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> TABU *kann triggern*, dein Vergewissen
LadyGodiva
Beitrag 26.Oct.2007 - 12:09
Beitrag #1


Strøse
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Sie spinnt sich an einem scharfen Faden die Finger blutig und tränkt all ihre Verwünschungen ein. Leicht ist ein straffes Netz gewoben, darin vertäut all jene Dinge, die zu schwer sind, um sie dicht am Herzen zu tragen.
Zauberhaft umsponnene Unverletzlichkeit der Scham - kein Stachel, kein Gift schützt sie, nur das in den Fäden fortsurrende Geraune der Spinnerin.



Wir alle tragen unser kleines Bündel. Die einen wohl sortiert und weich eingelagert, die anderen noch wirr und pieksend. Hin und wieder ist es uns vergönnt, über den Weg ein wenig Selbstvergessenheit zu erlangen.
Auf unserer Reise ziehen wir mit vielen anderen, einigen sind wir dabei so nah, dass wir durch die Maschen ihres kleinen Bündels erahnen können, wie schwer es ihnen wohl fällt, eine leichte Last vorzutäuschen. Wissend nicken wir uns zu, erkennen unsere wortlose Verbundenheit und setzen unseren Weg fort.
Andere hingegen suchen unsere Nähe, erschüchtern sich ein wenig Tragehilfe von uns und obwohl es nicht leicht fällt, gestehen wir ihnen die Bedürftigerkeit zu und bieten unsere Hand an.
Ab und an blitzt etwas aus den Päckchen - und wir staunen, erschrocken über die plötzliche Offenbarung, über die Mächtigkeit des Verborgenen. Es ist gewiss: das Schreiten war ein leichteres ohne das Gesehene.
Hin und wieder schneidet sich ein Geheimnis dennoch einfach durchs mühsam Gewebte und heraus quillt alle Beschwerlichkeit und Scham.

Ich bin in ein Tabu gesponnen, es bindet und fesselt, verwünscht und verschlingt mich zugleich.

Familiengeheimnis.

Was du erfahren, sollst du begraben, was dir bewusst, still in dir tragen.

Gewissen, Vergessen, Bewusstsein - wie nah liegen sie.

Womöglich entspinnt sich an dieser Stelle ein Gespräch weniger über die einzelnen Pakete an sich, sondern vielmehr über die Schnür- und Tragevarianten der selben.
Wie geht ihr mit den unverletzlichen Geheimnissen, dem nie zu Schauenden in Eurem Umfeld um? Wie genau habt Ihr es gesehen, wie kam es dazu, wie alt wart Ihr?
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Antworten (1 - 28)
Bilana
Beitrag 28.Oct.2007 - 05:30
Beitrag #2


Capparis spinosa
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Liebe LG.

Ein Kreis ist für mich ein Kreis, er hat keine Ecken. Andernfalls kann ich es eben nicht Kreis nennen.
Die Wahrheit ist ein Dschungel, aber wer behaupte ein Kreis habe Ecken, lebt in einer unendlichen Wüste. Man kann hinlaufen wo man will, man findet kein Wasser, keine Nahrung, man verbrennt und trocknet aus, man stirbt.
Man kann versuchen die Wüste zum Blühen zu bringen, das geht theoretisch. Aber wird diese Wüste noch genug Leben in sich haben? Genug Samen in der Erde? Und wird man selbst genug Kraft haben all das Wasser zu tragen? Wird die Wüste, selbst wenn man alles gibt, was man hat genug Früchte hervorbringen, als das man davon leben kann? Und wird die eigene Wasserquelle reichen? Muss man nicht vielleicht für immer selbst wässern? Weil sich nie ein tragfähiges Ökosystem entwickelt?

Ich glaube jeder hat es verdient in einem Dschungel zu Leben (Den englischen Garten gibt es nur im Fernsehen.) Es ist ein schwer durchdringliches Dickicht, man kann über Schlingpflanzen stolpern, die Aussicht ist meist nicht gegeben. Man schwitzt und muss sich anstrengen. Aber es gibt genug Wasser und Nahrung für alle. Es ist warm, aber man verbrennt nicht.

Die Menschen kommen aus den inneren Tropen und da gedeihen sie auch am besten. Manche von uns sind trotzdem in einer Wüste geboren. Das ist traurig, weil ich denke, das dort niemals überbordende Lebendigkeit möglich sein wird. Weder für die anderen, noch für einen selbst.

Man muss nun überlegen ob man in der Wüste bleibt, ewig Sand zwischen den Zähnen und in den Augen zu haben, und aufgrund mangelnden Wassers und Nahrung sich nicht frei entfalten kann, sondern möglichts reglos ausharrt.
Oder sich auf den Weg macht, auf die Suche nach seinem eigenen Dschungel. Wenn gewollt auch mit dem Hinweis, die anderen mögen folgen, sobald sie bereit dazu sind. Den in einem Dschungel ist Platz für viele. Ist aber kein muss.

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dandelion
Beitrag 28.Oct.2007 - 09:21
Beitrag #3


