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> Amoklauf in Winnenden und Wendlingen, Fassungslosigkeit - Wie konnte so etwas schon wieder passieren?
Phoenix Bay
Beitrag 15.Mar.2009 - 15:04
Beitrag #1


Naschkatze
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Nun ist es vier Tage her, dass der 17 jährige Tim K. in seiner damaligen Schule
und später auf der Flucht in dem Ort Wendlingen 15 Menschen und später sich
selbst erschoss. Sein Motiv ist bis heute noch unklar. Viele Medien berichten über
Depressionen die er hatte. Er wurde behandelt, so heißt es von einigen. Doch
andere behauptet genau das Gegenteil. Nun kommt auch wieder die Kontroverse
der sogenannten Schießspiele auf. Sind sie Schuld daran, dass aus virtueller
Brutalität Wirklichkeit wurde? Oder kann man sein Vorgehen auf die Erziehung
zurückführen? Was kann man tun, um ein nächstes Mal zu verhindern?
Was meint ihr?

Amoklauf von Winnenden und Wendlingen


Liebe Grüße

Phoenix
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DerTagAmMeer
Beitrag 18.Mar.2009 - 11:00
Beitrag #2


Adiaphora
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Bei beiden Artikeln habe ich (ebenso wie bei den kommentierten Erklärungmustern, die Herr Lenzen anbietet) ein Problem.
Es besteht in dem Gefühl, dass sie einen singulären Unglücksfall paradigmatisch vereinnahmen.
Die allgemeine Aufmerksamkeit, die hilflose Empörung und der unbedingte Wunsch, etwas zu tun, werden mit rhetorischen Mitteln in das persönlich favorisierte Denkmuster gelenkt, ohne die behaupteten Zusammenhänge zu belegen und den eigenen Blickwinkel zu hinterfragen.

Ist es - wenn es der eigenen guten Sache dient - plötzlich erlaubt, sich argumentativ auf den ausufernden Bildzeitungs-Journalismus zu stützen? Fetzen aus manipulierten und aufgeblähten Interwievs wie unumstößliche Wahrheiten zu zitieren und soger die stimmungsaufheizenden Schlagworte zu übernehmen?
Finde ich nicht.

Ich kann nachvollziehen, dass und wie sich für Frau Schwarzer die Ereignisse in Winnenden in die feministische Dialektik von Männergewalt und Frauenunterdrückung einfügen. Doch sie überzeugt mich nicht. Ich halte noch immer den (in diesem Fall sicher zynisch banalen) Zufall für ausschlaggebend, dass die Tür in dieser Klasse hinten war, in der letzten Reihe Mädchen saßen und der Amokläufer zielte, wie es in Ballerspielen angelegt ist.

Natürlich weiß ich genausowenig wie Frau Schwarzer (oder sonst irgendwer), was T. K. gedacht, gefühlt und motiviert hat. Und ich komme auch zu denselben Forderungen: Mehr Aufmerksamkeit für Kinder und Jugendliche in unserer Gesellschaft, mehr Unterstützung für Schulen und Lehrende, mehr "echte" Freizeitangebote, weniger virtuelle Parallelwelten und ein grundsätzliches Verbot von "Sport"-Waffen*.

Trotzdem sieht meine "Weltsicht" anders aus.

Mir erscheint die überwiegende Mehrheit männlicher 17-jähriger verunsichert - vor allem und gerade auch im Umgang mit Frauen und Mädchen (und das war vor 20 Jahren nicht anders).

Ich glaube auch, dass das, was wir heute mit "Depressionen" beschreiben, die meisten Menschen in irgendeiner Phase ihres Lebens (einige leider auch chronisch oder beständig wiederkehrend) durchleiden; es sich demnach um ein ausgesprochen verbreitetes Merkmal handelt.

Desweiteren kenne ich persönlich keinen einzigen Menschen, die/der ohne Versagensängste, unterdrückte Aggressionen, aufgestaute Wut und Frustration erwachsen geworden ist. Das ist schrecklich traurig und auch ich hege ein großes Bedürfnis dies zu ändern.

