lesbenforen.de

Willkommen, Gast ( Anmelden | Registrierung )

> Bitte beachten

Denk bitte daran, dass unser Forum öffentlich einsehbar ist. Das bedeutet: wenn du hier dein Herz ausschüttest, kann das von allen gelesen werden, die zufällig unser Forum anklicken. Überleg also genau, was du preisgibst und wie erkennbar du dich hier machst. Wir löschen keine Threads und keine Beiträge, und wir verschieben auch nichts in unsichtbare Bereiche.

Du kannst deinen Beitrag nach dem Posten 90 Minuten lang editieren, danach nicht mehr. Lies dir also vor dem Posten sorgfältig durch, was du geschrieben hast. Dazu kannst du die "Vorschau" nutzen.


Diese Webseite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Webseite erklärst du dich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.

5 Seiten V  « < 2 3 4 5 >  
Reply to this topicStart new topic
> Aufwachsen in homophober Umgebung
kenning
Beitrag 12.Jul.2008 - 02:23
Beitrag #61


Naschkatze
**********

Gruppe: Members
Beiträge: 351
Userin seit: 11.10.2004
Userinnen-Nr.: 576



QUOTE (Geneviève @ 11.Jul.2008 - 03:58)
Eigentlich wollte ich bloß Danke sagen dafür, dass ihr mich an die Weihnachtsbaumkugeln und den Ring erinnert habt.


Viele Grüße,

Geneviève

Hallo!

Auch wenn ich momentan wieder recht wenig Zeit zum mitschreiben habe (möchte ja doch lieber erst drüber nachdenken bevor ich Blödsinn schreibe ;)), lese ich immer noch sehr interessiert mit.

Die letzten Tage war ich doch eher etwas ratlos was ich mit den von mir durch diesen Thread neu gewonnen Erkenntnissen anfangen kann bzw wie ich am besten zb aus diesen alten Denkautomatismen ausbrechen kann. Damals (in meiner Jugend, Teenageralter usw) waren diese Automatismen (zb der Gedanke: Es kann eh nie eine Frau geben, die mich toll finden würde, also brauch ich auch keine Frauen näher anschauen) ja so eine Art Überlebensstrategie und als solche auch sicher wichtig und hilfreich. Doch heute schadet mir der (und ähnliche) Gedanke(n) mehr, als er mir nützt. ... Nur wie mache ich es, daß ich derartige Gedanken ablege? So wirklich ganz klar, ist mir mein weiterer Weg noch nicht, doch ich denke, daß es in vielen kleinen Schritten (vermutlich langsam, aber doch) vorwärts gehen wird ... mühsam ... wie immer ... aber wenigstens vorwärts ...

Was ich dabei (also bei meinen Introspektionsversuchen) auch bemerkt habe, ist daß ich mich, wenn ich rundherum viel Streß habe zb mit Arbeit usw. auch irgendwie mehr abkapsle ... mehr nur das Mindestprogramm was gemacht werden muß abspule, aber sonst recht wenig Energie übrig habe um mich noch weiter mit (zumindest für mich schwierigen) Themen wie zb in diesem Thread angesprochen oder zb dem Kennenlernen neuer Personen zuzuwenden.

In solchen Situationen treffe ich dann in meiner (wenigen) Freizeit am liebsten Leute, die ich schon gut kenne und wo ich weiß, daß es ein sehr gemütliches Treffen sein wird ... also Freizeit dient mehr zur Entspannung und weniger als Raum, wo man neues entdecken/kennenlernen kann.

Ich weiß, daß ich in den letzten Jahren wirklich viel Streß hatte ua wegen einer beruflichen Neuorientierung und Ausbildung, die ich gemacht habe. Nebenbei mußte ich auch noch arbeiten. Ein naheliegendes Fazit wäre also, daß ich meine berufliche Situation besser in den Griff kriegen muß zb den neuen Beruf voll durchstarten, damit ich den alten an den Nagel hängen kann ... momentan arbeitete ich noch in beiden Bereichen, was auf die Dauer ziemlich anstrengend ist. Naja, immerhin arbeite ich auch daran ... mal sehn ...

So, jetzt habe ich wieder sehr lang geschrieben ... und bin hoffentlich nicht zu weit vom Thema abgekommen. Eigentlich wollte ich nur Danke sagen @Geneviève, daß Du Deine Erinnerung an den Ring und die Weihnachtskugeln mit uns geteilt hast. Es ist wirklich ein schönes Bild. Ich werde sicher dran denken, wenn mich das nächste Mal der Mut und die Energie zu verlassen drohen. :blumen2:

lg

kenning

Der Beitrag wurde von kenning bearbeitet: 12.Jul.2008 - 02:23
Go to the top of the page
 
+Quote Post
Geneviève
Beitrag 12.Jul.2008 - 14:44
Beitrag #62


Vorspeisenexpertin
*****

Gruppe: Members
Beiträge: 70
Userin seit: 14.06.2008
Userinnen-Nr.: 5.965



Hallo kenning,

schön wieder von dir zu lesen. :)

Wie man alte Überlebensstrategien, die heute hinderlich sind und nicht mehr schützend, ablegen kann, weiß ich auch nicht so genau.
Ich frage mich das ebenfalls. Ich glaube allerdings, dass es schon mal ein wichtiger Schritt ist, zu erkennen, dass einem das alte Verhalten heute rein gar nichts mehr bringt. Das, wovor es schützte, ist einfach nicht mehr da.
Ich bin älter, nicht mehr abhängig von einer wohlwollenden Meinung seitens meiner Familie, die ich heute zum Überleben nicht mehr brauche, damals aber schon.
Kommt mir manchmal vor, als würde ich in einer ungefähr zehn Kilo schweren Ritterrüstung durch die Welt laufen, die mich früher so weit wie möglich geschützt hat – die heute aber einfach nur lächerlich, da unangebracht ist und die mich außerdem in meinem Vorwärtskommen behindert, weil sie schwer und sperrig ist und außerdem diverse Helme meinen Blickwinkel stark einschränken und sowieso die gesamte Rüstung alle meine Sinne behindert.

Was man meiner Meinung nach ganz dringend benötigt, ist die Einsicht, dass diese Rüstung heute eben nicht mehr gebraucht wird. Nur dann kommt man überhaupt auf die vage Idee, sie abzulegen.
Und in diesem Zusammenhang erscheint es mir wichtig, zu wissen, wovor sie überhaupt hat schützen sollen, ob die damaligen Gefahren auch heute noch bestehen (oder ob man nur glaubt, dass dem so ist) und wenn sie tatsächlich noch bestehen, ob das Ausmaß noch das Gleiche ist wie früher und ob es nicht bessere, angemessenere Strategien gäbe, damit umzugehen – Strategien, die einem damals nicht zur Verfügung standen, heute jedoch schon.
So eine Mischung aus Ursachenforschung und Konfrontation mit der heutigen Realität, die die Unterschiede beider „Welten“ (also damals und heute) klarer macht.
Früher bin ich es gewohnt gewesen, schon aus Selbstschutz immer darauf zu achten, ob ich von irgendeiner Seite bedroht werden könnte, mein Fokus war geschaltet auf etwas wie: möglichst schnelle, genaue Witterung von Bedrohungen innerhalb meines Umfeldes, um mich wenigstens darauf vorbereiten zu können, wenn ich es schon nicht verhindern kann (und damals konnte ich es nicht verhindern, dazu war ich zu klein und zu abhängig).

Und es ist ja tatsächlich so, dass es mir auch heute noch passieren kann, dass jemand mir dumme Vorurteile entgegen schleudert.
Aber verletzt mich das heute so sehr wie damals? Im Grunde nicht. Es erinnert (!) mich an die Verletzungen von damals und das macht es so schlimm, weil der erste Impuls in mir ist: Oh nein, es ist alles so wie früher, Ritterrüstung wieder an, ich brauche die noch, ich kann nicht ohne die.
Natürlich ist dieser Gedanke unrealistisch, ich selbst bin nicht mehr die Selbe wie früher und daher kann ich auch anders mit solchen Dingen umgehen. Dennoch ist es der erste Impuls.
Da hilft dann nur, sich das genauer anzusehen, kann ich zumindest von mir bestätigen – was war früher, was ist heute anders, wie gehe ich heute damit um, warum setzt sich der Automatismus in Gang, was kann ich stattdessen tun usw.
Und wenn ich darauf Antworten habe, bewerte ich die heutige Situation anders und traue mich in der Regel auch, anders zu handeln als früher. Das macht dann Spaß, ich fühle mich dann wohl und neugierig und mutig und eins mit mir selbst.


Du sprichst die „Ich werde sowieso nie eine lesbische Beziehung haben“-Automatismen an.
Kenne ich gut. Da gibt es unter Umständen viele Scheingründe: sie mag mich sowieso nicht, sie findet meine Gefühle ekelhaft, sie traut sich nicht usw.
Den „Ich werde generell sowieso niemals gemocht werden“-Automatismus bin ich glücklicherweise los. Aber das hat Jahre gedauert und hatte mit sehr viel mehr zu tun als damit, dass ich als Lesbe in einem homophoben Umfeld aufgewachsen bin.
Was allerdings in mir immer noch da ist, ist die alte Angst, von Frauen (und nur von diesen, Männer sind mir da herzlich egal, das verletzt mich nicht weiter; gegen Abwertung durch Männer bin ich weitgehend immun geworden, ich kann das nicht mehr ernst nehmen) für meine Homosexualität als ekelhaft empfunden zu werden.
Das hat sich in mich eingebrannt.
Früher hatte ich beinahe jeden Tag mit einem Mädchen zu tun (Nachbarin), die betont hat, wie ekelhaft sie Lesben finden würde und dass sie meinte, „bei denen“ befürchten zu müssen, dass sie jede kleine Berührung falsch verstehen und sie dann bedrängen würden. Als wären Lesben Menschen, die jede andere Frau anspringen, die in ihr Sichtfeld gerät. Lesbisch sein war bei ihr gleichgesetzt mit se*ueller Beläst*gung von Mitmenschen und in diese Ecke wollte ich nun wirklich nicht geschoben werden.
Ich hatte Angst davor, dass sie mitbekommt, dass ich lesbisch bin. Durch Blicke, durch mein völliges Fehlen an romantischem und sexuellem Interesse an Männern (das hat sie damals schon desöfteren kritisch kommentiert), durch irgendetwas anderes, was auch immer.
Die Angst habe ich immer noch, auch wenn das rational vollkommen unsinnig ist.

