind, noch problematischer und zu weitaus mehr journalistischer Sorgfalt mahnend ist jedoch, "dramaturgische Settings" für quasi austauschbar zu halten, vor allem, wenn es um Kriminalisierung geht.
(Es erinnert mich ein wenig an Karl Mays selbstverständlichen Begriff vom wilden Westen.)

Nun schien es ja in diesem Fall offensichtlich um eine "M*ssbrauchsstory" im fremdländischen Kontext zu gehen, offenbar mit versehentlich wie unklug gewähltem Beispiel. Um die vermeindliche Schilderung eines Einzelfalls - der sich nun, nach Bekanntwerden der Zusammenhänge, mit dem Stereotyp einer ganzen Glaubensgruppe schlagen muss.

Aus der Darstellung des einzelnen und schauderhaften Verbrechens ist eine plakative Sittenwidrigkeit erwachsen, die für viele Menschen ein Unzähliges mehr an bitteren Folgen haben sollte als die 90 Minuten Kurzweil und Gänsehaut am Sonntag Abend wohl Wert waren.
DerTagAmMeer
QUOTE (nico @ 11.Jan.2008 - 22:14)
Inz*st ist ein Begriff, der in der Titulierung und Beschreibung, sobald es um eine se*uelle Beziehung zwischen Vater und Tochter geht, welche letztere nicht will, defintiv nichts zu suchen hat.
Es ist Mi*brauch, und nichts anderes.
Alles andere verschleiert das Machtverhältnis.

Worauf willst Du hinaus? Es bestreitet doch niemand, dass hier eine Missbrauchsgeschichte dargestellt wurde. Nichtsdestotrotz wurde eben auch eine sexuelle Beziehung naher Verwandter thematisiert.
Ebenso wie sich Inzest freiwillig zwischen entfernt aufgewachsenden Geschwistern ergeben könnte (wie Liane angemerkt hat), findet Missbrauch ja auch gegenüber Schutzbefohlenen ohne (bluts-)verwandtschaftliche Verbindung statt.
Ich finde Deine Perspektive im Umgang mit Betroffenen absolut richtig.
Trotzdem ist diese emphatische "Sicht" auf die tatsächliche Beschaffenheit einer solchen Konstellation etwas anderes als ein kulturell verankertes Tabu, das die Ehe zwischen Blutsverwandten verhindern soll und als Begriff heute eher im ethnologischen Bereich Anwendung findet (oder hier ein Vorurteil gegenüber einer religiösen Minderheit bedient).

QUOTE (LadyGodiva)
Es ist problematisch, über religiöse und soziale Zusammenhänge zu schreiben, die einer nicht durch die eigene Biographie vertraut sind, noch problematischer und zu weitaus mehr journalistischer Sorgfalt mahnend ist jedoch, "dramaturgische Settings" für quasi austauschbar zu halten, vor allem, wenn es um Kriminalisierung geht.
(Es erinnert mich ein wenig an Karl Mays selbstverständlichen Begriff vom wilden Westen.)

Genau das hätte ich sagen wollen.
DerTagAmMeer
QUOTE (Oldie @ 11.Jan.2008 - 22:22)
QUOTE (DerTagAmMeer @ 11.Jan.2008 - 21:32)

Beide Begriffe unterscheiden sich wohl eher in ihrem kulturellen Kontext als dass sie unterschiedliche Phänomene bezeichnen.

Oh doch. Nicht nur mein Empfinden sagt, es sind unterschiedliche Phänomene.Und darin sind sich ziemlich viele Kulturen, jedenfalls die, die mir gerade einfallen, ziemlich einig.

Ich wollte damit nicht sagen, dass Inzest- und Missbrauchsfälle identisch sind, sondern darauf hinweisen, dass die Begriffe unterschiedlichen Diskursen entspringen, unterschiedliche Interessen bedienen und andere Strukturen thematisieren.
MrsM
Ich habe den Tatort gesehen und kann von meiner Seite nur sagen, das es für mich und meine Sichtweise dabei ziemlich egal war in welcher Familie sich das Drama abgespielt hat. Ob nun alevitisch oder was anderes....
Es ging um ein inzestuöses Verhältnis zwischen Vater und Tochter, welches sicher nicht nur inzestuös sondern auch missbräuchlich war und dem die Schwangerschaft der Tochter nur noch die 'Krone' aufsetzte.
Das eine alevitische Familie gewählt wurde, war vielleicht etwas 'unglücklich' und das die Glaubensgemeinschaft dafür direkt 'auf die Straße geht' finde ich etwas übertrieben....
Ist es in meinem Kopf doch häufig so.... Wer am lautesten Schreit, hat am meisten zu verbergen...

