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> Frauenlandhaus Charlottenberg, Eindrücke von Sandra Wöhe und Masi
Masi
Beitrag 08.Jul.2008 - 12:39
Beitrag #1


community managsie
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Beiträge: 2.883
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Userinnen-Nr.: 6



QUOTE (© Sandra Wöhe)
Ein-Drücke
Festrede von Sandra Wöhe zum Jubiläum „Dreißig Jahre Charlottenberg“ am 29.06.08


Grüezi metanand.
Ich heiße Wöhe. Sandra Wöhe.
Mein Auftrag?
Feiern. Mit Euch.
Und ich habe die Lizenz zu reden.
Toller Job, das.

Dies ist bereits mein vierter Aufenthalt in Charlottenberg. Jedes Mal ist anders. Jedes Mal bin ich anders. Ich war als Autorin hier, als Privatperson und als Coacherin. Jetzt bin ich als Gastrednerin da und feiere mit Euch dreißig Jahre Charlottenberg.


Das erste Mal. Die Autorin.

Das war schon eine wilde Sache. Maria Eleftheria und ich waren als „Damen im Doppelpack“ mit einem alten Campingbus unterwegs. Vier Wochen Lesungen quer durch ganz Deutschland. Und längs auch. Ganz am Anfang schon: Charlottenberg, das Bildungs- und Tagungshaus bei Limburg an der Lahn.
Kaum angekommen, sortierten wir unsere erotischen Texte für die Lesung am Abend. Unter anderem fischte ich die Geschichte mit den langen schwarzen Latexhandschuhen aus dem Koffer.

Aber erst einmal – ausspannen. Der Tag war auch ganz danach. Extra für uns gab es allerbestes Wetter. Und einen Wundergarten. Mit Liegestuhl. Also die Arme in den Nacken. Nase in die Sonne. In den Bäumen Vogelgesang. Irgendwo hackt jemand Holz. Angekommen im Paradies.

Dann muss ich plötzlich niesen. Frische Farbe im Paradies. Nanu? Ach ja,  die Renovierungswoche. Gut. Wenn es denn sein muss: Augen auf. Iris Axer, eine der beiden Geschäftsführerinnen, hatte uns im Büro willkommen geheißen. Jetzt steht sie mitten auf der Wiese und lackiert eine Tür. Der Farbgeruch kitzelt mich in der Nase. Wieder niese ich.
„Gesundheit“, sagt Iris und sieht zum Anbeißen aus in ihrem Blaumann. Halt. Dies ist ein Frauenort. Blaufrau. Blauperson? Gender-Trouble im Paradies. Am besten ist es wohl, wenn sie einen schlichten Overall trägt.

Ich spiele mit den Zehen im Gras. Mir ist, als ob der Garten mit mir flüsterte. Eine sanfte Brise streicht durch mein Haar. Wie heilende Hände. Dort, hinter den Bäumen, war da nicht etwas? Für einen Moment? Aus dem Gezweig blickt ein altes junges Gesicht. Eine Fee? Elfe oder Engel? Nein. Hier wohnen Luftwesen, Erde-, Wasser-, Feuergeister. Alte und junge Ahninnen, dieser Garten ist ihr Platz. Und auch ich darf hier sein. Sie gestatten es mir.

Ich sage euch, wie Charlottenberg ist. Was Charlottenberg ist. Es ist ein Ort zum Entspannen und Erholen. Es ist DER Heil- und Kraftort. Das ist Charlottenberg. Ich habe es erlebt.


Das zweite Mal. Die Privatperson.


Zwischen den Jahren in Charlottenberg. Zu dritt freuten wir uns auf Filmabende am warmen Ofen, auf vegetarisches Essen, lange Spaziergänge durch die Winterlandschaft, Tee, Massagen und Ausschlafen. Weit weg von Zürich. Und noch weiter weg vom Alltag. Ruhe. Einfach Ruhe.

Schon auf dem Parkplatz stolpern wir über Frauen. Ergeben graben wir unser Lächeln aus dem Kofferraum. Im Haus wimmelt es. Frauen, Frauen, Frauen. Und wieder Frauen. Sie wollen Silvester und Neujahr feiern. Alle sind bester Laune. Auch das noch.

Während das Fest schon lange begonnen hat, halten wir drei Krisensitzung. Gut: Plan B. Die DVDs bleiben im Regal. Jetzt wird gefeiert. Getanzt. Gelacht. Geklüngelt. Doppelkopf gespielt. Sauniert. Wir bringen Werwölfe um. Ein paar Dorfbewohnerinnen müssen auch dran glauben. So sind sie eben, die Regeln bei diesem Kartenspiel. Und dazwischen immer wieder Essen. Die Tische biegen sich unter den Köstlichkeiten. Alles vegetarisch. Und guuuuuuuuut!

So gut ist das Essen, dass es Kraft gibt für ein Silvester wie lange nicht mehr. Wann habe ich das letzte Mal so gefestet? Ich glaube es selbst nicht, aber tatsächlich, ich habe die Nacht durchgemacht und bis weit ins neue Jahr gefeiert. Ich mit meinen immerhin fast fünfzig Lenzen war die letzte, die am Neujahrsmorgen ins Bett ging. Na gut. Die Vorletzte.