Das ist seltsam, weil ich einerseits kein Problem damit habe, (verbal) dazu zu stehen, dass ich lesbisch bin, aber Panik schiebe, sobald ich das kleinste bisschen tatsächlicher Verliebtheit spüre (ist derzeit nicht der Fall, war aber immer so. Und ein sozialer Rückzug bedeutet auch, mich weitgehend vor der Möglichkeit zu bewahren, mich zu verlieben).
Unsinnigerweise fühle ich mich, wenn ich verliebt bin, so, als würde ich derjenigen, die meine Gefühle gelten, damit irgendeine Last aufhalsen, sie damit beschämen und bedrängen.
Rational weiß ich, dass das Blödsinn ist, aber ich fühle es nicht.

Irgendjemand hier in diesem Thread meinte (sorry, weiß gerade nicht mehr genau wer), dass es am leichtesten wäre, unter Lesben lesbisch zu sein.
Das ist auch so ein Satz, der mich nicht mehr losgelassen hat, seit ich ihn gelesen habe. Bei mir ist das nämlich anders. Das ist für mich am schwierigsten (weshalb ich auch erst jetzt den Mut dazu hatte, mich hier in einem Forum anzumelden und noch nie den Mut hatte, mich zu lesbischen Veranstaltungen aller Art zu trauen).
Wenn ich einer Frau begegne, bei der ich das Gefühl habe, dass sie ebenfalls lesbisch ist und dazu noch das Gefühl habe, dass auch sie genau weiß, dass ich lesbisch bin, dann reagiere ich panisch. Ich werde knallrot, fange an zu schwitzen, kann mich nicht entscheiden zwischen Wegsehen und Blick erwidern, weshalb eine seltsame Mischung aus beidem dabei herauskommt, ich nehme mich selbst irgendwie zerstückelt wahr (meine Arme als so längliche Dinger, die unwohl an mir herunter hängen und von denen ich nicht weiß, was ich damit machen soll, ich bin körperlich verschoben und nicht zusammen passend).
Diese Eindrücke verschwinden restlos, sobald ich nicht mehr in der Situation bin. Aber tauchen genau so wieder auf, wenn sich eine neue dieser Situationen einstellt.
Wie ich das auflösen kann, ist mir auch noch nicht klar.
Aber ich wüsste es gern. Also wenn irgendjemand dazu etwas sagen kann und mag, würde mich das freuen.


Viele Grüße,

Geneviève
Go to the top of the page
 
+Quote Post
H_Golightly
Beitrag 14.Jul.2008 - 04:24
Beitrag #63


Naschkatze
**********

Gruppe: Members
Beiträge: 412
Userin seit: 30.03.2006
Userinnen-Nr.: 2.782



Hallo zusammen,

auch ich möchte mich mal wieder zu Wort melden. Habe auch immer fleißig mitgelesen, hatte aber (auch weil ich z. Zt. viel um die Ohren habe) nicht die Zeit, zu antworten. Zunächst einen lieben Dank an alle, die diesen Thread aufrechterhalten. Ich finde ihn sehr interessant und es tut auch gut, von Leuten mit ähnlichen Problemen zu lesen.

Geneviève, du hast hier in deinem letzten Beitrag einiges geschrieben, was auch mich beschäftigt und worüber ich schon oft nachgedacht habe:

QUOTE (Geneviève @ 12.Jul.2008 - 14:44)
Was allerdings in mir immer noch da ist, ist die alte Angst, von Frauen (und nur von diesen, Männer sind mir da herzlich egal, das verletzt mich nicht weiter; gegen Abwertung durch Männer bin ich weitgehend immun geworden, ich kann das nicht mehr ernst nehmen) für meine Homosexualität als ekelhaft empfunden zu werden.
Das hat sich in mich eingebrannt.
Früher hatte ich beinahe jeden Tag mit einem Mädchen zu tun (Nachbarin), die betont hat, wie ekelhaft sie Lesben finden würde und dass sie meinte, „bei denen“ befürchten zu müssen, dass sie jede kleine Berührung falsch verstehen und sie dann bedrängen würden. Als wären Lesben Menschen, die jede andere Frau anspringen, die in ihr Sichtfeld gerät. Lesbisch sein war bei ihr gleichgesetzt mit se*ueller Beläst*gung von Mitmenschen und in diese Ecke wollte ich nun wirklich nicht geschoben werden.
Ich hatte Angst davor, dass sie mitbekommt, dass ich lesbisch bin. Durch Blicke, durch mein völliges Fehlen an romantischem und sexuellem Interesse an Männern (das hat sie damals schon desöfteren kritisch kommentiert), durch irgendetwas anderes, was auch immer.
Die Angst habe ich immer noch, auch wenn das rational vollkommen unsinnig ist.

Ähnliche Ängste habe ich auch. Ich habe zwar nicht solche negativen Erfahrungen wie du machen müssen, doch ich denke, dass die eine oder andere Frau vielleicht so empfinden könnte, wenn ich ihr meine Gefühle gestehen würde. Ist ja eigentlich völliger Quatsch, wenn man es rational betrachtet, nicht wahr? Und dann frage ich mich selbst, wie ich in entsprecheder Situation reagieren würde. Hast du, Geneviève, dir das auch schon mal durch den Kopf gehen lassen? Man kann sich da nun als frauenliebende Frau schwer hineinversetzen, aber wie würden wir wohl empfinden, wenn uns ein Mann seine Liebe gesteht? Wäre es ein Mann, dann würde ich ihm sagen, dass ich die Gefühle nicht erwidern kann, weil ich eben das andere Geschlecht bevorzuge. Ich würde ihn aber keinesfalls verurteilen. Wäre es eine Frau, käme es darauf an, ob ich die Gefühle erwidern kann oder nicht. Aber in keinem der Fälle würde ich die Person (Mann oder Frau) als ekelhaft empfinden. Ich habe jetzt mit Absicht das Extrembeispiel "wenn dir jemand seine Gefühle gesteht" gewählt.
Du sprichst von Ekelgefühlen, die man dir als lesbiche Frau entgegenbringen könnte- meinst du das nur in Bezug auf Heterofrauen, mit denen du befreundet bist (und keine Liebesgefühle für sie hegst) oder beziehen sich deine Ängste eher auf Heterofrauen, in die du verliebt bist? Ich persönlich hätte z. B. mehr Ängste, wenn ich eine Frau direkt damit konfrontiere, in sie verliebt zu sein. Einer guten Freundin (für die ich keinerlei Liebesgefühle hätte) könnte ich es dagegen viel leichter sagen, dass ich lesbisch bin. Von ihr würde ich da auch keine "Ekelgefühle" erwarten. Aber wie würde die Frau, die nun weiß, dass ich sie begehre, reagieren? Würde sie es eklig finden? Ich weiß es einfach nicht. Ich hatte ja nun das Beispiel erwähnt, wie wir selbst reagieren würde. Aber bei uns käme ja noch der "Überraschungseffekt" dazu, nämlich dass die Person einmal erfährt, dass sich jemand in sie verliebt hat und zum zweiten der Jemand auch noch das gleiche Geschlecht hat. Schwer abzuschätzen, wie da die Reaktion ausfallen würde. :gruebel: Generell hängt es doch aber von der jeweiligen Frau und ihrem Einfühlungsvermögen ab, stimmt's?

QUOTE (Geneviève @ 12.Jul.2008 - 14:44)
Das ist seltsam, weil ich einerseits kein Problem damit habe, (verbal) dazu zu stehen, dass ich lesbisch bin, aber Panik schiebe, sobald ich das kleinste bisschen tatsächlicher Verliebtheit spüre (ist derzeit nicht der Fall, war aber immer so. Und ein sozialer Rückzug bedeutet auch, mich weitgehend vor der Möglichkeit zu bewahren, mich zu verlieben).
Unsinnigerweise fühle ich mich, wenn ich verliebt bin, so, als würde ich derjenigen, die meine Gefühle gelten, damit irgendeine Last aufhalsen, sie damit beschämen und bedrängen.
Rational weiß ich, dass das Blödsinn ist, aber ich fühle es nicht.

Hiermit sprichst du mir wirklich sehr aus der Seele. Diese Panik ist auch mir wohl bekannt. Sobald ich merke, ich empfinde mehr für eine Frau als nur Freundschaft, bekomme ich Angst. Das geht mit Schweißausbrüchen, Kloß im Hals, Herzrasen u. ä. einher. Ich denke, der Auslöser dafür ist zum einen die Verliebtheit an sich (ist ja logisch), aber zu einem sehr großen Teil auch die Angst, von ihr "entdeckt" zu werden. Geht es dir auch so? Inzwischen bin ich dabei, diesen letzten Aspekt etwas lockerer zu betrachten, nämlich dass sie es gar nicht entdecken muss (Heterofrauen sind mitunter blinder als man denkt ;) ) und wenn sie es doch merken sollte, das auch nicht der Untergang der Welt ist. Ist ja schließlich kein Verbrechen, jemanden gern zu haben. Überhaupt sollten wir nicht so stiefmütterlich mit unseren (wertvollen) Gefühlen umgehen, sondern sie eher hegen und pflegen. ;)

In diesem Sinne erst mal einen lieben Gruß.


P.S. Ich fand deine Ausführungen mit den Glaskugeln auch wunderschön. :blumen2:
Go to the top of the page
 
+Quote Post
Geneviève
Beitrag 14.Jul.2008 - 17:10
Beitrag #64


Vorspeisenexpertin
*****

Gruppe: Members
Beiträge: 70
Userin seit: 14.06.2008
Userinnen-Nr.: 5.965



Hallo Holly,

:blumen2: für deine Fragen.
Du hast mich damit auf etwas gestoßen, das mir gerade wichtig ist.
Du hast natürlich Recht damit, dass ich es nicht eklig finde, wenn jemand mir eine Verliebtheit gesteht. Ich bin dann eher beeindruckt über den Mut, dazu zu stehen und eine wie auch immer geartete Reaktion in Kauf zu nehmen. Auf Ekel würde ich da nicht kommen. Im Gegenteil. Und auch meine Reaktion ist da nichts, wovor sich irgendjemand fürchten müsste. Wenn ich die Gefühle nicht erwidere, versuche ich so respektvoll wie möglich, das zu sagen.

Diese Diskrepanz zwischen dem, was ich selbst in einer solchen Situation empfinde und dem, was ich als Reaktion befürchte, könnte größer kaum sein.
Das war mir zwar klar, aber ich habe das bislang nie weiter beachtet, es ist mir nie als Seltsamkeit aufgefallen, eher als eine Art Naturgesetz – was ja an sich schon merkwürdig ist.
Es scheint so, als würde ich meine eigenen Verliebtheiten überhaupt nicht durch meine Augen sehen, sondern durch die Augen meiner damaligen Nachbarin. Die hätte nämlich Ekel empfunden.
Und hätte ich ihr jemals gesagt, dass ich lesbisch bin, hätte sie automatisch angenommen, ich wäre in sie verliebt, selbst wenn ich in diesem Punkt zu Recht widersprochen hätte. Sie war Mädchen/Frau, ich war lesbisch, also war ich automatisch in sie verliebt (ihre damalige Logik, nicht meine. Und schon gar nicht mein Gefühlsleben).