Trotzdem laufen wir alle nicht Amok.

Die überragende Mehrheit verunsicherter, überforderter, verkannter, vernachlässigter, irgendwo ausgegrenzter und irgendwie gestörter Menschen rennt NICHT in Schulen schießt dort mit scharfer Munition um sich.

Mir erscheint es allerdings plausibel, Amokläufe an Schulen als eine bestimmte Form von Selbstmordattentat zu verstehen.

Daraus folgt die Einsicht, dass wir als Gemeinschaft nicht in der Lage sind, zuverlässig zu verhindern, dass ein subjektiv empfundenes Unrecht als Rechtfertigung für einen derartigen Gewaltakt missbraucht wird.

Ebenso können wir nicht verhindern, dass Menschen Frustrationen, Niederlagen und negative Gefühle mit Omnipotenzphantasien kompensieren.

Wir könnten aber sehr wohl verhindern, dass Kinder mit Waffen aufwachsen.

Und wir könnten verhindern, dass Attentate und Attentäter durch die Medien mythologisiert werden und so Nachahmer insprieren.

Wir könnten uns dem Wunsch der Attentäter nach Aufmerksamkeit und Ruhm verweigern, indem wir ihre Namen, ihre Gesichter, ihre Geschichten von unseren Titelseiten verbannen und statt den Tätern den Opfern ein Gesicht geben. Ihre Geschichte erzählen. An ihrem Schicksal Anteil nehmen.

Ich bin fest davon überzeugt (und darin sicher ebenso ideologisch wie Schwarzer und Buurmann), dass Selbstmordattentäter nicht die Personen, die Menschen, die Persönlichkeiten und Namen derer vor Augen haben, deren Leben sie auslöschen.

In Deutschland wurde viel darüber nachgedacht, wie es dazu kommen konnte, dass unser Volk einen Genozid zuließ, woran es lag, dass Einzelne widerstanden während sich Andere beteiligten, miteiferten oder die Augen verschlossen. Ich glaube, dass sich ein Schlüssel zum Verständnis in der "Entpersonalisierung" der Opfer findet. In der systematischen Verhinderung und Vermeidung von Empathie.

Darum würde ich mir wünschen, dass sich die Öffentlichkeit mit den getöteten Mädchen in der letzten Reihe beschäftigt, den Lehrerinnen, den Passanten, ihren Familien, den Menschen, die unmittelbar daneben standen, nicht getroffen wurden und nun damit leben müssen, den Eltern, die nun Angst haben, ihre Kinder in die Schule zu schicken und den Lehrenden, die weiterhin vor großen Klassen stehen, in denen Einzelne vielfach untergehen.

* Zum Thema "Waffen" möchte ich Shark Punkt für Punkt zustimmen und hätte auch nichts gegen die allgemeine Abschaffung von professionellen, mechanischen Tötungsinstrumenten einzuwenden - beim Militär, der Polizei, der Land- und Forstwirtschaft etc.

Der Beitrag wurde von DerTagAmMeer bearbeitet: 18.Mar.2009 - 11:18
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shark
Beitrag 18.Mar.2009 - 15:27
Beitrag #3


Strösenschusselhai
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ZITAT(DerTagAmMeer @ 18.Mar.2009 - 11:00) *
Bei beiden Artikeln habe ich (ebenso wie bei den kommentierten Erklärungmustern, die Herr Lenzen anbietet) ein Problem.
Es besteht in dem Gefühl, dass sie einen singulären Unglücksfall paradigmatisch vereinnahmen.
Die allgemeine Aufmerksamkeit, die hilflose Empörung und der unbedingte Wunsch, etwas zu tun, werden mit rhetorischen Mitteln in das persönlich favorisierte Denkmuster gelenkt, ohne die behaupteten Zusammenhänge zu belegen und den eigenen Blickwinkel zu hinterfragen.

Ist es - wenn es der eigenen guten Sache dient - plötzlich erlaubt, sich argumentativ auf den ausufernden Bildzeitungs-Journalismus zu stützen? Fetzen aus manipulierten und aufgeblähten Interwievs wie unumstößliche Wahrheiten zu zitieren und soger die stimmungsaufheizenden Schlagworte zu übernehmen?
Finde ich nicht.