don't care
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Meins wird relativ einfach getragen. Da niemand vermuten würde, daß genau das genau dort ist, wird auch niemand dort graben. Der Hamsterkäfig als Sparsocke, gewissermaßen. Durch die wenige Konfrontation damit bleibt das zu Vergessende, Auszublendende, zu Überwindende brav da, wo es ist. Und wenn es doch mal mahnend auf dem rechten Ohr sitzt und den Zeigefinger hebt, gibt es immer noch genug, was damit zusammenhängt, um sich voller Elan darauf zu stürzen und das aufgesparte Geheimnis wieder im Hamsterkäfig zu vergraben.
Der Unterschied zwischen Abschließen und Wegschließen wird somit fließend.
Aber da es meine Entscheidung war, fällt es mir sicherlich leichter.
Nun frage ich mich (wohl sozialisationsbedingt), wie kann man von einem Menschen erwarten, daß er sich die Tabus dritter selbst als solche auferlegt? Da geht für mein Empfinden zuviel Selbstbestimmung flöten.
Ich finde da die Grenze zwischen Schweigepflichten und Bequemlichkeitstabus eine ziemlich wichtige. Sie scheidet sich an der Frage "würde da jemand Schaden nehmen, der die Gefahr selbst produziert und wissentlich in Kauf genommen hat, oder kann die Person, die das Tabu als Schutz benötigt, selbst gar nichts dafür?" Eigenverantwortlichkeit.
Das kommt ja hinzu: ein Tabu ist ein Tabu, weil die Offenlegung Schaden anrichten würde. In dem Moment, wo dieses Gefahrenpotenzial (sei es durch externe Ereignisse oder deeskalierende interne Behandlung = annehmen, verarbeiten o.ä.) wegfällt, wird das Tabu ganz oder teilweise aufgelöst. Ich glaube daran, daß dieser Punkt für jeden Menschen und jedes Tabu einmal kommt, aus einem einfachen Grunde: nichts an uns, am Leben, an der Zeit ist ewig. Also kann auch kein Grund zur Scham, Angst, Wut, ... ewig sein.
Entweder der Umgang damit bricht sich eine Bahn und es kommt doch ans Tageslicht, oder es wird so gleichgültig, daß es in Vergessenheit gerät und als kleine Feder in der Tasche des letzten Trägers mit ihm zusammen begraben wird, oder beim Kommunionkaffee von klein Gertrud wie selbstverständlich Gesprächsthema ist.

Quintessenz: du musst es vielleicht lange, aber nicht für immer tragen, wenn du nicht willst. und allein das kann schon beruhigen. :blumen:
du kannst Dinge, die du nicht beeinflussen kannst (ich weiß nicht, inwiefern sie dich im Alltag beeinflussen, aber je weniger je leichter), gefahrlos beiseite schieben, statt dich daran aufzureiben. Gerade mit Familiengeheimnissen umzugehen hat oft etwas von den Ställen des Augias. Da hast du einfach besseres vor und besseres verdient :knuddel:
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Weissdorn
Beitrag 28.Oct.2007 - 17:16
Beitrag #4


Naschkatze
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QUOTE (Bilana @ 28.Oct.2007 - 05:30)
Ein Kreis ist für mich ein Kreis, er hat keine Ecken. Andernfalls kann ich es eben nicht Kreis nennen.
Die Wahrheit ist ein Dschungel, aber wer behaupte ein Kreis habe Ecken, lebt in einer unendlichen Wüste.

Liebe Bilana,

was für Dich zutrifft mag einer anderen ganz anders erscheinen und das ist gut so. Ich sehe viel Kreativität und schöpferische Kraft, wo ein Kreis auch Ecken haben darf und keine unendliche Wüste.



Feine Nebelfäden spinnen, zu einer mir annehmbaren Realität und zu jedem Zeitpunkt sieht das Garn ein wenig anders aus, mal annehmbar und liebenswert, mal schwer erträglich... was wirklich war und ist, wer weiß es schon. Die Kunst für mich besteht darin, zu bestehen in Gesellschaften, mit meinen Wahrheiten über mich und die mich umgebende Welt. Es gab eine Zeit, da träumte ich mir ein Hexenhäuschen im verwilderten Garten, einem Djungel gleich. Momentan mag ich klare Linien, Symetrien im Raum, für Morgen wünsche ich mir freudige Gelassenheit., souverän durchs Leben gehen mit allen runden Kanten.

Weissdorn
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DerTagAmMeer
Beitrag 28.Oct.2007 - 19:18
Beitrag #5


Adiaphora
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Falls es ein Tabubrecher-Gen geben sollte, hätte ich es wohl geerbt.
Geheimnisse sind nicht gut aufgehoben bei mir. Es fällt mir schwer, den Finger nicht auf eine offensichtlich wunde Stelle zu legen. Zu schwer, wenn es auch mich selbst betrifft.
Also kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem ich gehen und "meine Wahrheit" irgendwo loswerden muss, wo sie keinen Schaden mehr anrichtet. Nie hatte ich das Gefühl mich "für oder gegen eine Wahrheit" entscheiden zu können.

"Was nicht sein darf, das nicht sein kann" ... wenn man feststellt, dass man selbst das Tabu ist, wird dieser Satz zum existentiellen Ultimatum ... da ist kein Kompromiss möglich ... jedenfalls hat sie sich auch mir nicht offenbart ... die Quadratur des Kreises.

Der Beitrag wurde von DerTagAmMeer bearbeitet: 28.Oct.2007 - 19:33
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Meeresrauschen
Beitrag 28.Oct.2007 - 19:55
Beitrag #6


Satansbraten
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Das Thema könnte für mich wohl kaum aktueller sein. Ich möchte LadyGodiva erst einmal für dieses Thema danken. Speziell die Texte von LadyGodiva und Bilana haben mich sehr berührt und kann ich mich sehr gut wiedererkennen.

Ich habe jetzt eine Weile überlegt, was ich dazu schreiben soll. Auch ich trage meine Päckchen schön verschnürt bei mir. Bei mir führt das aber hin und wieder zu Komplikationen, da ich mir über die Jahre ein Verhalten angeeignet habe, dass nicht immer so hilfreich ist. Von außen kann kaum jemand sehen, wenn es mir schlecht geht. Das führt manchmal dazu, dass wenn es mir schlecht geht es erst einmal niemandem auffällt. Zu anderen Zeiten pieksen Päckchen plötzlich aus meinem Gepäck hervor und überraschen mich zu unangebrachten Zeiten und ich habe Schwierigkeiten, dass sich meine Schnüre nicht lösen und alle Päckchen außer Kontrolle geraten und sich von selbst entpacken.

Manchmal ist das Leben mit den Päckchen einfach... manchmal nicht... Manchmal möchte ich mich in die Wüste zurückziehen und manchmal finde ich den Mut mich in den Dschungel zu wagen und meine Abenteuerlust auszuleben.
Ich wünsche uns allen Kraft unseren ureigenen Weg und unser inneres Gleichgewicht zu finden und zu behalten.
Meeresrauschen
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Mausi
Beitrag 28.Oct.2007 - 20:18
Beitrag #7


Mama Maus
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Mein Päckchen - mal verschnürt, mal offener. Aber immer in einem großen Paket.
Ein großes Paket, mit vielen kleinen Innenpaketen - das Paket ist geöffnet, vieles davon ist ausgepackt, zumindest mir selbst gegenüber.
Das andere, was noch verschnürt ist - das darf es auch sein. Ich weiß nun dass es es gibt und kann auch entscheiden, wann ich es öffne.