Generell kann ich sagen, dass ich, wenn ich diese Panik spüre, immer befürchte, dass Frauen so reagieren würden wie die damalige Nachbarin.
Das könnte man paranoid nennen. Unrealistisch für meine heutige Situation ist es allemal.
Das muss ich mal genauer untersuchen und eine klare Trennlinie zwischen „alter Angst“ und „heutiger Realität“ ziehen.
Diese Ängste sind tatsächlich alt, ich werde wieder zwölf oder so, wenn ich sie fühle.

Und ich glaube allmählich, es sind ausschließlich diese alten Ängste, die mich da heimsuchen, denn im Grunde habe ich gar nicht wirklich Angst davor, dass jemand fälschlicherweise oder richtigerweise annimmt, ich wäre in sie verliebt. Das ist etwas, wozu ich heute durchaus stehen könnte, weil ich eigentlich (!) Unehrlichkeit an mir ganz schlecht ertragen kann, was dann automatisch zu einer Ehrlichkeit führt – aber nur dann, wenn ich mich nicht mehr fühle, wie ich mich mit zwölf gefühlt habe: beschämt, überfordert, ungefestigt in mir selbst und mit einem Selbstwertgefühl, das unter der Erde Tunnel gräbt.
Ich falle da nur wieder für einige Momente hinein, wenn mich irgendetwas an damals erinnert. Und fühle mich dann in diesen Augenblicken so, als wäre das Vergangene noch Realität.
Ist es aber nicht. Und je genauer ich das erkenne, umso leichter wird es wohl auch, nicht mehr in alte Gräben zu fallen. Ich weiß dann zwar noch, dass sie da sind und wie es dort drin ist, aber ich muss nicht mehr in ihre Richtung gehen, sondern kann mich daran vorbei zu anderen Orten bewegen.

Holly, fühlst du dich mit dieser Panik in deiner heutigen Realtität verortet oder auch so, als wärst du Jahre jünger?
Ich frage mich nämlich gerade, ob es überhaupt Sinn macht und Grund hat, sich als erwachsener Mensch so panisch und beschämt und ängstlich zu fühlen oder ob das beinahe grunsätzlich alte Ängste sind (abgesehen von Lebensgeschichten natürlich, in denen einem auch als Erwachsene noch fürchterliche Konsequenzen drohen („Ehrenmorde“ z.B. oder Homosexualität als gesetzlicher Straftatbestand), da besitzen diese Ängste natürlich durchaus realistische Gründe).


Viele Grüße,

Geneviève
Go to the top of the page
 
+Quote Post
H_Golightly
Beitrag 14.Jul.2008 - 19:14
Beitrag #65


Naschkatze
**********

Gruppe: Members
Beiträge: 412
Userin seit: 30.03.2006
Userinnen-Nr.: 2.782



Hallo Geneviève,

es freu mich, dass ich mit meinen Gedanken hilfreich sein konnte. :)

QUOTE (Geneviève @ 14.Jul.2008 - 17:10)
Ich bin dann eher beeindruckt über den Mut, dazu zu stehen und eine wie auch immer geartete Reaktion in Kauf zu nehmen. Auf Ekel würde ich da nicht kommen. Im Gegenteil. Und auch meine Reaktion ist da nichts, wovor sich irgendjemand fürchten müsste. Wenn ich die Gefühle nicht erwidere, versuche ich so respektvoll wie möglich, das zu sagen.

Genauso wäre es bei mir auch. Ich wäre bestimmt beeindruckt über so viel Mut und ich würde mich auch über die Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit derjenigen Person freuen. Natürlich muss man auch berücksichtigen, dass wir da ja schon sensibilisiert sind in dieser Hinsicht. Ich kann z. B. nicht mit Gewissheit sagen, ob eine ungeübte Person, die noch niemals unglücklich verliebt war und auch noch keinem eine Liebeserklärungen gemacht hat, da auch so taktvoll reagieren würde. Kommt aber, wie bereits erwähnt, auf den jeweiligen Gemütszustand und Chrakter der Person an.
Eine reife, erwachsene Frau müsste mit sowas eigentlich umgehen können, findest du nicht auch?

QUOTE (Geneviève @ 14.Jul.2008 - 17:10)
Ich Diese Diskrepanz zwischen dem, was ich selbst in einer solchen Situation empfinde und dem, was ich als Reaktion befürchte, könnte größer kaum sein.

Ist bei mir nicht anders. Ich denke z. B., dass man mir den Kopf abreißen könnte oder sie mich anschreien würde. :patsch: Im schlimmsten Fall male ich mir aus, dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben wollte und mich vollkommen missachtet, bzw. gar nicht mehr beachtet. Das sind Horrorszenarien, die mir noch ab und zu im Kopf herumspuken. Was malst du dir als schlimmste Reaktion aus?


QUOTE (Geneviève @ 14.Jul.2008 - 17:10)
Es scheint so, als würde ich meine eigenen Verliebtheiten überhaupt nicht durch meine Augen sehen, sondern durch die Augen meiner damaligen Nachbarin. Die hätte nämlich Ekel empfunden.

Ich mache leider auch oft den Fehler, meine Gefühlswelt mit den Augen der anderen zu sehen. Und das ist das Verkehrteste, was man überhaupt machen kann. Man sollte sich auf seine eigenen Gefühle besinnen und nicht darauf, wie andere unsere Lage einschätzen oder empfinden. Die anderen fragen uns ja auch nicht, ob es uns passt, dass sie hetero sind.


QUOTE (Geneviève @ 14.Jul.2008 - 17:10)
Generell kann ich sagen, dass ich, wenn ich diese Panik spüre, immer befürchte, dass Frauen so reagieren würden wie die damalige Nachbarin.
Das könnte man paranoid nennen. Unrealistisch für meine heutige Situation ist es allemal.

Das ist durchaus verständlich. Du hast diese schlechten Erfahungen gemacht und denkst automatisch, alle anderen würden auch so denken. Aber das ist nicht so. Eine Frau, die ein bisschen nachdenkt, wird nie im Leben so reagieren wie deine damalige Nachbarin. Hast du dir mal überlegt, ob diese Bekannte vielleicht unbewusst selbst mit lesbischen Gefühlen gehadert haben könnte? Oftmals ist so eine übertriebene Reaktion auch nur die Angst davor, sich seine eigenen Gefühle einzugestehen. Oder eben einfach nur Ignoranz.


QUOTE (Geneviève @ 14.Jul.2008 - 17:10)
Holly, fühlst du dich mit dieser Panik in deiner heutigen Realtität verortet oder auch so, als wärst du Jahre jünger?

Das fragst du eine, deren erste (unglückliche) Liebe eine 22 Jahre ältere Frau gewesen ist, die noch dazu verheiratet war? Ich hatte damals wahnsinnige Angst davor, sie könnte etwas davon bemerken. Dabei war wohl die größte Angst, diejenige, die ich damals selbst vor meinen eigenen Gefühlen hatte. Dieses Erlebnis hat mich in meine weiteren Werdegang ziemlich stark geprägt und auch jetzt noch ist dieser Mechanismus "hoffentlich merkt sie es nicht" genauso drin wie damals. Nur, dass ich jetzt ein wenig gelassener damit umgehen kann, weil ich gelernt habe, meine Gefühle geschickt zu überspielen, wenn es drauf ankommt. Das konnte ich damals noch nicht so gut. Aber es ist im Endeffekt auch nicht so günstig, die Gefühle zu überspielen. Eigentlich sollte man lieber dazu stehen, egal was dann kommen mag.


Liebe Grüße
Holly


Go to the top of the page
 
+Quote Post
Geneviève
Beitrag 14.Jul.2008 - 21:15
Beitrag #66


Vorspeisenexpertin
*****

Gruppe: Members
Beiträge: 70
Userin seit: 14.06.2008
Userinnen-Nr.: 5.965



Hallo Holly,

was ich mir als schlimmste Reaktion ausmale? - Gar nichts Konkretes, merkwürdigerweise.
Da ist nur dieser Blick, der so voller Verachtung und Abweisung und Hohn und Abscheu und kaltem Hass ist, dass es sich anfühlt, als würden meine Eingeweide einfrieren.

Es ist das Gefühl, innerlich zu erfrieren, vor dem ich mich fürchte. Das Gefühl will ich einfach nie wieder haben. Das war vernichtend, auf ganz vielen Ebenen gleichzeitig und ich habe Jahre damit verbracht, mich da raus zu holen.
Ich fürchte mich demnach eher davor, wie ich auf eine Reaktion reagiere. Die Reaktion selbst ist weniger furchterregend.
:gruebel: Merkwürdig.

Ich vermute, ich fürchte mich davor, dass ich Verachtung und Beschämung wieder glauben könnte. Und damit wieder da wäre, wo ich schon mal war und wo ich nie wieder hin will.
Allerdings bezweifle ich, dass mir das in Gegenwart und Zukunft noch mal anhaltend passieren wird. Dazu dürften zu viele Warnhinweisschilder am Wegrand stehen, die ich da hingepflastert habe, um sicher zu gehen, dass ich da nie wieder lang gehe.
Vielleicht zimmere ich einfach noch ein paar Warnschilder mehr oder schütte den Weg ganz zu und höre auf damit, Angst zu haben; weil ich dann sicher bin, dass ich nie wieder in tiefen, gefrorenen Gräben lande, egal wer mir begegnet.


Viele Grüße,

Geneviève



edit: Rechtschreibung

Der Beitrag wurde von Geneviève bearbeitet: 14.Jul.2008 - 21:17
Go to the top of the page
 
+Quote Post
Leah
Beitrag 14.Jul.2008 - 21:29
Beitrag #67


Meer sein
************

Gruppe: Members
Beiträge: 1.746
Userin seit: 10.05.2008
Userinnen-Nr.: 5.904



QUOTE (Geneviève @ 14.Jul.2008 - 22:15)
Ich vermute, ich fürchte mich davor, dass ich Verachtung und Beschämung wieder glauben könnte. Und damit wieder da wäre, wo ich schon mal war und wo ich nie wieder hin will.

Das kenne ich....und davor habe ich noch immer,noch heute Angst....

Komisch,oder?
Go to the top of the page
 
+Quote Post
kenning
Beitrag 14.Jul.2008 - 21:45
Beitrag #68


Naschkatze
**********

Gruppe: Members
Beiträge: 351
Userin seit: 11.10.2004
Userinnen-Nr.: 576



Hallo!

Ich habe noch ein wenig über die Ritterrüstung nachgedacht, die ein paar Posts weiter vorne angesprochen wurde. Ich denke, das Bild mit der Rüstung trifft es bei mir ganz gut.