Finde ich auch nicht.
Und genau deshalb kommen für mich auch vorausgreifende und hypothetische Gedankenansätze in Bezug auf den angeblichen Frauenhass Kretschmers nicht in Betracht bei meinen Ueberlegugen zum Thema.
Ich weiss nicht, ob Kretschmer absichtlich vor allem Mädchen hingerichtet hat oder ob er seinen Schiesskünsten doch nicht recht traute und deshalb auf jene SchülerInnen schoss, die ihm räumlich am nächsten waren.

Das Einzige, was ich, und das ist auch ein eher "objektiv" beurteilbarer Faktor, mit hineinnehmen kann in meine Ueberlegungen, ist, dass alle "Amokläufer" der letzten Jahre (und - das weiss ich aber nicht, kann es mir jedoch durchaus vorstellen - vermutlich auch vieler Jahre zuvor) männlichen Geschlechts waren - weltweit.

Und da finde ich es auch legitim, zu fragen, ob das reiner Zufall ist.

Addiere ich zu diesen katastrophalen Geschehnissen auch noch das Verhalten vieler junger Männer und männlicher Kinder, die ich beruflich und im Alltag erlebe, so entsteht ein Bild von einer Entwicklung, die offenbar Jungen auf besondere Weise herausfallen lässt aus dem, was wir "gelungene Sozialisation" nennen - und der bis dahin mögliche Zufall wird sehr unwahrscheinlich.

So stelle ich mir die Frage, weshalb das so ist oder sein könnte.

Weiter oben habe ich ja bereits Stellung genommen zu Ursachen, die mir dazu ins Auge fallen.

Die Frage ist nun, wo genau das "Versagen" in Bezug auf Jungen beginnt und an welcher Stelle dem entgegengesteuert werden könnte.

Ich erlebe in meiner Arbeit ja nicht nur die Kinder und Jugendlichen, sondern auch die Eltern.
Und gerade bei diesen fällt mir auf, dass sie, haben sie Söhne, viel häufiger als "Mädchen-Eltern", extrem unsicher sind in Bezug auf Erziehungsziele, die Förderung bestimmter Eigenschaft und eigener Anforderungen sind.

Natürlich gibt es eine Menge Eltern von Jungen, die ganz klar an der Entwicklung empathischer Fähigkeiten bei ihren Kindern interessiert sind, ihre Buben zum Beispiel darin unterstützen, Schwierigkeiten nicht "mit der Faust" aus dem Weg zu räumen, die viel sprechen mit ihren Kindern und sie wahrnehmen in ihren ganz individuellen Bedürfnissen und Befähigungen.

Ebenso wie es Mütter und Väter von Mädchen gibt, die mit ihren Kindern wenig sprechen, deren Entwicklung nicht aufmerksam begleiten und deren Bedarf an Förderung und Erziehung nicht wahrnehmen.

Aber:
Ueberdurchschnittlich häufig lassen Jungs-Eltern ihren Kindern freien Lauf beim rein körperlichen "Lösen" von Konflikten, halten das einfach für "jungenhaft", sprechen nicht mit ihren Kindern über andere Möglichkeiten, sind selbst kein gutes Vorbild, lassen Emotionen ausser acht ("Mensch, Du bist doch ein grosser Bub! Wehr Dich halt mal! Dazu hast Du doch Fäuste! Du bist doch stark!" oder "Komm, stell Dich nicht so an - grosse Jungs heulen doch nicht wegen jedem Mist!").

Viele, weil sie einfach überfordert sind und nicht wissen, wie sie es anders handhaben sollten.
Andere, weil sie es genau richtig finden, wenn Jungs sich so verhalten.

Und es ist auch nicht nur die tolerierte bis geradezu geförderte körperliche Gewalt - auch bei Dingen wie "Teller und Tasse wegräumen", "Boden fegen" etc. sind viele Eltern von Jungs noch immer der Meinung, das sei rein "genetisch", dass diese das nicht machen wollen und sprechen mal mit stolzgeschwellter Brust, mal achselzuckend und zwinkernd von ihrem kleinen "Macho".