Das Geheimnis, das mir auferlegt wurde - früher durfte ich nicht - in dem Moment des "Selbst - Erkennens" lüftete ich ein Stück, ein Teil was mir die Scham nahm.
Ich schämte mich weiter, doch beschloss ich, mir gegenüber und mir ausgewählten Personen gegenüber ehrlich zu sein. Das Tabu ist der "Öffentlichkeit" gegenüber weiterhin eins, doch immer weniger.

Konnte ich mich doch davon lösen, hat es doch soviel nicht mehr mit mir zu tun, dieses Familiengeheimnis, zumindest ein Teil davon - da gibt es so viele.
Aber darüber reden, hätte ich es nicht getan, wäre ich geplatzt - zerborsten an den Scherben die innen soviel wund schnitten.

Nun ist es bei den richtige Stellen, denen, die mich unterstützen, die mir nichts böses wollen - und da darf es sein.

Und da dürften auch die anderen Geheimnisse sein, die noch verschnürt sind - doch der Zeitpunkt ist nicht da, und das ist gut so.
Denn nun habe ich eine Wahl.
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LadyGodiva
Beitrag 28.Oct.2007 - 20:23
Beitrag #8


Strøse
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Der erste Regen war köstlichster Schmerz. Und der Durst danach ebenso. Mir ist klar, wo ich nur gedeihen kann und es haben mir auch einige ( :blumen2: ) bei der Bewässerung von Durststrecken geholfen.

Mein Lebensalltag verläuft recht familienfern, so gesehen wohne ich schon in meinem eigenen wohl klimatisierten Terrarium - anderes wäre nicht auszudenken. Es geht tatsächlich nicht mehr um die Umstände meiner Biographie, die mich im alltäglichen Leben einmal stark gehindert haben - die konnte ich dank meiner Psychotherapie recht klar identifizieren und letztenendes auch Bewältigungsstrategien ersinnen.
Allerdings gibt es durchaus nachdrücklich erwünschte Kontaktzeiten, aus denen letztenendes keine "echten" werden können, weil ich mich und so viel von meinem Wissen und Sein in der 400km-Bannzone zurück lassen muss, um überhaupt meine Füße ohne Fixierung unter den Kaffeetisch platzieren zu können.


Was ich früher, auch noch in der Ahnung, später im Wissen - pragmatisch verdrängt habe, bedrückt mich von Mal zu Mal mehr. Vor allem, wenn ich der Unerbittlichkeit meiner Familie Agonie zusehen muss und nichts von alledem ansprechen kann, weil ich damit ein von vielen schweigend akzeptiertes Kartenhaus zum Einsturz bringen und vermutlich ganz anderes, aber auch weniger schleichend-bitteres Leid ins Haus tragen würde.
Ich bin das verfleischlichte Tabu - und ja, es ist mein existenzielles Ultimatum.

Und so lange gelte ich dort als die "Verrückte", die "Exaltierte"... mit entsprechenden Reaktionen auf meine (im Vergleich zu früher nur noch sporadischen) Anmerkungen auf gegenseitige Rücksichtslosigkeiten, die letztenendes ja nur Symptom der mir bekannten fundamentalen Unstimmigkeit sind.

Einerseits bin ich froh, dem entwichen zu sein -
andererseits werde ich (fernmündlich und spätestens bei Besuchen) ausreichend involviert, um nicht postitionslos zu bleiben.
Außerdem liebe ich die mir Nahen - wohl immer unabhängig davon, was sie getan oder einfach nicht gelassen haben. Aus dieser Liebe heraus sehe ich mich verpflichtet zur Wahrheit - aus Mitleid und Vernunft ans Schweigen gebunden.
Es zerrt.
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Mausi
Beitrag 28.Oct.2007 - 20:30
Beitrag #9


Mama Maus
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Die Wahrheit - einfließen lassen in kleinen Dosen - so kann ich damit leben.
Noch!
Es stiftet noch Verwirrung und Distanz, da die Erkenntnis des Gegenübers ausbleibt.
Doch der Tag wird kommen, da sind es keine Portionen mehr.
Schrecken doch die mich zeugten zurück davor, wenn ich rede - eröffne.
Denn das Wissen wäre ja nicht da - Hohn ist es, in meinen Augen.
Die Bannmeile - tat mir gut - vor einigen Jahren - nun zieht es mich zurück.
Zurück aber nicht zu ihnen.
Dann werde ich auskommen müssen mit unter 3stelliger Bannmeile - die nächste Gradwanderung beginnt - wie auch immer sie ausgeht.
Und wenn es nötig wird, so werde ich das Geheimnis aussprechen - jedes einzelne - auf dass niemand mehr anklopft.

Ein Geheimnis ist eine Last - und eine Waffe gegen Die, die es nicht hören wollen.
Wollen sie mich zum Kampf herausfordern, werde ich sie schlagen, mit ihren eigenen Waffen.
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LadyGodiva
Beitrag 28.Oct.2007 - 20:40
Beitrag #10


Strøse
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Ich begreife mein Wissen überall in der Welt als Waffe, nur nicht im Umgang gegen jene, die mir wirklich lieb sind!

Für mich gibt es leider nicht die Frage, ob ich einen mir wenigstens sehr ans Herz gewachsenem Menschen langsam an eine für ihn wohl vernichtende, aber vielleicht auch schon lange offensichtliche und bewusst verdrängte Wahrheit heranführe. Es gibt in diesem Fall - jedenfalls in meinen Augen - nur eine binäre Lösung, die in meiner Macht liegt.
Alle anderen Lösungsmodelle wären an einer anderen Person, die sich derart in den Wahn verstrickt hat, all ihre Widersprüchlichkeiten und eben ein großes Geheimnis bis zu aller Tod zu hüten - und hat mir auch dahingehend ein Versprechen abgerungen, mich über das Geschaute nirgends zu offenbaren.
Daran bin ich gescheitert - in meinem Bannkreisdasein (das sich übrigens höchstens geographisch erweitern wird als je verengen) gehe ich inzwischen recht offen mit meinem Makel, meiner Scham um.