Meine Meinung.
junisonne
QUOTE (MrsM @ 12.Jan.2008 - 10:40)
Das eine alevitische Familie gewählt wurde, war vielleicht etwas 'unglücklich' und das die Glaubensgemeinschaft dafür direkt 'auf die Straße geht' finde ich etwas übertrieben....

Meine Meinung.

Meine auch!
nico
QUOTE (DerTagAmMeer @ 12.Jan.2008 - 08:20)
Worauf willst Du hinaus? Es bestreitet doch niemand, dass hier eine Missbrauchsgeschichte dargestellt wurde. Nichtsdestotrotz wurde eben auch eine sexuelle Beziehung naher Verwandter thematisiert.

Ich finde, es ging ausschließlich um die Mi*brauchsgeschichte, eben weil die Beziehung Vater-Tochter gewählt wurde.
Und darum geht es mir.
Es ärgerte mich schlicht und einfach, dass ich diese Sichtweise in der Presse, vor allem in der sich als links-alternativen bezeichnenden, nicht thematisiert sah, sondern es wurde allseits auf das von der alevtischen Gemeinde vorgespannten Pferd des Inzest (-vorwurfs) aufgesprungen.


Aber vielleicht ist meine Empfindung auch zugleich ein Zeichen meiner eigenen kulturellen Unsensibilität ... ich würde mich dem Vorwurf einer Betroffenen alevitischen Glaubens durchaus öffnen.
nico
QUOTE (LadyGodiva @ 12.Jan.2008 - 00:30)
Aus der Darstellung des einzelnen und schauderhaften Verbrechens ist eine plakative Sittenwidrigkeit erwachsen, die für viele Menschen ein Unzähliges mehr an bitteren Folgen haben sollte als die 90 Minuten Kurzweil und Gänsehaut am Sonntag Abend wohl Wert waren.


... höre ich da so etwas wie den moralischen Zeigefinger, der auf unsere Unterhaltungskultur zeigt? Finde ich unangebracht ...

(edit: Farbe)
LadyGodiva
Ich find' - im Abgleich beispielsweise zu den auch moralgeschichtlich äußerst interessanten (und plakativen) Erik-Ode-(Der Kommissar)-Krimis - der größter Teil der heutigen "Criminalgeschichten" ist recht einfallslos gewaltdarstellungsverliebt wie manieriert. Aber das ist meine generelle Einschätzung und bezieht sich nicht auf die noch vergleichsweise guten Tatorte im Ersten.
DerTagAmMeer
QUOTE (nico @ 12.Jan.2008 - 16:34)
Ich finde, es ging ausschließlich um die Mi*brauchsgeschichte, eben weil die Beziehung Vater-Tochter gewählt wurde.
Und darum geht es mir.

Dagegen spricht doch aber, dass in der Auseinandersetzung zwischen Cem und Charlotte zunächst ausgerechnet kulturelle Missverständnisse und rassistische Vorurteile thematisiert wurden. Der Film spielte im Titel ja nicht umsonst auf sogenannte "Ehren"-Morde an, konfrontierte die Mutter- und Frauenrolle verschiedener (kulturell und religiös geprägter) Lebensmodelle miteinander und spielte Misogynie gegen Xenophobie aus.

Nachdem diese ganzen Fässer einmal aufgemacht wurden, ist es (für mein Empfinden) unmöglich die "Auflösung" rückblickend als "individuelles Schicksal" zu präsentieren und jede Wertung auf kultureller Ebene als Versehen zu abzutun.
nico
Ich zweifel die von Dir beschriebene Themenkomplexe ja auch überhaupt nicht an.

Und mehr noch - die Tatsache, dass ich auf dem "M*ßbrauch herumreite, bedeutet nicht, dass ich die kulturellen Themen, wie auch den Wirbel um den Inzest"vorwurf" verleugne.

Sicherlich hat der Protest in meinen Augen sehr wohl seine Berechtigung (und zwar in der Hinsicht der Bedienung von langjährigen Vorurteilen seitens anderer islamischer Glaubensgemeinden. Der Vorwurf der Verletzung von religösen Gefühlen hingegen ist geradezu lächerlich und offenbart geradezu das aktuelle Konfliktfeld von Religion und Staat. Aber das ist ein, um mit Fontane zu sprechen, "weites Feld" ... ), wenn man das weibliche Auge (welches aus fem. Sicht Lebenszusammenhänge analysiert) zukneift ...