Und andere Eltern sind ganz unsicher und wissen nicht recht, was sie mit ihrem Söhnchen anfangen sollen - ein Macho soll er ja nicht werden, aber ein Softie halt auch nicht - sonst gilt er ja nix in der Gesellschaft...

Immer mehr Mädchen-Eltern finden es toll, wenn die Tochter den ganzen Morgen an der Werkbank an ihrem Bilderrahmen gesägt hat, am liebsten durch Pfützen hopst und Regenwürmer isst. Aber anstatt das alles als urpersönliche Vorlieben und für dieses Kind mit seiner Persönlichkeit "passende" Verhaltensweisen anzunehmen, höre ich noch immer oft ein stolzes: "Naja, an Luna ist halt ein kleiner Bub verloren gegangen..." oder andersrum auch so was wie: "Die Anna war noch nie ein richtiges Mädchen... Und ich würd ihr doch so gerne mal ein rosa Röckchen anziehen, aber die macht ja alles kaputt..."

Auch hier also klassifizieren Eltern ihre Kinder nach Junge/Mädchen, anstatt sie als Menschen mit eigenen Persönlichkeiten wahrzunehmen.

Und später, wenn diese Kinder dann im Schulalter sind und allmählich Jugendliche werden, bricht der Kontakt zwischen Eltern und Kindern oft geradezu ab.
Mehr noch als Mädchen, die ja meist doch gelernt haben, zu diskutieren, was ihnen nicht passt oder die wenigstens enge Beziehungen zu Freundinnen haben, mit welchen sie dann gemeinsam weinen oder klagen können, bleiben Jungen ganz allein mit ihren widerstreitenden Gefühlen.

Die waren nie erwünscht und sind es auch jetzt nicht. Den Eltern werden ihre Kinder immer fremder, die Kinder behalten immer mehr für sich - und sind gänzlich überfordert damit, eine Brücke zu finden, über die sie als Menschen Zugang zum Leben, zu Anderen, zur Zukunft finden könnten.
In der Schule finden sie entweder Lehrerinnen (viel mehr als Lehrer), die ihnen als Bezugspersonen aufgrund ihres "Frau-Seins" nicht taugen oder Lehrer, die uninteressiert sind am Seelenleben ihrer SchülerInnen (die haben es ja auch so gelernt...) - also auch keine Ansprechpartner.

Vielen Eltern ist es nachgerade angenehm, wenn der Herr Sohn dann zuhause in seinem Zimmer vor dem Rechner sitzt und wasauchimmer spielt. Immerhin geht er nicht saufen oder kiffen oder klauen...
Und sie lassen ihn - wie sie denken - gewähren, in Wahrheit lassen sie ihn aber einfach allein.

Nun ist es von "aussen" oft mehr als schwierig, Menschen, die Kinder haben, zu "Eltern" zu machen.
Denn Erziehung ist ja Privatsache...
Und einen "Elternführerschein" gibt es nicht.

Also müssten die anderen Menschen, die täglich Kontakt mit Jugendlichen haben, sich ihrer annehmen.
Und wer sind diese Menschen? Die Lehrerinnen und Lehrer.
Aber können (und wollen) die das leisten?

ich sage: Nein, das wollen längst nicht alle. Und die, die es wollen, können oft nicht.
Denn ihre vordringliche Aufgabe ist es, Wissen in die Köpfe der Kids zu stopfen, sie durch das nächste Schuljahr zu bringen, den Lehrplan einzuhalten - und oft auch das schon unter ausgesprochen schwierigen Umständen.
Die Pseudo-KlassenleiterInnen-Stunde pro Woche würde für diesen zusätzlichen Anspruch nämlich nie und nimmer ausreichen. So bleibt - auch für die Lehrkräfte - nur unbefriedigendes Stückwerk, was eigentlich Aufgabe der gesamten Gesellschaft sein müsste.

