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> Von der Schwierigkeit, umzudenken., Wohin retten sich die Entwerteten?
Sägefisch
Beitrag 05.Nov.2006 - 17:33
Beitrag #1


Schlaudegen.
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Sonntagsgedanken -

Schon früh formte sich in mir eine, in aller Bescheidenheit, grosse Sensibilität für die Ungleicheit unter den Menschen in unserem Eckchen der Welt und eine gewisse Unversöhnlichkeit ihr und ihren Repräsentanten gegenüber.

So ist mir der ganze Themenkomplex Freiheit - Unabhängigkeit - Tätiges Leben und der Zugang zu diesen Gütern bis heute sehr zentral geblieben, es beschäftigt mich und ich nehme vieles in der Welt sozusagen durch diese Brille wahr.

Während gerne mit breiter Brust getönt wird, es bräuchte hierzulande niemand verhungern und Analphabet bleiben, wird fast völlig unterschlagen, dass sich längst noch ganz anderes Abgehängtsein etabliert hat, das vielleicht manches mal sogar mehr schmerzt als ein hungriger Magen am Ende des Monats.

Verwobenheiten erahnend und erfahrend, zu denen oberflächliche Unterschichts- und sonstige Debatten noch gar nicht durchgedrungen sind, rumort in mir die Frage, wie man es denn eigentlich anstellen soll, sich der eigenen ökonomischen Überflüssigkeit zu entziehen, so sie einen denn ereilen sollte.

Alternative Lebensentwürfe waren quasi Bestandteil meiner Muttermilch - teilweises Selbstversorgertum und Rückzug aufs eigene Fleckchen sind mir durchaus sympathische Ideen - sich von rein erwerbsbezogenen Wertigkeiten loszulösen klingt nach einer sehr vernünftigen Sache - neue Wege mahnen sich all jenen an, denen der Weg in eine sichere Angestelltenexistenz oder anderweitig günstige Verortung im gesellschaftlichen Gefüge nicht so offen daliegt, wie es den Willigen einst versprochen war.

Aber was sind nun die Lösungen?

Wenn ich mir konkrete Beispiele so ansehe: letztlich setzen sie fast alle wieder herkömmliche Eintrittskarten voraus. Die Landkommune, die ohne Omas kleinbürgerlichen Bausparvertrag nie zustande gekommen wäre. Der Globetrotter, der ohne vorherigen Einstieg weder seinen bunt bemalten Bus noch was zum Aussteigen hätte. Kleine Gewerbe, die Kreditwürdigkeit voraussetzen. Sprich: eigener, physischer Freiraum als Ticket zu eigenen Spielregeln.

Wo all dies für meine Eltern gut möglich und heute noch für viele machbar sein mag - für manche ist es das schon nicht mehr. Es wachsen welche heran, die keine reelle Perspektive auf einen eigenen Raum haben.

Deren Teil des Arbeitsmarktes bestenfalls noch nicht mal mittelfristig berechenbare Verhältnisse bietet, und sicher keine Planbarkeit die für mehr als eine abbezahlte Schrankwand von Quelle reichen würde.

Vielleicht ein viel grösserer Bruch als der früherer Generationen: welche Entwürfe sind möglich, wenn die Güter (dazu zähle ich weniger Konsumluxus, sondern wertiges wie Quadratmeter, Mobilität, Zukunftsaussichten, Realisierungsmöglichkeiten...) und der Zugang zu ihnen verteilt sind und man auf der falschen Seite vom Zaun gelandet ist?

Gleichzeitig gescheucht und gemieden, wird der Wunsch nach Refugium zukünftig sicher zumindest bei denen wachsen, die sich nicht in Verblödung und Verrohung verlieren.

Gibt es dieses Eigene dann nur noch im Kopf?

Wohin gehen querköpfige Überflüssige, die nicht auf fette Jahre zurückgreifen können (eigene oder elterliche)? Bislang kennen wir nur Umwälzungen und Verweigerungen aus Zeiten der Vollbeschäftigung - wie wird sich ein gesellschaftlicher Bruch ohne Wirtschaftswunder im Rücken ausformen?

Wie macht man sich innerlich frei mit der Aussicht, höchstwahrscheinlich niemals unabhängig von Vermietern, schlechten Arbeitgebern und staatlichen Sanktionen zu werden?

Oder entziehen sich zukünftig nur noch die, denen der Zufall hilft, und der Rest wird sich an den Wind im Gesicht gewöhnen müssen? Wird Freiraum ein Privileg für leidlich Abgesicherte?