Insgesamt sind wir uns aber wohl größtenteils einig, dass es die "drehbuchliche" Vermischung der Themen von M*ßbrauch und Inzest war, die die Schwierigkeit darstellt.
Oder?
sja
Also ich habe den Tatort gesehen und fand eigentlich nicht, dass es sich in erster Linie um Ins*est und Mi*brauch handelte. Wäre es darum gegangen hätte der Tatort wie gewohnt in rein kulturell vertrautem deutschen Umfeld spielen können. Was die Gefahr der Diskussion mit anderen Kulturen ausgeschlossen hätte.

Es sollte aber nicht in erster Linie um den Mi*brauch gehen, sondern wie der Titel mir schon sagte um sogenannte Ehrenmorde. Diese sind in unserem deutschen Kulturumfeld nicht vorgesehen. Und so spielte der Tatort im Umfeld einer anderen islamischen Kultur, in der diese sog. Ehrenmorde auch hier und heute in Deutschland geschehen.

Das dazu dann noch die Geschichte des ins*estiösen Mi*brauchs und kam ist für mich der Sache an sich eher abträglich gewesen. Wieso konnte nicht irgendein türkischer Freund der Vater des Ungeborenen sein? Für den Ehrenmord hätte das ausgereicht. Aber nun gut.

Es ging ja ursprünglich um die Klärung ob die erste Tote Tochter Selbst*ord begangen hatte oder getötet wurde. Erst zum Ende der Ermittlungen stellt sich heraus, dass es zusätzlich in der Familie einen Mi*brauchsfall gab.

Die explizite Erwähnung der Religionsgemeinschaft der Aleviten hatte ich im Film nur als Erklärung für unterschiedlichen Umgang in den verschiedenen Glaubensrichtungen mit dem Kopftuch verstanden. Der historische Hintergrund der jetzt von den Aleviten angeklagt wird war mir bis gerade völlig unbekannt. Und ich vermute mal auch den Tatortmachern. Ich glaube nicht, dass die Verfolgung der Aleviten durch die Sunniten wg. des ins*tiösen M*brauchs Gegenstand der Recherche war. Sonst wäre allein um die jetzt anschl. Aufregung zu vermeiden ein anderes Setting für die Ehrenmordgeschichte gewählt worden.

Auf Grund des geschichtlichen (mir bis gerade unbekannten Hintergrundes) verstehe ich die Aufregung der Aleviten. weil hier (ich vermute unabsichtlich) Dinge miteinander vermischt wurden, die man besser nicht miteinander vermischt hätte.

Ich finde es schade, dass in der Diskussion um Ins*est und Mi*brauch der eigentlich beabsichtigte Effekt der Diskussion um Ehrenmorde völlig verschwunden ist. Der Vater tötete ja die ältere Tochter aus Angst, dass sie ihr Wissen um seine Schandtaten verbreiten könnte. Also zur Rettung seiner Ehre. .

In*estiösen M*brauch gibt es unbestritten sowohl in deutschen als auch in islamischen Familien (aller Glaubensrichtungen) und sie sind für die Opfer schrecklich und belastend. Gar keine Frage. Aber ich fand das eigentliche Thema des Tatortes war der Ehrenmord.
Hrafntinna
Ich bin nicht der Meinung, dass das Thema Ehrenmorde sein sollte. Der Vater hat nicht getötet, um seine Ehre wiederherzustellen, sondern um den Missbrauch zu vertuschen! Das ist kein Ehrenmord. Die Spekulation um den Ehrenmord sollte, ja nur in eine falsche Richtung führen und die Geschichte spannender machen und auf das "fremde" islamische Hinweisen.

Im übrigen habe ich mir, seitdem ich die Reaktion der Aleviten erfahren habe, Gedanken gemacht, wie wohl die Lesbisch-schwule Community auf einen Tatort reagiert hätte, in dem zum Beißpiel ein Schwuler einen kleinen Jungen missbraucht hätte... dies würde ja auch ein Klischee bedienen, das die Verfolgung und den Paragraphen 175 rechtfertigte.
sahi
QUOTE (Hrafntinna @ 12.Jan.2008 - 21:41)
Im übrigen habe ich mir, seitdem ich die Reaktion der Aleviten erfahren habe, Gedanken gemacht, wie wohl die Lesbisch-schwule Community auf einen Tatort reagiert hätte, in dem zum Beißpiel ein Schwuler einen kleinen Jungen missbraucht hätte... dies würde ja auch ein Klischee bedienen, das die Verfolgung und den Paragraphen 175 rechtfertigte.

