Wer führt mich an der Hand. Einstellungen

[Sternekind]

Nun, ich bin gerade mal fast 19 und es ist etwas geschehen, vor dem ich eigentlich lieber schreiend davonrennen wollte, weil es tief in meinem Hinterkopf als unmoralisch und inakzeptabel abgespeichert ist. Ich hab seit dem Herbst ein Mädchen kennengelernt, wir wurden sehr schnell beste Freundinnen.
Kurz nach Weihnachten, ist es dann passiert, plötzlich war da dieses Typische Gefühl in mir, Liebe.
Naja, ich war schon n paar mal verliebt, immer in Jungs, vielleicht auch nur verschwärmt, denn das was ich gerade Gefülstechnisch durch mach, stellt alles Nisherige in den Schatten, ich fahr seit Wochen Achterbahn. Aber ich trau mich eifach nicht, weil:
1. Ich bin mir nicht sicher ob sie wirklich auf Frauen steht( blöde Bezeichnung),
Mir wurde es nur zugetragen, sprich, eine um mein Wohl besorgte Seele
Hat mich vor ihr gewarnt..... :-)
Sie selbst hat zwar mal was angedeutet, aber halt nur angedeutet.
2. Ich steh zwar mit beiden Beinen auf der Erde, bin aber furchtbar schüchtern, vor Allem, wenn's um sowas geht.
Ich platz beinahe und hab fast schon nen Kropf, ich bring's aber verdammt nicht über die Lippen.
3. Scheiß Moral, ich will's nicht wahrhaben, aber es ist einfach da. Aber etwas in mir schreit mich an, das macht man nicht, das ist unanständig.
4. Die Angst, was passiert wenn es so wird, kann ich das, gleichgeschlechtlich Lieben mit aller Konsequenz oder Renn ich dann doch I'm entscheidenden Miment schreien davon.
5. Mein Umfeld, was sagen meine Eltern, meine Brüder, meine Freunde, die Verwandtschaft, alle um mich rum, wenn ich sage: Hallo, ich liebe eine Frau, habe sogar Sex mit ihr.
All das wär Grund genug um mir lieber die Decke übern Kopf zu ziehen, mich irgend einem Kerl an den Hals zu werfen nur um mich davor zu bewahren.
Aber, da ist auch ein Grund und der lässt mich fast den Verstand verlieren, eine Liebe zu diesem wunderbaren Wesen, die ich noch nie zuvor gespürt habe.
Doch wie sag ich es ihr, wie soll ich mich verhalten, wie erklärt man als Frau einer anderen Frau seine Liebe.
Es sind dazu noch so viele Fragen, Feagen die mich fast schon unglücklich werden lassen.
Ich komm mir manchmal vor wie ein verirrtes Kind, wer nimmt mich bei der Hand und zeigt mir den Weg nach Hause?

[McLeod]

Blödes Erwachsen-Werden, hm? Da lernst und lernst Du jahrelang, wie das Leben funktionieren soll und dann stellst Du fest, dass Deine ganz persönliche Ausführung bislang nicht im Unterricht durchgenommen wurde. Willkommen also auf der Hochschule für angehende Lesben - hier bekommst Du Grundstudiumskurse in Moral & Anstand, Selbstbehauptung und Emanzipation (was ja nix anderes heißt, als sich vom Althergebrachten zu lösen). Im Hauptstudium kannst Du Dich dann aus einer breitgefächerten Auswahl vom Gendertrouble über "out im Job" bis Lebenspartnerschaft und Kinderwunsch fortbilden.

1. inneres Coming-out, oder: wie Du Dich selbst (an)erkennst... Du bist gerade verliebt. Es ist ein schönes Gefühl. Es passt zu Dir. Das alles ist genauso, wie bei jedem anderen Menschen auch. Sogar Heteros verlieben sich und finden es ein schönes Gefühl, das zu ihnen passt. Sie würden nur in wenigen Fällen fragen, ob es "richtig" ist. Weil der Altersunterschied zu groß ist, er ein Prinz und sie ne Kindergärtnerin ist, Mutter sich immer "was Besseres" gewünscht hat oder 30.000 Kilometer zwischen ihnen liegen. Hoppala... andersrum geflogen sind es nur noch maximal 10.000...

Die Dozentin verlässt den Hörsaal, ohne Hausübungen zu verteilen.

2. Moral & Anstand, Grundkurs: Willkommen im 21. Jahrhundert, liebe Zuhörerinnen. Früher war es unmorlaisch, wenn ein Mann und eine Frau allein in einem geschlossenen Raum waren. Oder wenn sich in der Öffentlichkeit ihre Lippen berührten. Marylin Monroe wurde angeblich von ihrem Ehemann verlassen, weil auf einem Foto (das mit dem U-Bahn-Schacht) ein Quadratzentimeter ihrer weißen Unterhose zu sehen war. Wer Interesse an solchen Geschichtsgeschichte hat, bitte weiter zu Hörsaal 3. Heutzutage fallen unter Unmoral noch: heimliche und nicht verabredete Promiskuität, falsche Liebschaften zu PR-Zwecken und Sex mit jungen Menschen, Tieren, Toten und/oder in der Öffentlichkeit - nicht aber im TV-Nachmittagsprogramm zwischen den Schießereien und Hunde-OPs.

Schreiben Sie bis zum nächsten Mal 100 Mal "Ich liebe, also bin ich" in Schönschrift.

3. Emanzipation, oder: Mama, ich hab eine eigene Meinung... Ob Frisur, Berufswunsch oder die Einstellung zu Homoemotionalität im Allgemeinen und Speziellen - Sie dürfen eine eigene Wertewelt und Meinung haben, werte Erst-Semesterinnen. Verteidigen Sie sich nicht, wenn Sie niemand angreift - sondern üben Sie im ersten Schritt das einfache, bejahende und präzise Formulieren Ihres Standpunkts. Also "Ich finde es vollkommen in Ordnung, dass Anne Will lesbisch ist." statt "Hape Kerkeling ist irgendwie nicht mein Fall, obwohl ich's nich so schlimm find, dass er, naja... ähm... schwul ist."


Professorin McLeod