Und deshalb sehe ich nur einen Weg hinaus aus diesem Dilemma:

Eine komplette Umstrukturierung unseres Schulsystems, gekoppelt an Anstrengungen, Eltern bei ihrer Aufgabe als Erziehende wirklich zur Seite zu stehen (anstatt sie allein zulassen oder zu bevormunden).

Jedoch: WIE genau das aussehen sollte, kann ich mir - jedenfalls realistisch - auch nicht wirklich vorstellen.

Dürfte ich "wünschen", so wünschte ich mir eine gemeinsame Beschulung aller Kinder und Jugendlichen bis Ende Klasse 10.
Von der ersten Klasse an Ethikunterricht für alle - zur Entwicklung und Förderung eines sozialen Menschenbildes anstatt eines Frauen- und eines Männerbildes).
Theaterunterricht als Pflichtfach.
Wesentlich mehr eingeplante (und auch nicht wegstreichbare) Zeit für zwischenmenschlichen Kontakt zwischen Lehrkörper und SchülerInnen.
Viel mehr männliche Lehrkräfte (nicht nur in Mathe und Sport) auch und besonders schon an Grundschulen (wie auch schon vorher im Kindergarten viel mehr Erzieher zu finden sein müssten).
Besondere, auch pädagogische, Unterstützung alleinerziehender Mütter (und Väter, aber die sind ja immer noch die Ausnahme).
Kostenfreie Freizeitangebote.
Verpflichtend Beteiligung an sozialen Projekten.
Wertschätzung und Zensuren (denn ich fürchte, die lassen sich nicht abschaffen) auch für Befähigungen im zwischenmenschlichen Bereich.

Ja, wenn all das sich machen liesse...

... auf der Basis eines Menschenbildes, das möglich macht, dass weder Mädchen noch Jungen auf ihr Geschlecht reduziert werden, dann wäre das ein mE guter Weg.

Geseufzte Grüsse


shark

Der Beitrag wurde von shark bearbeitet: 18.Mar.2009 - 15:36
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DerTagAmMeer
Beitrag 20.Mar.2009 - 00:58
Beitrag #4


Adiaphora
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ZITAT(shark @ 18.Mar.2009 - 15:27) *
Das Einzige, was ich, und das ist auch ein eher "objektiv" beurteilbarer Faktor, mit hineinnehmen kann in meine Ueberlegungen, ist, dass alle "Amokläufer" der letzten Jahre (und - das weiss ich aber nicht, kann es mir jedoch durchaus vorstellen - vermutlich auch vieler Jahre zuvor) männlichen Geschlechts waren - weltweit.

Und da finde ich es auch legitim, zu fragen, ob das reiner Zufall ist.


Über diese Frage habe ich heute immer wieder nachdenken müssen. Und über eine Beobachtung, die Du (Shark) irgendwann einmal zu einem anderen Thema geäußerst hast: Dass Menschen in der Pubertät ein extrem ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden und ein sehr feines Gesprühr für Ehrlichkeit haben. Die von Sonnenstrahl angesprochene Doppelmoral unserer "Erwachsenenwelt" macht es schwer, Jugendlichen überzeugend die ALLGEMEINGÜLTIGKEIT sozialer Werte zu vermitteln.

In den letzten Tagen ist so viel über das Versagen männlicher Teens geschrieben worden, über fehlende Anerkennung, fehlende Perspektiven, Ohnmachtsgefühle, Frustrationen, die Flucht in virtuelle Gewalt und Größenwahn.

Mädchen und jungen Frauen bleibt diese Erfahrung ja nicht erspart. Bei längerem Nachdenken über geplatzte Träume und schmerzhafte Bruchlandungen nach besonders schillernden Höhenfügen scheinen mir Frauen vielmehr Expertinnen darin zu sein, Enttäuschungen zu verkraften. Die gläserne Decke ... in der Uni noch vorne weg, bei der Lehrstuhlvergabe schon wieder Schlusslicht ... mit Idealismus in soziale Berufe und ausgebrannt in der bitteren Realität erwacht ... voller Kreativität und Selbstvertrauen ins selbstbestimmte Künstlerinnenleben und dort verarmt gestrandet ... das Ende verliebter Gleichberechtigung mit dem ersten Kind ... Treueschwur und Ehebruch ... grandiose Auftritte und Jojo-Effekte ... auch die Literatur quillt über von diesen schönen, tapferen Heldinnen, die an der erbarmungslosen Realität scheitern, würdevoll leiden, alt und weise werden oder sich still und leise das Leben nehmen.