Gerade in letzter Zeit habe ich festgestellt, daß ich eigentlich die letzten Jahre nichts anderes gemacht habe. Ich habe mich in Arbeit (und Ausbildung) vergraben, nur mehr die Leute getroffen, die ich schon seit Jahrzehnten kenne und wo ich weiß, daß sie mir nichts tun werden ... und daneben habe ich auch noch einige Kontakte mit Leuten abgebrochen, die mir ganz und gar nicht gut taten. Doch irgendwo rausgegangen und neue Leute kennenlernen gabs einfach nicht. In der Ritterrüstung sitzen bleiben, war eigentlich immer viel sicherer. ... doch inzwischen merke ich, daß es mir dort gar nicht mehr so gut gefällt ... ich hoffe, ich krieg den Dreh raus, wie man das Teil wieder ablegt bzw wie man es nur im richtigen Moment verwendet, dann wenns nötig ist, also wenn zb eine Schlacht naht, und sonst nicht.

Wg der homophoben Nachbarin wollte ich auch noch was sagen. Ich kann schon irgendwie verstehen, daß man sehr verunsichert ist, wenn man solche Sprüche, wie "Lesben sind eklig" usw immer wieder zu hören kriegt. Doch eigentlich hab ich bei solchen Menschen immer den Eindruck, daß sie im Grunde recht unsicher und zu bedauern sind. Jemand der eine derart harmlose Sache (wie zb lesbisch sein ... es schadet ja keinem) derart mit Haß und Ablehnung verfolgt, macht sich doch eigentlich nur selbst das Leben schwer. Einerseits nimmt sich die Person die Möglichkeit unter Umständen sehr interessante und nette Leute kennenzulernen. Und andererseits vergiftet sie mit ihrer negativen Art ja auch ihr ganzes Umfeld und steckt ihre ganze Energie in negative Gefühle und den Ausdruck derselben. Diese ganze Kälte und der Abscheu usw ist ja im Grunde in dieser armen Frau drinnen und kommt bei ihren Blicken durch ihre Augen und bei ihren Worten durch ihren Mund wieder heraus. Es muß ein sehr unglückliches Leben sein. ... Meiner Meinung nach ist es viel schöner positive Energie auszusenden und die Dinge, die man halt nicht mag, einfach links liegen zu lassen ... es wird ja eh keine zu irgendwas gezwungen.

Die Nervosität, wenn ich mit Frauen zu tun habe (natürlich besonders, wenn ich an ihnen Interesse habe, aber nicht nur), kenne ich auch. Meistens verfalle ich dann in den Mechnanismus mir einzureden, daß sie eh ganz sicher kein Interesse an mir hat (Ritterüstung?) ... dann entspanne ich mich wieder ein wenig. Doch auf die Dauer kann das ja nicht die Lösung sein ...
Wenn ich meinen Gefühlen so nachspüre, ist es bei mir aber nicht so, daß ich mich für meine Gefühle schäme. Es ist eher so, daß ich die Angst habe, ihre Erwartungen irgendwie zu enttäuschen bzw ihren Ansprüchen nicht gerecht zu werden ... sozusagen, daß ich in irgendeinem Punkt nicht gut genug bin. Ich fühle mich dann auch schnell überfordert, denn im Grunde kann ich ja nur so sein wie ich bin und nicht irgendwie anders, wie jemand anderer sich mich vielleicht wünschen würde. ... Im Prinzip bin ich ja auch im großen und ganzen gern so wie ich bin und möchte mich auch gar nicht verstellen oder so. Das würde mir einfach falsch vorkommen und sicher nicht für lange funktinonieren. ... So halb denke ich mir, daß diese Angst zum größten Teil sicher recht irrational ist bzw auch auf alten Mustern beruht. ... und hoffe, daß ich eines schönen Tages eine Frau treffe, die mich nicht nur verzaubert sondern auch noch so mag, wie ich bin. :wub: ... und daß ich dann einfach das richtige tue und mich nicht wieder in meiner Ritterrüstung verkrieche. :roetel: :patsch:

kenning

P.S.: Was ich noch schreiben wollte: Ich finde den Austausch in diesem Thread inzwischen wirklich sehr gut und wichtig für mich. Ich bin echt froh, daß ich mich endlich durchgerungen habe, nachdem ich so einige Jahre fast nur mitgelesen habe, doch endlich einmal auch mitzuschreiben. Danke. :blumen2:
Go to the top of the page
 
+Quote Post
Geneviève
Beitrag 14.Jul.2008 - 22:43
Beitrag #69


Vorspeisenexpertin
*****

Gruppe: Members
Beiträge: 70
Userin seit: 14.06.2008
Userinnen-Nr.: 5.965



Hallo ihr alle,

@Leah, ich finde es auch bemerkenswert, dass das die eigentliche Angst ist – wieder da zu landen, wo man mal gewesen ist und nie wieder hin will.
Ist das bei dir eine realistische Angst, d.h. besteht die Gefahr tatsächlich? Oder ist diese Angst nicht vielmehr Zeichen dafür, dass einem ein Rückfall eben nicht mehr passieren wird, gerade weil die Angst davor so groß ist?! Die Angst sozusagen als Schutz davor, noch mal dort zu landen, wo man erfriert (oder ertrinkt oder erstickt oder was auch immer das im Einzelfall sein mag).
So wie ich Angst davor hätte, einen Ort voller hungriger Löwen zu betreten. Da hat die Angst durchaus Sinn und Schutzfunktion.
Ich weiß es nicht. Nur ein Gedanke. :gruebel:


@kenning, ich wollte noch mal schnell was zu meiner damaligen Nachbarin sagen. Ich meinte die Nachbarstochter, die war nur ein paar wenige Jahre älter als ich und für meine Eltern so was wie eine Ersatztochter. Sie war also andauernd da und hatte für mich so etwas wie einen Adoptiv-Schwester-Status.
Aus heutiger Sicht beurteile ich ihre Sichtweisen und Äußerungen etwas anders, sie war selbst noch Kind/Jugendliche. Nur damals war sie eben die Ältere und daher in meinen Augen „groß“, wenn du verstehst, was ich meine. :gruebel:

Hoffnung, auf jemanden zu treffen, die dich mag, wie du bist. Auch dazu mag ich gern was sagen.
Ich weiß nämlich nicht, ob das reichen würde, deine Zweifel dahingehend auszulöschen. Dann bist du ja abhängig vom ständigen Zuspruch eines anderen Menschen (und wenn du selbst daran zweifelst, dass dich jemand genau so mögen kann, wie du bist, wirst du wohl auch einer tatsächlich ehrlichen Zuneigung misstrauen).
Sicher kann es helfen, jemanden zu kennen, die einen so mag, wie man ist, aber nur darauf hoffen würde ich nicht. Das Gefühl muss auch von innen kommen; zumindest meine Erfahrung – und nebenbei gibt man sich, wenn man dieses Gefühl in sich selbst gefunden hat, wohl auch nicht mehr damit zufrieden, mit Menschen näheren Kontakt einzugehen, die einen nicht mögen, wie man ist. Oder die man selbst nicht mag, wie sie sind. Wozu auch? Um sich miteinander ständig schlecht zu fühlen und zu verbiegen?

Und zur Ritterrüstung ein weiteres Bild, das mir gerade im Kopf herumschwirrt:
Womöglich brauchen wir die gesamte Rüstung gar nicht mehr. Vielleicht reicht in Notsituationen nur ein kleiner Teil davon, ein Schild zum Beispiel.
Die ganze Rüstung wieder anzuziehen, dauert ja ewig, wenn man sie denn erst mal abgelegt hat (vermute ich zumindest). Im Bewusstsein, sich heute auch mit einem Schild verteidigen zu können, macht es vielleicht weniger Angst, die Rüstung abzulegen. Denn ein Schild hat man schnell in der Hand; eine ganze Rüstung anzuziehen würde dauern, viel zu lange, was wiederum bedeutet, dass man es sich ungefähr 30 Tausend Mal überlegt, ob man sie ablegt oder nicht.
Und vielleicht sind die Jahre der Schlachten schon lange vorbei und alles, was man noch zur Verteidigung braucht, ist man selbst - Argumentieren klappt, Weggehen funktioniert, Abwarten und noch mal drüber reden hat gewisse Erfolgsaussichten, und als letzten Ausweg Wohnungstür abschließen geht auch. Und wenn es denn besonders verletzend ist, einfach mal fauchen. Oder drohend mit den Zähnen klappern. Oder was immer dir beliebt und dir am ehesten entspricht.


Was die Fruchtbarkeit dieses Austausches angeht, kann ich dir nur beipflichten. Ich habe auch das Gefühl, eine ganze Ecke weiter gekommen zu sein als bisher.


Viele Grüße,

Geneviève
Go to the top of the page
 
+Quote Post
kenning
Beitrag 15.Jul.2008 - 00:57
Beitrag #70


Naschkatze
**********

Gruppe: Members
Beiträge: 351
Userin seit: 11.10.2004
Userinnen-Nr.: 576



Hallo Geneviéve!

Wg der Nachbarin bzw eigentlich deren Tochter: Natürlich wollte ich es nicht so hinstellen als hätte es einfach für Dich sein müssen ihre Kommentare abzubeuteln.
Ich selber hatte auch ein ähnliches Erlebnis. Als ich ca 16 oder 17 war, habe ich versucht mit einer Freundin (zumindest habe ich sie bis dahin für eine gehalten) über das Thema Lesbisch-sein usw zu reden. Ich war mir noch nicht ganz sicher ob es auch wirklich 100% auf mich zutrifft, aber meist geht es mir besser, wenn ich meine Gedanken irgendjemand anderem erzählen kann ... durchs erzählen ordnet sich oft vieles, was sonst eher einen Knoten verursacht oder im Kreis läuft. ... jedenfalls, hat sie mich sobald ich anfing davon zu reden nur mehr ausgelacht und meinte ich wäre in sie verliebt (was nicht gestimmt hat ... ich habe ja nur jemand zum reden gesucht) ... diese Reaktion hat mich damals so erschreckt, daß ich natürlich alles geleugnet habe und danach so gut verdrängt habe, daß es erst ca 10 Jahre später im Zuge einer anderen Katastrophe ans Tageslicht befördert wurde. Mit der Zeit habe ich wohl festgestellt, daß ihr Verhalten sehr oberflächlich war (auch bzgl anderer Themen) und habe heute nicht einmal mehr Kontakt mit ihr ... damals ist es mir aber natürlich sehr nahe gegangen.
Langer Rede, kurzer Sinn: Es freut mich also zu lesen, daß Du ihre Äußerungen und Sichtweisen (die der Nachbarstochter) aus heutiger Sicht anders beurteilst als es damals war. Irgendwie macht es mich generell etwas traurig und hilflos, daß es überhaupt so Leute gibt, die so kategorisch ablehnen und damit andere Leute verletzen ... also reagiere ich wohl etwas heftig bei diesem Thema. Daher versuche ich mir dann auch immer vor Augen zu halten, was ich vorher schon geschrieben habe, daß diese Leute, die so ablehnend sind, sich eigentlich nur selber das Leben schwer machen damit ... ist wohl auch so eine Art Schutzreaktion. Sorry, falls ich Dir damit zu nahe getreten bin.