Nicht aber dort, wo der Ursprung meiner Macula originale liegt. Weil meine Zunge durch eben jenes Wort gelähmt ist, an dessen Konsequenz ich manchmal zu ersticken drohe.
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dandelion
Beitrag 28.Oct.2007 - 20:43
Beitrag #11


don't care
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QUOTE (LadyGodiva @ 28.Oct.2007 - 21:23)
Allerdings gibt es durchaus nachdrücklich erwünschte Kontaktzeiten, aus denen letztenendes keine "echten" werden können, weil ich mich und so viel von meinem Wissen und Sein in der 400km-Bannzone zurück lassen muss, um überhaupt meine Füße ohne Fixierung unter den Kaffeetisch platzieren zu können.
[...]
Und so lange gelte ich dort als die "Verrückte", die "Exaltierte"... mit entsprechenden Reaktionen auf meine (im Vergleich zu früher nur noch sporadischen) Anmerkungen auf gegenseitige Rücksichtslosigkeiten, die letztenendes ja nur Symptom der mir bekannten fundamentalen Unstimmigkeit sind.

:zustimm:
diese Situation bekomme ich auch ohne Tabu wunderbar hin... ich weiß, daß ich von meinen Eltern als Kind geliebt, aber wegen unserer unterschiedlichen Standpunkte gleichzeitig als Andersdenkende verachtet werde. manchmal wünschte ich mir Gleichgültigkeit, nur damit ich endlich weiß, was denn nun.

Zunächst mal: Du kannst so sehr stolz auf dich sein :blumen2: Hinter all dem steckt unheimlich viel Arbeit, zeigt sich sehr sehr viel Kraft (gilt u.a. auch für Mausi, ich finde die Entwicklung wirklich stark! :zustimm: )

Kurz gesagt, deine Familie hat sich für das langsame Siechtum entschieden, weil es die Illusion erlaubt, das bißchen konstante Verschärfung der Situation vollends zu leugnen, wenn man nur die zeitlichen Scheuklappen genügend festzurrt... Vielleicht merkst du es auch deshalb stärker, weil für dich die größeren Intervalle die Verschlimmerungen markanter werden lassen.

Wofür ich dich bewundere, das ist die Kraft, auch weiterhin die Konfrontation zu suchen. Wäre ich in einer ähnlichen Situation, würden sich meine Beiträge zum Dialog wohl endgültig auf "aha", "ja", "kann sein" ("nein" geht ja nicht) und "schönes Wetter heut" beschränken. Insofern: allerhöchsten Respekt!

Wie allerdings man ein Näheverhältnis aufrechterhält, in dem ein stummer Vorwurf immer mitschwingt, kann ich dir nicht sagen, dafür ist mein Rückwärtsgang aus diesen Lagen zu kräftig :blumen: ich wünsche dir einfach nur Kraft und viel viel mehr Zeit für die Streifzüge im Seelendschungel ;)
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Mausi
Beitrag 28.Oct.2007 - 20:49
Beitrag #12


Mama Maus
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Wenn mir keine Wahl bleibt, wenn ich zu ersticken drohe an der Enge, die mir gemacht wird, so muss ich diese Waffe einsetzen.
Allerdings wirklich als letztes Mittel - zumeist eher nicht, außer der Worte des Gegenübers waren zuviel und die vorgespiegelte Warheit entspricht nicht der, die wirklich geschah und mich direkt betraf.
Und vielleicht hat es sich wirklich verändert - oder ich gebe nicht Preis wo ich denn wirklich bin.

Eine Konsequenz kann schnüren, die Luft abdrücken - manchmal, so muss man sie wohl lockern - wenn man es kann.
Ein Versprechen ist bedeutsam, brechen sollte es niemand - außer der Schaden der eigenen Person wiegt höher.
Ich kann verstehen, dass es zum Schweigen verdammt - doch das Abwägen - ob man lieber sich selbst verdammt oder den, der,das Geheimnis geschaffen hat - sollte irgendwann eintreten.
Wenn dies nicht eintritt - so nähert man sich dem langsamen Tod - dem Tod der Seele, die überquillt vor Schmerz, der nicht erhört werden darf.

Schmerz - der wirksamste Begleiter von Tabus - der immer daran erinnert wer man ist, was man war und wer man sein wird - sollte man ihm nicht entrinnen können.

edit:@ Dand - dankeschön :roetel: - Vielleicht können deine Eltern irgendwann akzeptieren, dass du bist wer du bist - ansonsten - wichtig ist, dass du weißt wer du bist - oder auf dem Weg zu Dir bist! :knuddel:

Der Beitrag wurde von Mausi bearbeitet: 28.Oct.2007 - 20:52
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dandelion
Beitrag 28.Oct.2007 - 21:11
Beitrag #13


don't care
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QUOTE (Mausi @ 28.Oct.2007 - 20:49)
das Abwägen - ob man lieber sich selbst verdammt oder den, der,das Geheimnis geschaffen hat - sollte irgendwann eintreten.

*heftig nickend vor dem Bildschirm sitz*
:wacko: *davon Kopfschmerzen krieg*
*nicht mehr nick und trotzdem zustimm* :D
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Gänseblümchen
Beitrag 28.Oct.2007 - 21:47
Beitrag #14


zur Blume mutierend
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Ein sehr schöner Thread.

Mein eigenes Bündel: Klein, vergleichsweise leicht, und zuweilen doch stechend schmerzhaft. Schmerzhaft auch, zu erkennen, dass nicht nur die Eltern sind, die dafür verantwortlich sind. Zeige ich Personen, die mir etwas bedeuten, einen Teil meines eigenen Päckchens, ist deren Reaktion auch ein Indikator dafür, wie viel Grundlage die Beziehung hat. Oft erfahre ich viel Behutsamkeit im Umgang damit, und dazu noch wie selbstverständlich etwas von den Bündeln der anderen. Das fasziniert und freut mich immer wieder.

