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Beitrag
#1
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Capparis spinosa ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Gruppe: Members Beiträge: 3.143 Userin seit: 25.08.2004 Userinnen-Nr.: 97 ![]() |
Ein plötzlicher Tod, wie geht mal real(istisch) damit um? Das ist seit sehr langer Zeit ein Thema von mir, es begleitet mich seit meiner Kindheit.
In den vergangen Monaten und Jahren habe ich versucht mir eine Einstellung dazu zu erarbeiten, mit der ich leben kann. Verstehen, dass der Tod zum Leben dazu gehört. Im letzten Jahr habe ich einen Menschen verloren, der mir wichtig war. Es war sehr traurig, aber irgendwie ok. Der Mensch war weit über 80, seine Zeit war wohl gekommen. Ich habe getrauert, aber es war okay. Heute ist etwas geschehen, was ich nicht begreifen, erfassen kann. In der Bahn vor mir oder auf dem Bahnsteig heute Morgen starb ein Mann. Ich denke, er starb. Die Rettungskräfte noch mit ihm beschäftigt, aber ich denke nicht das sie ihm noch helfen konnten. Es hatte wohl schon zu lange gedauert, denke ich. Es ist auch nicht das erste Mal, dass ich so etwas erlebe. Menschen sind plötzlich tot und alle anderen machen bewusst auf „business as usual“. Je plötzlicher der Tod um so „normaler“ geben sich die Leute. Auf dem Bahnsteig haben einige wenige in Richtung des tragischen Geschehens geguckt. Die meisten wirkten so unnormal, normal. Züge fuhren rein und raus, Menschenströme stiegen um, gingen vorbei. Klar, habe ich auch gemacht, einfach umsteigen. Gibt eh nichts zu tun. Die Rettungskräfte waren ja schon da. Ich kann damit nicht umgehen, denke ich. Weiß eigentlich gar nicht was ich denken soll. Merke nur wie die alte Angst wiederkommen. Als es im Büro meiner Chefin heute Vormittag so still war, kein Tippen, keine Telefonate, kein Gekrame wie sonst, musste ich gucken gehen ob sie noch da ist, ob sie noch lebt. |
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Beitrag
#2
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verboden vrucht ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Gruppe: Members Beiträge: 2.903 Userin seit: 16.07.2005 Userinnen-Nr.: 1.862 ![]() |
Liebe Bilana, ich möchte dir statt schlauer Ratschläge, die ich nicht habe, einfach erzählen, wie meine bisherigen "plötzlichen", d.h. mich überraschenden Zusammenkünfte mit Gevatterin Tod waren.
Ich bin ihr bisher dreimal in meinem Leben hautnah begegnet. Das erste Mal war mit 16: Ich habe als Sommerferienjob im Kreiskrankenhaus um die Ecke geputzt. Zimmer für Zimmer auf einer Station für "Innere Medizin". Fünf mal pro Woche klopfen, grüßen, Putzgestell reinfahren, staubwischen, fegen, währenddessen manchmal ein Pläuschchen halten, nass wischen, trocken nachwischen, "Tschüß, bis morgen/Montag." Oder: "Alles Gute zuhause." Je nachdem. Manchmal schliefen die Patienten, und antworteten nicht auf mein Klopfen. Geputzt werden musste trotzdem. Die sehr alte Frau vom letzten Zimmer links antwortete auch nicht. Irgendein Teil in mir wusste sofort, dass sie nicht mehr lebte. Mein Herz klopfte ziemlich doll. Übersprungsmäßig wischte ich Staub. Immer langsamer. Dann ging ich hin. Lauschte, ob da Atem war. Nein, war nicht. Etwas in mir war ganz unruhig. Und etwas anderes war ganz ruhig. Ich legte der Frau meine Hand auf´s Brustbein. Sie war noch warm. Ich redete irgendwas mit ihr. Ich weiss noch als wäre es gestern gewesen, dass ich selbst erstaunt war darüber, dass ich sie duzte. Dann putzte ich weiter. Bevor ich