Wg meinen Zweifeln: Naja, wenn ich es ganz genau nehme, zweifle ich im Grunde nicht wirklich daran liebenswert zu sein .. und ich mag mich auch so wie ich bin. Ich bin also in diesem Sinne nicht abhängig von den Äußerungen anderer ... was Du bzgl des Mißtrauens gesagt hast, da ist aber sicher etwas dran. ... ich habe leider schon einmal die Erfahrung machen müssen, daß ein Mensch, der mir (meiner Meinung nach) sehr nahe war und mit dem mich (meiner Meinung nach) auch eine gute Freundschaft verbunden hat, mir rückblickend betrachtet eigentlich nur etwas vorgespielt und mich ausgenutzt hat. ... Das war auch einer der Gründe, warum ich an den Punkt gelangt bin, wo ich angefangen habe, mich von sozialen Kontakten zurückzuziehen und mich sozusagen immer mehr in meine Ritterrüstung zu hüllen ... weil, daß mir sowas wie damals wieder passiert, will ich echt nicht mehr. :( Irgendwie habe ich damals auch ein bißchen das Vertrauen in mein eigenes Urteilsvermögen (bzgl der Einschätzung anderer Menschen) verloren.

Und jetzt finde ich es wirklich schwer dieses verlorene Vertrauen wiederzufinden ... was sicherlich ein Problem ist. ... was im Grunde auch einen der Punkte ausmacht, die mir momentan allgemein zu schaffen machen ... denn ich habe immer mehr das Gefühl, daß ich so auf diese Art einfach nicht weiterkomme bzw daß mir auch viel Gutes und schöne Erfahrungen entgehen, weil ich mich eben so eingekapselt habe bzw auch sehr schnell zurückziehe, wenn irgendetwas nicht ganz rund läuft. ... einfach auch aus Angst daß ich gerade wieder zu gutgläubig bin. Aber ganz wie Du in Deiner wunderschönen Geschichte von den Weihnachtskugeln geschrieben hast .. wenn die Kugeln nicht das richtige Licht haben, kommen sie gar nicht dazu so richtig schön zu glänzen. ... und ich merke momentan gerade, daß mein Leben eigentlich so ist als würde ich in einem grauen Karton sitzen ... das Licht fehlt. ... und daß ich das heute so wahrnehmen kann ist schon ein Schritt vorwärts, weil die letzen 5 Jahre habe ich außer dem Wunsch mich zu verschanzen nicht wirklich viel wahrgenommen. Erst jetzt, langsam, bin ich wieder soweit, daß ich überhaupt die Kraft aufbringe nachzuspüren, was mir fehlt und woran es eventuell liegen könnte ... So komme ich eben auch darauf, daß ich gewisse Wünsche (zb nach einer Beziehung ... oder danach einfach mal neue Leute kennenzulernen) in den letzten Jahren ziemlich kategorisch unterdrückt habe.

:gruebel: Gut möglich also, daß diese Ängste, die beim (näheren) kennenlernen von Frauen bei mir auftreten auch so eine unbewußte Reaktion sind, mich einfach vor möglichen schmerzhaften Erfahrungen fernzuhalten, indem ich die Ablehnung vorwegnehme und mich gleich selber von ihnen fernhalte. ... muß besser noch eine Weile darüber nachdenken.

Wg dem Schild: So eine Abrüstung in Zwischenschritten ... ich denke, ich könnte mich damit anfreunden ... zumal die Rüstung momentan ja immer schwerer und lästiger wird.

Ich hoffe, ich bin nicht zu sehr vom Thema abgewichen und das was ich geschrieben habe, ist halbwegs verständlich. ... Es gehen momentan gerade so viele Gedanken in meinem Kopf herum, da finde ich es nicht gerade leicht diese auch zusammenhängend wiederzugeben.

kenning
Go to the top of the page
 
+Quote Post
Leah
Beitrag 15.Jul.2008 - 07:50
Beitrag #71


Meer sein
************

Gruppe: Members
Beiträge: 1.746
Userin seit: 10.05.2008
Userinnen-Nr.: 5.904



QUOTE (Geneviève @ 14.Jul.2008 - 23:43)
@Leah, ich finde es auch bemerkenswert, dass das die eigentliche Angst ist – wieder da zu landen, wo man mal gewesen ist und nie wieder hin will.
Ist das bei dir eine realistische Angst, d.h. besteht die Gefahr tatsächlich? Oder ist diese Angst nicht vielmehr Zeichen dafür, dass einem ein Rückfall eben nicht mehr passieren wird, gerade weil die Angst davor so groß ist?! Die Angst sozusagen als Schutz davor, noch mal dort zu landen, wo man erfriert (oder ertrinkt oder erstickt oder was auch immer das im Einzelfall sein mag).
So wie ich Angst davor hätte, einen Ort voller hungriger Löwen zu betreten. Da hat die Angst durchaus Sinn und Schutzfunktion.
Ich weiß es nicht. Nur ein Gedanke. :gruebel:

Ob die Angst realistisch ist weiß ich gar nicht,ich denke eigentlich nicht,da ich mich ja auch weiterentwickelt habe und durchaus zu meinen Meinungen,und dem was ich wichtig finde,stehen kann....mich nicht mehr so leicht verunsichern lasse...weil diese Menschen,die damals lebenswichtig für mich waren - auch realistisch wichtig waren...wie zB meine Eltern....dies für mich nun gar nicht mehr sind...

Nun das ist so die allgemeine Angst....vor dem zurückfallen....da hin kommen,wo ich schon mal war....eine sehr große Angst....obwohl sich mein Leben tatsächlich so verändert hat,dass das in der Realität wohl gar nicht mehr sein kann - da zu landen....wo ich schon mal war...

Vielleicht ist diese Angst auch nur eine innerliche Reifeprüfung....und warnende Erinnerung an das was mir so gar nicht gut tat....um bei dem zu bleiben wo ich bin und dies zu festigen...
Go to the top of the page
 
+Quote Post
Geneviève
Beitrag 15.Jul.2008 - 12:11
Beitrag #72


Vorspeisenexpertin
*****

Gruppe: Members
Beiträge: 70
Userin seit: 14.06.2008
Userinnen-Nr.: 5.965



Hallo kenning,

wegen der Nachbarin: ich habe mich von dir gar nicht angegriffen gefühlt, du bist mir auch nicht zu nahe getreten, keine Sorge.
Ich wusste nur nicht, ob ganz klar geworden ist, in was für einer Beziehung ich zu ihr stand, deshalb habe ich das nachträglich noch erläutert.


Das Vertrauen in sich selbst und in die eigene Urteilskraft zu verlieren, ist – meiner Meinung nach – so ziemlich das Schlimmste, was einem passieren kann. Das verunsichert einfach bis in den Grund, weil es dann nichts mehr gibt, auf das man vertraut und das lähmt und macht leblos, was quält, weil man ja doch noch lebt, aber nicht kann.
Zumindest meine Erfahrung (auf die ich auch lieber verzichtet hätte).

Aber wenn ich zurück blicke, dann stelle ich fest, dass ich es in jedem Fall gespürt habe, wenn mir jemand nicht gut tat und irgendetwas ganz grundlegend nicht gestimmt hat – das Problem war nur, dass ich diese Gefühle nicht ernst genommen habe, bis ich nicht einen Beweis hatte, gegen den ich nicht mehr gegenargumentieren konnte.
Ich bezweifle daher, dass es ein Mangel an eigener Urteilskraft ist, der zu schädigenden Beziehungen jeder Art führt. Aber ein Mangel an einem Ernstnehmen subtiler Anzeichen.
Ich erkläre mir das ungefähr folgendermaßen, dazu muss ich allerdings ausholen:
Ich bin ja in einem winzigen Dorf aufgewachsen. Ich kam da jahrelang nicht raus früher (so gut wie keine Busverbindungen, außer früh morgens zur Schule und direkt nach der Schule wieder zurück, Weg in die Stadt mit Fahrrad zu weit für ein Kind, niemand der mich fahren konnte). Das Dorf war die ganze Welt, was tragisch war, weil ich da nicht hinein gepasst habe, weil ich dort nicht gewollt war, weil ich dort nicht sein wollte.
Wenn man das jahrelang und jeden Tag erlebt, dann hat man aus meiner Sicht nur drei Möglichkeiten: man wird verrückt, man stirbt oder man sucht nach Wegen, die es erträglicher machen.
Ich bin wenigstens in meiner Fantasie geflüchtet, habe mir gedankliche/emotionale Fantasie-Welten erschaffen, die anders waren und in die ich gerettet habe, was ich retten musste. Das war ein Weg des Umgang. Der andere war Idealisierung meines Umfeldes.
Das klingt vielleicht seltsam, aber ich weiß nicht, ob ich nicht gebrochen wäre, wenn ich nicht idealisiert hätte damals. Dunkles, Schmerzhaftes ausblenden und hineindenken von Schönem.
Ich habe nur lange nicht verstanden, dass ich idealisiert habe, es wurde irgendwann normal, ich tat das beinahe immer, es war Strategie, die mir nicht bewusst war. Und eine, die eben davon lebt, die eigene ehrliche Urteilskraft auszublenden und nicht ernst genug zu nehmen.
Man kann sich ausrechnen, was für „Freundschaften“ ich jahrelang hatte, bis ich die Sache mit der Idealisierung einigermaßen kapiert hatte.

Ich weiß überhaupt nicht, ob das auch nur annähernd auf dich zutrifft. Aber was ich sagen will, ist, dass es, glaube ich, keinen Grund gibt, deiner Urteilskraft Versagen zu unterstellen. Vielleicht hast du nur gelernt, sie nicht ernst genug zu nehmen.
Ist nur ein Gedanke, mein eigener Erfahrungsschatz.
Ich weiß nur, dass es zerstörend ist, sich selbst zu misstrauen. Dann hat man natürlich nicht den Funken Lust und Energie auf Leben, weil jedes bisschen Leben potenziell tödlich sein kann.
Um am Leben zu bleiben, darf man nicht leben. Und das funktioniert nicht, weil es paradox ist.