Sicher liegt’s auch am zunehmenden Alter und der abnehmenden Naivität: Aber erst auf meinem beginnenden Weg zur „hauptberuflichen Bündeltragehilfe“ entdeckte ich, wie gut mensch seine Päckchen verschnüren und verbergen kann. Oftmals verstecken sie sich, wo sie am wenigsten vermutet werden. Oder sie werden nur pseudo-gezeigt, nach dem Motto: Sieh her, ich zeig dir mein Bündel mal von weitem – aber fass es bloß nicht an!

Bei aller Trennung von Beruf und Privatleben, und gerade weil ich (dem Berufsklischee zum Trotze) keine Gedanken lesen kann: Natürlich machen mich diese Erkenntnisse auch in meinen anderen (auf Gegenseitigkeit beruhenden) zwischenmenschlichen Beziehungen vorsichtig. Gleichzeitig, mit zunehmender Sicherheit meiner eigenen Feinfühligkeit und Vertrauenswürdigkeit gegenüber, wächst mein Mut, nachzuhaken. Zielgesteuertes Umgehen jedes potentiellen Tabuthemas finde ich ab einem gewissen Zeitpunkt peinlicher, als die alten Geschichten mal behutsam auf den Tisch zu bringen. Gelänge dies nicht, würde ich dann doch zweifeln, was der Person an mir liegt.
Nervig finde ich auch (das ist eher in der Verwandtschaft als im Freundeskreis der Fall), wenn andere immer wieder jammern und jammern und jammern über die Last ihres Pakets, ohne es genauer anschauen, auspacken, oder sich sonst irgendwie konstruktiv damit auseinandersetzen zu wollen.
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DerTagAmMeer
Beitrag 29.Oct.2007 - 08:31
Beitrag #15


Adiaphora
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QUOTE (LadyGodiva @ 28.Oct.2007 - 20:23)
Vor allem, wenn ich der Unerbittlichkeit meiner Familie Agonie zusehen muss und nichts von alledem ansprechen kann, weil ich damit ein von vielen schweigend akzeptiertes Kartenhaus zum Einsturz bringen und vermutlich ganz anderes, aber auch weniger schleichend-bitteres Leid ins Haus tragen würde.

So manches Kartenhaus hat sich nach offenen Worten als Bollwerk erwiesen. Der Knall bleibt aus - man findet sich im Stillen wieder: geschwind und unauffällig unter den Teppich gekehrt.
Tabus sind mächtig - oft mächtiger als das Totemtier. Denn das wird geopfert um der Gemeinschaft willen.
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Bilana
Beitrag 29.Oct.2007 - 08:56
Beitrag #16


Capparis spinosa
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QUOTE
Daran bin ich gescheitert - in meinem Bannkreisdasein (das sich übrigens höchstens geographisch erweitern wird als je verengen) gehe ich inzwischen recht offen mit meinem Makel, meiner Scham um.


Ist es wirklich ein Makel? Und woher kommt die Scham?
Wie kann ein Geheimnis, das in dir erzeugt wurde, das dir auferlegt wurde IN DIR Scham auslösen?
Ich glaube, die Scham, der Glaube es sei ein Makel, gehört mit zum falschen Spiel. Ohne das würde das falsche Spiel gar nicht erst funktionieren. Jedes Leck muss gestopft sein und das geht ganz vortrefflich mit Scham. (Wie sehr kann die einen doch, gegen den eigenen bewussten Willen zum Schweigen bringen.)
Ich glaube die erste Stufe ist, darüber zu reden, trotz der Scham. Es ist die schwerste, aber wichtigste Stufe. Reden gegen die Trockenheit und die Enge. Wirkliches Reden für Lebendigkeit und Nahrung und kein Pseudo-Zeigen.
Ich hoffe (auch für mich selbst), das daraus irgendwann eine tiefe Erkenntnis entsteht, das die Scham eben wirklich bei der Päckchenträgerin unangebracht ist. Das es kein Makel ist, sondern Stärke dieses Päckchen zu tragen und TROTZDEM (irgendwann) frei zu sein.


Ich habe es erlebt, das im Angesicht eines Kreises gesagt wurde es habe Ecken. Ja es ist wahnhaft. Es macht mich hilflos. Ich kann daran nichts ändern. Manche Tabus sind wie Bollwerke. Man wird die Pyramiden oder das Taj Mahal (alles Mausoleen in der Wüste) nicht einreißen können. Es sollen die dorthin gehen, die langsam siechend sterben wollen.
Man selbst kann sich auf den Weg machen, dahin wo warmer Regen und Schweiß einem die Kleider tränkt. Wo es Nahrung und Leben im Überfluss gibt und wo die Bauwerke ungleich einfacher, aber heimeliger sind.
Alleine muss man nicht gehen, es gibt offenbar genug Weggefährtinnen und auch Bündeltragegehilfinnen. Und zur Stärkung, als Vorgeschmack kann frau sich ja einen Teller leckerer Papaya und Mangos mit Joghurt und Honig oben drauf gönnen.
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shark
Beitrag 29.Oct.2007 - 14:07
Beitrag #17


Strösenschusselhai
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Vor zwei Generationen wurde das traurig festgezurrte Netz gewebt.
Verstaubt und kaum noch in der Lage, das schwere Geheimnis zu hüten, das längst ein leidlich offenes ist, hat es Fäden verloren, die sich dem Heute um die Füße wickeln.
Kaum spürbar manchmal, doch auch als Stolperfalle schon schmerzhaft gefühlt von jenen, die - ohne zu verstehen - ahnen, wieviel Macht das nagelneue Geheimnis damals gehabt haben muss.

Den "Bastard" von einst trage ich nur zu einem Viertel - und doch bleibt ein Rest Unwissbares, ein Quentchen Verschwiegenes, ein Hauch Tabu auch an mir hängen.

Gewiss: es fühlt sich anders an für mich, als für die WeberIn vor 60 Jahren - ihr Tabu muss mir keines mehr sein - gleichsam "verjährt" scheinen Schuld und Schande...

Und doch bleibt die Faszination des angewidert-neugierigen Blickes durch die Maschen auch meiner Geschichte.