ging, verabschiedete ich mich. Ich meldete es nicht im Stationszimmer. Als ob sie mir gesagt hätte: "Lass mir noch Zeit." Dann kam die gegenüberliegende Korridorseite dran. Ungefähr eine halbe Stunde später Wirbel auf der Station: "Frau Soundso ist tot." "Haben Sie nichts gemerkt?" "Nö." Kaum zehn Minuten später wurde sie mit einer zugedeckten Rollbahre rausgekarrt. Das zweite Mal war ich über dreissig. Es war die Schlaganfallpatientin, die ich ambulant mitbetreute. Nach dem ersten Schlag hatte sie sich nochmal gut berappelt, und war wieder mit ihrem Gehwagen rumgedüst. Der zweite hatte sie mächtig niedergestreckt, sie halbseitengelähmt und sprachlos zurückgelassen. Sie wollte nicht mehr. Die Teamchefin setzte dennoch alle Zeichen auf Mobilisation. Es war eine Qual. Für die Patientin und für mich. Sie mochte nichts mehr essen, das Püree mit Soße auf Rädern landete regelmäßig auf dem Bettlaken und dem Fußboden. Sie schlug es mir aus der Hand, wo sie nur konnte. An physiotherapeutische Übungen war auch nicht wirklich zu denken. Sie weigerte sich auf ganzer Linie. Um sich dann doch wieder zu bemühen - aber nicht für sich, sondern für uns. Ihr Blick dabei sagte immer nur: "Ach, lasst mich doch!" Es war ein unglaublicher Kampf. Und es kam mir so anmaßend vor, sie gegen ihren Willen wieder "fit" machen zu wollen. Aber nun gut - so waren die Vorgaben. Das machte ich eine Weile mit. Doch irgendwann änderte ich den Kurs. Eines Tages stellte ich mich vor ihr Bett, und sagte: "Frau ..., wissen Sie was? Sterben Sie doch einfach, wenn Sie das wollen. Für mich brauchen Sie sich nicht mehr anzustrengen. Sie dürfen loslassen." Dann zog ich los, und kaufte ihr einen Strauss weisser Nelken. Ich wusste, dass sie sie besonders mochte. Seit Wochen hatte Frau ... nur noch gelallt. Die Logopädin erzielte keinerlei Fortschritte mit ihr. Als ich ihr die Nelken in einer Vase ans Bett brachte jedoch, da sagte sie "Schön!" Laut und deutlich. In der Nacht darauf fiel sie ins Koma. Dicker Schleim begann ihr aus den Atemwegen zu quellen. Literweise. Sie röchelte und stöhnte - und ich versuchte, sie so gut es ging von dem Schleim zu befreien. Eines Abends kam ich in die Wohnung - und es war still. Ich trat an ihr Bett, setzte mich zu ihr, legte die Hand auf ihr Herz. Es schlug noch. Ich ließ die Hand ganz leicht liegen, streichelte mit der anderen ihr Haar. Der Herzschlag wurde weniger. Und dann kam keiner mehr. Bis ich den Arzt rief verging bestimmt eine Stunde. In der Zwischenzeit, bis zu seinem Kommen, stellte ich alle Kerzen auf, die ich finden konnte. Es waren bestimmt 20 oder 30, kleine und große, dicke und dünne, Stumpen und Teelichter. Der Arzt war ein kaltschnäuziger Idiot, der mich angeätzt anzickte, mich anschnauzte: "Halten Sie mal!", Frau ... hochzog, mir die Tote in die Arme kippte - um sie am Rücken abzuhören. Nach 10 Minuten war der Totenschein ausgestellt, und der Idiot verschwunden. Mein Ablöse-Kollege schloss die Tür auf. Ich empfing ihn im Wohnungsflur. Wir kannten uns gut, und mochten uns. Schweigend saßen wir zu zweit mehrere Stunden bei ihr. Irgendwann rief ich das Bestattungsunternehmen an. Mein Kollege musste los. Wir verabredeten uns für später beim Inder zum Essen. Die Bestatter kamen recht schnell. Zack! Rein in´n Metallsarg mit Frau ...