Der Beitrag wurde von Sägefisch bearbeitet: 05.Nov.2006 - 17:52
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robin
Beitrag 05.Nov.2006 - 23:30
Beitrag #2


I lof tarof!
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Hallo sägefisch :)
Irgendwie verstehe ich deine frage nicht wirklich, könntest du dein anliegen 'platter' formulieren? -_-
Danke! :blumen2:
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Sägefisch
Beitrag 06.Nov.2006 - 08:52
Beitrag #3


Schlaudegen.
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Verzeihung. :D

Wenn man davon ausgeht, dass eine bestimmte Gruppe gesellschaftlich abgehängt werden wird, und sich in viele Resignierte und wenige Suchende teilen wird - was können sich diese Suchenden dann einfallen lassen, um jenseits einer (sich nicht einstellenden) Erwerbsarbeit und staatlicher Pression leben zu können?

Das ganze unter dem Aspekt, dass alternative Entwürfe vergangener Jahrzehnte oft mit selbstbestimmtem äusserem Rahmen einhergingen, sprich Immobilien, Gewerbe, Land... und daher erst durch bestimmte materielle Voraussetzungen (Sparbuch,Bürgschaft, Vorhandensein von relativ vielen Jobmöglichkeiten, billige Mieten, öffentliche Förderungen, usw.) zum Tragen kamen, was nicht mehr wirklich praktikabel scheint für eine Gruppe von Menschen, die vermutlich gar nicht erst zu ihrem kleinen Stückchen gesamtgesellschaftlichen Wohlstandes kommen werden.

Wie schafft man sich also Freiraum für eigenes Tun und eigene Wertigkeiten, wenn dieser konkret, physisch kaum erreichbar scheint; wenn man Gestaltungsmöglichkeiten nur im Inneren hat?


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Corinna Mirja
Beitrag 06.Nov.2006 - 10:33
Beitrag #4


°~Fleckenzwergin~°
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Hallo! :blumen2:
Freiräume. Ich meine, zunächst sollte frau sich darüber klar sein, was diese überhaupt bedeuten, bevor sie mit Sinn oder Sinnlichkeiten erfüllt werden, beziehungsweise überhaupt geschaffen/ gefunden werden können. Das große Abstraktum Freiheit mag viel zu oft Überbewertung finden, wenn es darum geht, starre Positionierungen festzulegen, ab wann ein Raum für "freieres" Sein überhaupt möglich sein kann.
Sowie Du damit anfängst, Deine eigenen Begrifflichkeiten und Wertigkeiten von materiellen Aspekten abhängig zu machen, fangen die Schwierigkeiten an. Ist Wohlstand wirklich abhängig von stofflichen Gütern, die über das Lebenserhaltende hinausgehen?
Weniger ist oft mehr, kann ich aus Erfahrung sagen. Ich gehöre auch zu den Leuten, die mit äußerst geringen Mitteln auskommen müssen, mache mir meine Abstriche im Punkto Wohlstand aber nicht zum Vorwurf. Vielleicht liegt es ja auch an der eigenen Erwartungshaltung, ob eigene Spielregeln zur Last oder Lust werden?
Nicht vergessen sollte frau auch, daß die Tragweite der eigenen Unabhängigkeit auch von Pflichten und Zwangswegen des Alltages mitbestimmt wird. Der Wunsch, sich Gedanken über eigene Lebensentwürfe zu machen, ist etwas völlig anderes, als eben diese wirklich konkret planbar weiterzuspinnen, wenn die Gegebenheiten günstig erscheinen. Das gilt für alle Gruppierungen einer Gesellschaft gleichermaßen, wenn ich mich nicht sehr irre.
Trotz aller gesellschaftlichen Zwänge und Unbillen, kommen viele Einschränkungen nicht zuletzt auch aus dem oft irrleitenden Gefühl heraus, ohnehin den Regeln des Lebens gegenüber "unterlegen" zu sein - Resignation aus Prinzip?
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Sägefisch
Beitrag 06.Nov.2006 - 10:56
Beitrag #5


Schlaudegen.
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Also doch das eigene Gemüt als Schutzraum? Einen Zustand schaffen, in dem nicht mehr vonnöten ist als ein Dach über dem Kopf, Nahrung und man selbst?

Sicherlich eine Form von Freiheit.