Im Übrigen glaube ich nicht, dass das am Thema vorbeigeht (und wenn doch, kann ich damit gut leben).
Wenn man es – sei es nun deshalb, weil man als Lesbe in einem homohoben Umfeld lebt und/oder aus anderen Gründen – gewohnt ist, sich in seiner Umgebung nicht wohl zu fühlen, dauernd mit Angriffen zu rechnen, gegen die man sich nicht oder zu wenig wehren kann, und dort über Jahre hinweg nicht wegkommt, dann muss man damit irgendwie umgehen.
Und wenn man in einem solchen Umfeld absolut jede Verletzung als solche wahrnehmen würde, wie sollte man da etwas behalten, das Lebenslust ist und Hoffnung und Freude und Zuversicht und all das?
Ich nehme an, es passiert dort sehr leicht und ist unter Umständen eine Zeit lang sogar nützlich, manchmal überlebenswichtig, dass man einfach dicht macht für die Realität und wenigstens für eine Weile annehmen kann, dass alles in Ordnung wäre, dass es wenigstens einen einzigen Menschen gäbe, mit dem es kein Grundsatzproblem gibt.
Und aus diesem Verhalten, wenn es sich automatisiert, wird eine Missachtung der eigenen Urteilskraft. Die dann in ungute Beziehungen jeder Art führt. Die wiederum ein Misstrauen in die eigene Urteilskraft nach sich ziehen, was dann zur Kapitulation führt.

Der Weg hinaus ist für mich zum einen die Einsicht, dass nicht die eigene Urteilskraft ungenügend ist, sondern dass der Fehler in der Missachtung ihrer leiseren Hinweise und ihrer flüsternden, wispernden Stimmen liegt.
Und zum anderen die Einsicht, dass ich lernfähig bin.

Ist nur eine Idee dazu, es mag zahlreiche andere geben. Aber das ist die, die mir vertraut ist und zu der ich daher etwas sagen kann.

Jetzt weiß ich nicht, ob ich nicht an dir vorbei geschrieben habe. Ich lasse es dennoch mal so stehen.


Viele Grüße,

Geneviève
Go to the top of the page
 
+Quote Post
Leah
Beitrag 15.Jul.2008 - 12:42
Beitrag #73


Meer sein
************

Gruppe: Members
Beiträge: 1.746
Userin seit: 10.05.2008
Userinnen-Nr.: 5.904



Hallo Geneviève

Deine Welt,oder wie Du Dich in Deiner damaligen Welt beschreibst ist mir auch sehr vertraut....so muß man wohl in einem solchen Umfeld,in dem man lebt,aus dem man nicht ausbrechen kann....alles böse....irgendwie abspalten,bzw verdrängen....und alles andere idealisieren...da es ansonsten für sich keinen anderen Weg gibt,denn zum Weglaufen ist man noch zu klein....zum Verstehen und Zuordnen auch - also sieht man zu Wege zu finden die das Leben irgendwie möglich machen....

Es ist eigentlich bewundernswert wozu man fähig ist,wenn man keine andere Möglichkeit hat....aber genauso wichtig ist es....später zu erkennen warum man wie gehandelt hat...ob das alles so gut und richtig war....und ob man sich von einigem trennt,was nicht gut war und so dann auch die Möglichkeit hat sein Verhalten von früher zu überdenken,was man davon noch braucht und was man in andere Strategien verändern kann....die im HIER und JETZT nützlicher sind...



Go to the top of the page
 
+Quote Post
kenning
Beitrag 17.Jul.2008 - 00:53
Beitrag #74


Naschkatze
**********

Gruppe: Members
Beiträge: 351
Userin seit: 11.10.2004
Userinnen-Nr.: 576



Hallo Geneviève!

Nein, vorbeigeschrieben, hast Du bei mir sicher nicht. Wenn es etwas länger dauert, wenn ich antworte, dann liegt es nur daran, daß ich erst noch etwas über das von Dir geschriebene nachdenken muß, bevor ich antworte. Im Grund beschreibst Du so einiges was sich für mich sehr stimmig anfühlt.

Ich bin zwar nicht in einem kleinen Dorf aufgewachsen, so wie es bei Dir war, sondern in einer Kleinstadt. Leider war es eine sehr konservative und katholische Kleinstadt. Lesbisch sein, war somit als Option einfach nicht vorhanden. Ich erinnere mich, daß ich mich schon als kleines Kind (ca ab der Volksschule) immer als Außenseiter gefühlt habe, obwohl ich es nicht benennen konnte was anders mit mir war bzw mich einfach auch nie richtig getraut habe. Je älter ich wurde, desto weniger habe ich dort hineingepaßt. Vor allem als die Mädels sich dann anfingen für die Jungs zu interessieren, und umgekehrt, fand ich das alles einfach nur doof (besonders nach dem Erlebnis, wo ich ausgelacht wurde, was ich im letzen Post schon beschrieben habe).
Hinzu kam, daß meine Eltern sich trennten, als ich 12 Jahre alt war. Es war eine eher unschöne Scheidung mit recht viel Streiten im Vorfeld und auch nachher noch. Mein Bruder und ich mußten sogar vor Gericht aussagen zu wem wir lieber wollten, Vater oder Mutter. ... das war irgendwie die Hölle damals ...

Auch was Du beschreibst mit der Flucht in Fantasie-Welten .. das kenne ich nur zu gut. Ich hab damals viel gelesen (und auch recht viel ferngesehen) und mir so wie Du es auch beschreibst auch eigene Welten oder Geschichten zusammengebastelt.

Daß mit dem Idealisieren klingt jetzt auch nicht so unwahrscheinlich. Immerhin hatte ich es ja ausgesprochen gründlich verdrängt, daß ich lesbisch war. Genauso stur habe ich dann wahrscheinlich auch die Anzeichen, daß so einiges anderes auch nicht gestimmt hat, verdrängt. :patsch: Jetzt hoffe ich auf jeden Fall, daß ich nachdem ich es ja auch schon geschafft habe einzusehen, daß ich lesbisch bin, auch sonst ein wenig weniger blind sein werde.

Wenn ich so drüber nachdenke, war ich, glaube ich, auch mit dem kategorisieren von Menschen in "der ist nett und tut mir nichts" und "der ist ein Ar*** und schadet mir" einerseits viel zu schnell und andererseits möglicherweise auch zu sehr von Wunschdenken beseelt war. Natürlich weiß ich, daß Schubladendenken nicht gut ist, aber bis zu einem gewissen Grad kann man es ja auch nicht ganz abstellen. ... und möglicherweise habe ich mich einfach auch durch meinen Wunsch mich mit Leuten zu umgeben, die "nett sind und mir nichts tun" verleiten lassen, manchen dieses Label zu geben, die es bei genauerer Betrachtung eigentlich gar nicht verdient haben. Und genauso habe ich wahrscheinlich auch Leuten mit dem anderen Label Unrecht getan. ... Es ist wohl wichtig, daß ich mir wieder öfters vor Augen halte, daß Menschen nicht so zweidimensional sind.

Ich weiß jetzt irgendwie gar nicht, ob das, was ich schreibe, noch zu Deiner Ausgangsfrage bzw zu Deiner Situation etwas beiträgt. Jedenfalls empfinde ich Deine Gedankenanstöße als sehr bereichernd und hilfreich. ... Ich habe aber schon den Eindruck, daß meine heutige Situation sehr nahe (viel näher noch als ich am Anfang dieses Threads geglaubt habe) mit meinen Erfahrungen aus meiner Jugendzeit, wo eben so einiges furchtbar und schmerzhaft war, zusammenhängen.

Lieben Dank also für Deine fortgesetzen Bemühungen. :blumen2:

Viele Grüße

kenning
Go to the top of the page
 
+Quote Post
DerTagAmMeer
Beitrag 17.Jul.2008 - 08:24
Beitrag #75


Adiaphora
************

Gruppe: Members
Beiträge: 1.987
Userin seit: 14.10.2004
Userinnen-Nr.: 596



QUOTE (Geneviève @ 03.Jul.2008 - 12:54)
Man wacht ja nicht eines Tages auf und denkt sich, dass man sich dafür schämen müsste, lesbisch zu sein oder dass andere einen gar für eklig halten könnten. Solche Ängste und Befürchtungen sind ja nicht angeboren und einfach in einem drin. Warum sollten sie auch? Ich sehe keinen realistischen Grund dafür.

Auch wenn sich die Diskussion mittlerweile schon weiterentwickelt hat, würde ich hier gern noch mal einhaken.
Irgendwo hab ich schon mal geschrieben, dass wir die Homosexualität nicht erfunden haben - aber (möglicherweise) die ersten sind, die sie offen leben.
Meint: viele von uns sind nicht nur in einer homophoben Umgebung aufgewachsen, sondern eben auch in einer latent homosexuellen - aufgezogen von lesbisch tagträumenden Müttern oder schwul begehrenden Vätern, bisexuellen Tanten und transsexuellen Großvätern: Vorbildern, die eben NICHT offen sondern im Geheimen begehrten und sich ein Leben lang zwangen, den normativen Schein aufrecht zu erhalten.

Kinder blicken durch diesen Schein hindurch, nehmen die verschämt begehrlichen Blicke wahr, erkennen die Leere hinter der Fassade und fürchten die inneren Kämpfe der Erwachsenen, in denen die ihre Leidenschaften niedermetzeln oder im Verborgenen kultivieren. All das wird viel früher Realität zwischen den zwei kleinen Ohren als die eigene Sexualität ins Bewusstsein dringt.

Bevor ich mein eigenes lesbisches Kapitel in unserer staubigen Familiensaga begann, war schon so viel über Scham, Sünde, Ekel, Verderbnis, Gräuel, Liederlichkeit und die Schande des Fleisches geschrieben worden, dass mein vorlauter Schüttelreim "hier stehe ich und liebe dich" den Experten kaum ein müdes Lächeln entlocken konnte.

Seit dem haben sich recht viele Lebensgeschichten und Geheimnisse entblättert. Nicht alle waren Tragödien. Aus manchen hatte die abgelehnte Homosexualität wahre Heilige gemacht (das meine ich nicht zynisch sondern voll ehrlicher Bewunderung). Ihre Lebensgeschichten sind ein Erbe, das ich in mir trage. Sie sind aber auch Aufgabe und Motivation mit meinem Leben zu zeigen: Guckt her, Eure Ängste sind unbegründet! Linksrum geht auch anders - glücklich ohne Heimlichkeiten und Demütigungen. Sehr erfolgreich bin ich mit meiner Propaganda nicht, Alibiehen stehen noch immer hoch im Kurs. Aber wenn sie scheitern und mir der Familien-Buschfunk von der fussballspielenden* Tochter zuträgt, dass diese voll hinter der Trennung ihrer Eltern steht, frag ich mich, ob ihre verrückte Schwippschwapptante vom anderen Ufer vielleicht doch eine neue Familientradition angestoßen hat...