´s Leichnam. Und ab durch die Mitte. Ihre Seele blieb noch da. Ich sagte ihr "Tschüß. Gute Reise." Und verließ die Wohnung. Meine Liebste kam mit zum Inder. Wir plauderten und lachten viel. Es war ein schöner Abend. Das dritte Mal war wenig später, im Urlaub auf Gozo. Ich hatte morgens beschlossen, zu Fuss zum mehrere Kilometer entfernten rotsandigen Strand zu gehen. Allein. Eine wunderschöne, geradezu magische Küstenwanderung bei windigem Sonnenwetter. Dort, am Strand, warteten meine Liebste und zwei befreundete Familien schon auf mich. "Gut, dass du da bist - wir haben uns schon ein bisschen Sorgen gemacht." Vor Schwimmengehen wurde gewarnt. Zu aufgepeitscht war das Wasser, zu tückisch die Felsen bei diesem Wellengang. "Bleibt im flachen Wasser, wenn überhaupt!" wurde den Leuten am Strand eindringlich geraten. Ein paar Männer - Deutsche - schlugen die Warnungen in den Wind. Und mit einem Mal fehlte einer. Seine Kumpels kamen aufgeregt vom Schwimmen. Er war bei den Felsen geblieben. Ein Raunen, ein Hoffen, ein Bangen verbreitete sich in Windeseile über die Bucht. Nie werde ich das Rattern des Rettungshubschraubers vergessen. Nie die Atmosphäre, die all unsere Herzen umkrampfte. Alle starrten auf den Hubschrauber, der dort hinten in der Luft stehen blieb. Zwei Taucher sprangen in die Fluten. Die Hubschraubergeräusche hallten in den Felsen. Wenig später: "Etwas" wurde zusammen mit den Tauchern per Seil in den Hubschrauber gezogen. Sie flogen zu einem der oben abgeflachten Felsen. Wir hielten fast den Atem an. Die Minuten vergingen im Zeitlupentempo. Es war kühl geworden. Der Wind zerrte an unseren Klamotten. ... Und dann kam der Hubschrauber zum Strand geflogen. An einem Seil schwebte einer der Taucher. Er hielt etwas wie ein dickes Brett vor sich. Es ging ganz schnell. Nein, es war kein Brett. Natürlich nicht. Es war ... ein Mensch. In Badehose. Der Taucher wurde am Strand abgesetzt. Er legte den Menschen in den Sand. Und bedeckte ihn mit einem Tuch. Meine Liebste fing an zu schluchzen. Ebenso eine der Freundinnen. Ich stand wie gelähmt. Mir war kalt. "Bitte um Segen für ihn. Bitte um eine gute Reise. Versuch, seine Seele ein Stück zu geleiten", flüsterte etwas in mir. Ich gab mir einen Ruck. Löste mich ein wenig aus der Erstarrung. Suchte Kontakt zu seiner Seele. Ich spürte nichts. "Egal", sagte ich mir. "Tu, was du kannst. Sei bei ihm." Im Geiste hielt ich ein kleines Ritual ab. Die Bestatter kamen - mit einem winzigen schwarzen Auto. Sie brachten die Bahre zu Fuß zum Strand. Der Tote wurde darauf gelegt. Als er an uns vorbei getragen wurde, wehte ihm das Tuch vom Gesicht. Seine Haut war dunkelgrau. Er hatte eine Nase wie ein Adler. An diesem Abend mochte ich nichts essen. Meine Liebste kochte etwas - und ich stocherte darin herum, und liess das Meiste stehen. Tagelang stand ich wie unter Schock. "Er war noch so jung ... fünfundvierzig ... " (stand am nächsten Tag in der Zeitung.) Dieser letzte Tod machte mir lange zu schaffen. Er steckte mir in den Gliedern, raubte mir den Schlaf. Schließlich ging ich damit zu meiner ehemaligen Therapeutin. Dort endlich schrie ich und weinte. Brüllte mein ganzes Entsetzen raus. Ich hätte mich um mich kümmern sollen, damals - nicht um ihn. Er war längst sicher in den Armen der Großen Grundgütigen. Ich war für ihn überhaupt nicht wichtig. Aber ich meinte, irgendso´ne Pflicht zu haben ... So "spirituell", wie ich zu "sein" glaubte. Und bin dabei glatt für eine Weile auf dem Fluss des Lebens ordentlich ins Schlingern geraten. Sollte mir ´ne Lehre sein ... Herzliche Grüße, sonnenstrahl. (IMG:http://www.cosgan.de/images/smilie/verschiedene/s010.gif) |
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Vereinfachte Darstellung | Aktuelles Datum: 10.05.2025 - 11:51 |