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Beitrag
#1
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Capparis spinosa ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Gruppe: Members Beiträge: 3.143 Userin seit: 25.08.2004 Userinnen-Nr.: 97 ![]() |
Ein plötzlicher Tod, wie geht mal real(istisch) damit um? Das ist seit sehr langer Zeit ein Thema von mir, es begleitet mich seit meiner Kindheit.
In den vergangen Monaten und Jahren habe ich versucht mir eine Einstellung dazu zu erarbeiten, mit der ich leben kann. Verstehen, dass der Tod zum Leben dazu gehört. Im letzten Jahr habe ich einen Menschen verloren, der mir wichtig war. Es war sehr traurig, aber irgendwie ok. Der Mensch war weit über 80, seine Zeit war wohl gekommen. Ich habe getrauert, aber es war okay. Heute ist etwas geschehen, was ich nicht begreifen, erfassen kann. In der Bahn vor mir oder auf dem Bahnsteig heute Morgen starb ein Mann. Ich denke, er starb. Die Rettungskräfte noch mit ihm beschäftigt, aber ich denke nicht das sie ihm noch helfen konnten. Es hatte wohl schon zu lange gedauert, denke ich. Es ist auch nicht das erste Mal, dass ich so etwas erlebe. Menschen sind plötzlich tot und alle anderen machen bewusst auf „business as usual“. Je plötzlicher der Tod um so „normaler“ geben sich die Leute. Auf dem Bahnsteig haben einige wenige in Richtung des tragischen Geschehens geguckt. Die meisten wirkten so unnormal, normal. Züge fuhren rein und raus, Menschenströme stiegen um, gingen vorbei. Klar, habe ich auch gemacht, einfach umsteigen. Gibt eh nichts zu tun. Die Rettungskräfte waren ja schon da. Ich kann damit nicht umgehen, denke ich. Weiß eigentlich gar nicht was ich denken soll. Merke nur wie die alte Angst wiederkommen. Als es im Büro meiner Chefin heute Vormittag so still war, kein Tippen, keine Telefonate, kein Gekrame wie sonst, musste ich gucken gehen ob sie noch da ist, ob sie noch lebt. |
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Beitrag
#2
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Gut durch ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Gruppe: Members Beiträge: 1.839 Userin seit: 19.11.2007 Userinnen-Nr.: 5.268 ![]() |
Liebe Bilana,
ersteinmal :troest: Der Tod, ja der Tod gehört zu unserem Leben wie nichts anderes. Dennoch machst er traurig und betroffen, sogar hilflos. Wie jeder einzelne Mensch damit umgeht, dafür gibt es sicherlich keine Norm. Es wird viel über den Tod und das Verarbeiten geschrieben, jedoch denke ich, das du die Möglichkeit darüber zu reden ( hier zu schreiben) nutzen solltest, um wenigstens ein paar Gedanken zu ordnen. Leider aus Zeitgründen, hier und jetzt nicht mehr. :blumen2: |
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Beitrag
#3
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Capparis spinosa ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Gruppe: Members Beiträge: 3.143 Userin seit: 25.08.2004 Userinnen-Nr.: 97 ![]() |
Danke Seonak,
ja und doch... .. wenn es drauf ankommt wird so getan als wäre der Tod nicht da, als wäre nichts passiert. Das ist es, was ich nicht begreife. Ich finde das, wenn der Fall eintritt so über alle Maßen verunsichernd. Es ist ja nicht nur so, wenn jemand in der Öffentlichkeit stirbt, aus welchen Gründen auch immer. In Altenheimen und Krankenhäusern wird sehr oft so getan als wäre nichts. Das Bett mit dem Toten oder der sarg wird rausgerollt, jeder sieht es, keiner sagt etwas dazu. In Familien: Nach der Beerdigung mus es nicht selten "gut sein". Die Hinterbliebenen kriegen einen Klapps auf die Schulter "das wird schon". Oder es wird geschwiegen. Das