Ich schleppe das verschnürte Päckchen nicht; es wird vor mir hergezogen, über den Boden geschleift und ich kann nur beiseite treten, um selbst eine Spur zu hinterlassen; eine, die mit dem Geheimnis so wenig wie möglich gemein hat.



shark
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dandelion
Beitrag 29.Oct.2007 - 15:16
Beitrag #18


don't care
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QUOTE (Bilana @ 29.Oct.2007 - 08:56)
QUOTE
Daran bin ich gescheitert - in meinem Bannkreisdasein (das sich übrigens höchstens geographisch erweitern wird als je verengen) gehe ich inzwischen recht offen mit meinem Makel, meiner Scham um.

Wie kann ein Geheimnis, das in dir erzeugt wurde, das dir auferlegt wurde IN DIR Scham auslösen?

Die Frage stelle ich mir insofern auch, als es dafür nun wirklich keinen Grund gibt :blumen: im Gegenteil.
Andererseits fragt man sich angesichts unsinniger Kritik doch öfter als es die Sache wert ist, ob diese Kritik nicht doch begründet ist... :troest: und das ist sooooo Häufchen. :(

Ein klares "Nein" auf diese Frage ist in diesem Kontext bei Bedarf abzuholen in Köln-Nordwest :knuddel: Auf Wunsch mit Schleifchen.
Ich wünsche dir die Distanz, die dir die Situation als Bedingung für ein friedliches Fortbestehen abverlangt, und aus der heraus euer Miteinander vielleicht besser funktioniert. :cheerlead:
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McLeod
Beitrag 30.Oct.2007 - 09:47
Beitrag #19


mensch.
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Ich habe lange drüber nachgedacht, ob ich etwas Sinniges beitragen kann. Ich merke an den verklausulierten, codierten, verschleiernden Formulierungen, wie tabu die Tabus von so mancher hier sind. Und es erinnert mich an die Zeit, in der ich ebenso verschwiegen geredet habe.

Mittlerweile finde ich mich ziemlich tabulos. Vorbei auch die Zeit, da sie aus mir herausbrachen und ich ohne Rücksicht auf (eher: ohne Gefühl für) die jeweilige Situation das Schweigen (und sei es das verschwiegene Reden gewesen) sein ließ.

Jetzt ist es so, dass ich die Karten auf den Tisch lege, weil ich nicht mehr auf mein Gegenüber vertrauen muss, dass es "gut geht". Ich vertraue mir selbst genug. Ich hab so viel gesehen in meiner Familie und in meinem eigenen Leben. Alkoholsucht, Missbrauch, Intrigen, verschwiegene und öffentliche Affairen, Depressionen, Klinikaufenthalte, Schnitte, verkrachte und abgetrennte Familienzweige. Und es gibt kaum ein Gegenüber, das nicht auch eines oder mehrere (oder mehr als diese) Tabus davon kennt, erlebt hat, lebt.

Manchmal, in kleinen kostbaren Momenten öffnen sich hier und drüben die Türen. Das heißt nicht, dass eine wöchentlich tagende Selbsthilfegruppe daraus würde. Das einzige, was ich bieten kann ist das meist neue Wissen: Du bist nicht allein.

Was ich ganz neu entdecke ist die Fähigkeit, Tabubrüche zu begleiten oder anzustoßen. Ganz innerfamiliär. Ich schäme mich nicht für ein einziges Tabu innerhalb meiner Familie (mit meinen eigenen bin ich da hier und da noch nicht ganz so weit, ich bin nicht heilig ;o) ). Ich bin mir selbstverständlich geworden. Und so konnte es meine Familie und so konnten es unsere Tabus werden. Ist das noch irgendwie verständlich? Ich habe ein Gefühl bekommen für die Situation und für die Zeit, die vieles braucht. Ich bin trotzdem ungeduldig. Doch gezügelt.

Als ich 20 war merkte ich, dass ich schon die Hälfte meines Lebens ein großes Tabu mit mir herumtrug. Dass mich jeden Tag verfolgte, dass mich nicht in Ruhe ließ. Ich beschloss, dass das aufhören müsse. 50% sind seitdem meine fast magische Grenze des Tabu-Ertragens. Eine halbe Partnerschaftszeit etwas mit mir herumtragen... höchstens. Mittlerweile habe ich mehr als mein halbes Leben ohne dieses Tabu von damals verbracht. Ein gutes Gefühl. Ich habe sehr viel mehr gewonnen, als verloren. Die Verluste waren kurzfristiger Natur oder sogar reversibel. Und seit ein paar Wochen freue ich mich drauf, welche Rolle mir in meiner Familie zugedacht ist. Gerade in Hinblick auf die Tabus.

Das ist alles, was ich beitragen kann.

McLeod

Der Beitrag wurde von McLeod bearbeitet: 30.Oct.2007 - 09:47
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Weissdorn
Beitrag 30.Oct.2007 - 13:02
Beitrag #20


Naschkatze
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QUOTE (McLeod @ 30.Oct.2007 - 09:47)
Als ich 20 war merkte ich, dass ich schon die Hälfte meines Lebens ein großes Tabu mit mir herumtrug. Dass mich jeden Tag verfolgte, dass mich nicht in Ruhe ließ. Ich beschloss, dass das aufhören müsse.

McLeod

Ich war Mitte 30, als ich langsam Begriff, dass ich a) wenigstens ein Tabu mit mir trage und b ) wie dieses meinen Alltag beeinflusst. Heute, Mitte 40, nach erfolgreicher Therapie, was immer erfolgreich sein mag, nach innigster Selbstreflexion und dem Versuch gegenzusteuern, es jetzt nun anders und gut zu machen, ertappe ich mich immer einmal wieder bei der Frage, war es das wirklich oder gibt es da etwas, was so Tabu ist, dass ich es bis heute nicht einmal erahnen darf.
Und mit Blick auf meine Eltern, die Zeitzeugen, die mittlerweile vom Krebs zerfressen und körperlich so steif und zerfallen, dass sie sich kaum noch bewegen können, frage ich mich, welches Recht ich haben sollte, sie zu konfrontieren mit Wirklichkeiten, die sie bisher nicht zugelassen haben. Die Kunst besteht wohl für mich darin anzuerkennen, dass ihre Erinnerung und ihre Wahrheit eine andere ist, als die meine.
Das gelingt mir offengestanden heute noch lange nicht. In Momenten, in denen ich mich unausgeglichen und schwach fühle, sind es Worte, Gesten, Bewegungen, die in mir alles andere als liebevolle Zuwendung und Pflege wachrufen und im Nachklang bin ich dann einmal mehr traurig darüber.

weissdorn
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McLeod
Beitrag 30.Oct.2007 - 13:34
Beitrag #21


mensch.
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QUOTE (Weissdorn @ 30.Oct.2007 - 14:02)
Die Kunst besteht wohl für mich darin anzuerkennen, dass ihre Erinnerung und ihre Wahrheit eine andere ist, als die meine.