Die aber vielleicht eine gewisse Robustheit erfordert, die nicht jeder aufzubringen vermag, wenn einem die eigene Verortung durchaus Bewertung und auch zT nicht unbeträchtliche Grenzverletzung durch öffentliche Stellen einbringt. Wenn privat nicht mehr privat ist.

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Corinna Mirja
Beitrag 06.Nov.2006 - 11:10
Beitrag #6


°~Fleckenzwergin~°
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QUOTE (Sägefisch @ 06.Nov.2006 - 10:56)
Also doch das eigene Gemüt als Schutzraum? Einen Zustand schaffen, in dem nicht mehr vonnöten ist als ein Dach über dem Kopf, Nahrung und man selbst?

Sicherlich eine Form von Freiheit.

Die aber vielleicht eine gewisse Robustheit erfordert, die nicht jeder aufzubringen vermag, wenn einem die eigene Verortung durchaus Bewertung und auch zT nicht unbeträchtliche Grenzverletzung durch öffentliche Stellen einbringt. Wenn privat nicht mehr privat ist.

Was Du da erwähnst, erfahre ich auch leider immer wieder am eigenen Leib.
Mein Werdegang ist ja nun einmal nicht unbedingt alltäglich zu nennen - und dadurch erlebe ich oft genug Grenzverletzungen, aufgrund unqualifizierter Bewertungen und krasser Verstöße gegen das Gleichstellungsgesetz, eben von Seiten der öffentlichen Stellen. Das mit der Robustheit stimmt allerdings. Ich weiß mich gut genug zu wehren und bin oft in der Lage, auf gemachte Fehler nicht nur hinzuweisen, sondern mich dagegen zu wehren. Vielleicht klappt das, eben weil ich meine Schutzräume habe, die ich überall mit hintragen kann? Eine Form der Selbstbewußtseinserhaltung? Entweder das, oder durchaus Erfolge zeitigendes Ignoranzdenken wider der Realität, von meiner Seite aus.
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LadyGodiva
Beitrag 06.Nov.2006 - 13:28
Beitrag #7


Strøse
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Kapital grenzt ab, Bedürftigkeit gibt preis.
Teilweise erstaunlich unverschämt öffentlich etabliert sich eine neue Privatgesellschaft, unterstützt, weil mehr oder weniger indirekt im Amt bestätigt und finanziert von jenen, die ihrerseits immer mehr auf ein weites, offenes Feld gedrängt werden.
(Letztenendes existiert doch schon längst eine monetäre Privatheit, die weite Teile der Bevölkerung diskrimiert und mit dem Retten der eigenen Existenz zu beschäftigen weiß.) Zu dünne Haut trocknet aus.
Eines Tages werden die durch LIDL, McDoof und RTL Deprimierten hoffentlich genügend Wut haben, sich gegen die schmelzzerstörerischen Beschwichtigungs- und Beschäftigungsstrategien zur Wehr zu setzen.
Bis dahin bleibt wohl noch ein wenig Zeit, sich selbst stark und möglichst autonom zu machen, ein gesellschaftsgeistunabhängiges Daseinsethos zu definieren, um sich dann in die Mitgestaltung einer sich erneuernden Gemeinschaft einbringen zu können, wenn die Stunde reif scheint.
Insofern sehe ich diesen ideellen Schutzraum als nicht unpolitisches Refugium, um auf den sich abzeichnenden gesellschaftlichen Zusammenbruch weitest möglich vorbereitet zu sein.
Ob das gelingt...? Ich hoffe es für viele.

Ach ja, gesund bleiben nach Kräften. Der schleichende Entzug medizinischer Breitenversorgung wird wohl das Lindenblatt der relativ Unbemittelten werden.
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Bilana
Beitrag 06.Nov.2006 - 13:33
Beitrag #8