Silvester in Charlottenberg. Das ist eine der schönsten Feiern, die ich je erlebt habe. Und die Erinnerung bleibt. Auch ohne Fotos im Album. Sie sind alle in meinem Herzen.

Ich sage euch, wie Charlottenberg ist. Was Charlottenberg ist. Es ist ein Ort, es ist DER Ort zum Feiern. Das ist Charlottenberg. Ich habe es erlebt.


Das dritte Mal. Die Coacherin.

Jetzt war Arbeit angesagt. Fünf Frauen und zwei Zimmer. Wir haben uns viel vorgenommen. Ein richtiges Arbeitswochenende soll es werden. Es geht um Marketingkonzepte für zwei junge Unternehmerinnen und gorizi.de braucht Unterstützung bei der Sponsorensuche. Bei diesem bundesweiten Junglesbenportal bin ich Schirmfrau, eine Verpflichtung, die ich sehr ernst nehme.

Hier im Frauenlandhaus fällt das Konzentrieren leicht. Gut, übertreiben wollen wir das mit der Arbeit nun auch nicht. Wir sind doch in Charlottenberg. Ich war schließlich Silvester hier und weiß Bescheid. Ein bisschen Spass muss sein.

Manuela Gutsche, die andere Geschäftsführerin, dachte bei der Zimmerverteilung an unser Tagespensum. Der Gruppenraum, den sie für uns zusätzlich freigehalten hat, riecht schon nach Arbeit. Urgemütlich ist er außerdem. Nun sitzen wir da und die Köpfe rauchen schon. Wir sind nicht allein. Auch andere Gruppen arbeiten. Und wie! In allen Ecken – und davon gibt es in Charlottenberg viele – in allen Ecken und Winkeln rascheln Notizbücher, klicken Kugelschreiber, glühen Tastaturen unter den Fingern. Man könnte ein Buch darüber schreiben, was alles bedacht und erfunden wird, wie die Netze wachsen und die Ideen immer weiter gesponnen werden.

Richtig hart haben wir gearbeitet. Und die Fäden, die wir behutsam aneinander geknüpft haben, halten noch heute. Mit den Jahren wird daraus ein fester Teppich werden. Vielleicht sogar einer, auf dem sich fliegen lässt. Bis nach Charlottenberg. Und weiter.

Ich sage euch, wie Charlottenberg ist. Was Charlottenberg ist. Es ist ein Ort, es ist DER Ort zum Arbeiten. Das ist Charlottenberg. Ich habe es erlebt.


Das vierte Mal. Die Gastrednerin.

Heute bin ich wieder in Charlottenberg. Und wieder ist es anders. Wieder bin ich anders. Diesmal stehe ich als Gastrednerin vor Euch. Der Anlass? 25 Jahre Bildungs- und Tagungshaus. Dieses Jubiläum wurde nur möglich, weil vor dreißig Jahren acht Frauen eine Vision hatten. Und sie hatten Mut. Den brauchten sie auch.

Vor dreißig Jahren beobachtet das Establishment mit Argusaugen alle, die einen anderen Lebensentwurf haben, die überkommene Rollen hinterfragen und es nicht mehr beim Diskutieren belassen wollen. Vor dreißig Jahren weist das Landgericht Hamburg die Sexismus-Klage gegen den „Stern“ ab. Vor dreißig Jahren wird auf das Frauenhaus in Berlin ein Brandanschlag verübt.

Vor dreißig Jahren bin ich gerade neunzehn Jahre alt. Ich werde Krankenschwester, weil das ein Beruf ist, den ich auch noch ausüben kann, wenn ich Mann und Kinder habe. Denn heiraten werde ich sowieso. Warum also jetzt einem Mann den Studienplatz wegnehmen?

Es ist viel geschehen in diesen dreißig Jahren.
Ich habe geheiratet. Ich habe mich scheiden lassen. Ich habe studiert. Ich habe profitiert von Euch Frauen, ohne dass ich einen Finger hätte rühren müssen. Ohne dass ich Euch kannte. Den meisten Frauen, die mir den Weg bereitet haben, werde ich nie begegnen. Sie werden nie wissen, was sie alles bewirkt haben in meinem Leben. Und auch ich kann nur ahnen, was sie alles für mich getan haben. Manchmal frage ich mich, wem ich nur danken kann.

Nicht die Zeiten haben sich geändert. IHR habt sie geändert. Auch, weil ihr euch nicht habt entmutigen lassen. Auch, weil ihr in Charlottenberg Kraft tanken konntet, feiern, arbeiten, Visionen entwickeln. Und Netze flicken.

Auch das Frauenlandhaus Charlottenberg hat Höhen und Tiefen erlebt. Nicht nur von den Türen war zwischendurch einmal der Lack ab. Aber die Vision ist geblieben. Mit Zaubergarten und einem Platz zum Holzhacken.

Ich sage euch, wie Charlottenberg ist. Was Charlottenberg ist. Es ist ein Ort – für uns. Danke.
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