Ein weises Wort gelassen geschrieben.

Vertraue Deiner Wahrheit und Erinnerung. Sie bleibt Dir verlässlich und das ist hilfreich.

McLeod
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LadyGodiva
Beitrag 31.Oct.2007 - 20:51
Beitrag #22


Strøse
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Leider ist es eben nicht immer so, dass sich Wahrheit in der Großzügigkeit der Auslegung relativieren darf. :(
Wenn zum Beispiel Wissen aus den verschiedensten und unterschiedlich glaubhaft oder nachvollziehbaren Gründen vorbehalten wird - und ohne dieses Wissen Schlüssel zu Türen eigener, ungeschauter Lebensräume vielleicht für immer verloren gehen.

Marienkind, schon als Mädchen eines meiner Lieblingsmärchen. :rolleyes:
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dandelion
Beitrag 31.Oct.2007 - 21:25
Beitrag #23


don't care
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QUOTE (LadyGodiva @ 31.Oct.2007 - 20:51)
Marienkind, schon als Mädchen eines meiner Lieblingsmärchen. :rolleyes:

wie wahr, wie wahr... :rolleyes:

in meiner Familie läuft das genau umgekehrt - oder lief es in der kürzlich beendeten Generation. Geschichten erzählen, Geschichte weitertragen... Sie hat über mehrere Länder eine Gemeinschaft damit gewoben, damit wir uns wiederfinden, wenn sie als Bindeglied nicht mehr ist.
Aber auch das hat nicht zu sehr geholfen: vieles, was verstehen geholfen hätte, ist unwiederbringlich verloren - durch das reine Nichtwissen der folgenden Generation.

So gesehen verstehe ich deine Traurigkeit einerseits sehr gut :troest: , kann dir andererseits aber auch versichern: es löst ganz sicher nicht alles :blumen2:
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Mausi
Beitrag 31.Oct.2007 - 21:32
Beitrag #24


Mama Maus
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QUOTE (Weissdorn @ 30.Oct.2007 - 13:02)
Die Kunst besteht wohl für mich darin anzuerkennen, dass ihre Erinnerung und ihre Wahrheit eine andere ist, als die meine.
Das gelingt mir offengestanden heute noch lange nicht. In Momenten, in denen ich mich unausgeglichen und schwach fühle, sind es Worte, Gesten, Bewegungen, die in mir alles andere als liebevolle Zuwendung und Pflege wachrufen und im Nachklang bin ich dann einmal mehr traurig darüber.

*traurig nick*

Oder Gesten, die liebevoll gemeint sind - die jedoch nicht angenommen werden können, weil sie die Erinnerung an Vergangenes wach rufen.

Dabei wäre es heute wohl ungefährlich, aber die Intensität des Ganzen kann ich nicht ertragen - zu sehr habe ich es anders erfahren - von den selben Menschen, die fähig waren sich zu ändern (wenigstens etwas) - nachdem ich mich änderte.
Und die fähig sind zu vergessen, was ich mühevoll erinnern muss, um wenigstens einen Teil meiner Selbst zu finden.

Und oft stelle ich mir die Frage: "Wieso musste ICH die sein, die sich ändert, bevor die anderen sich änderten?"
Und dann klebt die Traurigkeit an mir, dass der Motor einer Familie, eines mehr als fehlerhaften Konstrukts, zu sein - als Kind schon - mich für das Leben geprägt hat - und egal was ich tue, wird es weiter an mir kleben.

Der Beitrag wurde von Mausi bearbeitet: 31.Oct.2007 - 21:33
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Sin
Beitrag 31.Oct.2007 - 22:32
Beitrag #25


Manche Sünde ist es wert, begangen zu werden.
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QUOTE (Bilana @ 29.Oct.2007 - 09:56)
QUOTE
Daran bin ich gescheitert - in meinem Bannkreisdasein (das sich übrigens höchstens geographisch erweitern wird als je verengen) gehe ich inzwischen recht offen mit meinem Makel, meiner Scham um.


Ist es wirklich ein Makel? Und woher kommt die Scham?
Wie kann ein Geheimnis, das in dir erzeugt wurde, das dir auferlegt wurde IN DIR Scham auslösen?
Ich glaube, die Scham, der Glaube es sei ein Makel, gehört mit zum falschen Spiel.

...

Ich hoffe (auch für mich selbst), das daraus irgendwann eine tiefe Erkenntnis entsteht, das die Scham eben wirklich bei der Päckchenträgerin unangebracht ist. Das es kein Makel ist, sondern Stärke dieses Päckchen zu tragen und TROTZDEM (irgendwann) frei zu sein.

.




Liebe LG!

Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen als Bilana es tut und das Päckchen, welches du mit dir herumträgst, da abgeben, wo es hingehört. Nämlich zu den Menschen deiner Familie. Du trägst etwas, für was du nicht verantwortlich bist und niemals sein wirst. Gib diese zurück und nimm dafür das Recht auf dein Leben.

Du hast ein Recht auf deinen Dschungel.

Kein menschliches Handeln ist fehlerfrei und unvollkommen. Menschen machen Fehler. Wenn diese als Frucht dein Sein tragen, so hat dies doch nurmehr als Wurzel mit dir zu tun, aber keinesfalls mit deinem Weg, der vor dir liegen könnte. Sozusagen ist dies eine Art "zweite Generation"...
Deine innere Haltung, dein Recht auf ein Leben, ist mächtiger als die äußere Bedingung, als die Vorgaben deiner Umwelt. Nimm dies an, lass die Verantwortung da wo sie hingehört und entdecke, was du sein kannst.