Capparis spinosa
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Ich finde eine gewisse Grundversorgung mit essen, Kleidung und Wohnraum schon wichtig für mögliches Glück. Aber diese Art von Grundversorgung kann jeder in Deutschland haben.
In meinem eigenen Leben kenne ich beides. Ein Leben im Rahmen eines alternativen Lebensentwurfs, politisch unterdrückt, abgehängt und Freiräume suchend und findent. Ein Leben in dem es zwar genug Essen und Kleidung gab, aber mit adäquatem Wohnraum schon probleme da waren. Eine Toilette für ein 8 Parteien Mietshaus und im Winter mit Ohrenklappen vor dem Heizstrahler auf der Couch sitzen, weil nichtmal die Öfen ausreichend heizten. Kein warmes wasser aus der wand.
Und ich kenne ein Leben in zumindest materiell geordneten bürgerlichen Verhältnissen. Für mich sehe ich halt ganz klar, das mein Wohl(stand) allein von den Menschen abhing die mich umgaben. Noch so großer Wohlstand kann emotionale und geistige Armut kein einziges Stück aufwiegen.
Das sind sicher meine ganz eigenen Erfahrungen. Aber sie bewegen mich doch dazu materiellen Wohlstand als reichlich irrelevant für mein Lebensglück zu bewerten. Und ich sehe welche Freiräume es geben kann, selbst in freiheitlich sehr beschränkten Verhätnissen. Und wenn der Freiraum in dem Glauben und der Arbeit an mehr Freiheit besteht.
Glaube versetzt Berge.
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Bilana
Beitrag 06.Nov.2006 - 13:39
Beitrag #9


Capparis spinosa
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QUOTE
Eines Tages werden die durch LIDL, McDoof und RTL Deprimierten hoffentlich genügend Wut haben, sich gegen die schmelzzerstörerischen Beschwichtigungs- und Beschäftigungsstrategien zur Wehr zu setzen.

Bin ich mir nicht so sicher. Denn dann würden sie erkennen müssen, das sie es haben mit sich machen lassen obwohl sie freie, mündige Bürger sind, sein sollten? Vielleicht tut so eine Erkentnis zu sehr weh, deswegen ist es einfacher mit neuem Geiz ist Geil und Telenovelas den Frust zu betäuben.
Vor ca. 10 jahren wurde mal die 20:80 Gesellschaft postuliert. 20 Prozent der Menschen haben eine sehr gute Ausbildung und gute bezahlte Jobs, mit denen sie die 'restlichen' 80 Prozent finanzieren, die mit Junkfood und Telenovelas, die so hieß es damals ihren Siegeszug von Lateinamerika nach Europa antreten werden, vor sich hin vegetieren, ruhig gestellt werden. Die Telenovelas haben wir schon. Aber es liegt an, ja an was? an uns, denn die Politiker sind ja auch nur wir, das wir nicht auch nioch 20:80 importieren, so wie es in Lateinamerika (und den USA?) schon ist.
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LadyGodiva
Beitrag 06.Nov.2006 - 13:46
Beitrag #10


Strøse
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Das Land ist schon zu verflacht, ich fürchte erst einmal ist da nichts mehr aufzuhalten.
Ich hoffe nur, dass sich die irrwitzige Verwaltung dieses Zustandes irgendwann einmal selbst abschafft, indem sich die Verwalteten mehr oder weniger gewaltsam ihrer Preisgabe, bzw sinnentleerten Beschäftigungstherapie entziehen.
Bis dahin, gute Nacht. :ph34r:
Also, im Refugium.
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Sägefisch
Beitrag 06.Nov.2006 - 15:32
Beitrag #11


Schlaudegen.
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Nun geht es hier recht schnell um lebensnotwendige Grundversorgung und ideellen Freiraum - was mich wieder an "hier muss keiner verhungern" denken lässt.

Stimmt ja auch. Abgesehen davon, dass dies eben auch nichts mehr ist was man mal eben einfach zugestanden bekommt, ohne sich weitgehend sinnfreie und dadurch schikanös anmutende Eingriffe in die eigene Existenz gefallen zu lassen, und ohne mit ständiger Sanktionierungsdrohung zu leben. Sprich - es wird enormer Druck aufgefahren, der einen in eine Richtung drückt in der eh nichts wartet - was macht das mit der psychischen Gesundheit eines Menschen? Zudem wissend, dass sehr viel grössere Fiskalschädlinge sich unter Berufung aufs Schweizer Bankgeheimnis hochgradig privat bewegen können.

Wohl dem also, der die oben erwähnte Robustheit mitbringt und davon nicht zermürbt wird. Sich vielleicht sogar innerlich trotzdem frei machen kann von den Bewertungen, denen er ja, trotz Ausgeschlossenseins, unterliegt.

Das alles zählt für mich im Grunde zum Thema Überleben - sprich, sich irgendwie zurechtfinden, durch möglichst unschädliche Reaktion auf die jeweilige Lage, und Anpassung an die Gegebenheiten.