* nein, ich behaupte nicht, dass alle fußballspielenden Frauen lesbisch sind, noch nicht mal, dass alle mit Erfolg und Ehrgeiz fussballspielenden Frauen lesbisch sind. Nein. Nur ein ganz paar wenige Ausnahmen vielleicht :D

Der Beitrag wurde von DerTagAmMeer bearbeitet: 17.Jul.2008 - 09:01
Go to the top of the page
 
+Quote Post
Geneviève
Beitrag 17.Jul.2008 - 12:39
Beitrag #76


Vorspeisenexpertin
*****

Gruppe: Members
Beiträge: 70
Userin seit: 14.06.2008
Userinnen-Nr.: 5.965



Hallo ihr alle,

ich schreibe in den nächsten Tagen noch etwas zum Thema, im Moment mag ich erst mal Folgendes sagen:

@DerTagAmMeer: Herzlichen Dank für deinen Einwurf! Für mich persönlich ist das ein weiteres Puzzleteil, ein wichtiges noch dazu.

Ich bin aufgewachsen mit Ehen innerhalb meiner Familie, die nicht funktioniert haben. D.h. „funktioniert“ haben sie, alle sind verheiratet geblieben. Aber wo da Liebe war, konnte ich nicht sehen, höchstens in sehr rar gesähten Momenten mal aufblitzen sehen, aber wie Sternschnuppen, die einfach verbrannt sind und danach gar nichts mehr waren.
Meine Großeltern mütterlicherseits haben sich beinahe nur gestritten, lautstark und deutlich verletzend; sie haben, so lange ich denken kann, nicht im gleichen Raum geschlafen, meine Oma im Schlafzimmer im Bett, mein Großvater auf der Couch im Wohnzimmer. Ich habe nie gesehen, wie sie sich geküsst, umarmt oder auch nur in die Augen gesehen haben. Selbst beim abendlichen Fernsehen saßen sie nie nebeneinander, sondern jeder auf seiner eigenen Couch.
Meine Großeltern väterlicherseits hatten kaum einen gemeinsamen Alltag, mein Großvater war so oft weg, wie er nur konnte, hatte nur Demütigungen parat für seine Frau (und jeden anderen) und meine Oma hat ihre Kinder und Enkelkinder als Tröster und Gesellschaft gebraucht, damit ihr Leben irgendeinen Inhalt hatte und sie nicht den ganzen Tag auf der Couch lag und die Decke angestarrt hat.

Alle haben sehr früh geheiratet, früh Kinder bekommen. Meine Eltern ebenso. Aber sie haben sich wenigstens nicht dauernd gegenseitig fertig gemacht. Dennoch erschienen sie mir immer wie Geschwister oder bestenfalls alte Freunde.
Meine Mutter hat keinen Hehl daraus gemacht, dass sie es hasste, Frau zu sein. Ich glaube nicht, dass sie transsexuell war (tue ihr mit diesem Eindruck allerdings möglicherweise Unrecht, das weiß ich nicht), sie hatte aber zu viel Schlimmes erlebt und das niemals angesehen und verarbeitet, so dass ihr Frausein als etwas erschien, das lästig und schmerzvoll war, machtlos und unterdrückt.
Was ich mich allerdings schon desöfteren gefragt habe, ist tatsächlich, ob sie lesbisch/bisexuell ist und auch deshalb nicht Frau sein wollte, weil Frau sein und Frauen begehren sich in ihrer Welt ausschloss. Ich habe nur bemerkt, wie anders sie viele Frauen betrachtet hat, wie sie bei einigen aufgedreht-nervös geworden ist, wie sie einigen gegenüber sehr viel zärtlicher war, wie sie tatsächlich etwas haben konnte, das lebendig schien, lachend und kichernd und mit lebendigen, funkelnden Augen, gestikulierend und gelöst.

Meine Familie besteht, was Liebe angeht, aus lauter traurigen Gestalten, die den falschen Menschen geheiratet haben, die teilweise eine regelrechte Verachtung für Liebe jeder Art aufwiesen (mein Vater hat jeden Kuss im Fernsehen abwertend und Augen verdrehend kommentiert, mein Großvater mütterlicherseits anzüglich, meine Großmutter väterlicherseits saß da mit unartikulierter Sehnsucht).
Einer meiner Onkel, der, obwohl lange erwachsen, noch mit in einem Haus mit meinen Eltern und Großeltern väterlicherseits gewohnt hat (er übernahm all die Jahre seine Rolle als Lebensinhalt und Bezugsperson für seine Mutter), hatte niemals in all den Jahren, in denen ich ihn kannte, eine Beziehung, hat sich einer Sekte angeschlossen und dafür gelebt, hatte Frauenkleider im Schrank, hat Kataloge mit der Geschlechtsbezeichnung „Frau“ vor seinem Namen bekommen, hat immer so getan, als wäre er noch Kind. Erwachsen werden ging nicht für ihn. Ihn halte ich tatsächlich für transsexuell. Dass er sich nur in Männer verlieben kann, war klar, allerdings konnte ich das lange nicht benennen.

Kurz gesagt: Da war so viel Sehnsucht und Scham und heimliches Begehren in meiner Familie, dass es erschlagend war, als gäbe es ein riesiges, dunkles, schwarzes Tuch, das über Allem lag und Lebendigkeit verhinderte, weil ausnahmslos keiner von ihnen es hat ertragen können, jemanden lebendig und unbelastet und ununterdrückt in seiner/ihrer Liebe und Sexualität zu sehen. Vielleicht weil ihnen dann eher bewusst gewesen wäre, was sie eigentlich an sich selbst unterdrücken und wie weh das getan haben muss.
Demzufolge bin ich damit aufgewachsen, dass Liebe und Sexualität etwas Gefährliches wäre, etwas Verachtenswertes, etwas Auszulachendes, etwas wie eine Atombombe, das man besser nicht anrührt.
Ehrlich, DerTagAmMeer, vielen Dank für deinen Hinweis in diese Richtung, dazu fällt mir ganz viel ein.


Viele Grüße,

Geneviève
Go to the top of the page
 
+Quote Post
DerTagAmMeer
Beitrag 17.Jul.2008 - 17:26
Beitrag #77


Adiaphora
************

Gruppe: Members
Beiträge: 1.987
Userin seit: 14.10.2004
Userinnen-Nr.: 596



QUOTE (Geneviève @ 17.Jul.2008 - 13:39)
Demzufolge bin ich damit aufgewachsen, dass Liebe und Sexualität etwas Gefährliches wäre, etwas Verachtenswertes, etwas Auszulachendes, etwas wie eine Atombombe, das man besser nicht anrührt.

Doch dem ist ja nicht so :)

Wenn Du mit offenen Augen durch die Regenbogenwelt gehst, wirst Du diese Sehnsüchte wiedererkennen - an Menschen, für die es Glück, Lebendigkeit und Stolz bedeutet so zu fühlen.

Im Köln gibt es beispielsweise seit vielen Jahren eine schwule Cheerleader-Combo, die Pink Poms, bei denen die pralle Lebensfreude gestandener Kerle mit rosa Puscheln mir alljährlich die Freudentränen übers Gesicht kullern lässt. Ähnlich geht's mir beim Anblick der legendären Dykes on Bykes: Wie beeindruckend und lässig hätte Tante xyz auf solch einem Ofen ausgesehen! Mit Lederjacke und Bluejeans statt C&A-Polyester-Kostüm, mit raumgreifenden Tattoos statt Perlmutt-Nagellack und vor allem: mit einer Geliebten im Beiwagen, die sie für das bewundert, was sie so besonders macht.

Mir tut es gut, die Geschichten meiner "homophoben Ex-Umwelt" heimlich und in Gedanken umzuschreiben, ihnen ein queeres Happy End zu verpassen und die vermeintlichen Atombomben mit bunten Schirmchen und Wunderkerzen zu spicken, bis die ihre heimliche Identität als Eisbombe und umjubelter Höhepunkt der Traumschiffparade preisgeben.

Vielleicht versteht die ein oder andere Lesbe im Alibert :wavey: so auch besser, warum es mich so fuchsteufelig macht, wenn heterosexuelle Normvorstellungen unter "uns" propagiert werden. Wenn aus der stolzen Dyke ein übergewichtiges Mannweib mit groben Gesichtszügen gemacht wird, der frau in Gedanken erst ein C&A-Polyester-Kostüm anzieht, um ihre "Attraktivität" zu beurteilen.
Go to the top of the page
 
+Quote Post
kenning
Beitrag 17.Jul.2008 - 22:54
Beitrag #78


Naschkatze
**********

Gruppe: Members
Beiträge: 351
Userin seit: 11.10.2004
Userinnen-Nr.: 576



Hallo Geneviève!

Jetzt möchte ich auch mal wieder was schreiben, daß konstruktiv zum eigentlichen Thema beiträgt.

Ich kann sehr gut nachempfinden, daß Du, nach allem was Du bis jetzt aus Deiner Kindheit und Jugend beschrieben hast, Dich noch heute von Deiner damaligen Situation belastet fühlst. Sicher ist es für Dich nicht leicht Dich von den schlechten Vorbildern, die Du damals hattest, zu lösen.

Doch niemand wird ja dazu gezwungen, die Fehler seiner Vorfahren zu wiederholen. Das passiert vielleicht, wenn man unreflektiert einfach nur alles nachmacht, wie man es zu Hause vorgelebt bekommen hat. ... Aber das machst Du ja nicht. Sieh doch einmal wie weit Du schon gekommen bist. Du bist von zu Hause ausgezogen und aus dieser kleinen Dorfwelt ausgebrochen. Du hast Dich hier im Lesbenforum registriert, trotz vorherigem Zögern, und schreibst (meiner Meinung nach) sehr einfühlsame und gedankenvolle Beiträge (... und hast sogar schon das Aphorissima-Shirt damit gewonnen ;) ). Schon alleine von diesen Beiträgen habe ich eigentlich nicht den Eindruck, daß Du blank ohne nachzudenken alles nachmachst, wie es Dir früher vorgelebt wurde. Also bist Du ja eigentlich schon auf dem besten Weg in eine freudvollere Zukunft.

@DerTagAmMeer schreibt, daß man nur mit offenen Augen durch die Regenbogenwelt zu gehen braucht um auch positive Beispiele zu finden, Menschen, die mit ihrer Homosexualität voll Lebensfreude umgehen. ... Ich denke, daß man solche positiven Beispiele auch finden kann, wenn man sich allgemein zwischenmenschliche Beziehungen anschaut. Nicht alle Partnerschaften (egal ob Ehe oder anders verbunden) sind schlecht und enden in Steit und Unfrieden oder vegetieren am Rande des Unerträglichen vor sich hin. Da gibt es auch viele positive Beispiele an denen man sich orientieren kann ... solange man den Mut und die Offenheit hat danach Ausschau zu halten. Klar, hat unsere Kindheit und Jugend einen prägenden Einfluß auf uns ... doch wir sind dennoch auch eigenständige Persönlichkeiten. Auch wenn es vielleicht wenig ist, was uns gegeben wurde ... jetzt wo wir erwachsen sind, liegt es auch an uns etwas daraus zu machen bzw es eben besser zu machen als es uns vorgelebt wurde.