Ich selbst habe genug von Geheimnissen und TABU`s. Ich kann all diese Dinge nicht ändern. Ich habe für mich gelernt, meine Position selbst den Dingen gegenüber zu ändern. Meine Einstellung und meine innere Einstellung. Ich lernte, die Verantwortung für den Grund meines Seins da zu lassen, wo sie hingehört...
Die Lebensspuren in mir aus diesen Erfahrungen und diesen Prozessen haben nicht verhindert, mir mein Leben selbst zu gestatten und mich nicht vor mir selbst zu verschließen.

Verzichte nicht auf dich, auf deinen Dschungel.
Du bildest dir vielleicht ein zu wissen, was du anderen schuldig bist und trägst ein Paket, welches nicht dir gehört. Aber weißt du denn auch, was du dir selber schuldig bist?

Verzichte nicht...


Ganz liebe Grüße
Sin :blumen:

Der Beitrag wurde von Sin bearbeitet: 31.Oct.2007 - 22:33
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janis
Beitrag 09.Nov.2007 - 13:15
Beitrag #26


Gut durch
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@LG:

ein versprechen sich abringen zu lassen, abgerungen bekommen gilt in meinen augen nicht für die ewigkeit, sondern nur so lange, wie DU bestimmst, dass es noch Gültikgeit hat. Stell Dir vor, Du hättest nie ein solches Dir abverlangen lassen. Wie würdest Du handeln?
Die Leichen im Familienkeller werden häufig umgebettet und leben auch noch über Generationen hinweg. Das Leid endet so nie, sondern wird weiter gegeben.
Es muss nicht mit jenen geklärt werden, die dafür verantwortlich sind. Das ist nur eine möglichkeit unter anderen. Auch z.b. ein ritual räumt auf oder eine innere Entscheidung. In dem Moment, in dem Du Deinen weg gefunden hast damit umzugehen, wirst Du freier sein, egal, was Dein Umfeld macht. davon bin ich überzeugt. aber solange Du dem inneren Ringen statt gibst, wird es zerren und nagen.

l(iebe) g(rüße) an LG
janis
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janis
Beitrag 14.Nov.2007 - 12:10
Beitrag #27


Gut durch
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Ich habe doch hoffentlich nicht mit meinem beitrag dafür gesorgt, dass das gespräch verstummt. das täte mir leid!!!!

janis
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LadyGodiva
Beitrag 14.Nov.2007 - 13:17
Beitrag #28


Strøse
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Neinein, um Himmels Willen; mein Herbst ist derzeit nur ein wenig exogen zu bunt, um mit Muße auf die einzelnen Anregungen einzugehen. :blumen2: Ist ja eigentlich ein universales Thema. Schuldempfinden, Familienlast, jahrelange Schockstarre.
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McLeod
Beitrag 03.Feb.2017 - 11:46
Beitrag #29


mensch.
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ZITAT(McLeod @ 30.Oct.2007 - 09:47) *
Ich habe lange drüber nachgedacht, ob ich etwas Sinniges beitragen kann. Ich merke an den verklausulierten, codierten, verschleiernden Formulierungen, wie tabu die Tabus von so mancher hier sind. Und es erinnert mich an die Zeit, in der ich ebenso verschwiegen geredet habe.

Mittlerweile finde ich mich ziemlich tabulos. Vorbei auch die Zeit, da sie aus mir herausbrachen und ich ohne Rücksicht auf (eher: ohne Gefühl für) die jeweilige Situation das Schweigen (und sei es das verschwiegene Reden gewesen) sein ließ.


Jener Herbst 2007... Aufbruchstimmung, das Gefühl von Freiheit, freier Wahl, freier Entscheidung. Viel gute Bewegung in den Familienzweigen, so schien es mir. Ich war ein lebendiger Netzwerkknoten und wie schon gewohnt ein Katalysator.

Im Januar 2015, in einem Trümmerfeld, wache ich auf und sehe plötzlich rote Fäden, die das GroßeTabu™ meines eigenen Lebens in mir wirkte. Wie gefesselt ich war, in meinem Handeln, auch wenn die Worte längst schon möglich waren.

Zum Jahresanfang 2017 wird überdeutlich, in unserem Patchwork-Baum haben sich die Stämme und ich getrennt. Wo ich einst Katalysator war, will ich diese Kraft nicht mehr sein. Sollen die Anderen sich um sich selbst bemühen. Ich schaue seit 2 Jahren und einem bisschen, ob ich mir selbst Katalysator sein kann. Mir bleibt noch ein neu-erblühter kleiner Zweig. Im Herbst 2007 erstmals ins Wasser gestellt und in den Tagen nach der Januar-Erkenntnis 2015 nochmal...

Ich lese hier und spüre, wie mein Nacken, meine Schultern und hinab den Rücken entlang sich viele Stellen verspannen an so mancher Stelle Text.

Ich war mir selbst tabu. So sehr, dass ich es selbst nicht merkte. Da war kein Raum für besorgte Fragen oder drängende Wünsche meines Gegenübers: "Müsstest Du da nicht mal bei Dir schauen, was ist...?"

Der Grat zwischen Invasion und Katalysieren ist fein und scharf. Vielleicht war ich auch für die Meinen eine Invasion... Tabus sind fester gebaut, als mensch denkt. dtam hat es so treffend bemerkt. Nicht jedes, vielleicht. Aber einige erlebte ich so. Erst der Tod machte sie ein bisschen beweglich.

Ich schaue zurück und sehe: ein halbes Leben war es wieder. Es war wohl an der Zeit. 10 - 20 - 40... Was ich jetzt löse, heile, erkenne, zulasse... mit 80 werde ich es wohl erneut erleben. Wenn das Leben einen Rhythmus hat, eine verborgene, mystische Vereinbarung mit der Zeit. Wenn nicht --- auch egal. Ich habe immer nur das Jetzt und trage täglich 24 Stunden mehr von dem, was war.

Ich frage mich, wie ich all das tragen konnte...? Alles hat seine Zeit. Und hier zu lesen reichert die Erinnerungen an, die verwaschen, verkürzt und/oder verschwunden waren.

McL
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