Meine eigentliche Frage bezog sich aber gerade auf das, was darüber hinausgeht - sich nicht nur nach Kräften in dem Eckchen einrichten, das einem zugestanden wird - sondern in ein tätiges Sein kommen, ohne auf den Zugang zum vordefinierten Modell angewiesen zu sein, auf den viele warten werden bis sie schwarz sind.

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Sägefisch
Beitrag 06.Nov.2006 - 15:38
Beitrag #12


Schlaudegen.
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QUOTE (Bilana @ 06.Nov.2006 - 13:39)
20 Prozent der Menschen haben eine sehr gute Ausbildung und gute bezahlte Jobs, mit denen sie die 'restlichen' 80 Prozent finanzieren, die mit Junkfood und Telenovelas, die so hieß es damals ihren Siegeszug von Lateinamerika nach Europa antreten werden, vor sich hin vegetieren, ruhig gestellt werden. Die Telenovelas haben wir schon. Aber es liegt an, ja an was? an uns, denn die Politiker sind ja auch nur wir, das wir nicht auch nioch 20:80 importieren, so wie es in Lateinamerika (und den USA?) schon ist.

Ist das wirklich so?

Ich glaube, tagelanges vegetieren ist in einer gewissen Breite eher ein Problem sinnentleerter europäischer Sozialstaaten, und das im übrigen witzigerweise am wenigsten da, wo staatliche Hilfen auch für Teilhabe reichen, und nicht nur für Stoffwechselerhaltung. Sprich in Sozialstaaten, die aus einer gewachsenen Wertetradition heraus ein solcher sind, und nicht bloss (mittlerweile) widerwillig.

In den USA zumindest hast Du wohl eher das Problem namens working poor, nicht lazy poor - und da kann man je nach Blickwinkel durchaus diskutieren, wer eigentlich wessen Lebensstandard finanziert.

Der Beitrag wurde von Sägefisch bearbeitet: 06.Nov.2006 - 15:40
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Bilana
Beitrag 07.Nov.2006 - 17:13
Beitrag #13


Capparis spinosa
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Na ja zum einen denke ich.. dieses "Hier muss ja keiner hungern" hat schon was und ist unbedingt zu würdigen. Es geht dabei ja nicht ums essen. Schlimme materielle Armut öffnet ja sozialer, mitmenschlicher Armut Tür und Tor.

Und sicher mögen Behörden manchmal krampfig sein. Ich hab früher immer zu jedem Semesteranfang Schweißausbrüche bekommen wenn es darum ging Halbweisenrente usw. zu verlängern. was man da für Kram vorbringen muss. Und das ist mit Sicherheit ein Klacks gegen ALG II zu beantragen. Ich hab aber lieber darauf geguckt was es mir nützt. Denn zumindest ums Geld für die Miete musste ich mir nie Sorgen machen und das ist mehr als andere Studis haben. Glück im Unglück vielleicht.

QUOTE
was darüber hinausgeht - sich nicht nur nach Kräften in dem Eckchen einrichten, das einem zugestanden wird - sondern in ein tätiges Sein kommen,

Ich glaube das Ecken-steh-Gefühl kommt, wenn man keine Visionen für sich selbst hat. Und ja ich denke auch es kostet viel Kraft Visionen zu entwickeln und zu behalten, wenns eng wird. Aber es gibt ja auch Kraft! Mir zumindest.
Ich denke schon in unserem Land hat man viele Chancen. Es ist vielleicht eine Frage der eigenen Perspektive. ich möchte mir auch nicht selbst genügen. Die innere Einstellung für Glück und Zufriedenheit ist sicher unabdingbar, aber äußere Umstände sind sicher auch wichtig.
Ich kenne einen Langzeitarbeitslosen, der Radtouren durch Mittel- und Osteuropa macht und jetzt darüber nachdenkt sich fürs Krisentelefon oder Gespräche im Jugendgefängnis ausbilden zu lassen. (Er hat Erfahrungen als Sozialarbeiter.) Sicher wäre es schöner für so etwas wirklich entlohnt zu werden. Aber wichtiger ist doch das gute Gefühl, dass aus sowas kommt als das Geld. Etwas aus der Situation machen. Ich kenne andere, die Halbtags arbeiten und sonst studieren, aus purem Interesse, als lebensaufgabe sozusagen. warum auch nicht?