Als Papas einziges Töchterchen hab auch ich mir gern viel vorgenommen, viel von mir erwartet, mir viel zugetraut. Der Vater ließ sich gern anstecken von meiner Begeisterung, der Vorfreude, meinem Selbstvertrauen. Auch der Großvater hielt große Stücke auf mein vorlautes Mundwerk, das sich wohl schon durchsetzen würde.
Manches ging sogar gut, in Vielem bin ich aber auch gescheitert und habe meine Vorstellungen recht schmerzhaft "gesundschrumpfen" müssen.
Dazu fiel dem männlichen Teil meiner Familie nichts ein - sie sahen höflich weg.
Meine Mama war da. Meine Tanten auch. Und meine Freundinnen. Sogar die, die mir die Bruchlandung vorher gewünscht hatten. Es gibt diese typisch weibliche Solidarität, die Mädchen und Frauen auffängt, wenn sie sich die Knie blutig gehauen und das Angebersonntagskleid ruiniert haben. Wenn sie vor den Trümmern ihrer Träume, ihrer Karriere, ihrer Ehe und ihrer Jugend stehen. "Natürlich hab ich immer gesagt, dass alles toll ist. War's aber nicht. War scheiße!!!!!"
Für mich ist das "typisch weiblich". Trümmerfrauenhumor, Selbstironie und Bruchpilotinnenstolz. Die Wunderwaffen schlechthin bei narzistischen Kränkungen und Statusverlust.

Nun bin ich kein Mann und kann demnach schwer beurteilen, wie Männer einander stützen, wenn sie verletzt und unter sich sind. Bei oberflächlicher Betrachtung meines Umfeldes stelle ich allerdings fest, dass das männliche Selbstwertgefühl eher wie ein rohes Ei behandelt wird, das um alles in der Welt vor Enttäuschung bewahrt werden muss. Von Männern wie Frauen. Erst recht, wenn Anlass zur Vermutung besteht, dass es sich um ein Windei handelt. Das Windei daselbst schützt die eigene Zerbrechlichkeit durch Vorsicht und Stammtischparolen im geschützen Raum, übt abfällige Arroganz gegenüber jeden, die er unterlegen wähnt (Frauen, Schwule, Ausländer) und präsentiert seinen "Kleiner-Mann-Stolz" gegenüber "denen da oben" (Finanzverbrechern, Politikidioten, Vereinsmanager). Mir fällt absolut NICHTS ein, wenn ich versuche mir eine "männliche Kultur des Scheiterns" vorzustellen, die über puren Zynismus hinausgeht.

Natürlich gibt es Männer, die anders sind. Ich kenne sogar einige. Aber wenn ich ehrlich bin, dann sind das solche, die meist gewonnen haben, die erfolgreich und attraktiv sind. Die es sich leisten können, Schwäche zu zeigen. Und Männer, die um die Stärke ihrer Mütter wissen und von uns Frauen etwas gelernt haben, das Alphatierchen allem Anschein nach fehlt. Denn nicht jeder kann Bohlen, Kahn oder Raab sein - und wenn alles "darunter" als Kränkung erlebt wird, sieht's eben schlecht aus.

[Metamodus]: Ich hoffe sehr, dass sich meine Überlegungen angesichts der Ereignisse nicht zu leichtfertig oder flapsig lesen. In einem eigenen Thema wäre mir wohler gewesen. Andererseits beziehen sie sich direkt auf den "Genderaspekt" dieser Tragödie und den hier stattgefundenen Austausch.
Wenn irgendeine Formulierung unpassend ist, würde ich mich über eine PM freuen und an dieser Stelle versuchen, mich anders auszudrücken.[/Metamodus]

Der Beitrag wurde von DerTagAmMeer bearbeitet: 20.Mar.2009 - 01:30
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