Du hast weiter vorne im Thread geschrieben:
QUOTE (Genviève)
Wenn ich einer Frau begegne, bei der ich das Gefühl habe, dass sie ebenfalls lesbisch ist und dazu noch das Gefühl habe, dass auch sie genau weiß, dass ich lesbisch bin, dann reagiere ich panisch. Ich werde knallrot, fange an zu schwitzen, kann mich nicht entscheiden zwischen Wegsehen und Blick erwidern, weshalb eine seltsame Mischung aus beidem dabei herauskommt, ich nehme mich selbst irgendwie zerstückelt wahr (meine Arme als so längliche Dinger, die unwohl an mir herunter hängen und von denen ich nicht weiß, was ich damit machen soll, ich bin körperlich verschoben und nicht zusammen passend).
Diese Eindrücke verschwinden restlos, sobald ich nicht mehr in der Situation bin. Aber tauchen genau so wieder auf, wenn sich eine neue dieser Situationen einstellt.

Jetzt frage ich mich: Wie oft warst Du denn schon in so einer Situation? Kannst Du vielleicht etwas genauer benennen was Dir so große Angst macht? Nur weil eine Frau lesbisch ist, macht sie das ja nicht zu einem Geneviève-verschlingenden Ungeheuer? Was wäre denn das schlimmste was in so einer Situation passieren könnte?

Könnte es sein, daß Du nur einige vage Vorstellungen und gar keine echten Erfahrungen hast, wie lesbische Frauen sein könnten? In dem Fall verwundert es mich nicht, daß natürlich Deine Erfahrungen von früher schwerer wiegen (und Dich natürlich noch mehr belasten) als Deine möglichen Erfahrungen, die Du ja (noch?) nicht gemacht hast. Diese sind ja auch noch etwas nebulös und damit auch emotional viel schwerer greifbar.

Und gerade das Kennenlernen von neuen Menschen, könnte Dir ja auch in Bezug auf mögliche Beziehungsmodelle bzw neue Vorbilder für Dich weiterhelfen ... wenn Du zb Frauen kennenlernst, die miteinander glücklich sind und das auch ausstrahlen.

So einiges von dem was ich geschrieben habe, ist natürlich reine Interpretation und Spekulation und muß auf Dich natürlich gar nicht zutreffen ... also falls das der Fall ist, sag mir bitte, wenn ich am Ziel vorbeigeschossen habe.

lg

kenning
Go to the top of the page
 
+Quote Post
Geneviève
Beitrag 18.Jul.2008 - 01:33
Beitrag #79


Vorspeisenexpertin
*****

Gruppe: Members
Beiträge: 70
Userin seit: 14.06.2008
Userinnen-Nr.: 5.965



Hallo ihr alle,

@DerTagAmMeer und @kenning, :blumen2: für eure Beiträge. Ich habe sie gelesen und auch versucht, Antworten auf deine Fragen zu finden, kenning (du hast übrigens nicht daneben geschossen).
Die Sache ist: ich habe für meine heutige Situation rein gar keine, nicht mal ansatzweise, eine triftige Begründung für Ängste und für Zögern und all das.
Ich hatte die früher und das ist das, was ich noch fühle.
Diese Diskrepanz überfordert mich manchmal - das, was ich lernte, war absoluter Müll. Das, was mir beigebracht worden ist, war in keiner Weise lebensfähig. Das, worum ich mich jahrelang bemühen musste (Unauffälligkeit, Angepasstheit, Stummheit, Selbstbeschneidung und vieles mehr), bis ich glaubte, keine Luft mehr zu bekommen, ist alles andere als eine notwendige „Lektion fürs Leben“ gewesen, es sei denn, man verwechselt Leben mit Tod. Oder mit Qual.

Ich achte meine Familie ohnehin nicht (mehr), aus sehr vielen Gründen nicht. Aber einzusehen, dass sie mir rein gar nichts beigebracht haben, beibringen konnten, ... ich weiß nicht, wie ich das beschreiben kann. Ungefähr so, als würde ich von Wesen abstammen, die mit mir rein gar nichts mehr gemeinsam haben. Vielleicht wie ein Kuckuck, der in einem Nest voller anderer Vögel einer ganz anderen Art aufwächst, sie nicht versteht, sie ihn nicht verstehen, dann wegfliegt und sieht, dass er Jahre damit verbracht hat, zu lernen, was ihm nichts nützt, was ihm im Gegenteil einfach nur schadet.
Wenn es eins gab, das alle Familienmitglieder gemeinsam hatten, dann war es unerfüllte Liebe, unterdrückte Liebe, Lieblosigkeit in verschiedenen Formen und Abstufungen. Unter anderem darauf hat mich DerTagAmMeer gestoßen.
Homophobie war die eine Sache, mit der bin ich allmählich durch, glaube ich.
Lieblosigkeit und ein allgemeines „Verbot“ (doch, ich denke, ich kann dazu Verbot sagen), glückliche Liebesbeziehungen zu haben, war die andere Sache. War mir bislang nicht bewusst. Oder irgendwie doch bewusst, aber nicht so klar wie jetzt gerade.

Und ehrlich gesagt habe ich momentan zum allerersten Mal überhaupt das Gefühl, dass das alles lange her ist – in Jahren gemessen ist es nicht wirklich lange, aber es fühlt sich an wie aus einer anderen Welt.
Grau und neblig und klein irgendwo am anderen Ende eines Ozeans, starr und kalt, wie ein kontinentweiter Friedhof.
Ich glaube, ich breche einfach nur das letzte Gebot aus den gesammelten Mitgliedschaftsregeln meiner Familie. Ich habe so viele Gebote davon in den letzten Jahren so gründlich gebrochen, dass das eigentlich nichts Ungewöhnliches mehr ist.
Nur lautet das allerletzte, das ich noch nicht gebrochen habe: Du sollst nicht lieben. Schon gar nicht glücklich und stolz und frei und zurück geliebt und aufrichtig.
Und wenn ich das breche, dann bin ich, glaube ich, wirklich draußen. So ganz und gar, das Gebots-Buch wird zerrieseln in Asche und dahin wehen, woher es gekommen ist. Von mir weg, auf den Friedhofskontinent auf der anderen Seite des Ozeans.

Ich glaube, diese Aussicht lässt mich noch zögern. Weil das ein so gewaltiger Schritt ist. Ein Schritt, den ich will und den ich gehen werde, keine Frage. Und einer, auf den es sowieso immer hinaus gelaufen ist, schon als Kind.
Das, was ich noch machen muss für mich, ist, glaube ich, noch ein allerletztes Mal Abschied nehmen. Ich fühle mich ungefähr so, als würde ich Blumen in den Ozean streuen.
Und obwohl ich immer wollte, dass das alles, die Familiengebote und meine Zwangs-Mitgliedschaft dort, eines Tages restlos vorbei sein würden und obwohl ich die ganzen letzten Jahre darauf hingearbeitet habe, überrascht es mich, dass es tatsächlich ein Ende haben kann. Und dass ich es sehe, fühle.
Überwältigt mich gerade ziemlich, weil ich nicht damit gerechnet habe. Aber es erleichtert.

Wirklich und ehrlich vielen Dank für eure Gedankenanregungen und Beiträge!


Viele Grüße,

Geneviève
Go to the top of the page
 
+Quote Post
kenning
Beitrag 18.Jul.2008 - 12:02
Beitrag #80


Naschkatze
**********

Gruppe: Members
Beiträge: 351
Userin seit: 11.10.2004
Userinnen-Nr.: 576



Hallo!

Es ist sicherlich hart so ein Resümee über die eigene Familie ziehen zu müssen.

Bei mir war es so, daß gerade in der Zeit als meine Eltern sich trennten, einige Dinge vorgefallen sind, die heute noch schmerzhaft sind, wenn ich dran denke. zb hat meine Mutter sich im Keller ein kleines Zimmer eingerichtet, in das sie sich sehr oft zurückzog. Ich erinnere mich, daß ich Stunden vor der Türe verbracht habe, gebeten und gebettelt habe, aber trotzdem nicht hineingelassen wurde. Erst als unsere Katze kam, hat sie die Türe geöffnet, aber auch nur um die Katze hineinzulassen. ... Ich fühlte mich so alleine, zurückgestoßen und im Stich gelassen mit der ganzen Situation ... Irgendwann als ich älter war, habe ich dann erkannt, daß sie es nicht absichtlich gemacht hat, um mich zu verletzen, sondern weil sie sich selbst nicht mehr zu helfen wußte.

Ich denke, daß es in Deiner Familie vielleicht ähnlich sein könnte. Irgendwie sind ja alle dort in diesem Netz an Regeln und Verboten gefangen und schaffen es nicht sich daraus zu befreien. Wahrscheinlich haben sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten versucht das beste für Dich zu geben, aber solange sie sich selbst nicht befreit haben, ist das Ergebnis natürlich weit davon entfernt wirklich hilfreich oder wohltuend für Dich zu sein.

QUOTE (Geneviève @ 18.Jul.2008 - 02:33)

Das, was ich noch machen muss für mich, ist, glaube ich, noch ein allerletztes Mal Abschied nehmen. Ich fühle mich ungefähr so, als würde ich Blumen in den Ozean streuen.


Hast Du schon überlegt diese Metapher in die Tat umzusetzen? Habe mir gerade gedacht, daß es Dir vielleicht helfen könnte eine Art Abschiedsritus zu vollziehen ... also wirklich Blumen in den Ozean zu streuen (oder falls keiner in der Nähe ist, halt in einen Fluß, der sie dann dorthin bringt.) ... Wenn Du keine Blumen kaufen willst, könntest Du ja auch welche malen ... oder einfach Zettelchen machen, wo diese ganzen Verbote aus Deiner Familie draufstehen und die dann wegwerfen ...

War nur so eine Idee, weil solche symbolischen Akte mir manchmal gut weiterhelfen. (Ich hab zb in den letzten Tagen meine ganze Wohnung aufgeräumt und ganz viele Sachen, die Erinnerungen an schlechte Erlebnisse beinhalten und die ich eigentlich gar nicht mehr brauche weggeworfen. War für mich auch so eine Art Befreiung.)

lg

kenning
Go to the top of the page
 
+Quote Post

5 Seiten V  « < 2 3 4 5 >
Reply to this topicStart new topic
1 Besucherinnen lesen dieses Thema (Gäste: 1 | Anonyme Userinnen: 0)
0 Userinnen:

 



Vereinfachte Darstellung Aktuelles Datum: 14.05.2025 - 23:29