QUOTE
In den USA zumindest hast Du wohl eher das Problem namens working poor, nicht lazy poor

Mag sein. Wobei es ja auch da Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung gibt. Und irgendwer muss ja die obskuren TV- und Junkfood-Produkte konsumieren, die aus den USA zu uns schwappen.
Da bin ich wohl zu sehr wen Wirtschaftswissenschaften gläubig. B) Etwas das niemand will hält sich nicht lange am Markt und wenn Verbraucher etwas wollen, dann wird es das auch geben. Siehe Bioprodukte in Deutschland.
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Diana
Beitrag 09.Nov.2006 - 12:07
Beitrag #14


Gut durch
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QUOTE
Ich glaube das Ecken-steh-Gefühl kommt, wenn man keine Visionen für sich selbst hat. Und ja ich denke auch es kostet viel Kraft Visionen zu entwickeln und zu behalten, wenns eng wird. Aber es gibt ja auch Kraft! Mir zumindest.
Ich denke schon in unserem Land hat man viele Chancen. Es ist vielleicht eine Frage der eigenen Perspektive. ich möchte mir auch nicht selbst genügen. Die innere Einstellung für Glück und Zufriedenheit ist sicher unabdingbar, aber äußere Umstände sind sicher auch wichtig.
Ich kenne einen Langzeitarbeitslosen, der Radtouren durch Mittel- und Osteuropa macht und jetzt darüber nachdenkt sich fürs Krisentelefon oder Gespräche im Jugendgefängnis ausbilden zu lassen. (Er hat Erfahrungen als Sozialarbeiter.) Sicher wäre es schöner für so etwas wirklich entlohnt zu werden. Aber wichtiger ist doch das gute Gefühl, dass aus sowas kommt als das Geld. Etwas aus der Situation machen. Ich kenne andere, die Halbtags arbeiten und sonst studieren, aus purem Interesse, als lebensaufgabe sozusagen. warum auch nicht?

Hast Du schön gesagt :)
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shark
Beitrag 09.Nov.2006 - 16:03
Beitrag #15


Strösenschusselhai
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Ich kenne Armut. Ich war jahrelang abhängig vom Sozialamt, weil ich meinen und den Lebensunterhalt meiner Kinder nicht ganz und gar aus eigenen Kräften bestreiten konnte.
Und obwohl ich stets verstanden habe, dass ich damit "abhängig" und "mitwirkungsverpflichtet" war, war es schwer, als erwachsene Frau noch das Gefühl haben zu können, frei entscheiden zu können. Zum Beispiel bekam ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich in diesen Zeiten mal drei Wochen der Ferien bei meiner Freundin verbracht habe, denn das hätte ich eigentlich nicht tun dürfen, ohne das zu melden, denn das Amt hätte meine Bezüge gekürzt, da ich ja dieses Zuhause, das ich hatte, nicht bewohnte in der Zeit.
Und als ich für 6 Wochen eine Rehamaßnahme antrat, wurde mein Anteil an Miete und Wasser/Heizung einbehalten, da ich ja nicht daheim war.
Es war schwer, mich eigenständig zu fühlen. Noch schwieriger war es, mein Recht auf ganz persönliche Freiräume zu verteidigen. Und manchmal war das völlig unmöglich. Ich hatte als Abhängige eben zum Beispiel nicht das Recht, ein Kraftahrzeug zu besitzen - auch wenn ich mir mein Geld so eingeteilt hätte, dass es dafür gereicht hätte.
Und wenn ich Strom sparte, so wurde mir die Rückzahlung wieder abgenommen...Tausend Beispiele...

Die psychische Belastung, eben nicht unbefangen und gleichberechtigt handeln zu können, Menschen meine persönliche Habe durchsehen lassen zu MÜSSEN (Mitwirkungspflicht) und "Einladungen", die ich schon vorher als ergebnislos (und teuer, da ich für diese Dinge auch noch Geld für Fahrtkosten, Mappen etc. aufwenden musste) erachtete (was sie auch waren!) Folge zu leisten hatte, war enorm.

Ich bin froh, dass das vorbei ist.

Und ich stelle fest, dass sich die Armen zu organisieren beginnen; Kneipen mit Namen "Hartz4", bevölkert von desillusionierten Menschen ohne Arbeit, sehe ich überall...Gangs von kids, die einfach irgendeine Art von Freiheit suchen in ihrem gegängelten Dasein ebenso...
Es entwickelt sich die Schicht, die die Politik nicht einmal beim Namen nennen will: die Unterschicht. Mit eigener Philosophie, eigenem Freiheitsbegriff - fast eine Subkultur. Und ich denke, das ist sie: die "Freiheit" derer, die sonst nicht frei sind in ihrem Leben.....
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