Da muss ich Dir nun allerdings Recht geben. Auf den Gedanken war ich bisher noch nicht gekommen, aber wenn ich jetzt so darüber nachdenke, hätte ich mich darüber wahrscheinlich maßlos aufgeregt!
Vielen Dank für diesen Denkanstoß!
DerTagAmMeer
QUOTE (sja @ 12.Jan.2008 - 19:15)
Der historische Hintergrund der jetzt von den Aleviten angeklagt wird war mir bis gerade völlig unbekannt. Und ich vermute mal auch den Tatortmachern. Ich glaube nicht, dass die Verfolgung der Aleviten durch die Sunniten wg. des ins*tiösen M*brauchs Gegenstand der Recherche war. Sonst wäre allein um die jetzt anschl. Aufregung zu vermeiden ein anderes Setting für die Ehrenmordgeschichte gewählt worden.

Allerdings gab es schon im Vorfeld Anstrengungen die Ausstrahlung zu verhindern. Der NDR hielt dennoch an seinem Programm fest und wies im Vorspann darauf hin, dass das Geschehen fiktiv sei.
Zumindest hätte man der Ausstrahlungstermin verschieben können!
Man hat die Aufregung also billigend in Kauf genommen.
Und wenn schon die Lektüre des Wikipedia-Artikels Aufklärung hätte bringen können, liegt der Verdacht einseitiger Recherche für mich schon nahe.

@Hrafntinna: thumbsup.gif
McLeod
QUOTE (junisonne @ 12.Jan.2008 - 12:34)
QUOTE (MrsM @ 12.Jan.2008 - 10:40)
Das eine alevitische Familie gewählt wurde, war vielleicht etwas 'unglücklich' und das die Glaubensgemeinschaft dafür direkt 'auf die Straße geht' finde ich etwas übertrieben....

Meine Meinung.

Meine auch!

Ich finde es hingegen schön, wenn sich wieder Menschen auf der Straße zusammenrotten, um für ihre Meinung einzustehen und zu demonstrieren und es bewegt sich was dadurch. Mir kommt es so vor, als habe ich die letzte ernstzunehmende Demo dieser Art irgendwo während des ersten Irakkriegs oder des Jugoslawienkonflikts erlebt. Ich war ehrlich gesagt schon der Meinung, dass 20.000 Menschen auf der Straße nichts mehr bewegen können, weil die Angesprochenen (meist aus der Politik, hier mal aus dem Rundfunk) mit einem non-chalanten "die dürfen ruhig ihre Meinung äußern, wir marschieren trotzdem zu den Ölquellen" reagieren. Oder eben *nicht* reagieren. Oder weil Demonstrationen irrigerweise mit Konzertcharakter organisiert werden.

Wie ich hier sehe, bewegt diese Demonstration sehr viel. Und ich finde auch, es könnte sich bei der Setting-/Themenwahl dieses Tatorts um einen ähnlichen Fettnapf handeln, als wenn ein Mann mit schwuler Vergangenheit oder in einer WG mit Schwulen lebend einen Jungen missbraucht. Oder wenn, wie in vielen US-Krimi- und Gerichtsserien die Mörderinnen der Ex-Ehemänner gerne die neuen Lebensgefährtinnen der Ex-Ehefrau sind.

Ich glaube, die Aleviten haben noch mehr geschafft, als es der Tatort selbst (vielleicht) versuchte: auf unterschiedliche Strömungen und Richtungen innerhalb der muslimischen / islamischen Welt aufmerksam zu machen. Auf Verfolgungen in der nahen Vergangenheit ("Pogrom" war ja bislang ausschließlich mit 1938 verbunden). Ich glaube, nach den Protesten von Köln kann niemand mehr anhand des Dezember-Tatorts die "üblichen" Inzest-Vorwürfe bekräftigen. Das Motto "was Wahres ist wohl irgendwie dran" ist meines Erachtens nicht mehr anwendbar. Der Verdienst von vielen Menschen, die mobil gemacht haben, sich Gesprächen gestellt haben und allein durch ihren Anwesenheitsbeitrag den Worten Kraft verliehen haben.

Finde ich.

McLeod
nico
QUOTE (DerTagAmMeer @ 13.Jan.2008 - 13:32)
Zumindest hätte man der Ausstrahlungstermin verschieben können!
Man hat die Aufregung also billigend in Kauf genommen.

Das war laut des NDR Programmchefs im DLF Absicht; sozusagen als "Anti"- Hommage. Recht zweifelhaft das Ganze, aber gut.
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