macht das geschehene doch erst recht surreal, unwirklich. Der Tod ist schwer genug, aber wenn so getan wird, als sei nichts gewesen wird es etwas unmögliches, monströses. Mir ist natürlich klar, das es die Hilflosigkeit ist. Aber kommt die Hilflosigkeit nicht erst von dem Schweigen, dem so tun als wäre nichts? Wie kann man ein Problem angehen, das man verleugnet? Es gibt Ratgeberbücher und all die Technik von Rettungsdiensten und in krankenhäusern, mit denen man dem Tod zu Leibe rückt. Manchmal kann man noch ein paar tage, Stunden aus dem Menschen, dem Körper herauspressen. Ich frage mich, nicht zum ersten mal, ist das wichtig? Wäre es nicht schöner, ein Sterbender bekäme die Hand gehalten, die Stirn gestreichelt, Mut machende Worte zugesprochen, statt Schläuche, die in den Körper geschoben werden und Elektroschocks und Herzdruckmassage. Ich weiß es nicht. Ja ich wäre auch dafür das ein Mensch, den ich liebe JEDE Hilfe bekommt, dass ALLES probiert wird, ALLES. Ich würde mich an den kleinsten Strohhalm klammern. Aber es ist eben auch mein klammern und es ist vllt. nicht zum Besten des Sterbenden. Wie kann der in Frieden gehen, wenn er merkt, er darf nicht gehen? Sorry bin wohl echt grad konfus und hab verwirrte Gedanken. Aber ich glaub die müssen raus.. irgendwie. |
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Beitrag
#4
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Filterkaffeetrinkerin ![]() ![]() ![]() Gruppe: Members Beiträge: 26 Userin seit: 27.12.2005 Userinnen-Nr.: 2.424 ![]() |
Liegt wohl allgemein an der Sprachlosigkeit und hier im speziellen an der Art, wie in unseren Breiten mit dem Tod umgegangen wird. Immer alles schön unter den Teppich kehren und mit dem Alltag drüber bügeln. Im Prinzip stecken unter dem Verhalten einfach nur Ängste und die Tatsache, dass wir alle wissen, dass es uns ebenso im nächsten Augenblick erwischen könnte. Wir haben es wohl vor langer Zeit verlernt, den Tod als etwas Natürliches zu sehen und verarbeiten das falsch. Geburt und Wechseljahre werden ja auch als Krankheit gesehen; Ängste werden wissentlich geschürt und dadurch sind wir leicht fremdbestimmbar und fühlen, dass irgendwas komplett falsch läuft. Die Anonymität der Großstädte und Zeitdruck verschlimmert das noch, dass für Gefühle keine Zeit und kein Raum mehr bleibt.
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Beitrag
#5
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ausgewilderte Großstadtpflanze ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Gruppe: Members Beiträge: 2.096 Userin seit: 24.10.2007 Userinnen-Nr.: 5.165 ![]() |
Wir sind es gewohnt, dass sich der Tod irgendwo abspielt, wo man die Begegnung mit ihm erwarten oder berechnen kann – auf dem Friedhof, im Krankenhaus, im Altenheim – an Orten, die selten „auf dem Weg“, sondern meist am Ende einer Sackgasse liegen. Hinterm Zaun, hinter der Friedhofsmauer. Dem Tod im Alltag zu begegnen – eine Ungeheuerlichkeit. So etwas haben wir nicht gelernt. Wir haben gelernt, den Tod als etwas Alltagsfernes zu erleben, also gehört er nicht hier her. Und so passiert es, dass die Ungeheuerlichkeit des Todes von der Banalität des Alltags überspielt, unterdrückt wird – nicht etwa umgekehrt. Surreal? Ja, ich empfinde das auch so. Aber ob ich mich anders verhalten hätte, als einfach den Anschein zu wahren, ich würde dem Alltagsgeschäft nachgehen – ich weiß es nicht. Mitten im Alltag den Tod erlebt habe ich auch einmal und das Ganze war für mich nicht weniger surreal und hat mich auch sehr beschäftigt: Ich habe während meines Studiums etwas Geld durch Ablesen von Heizkostenverteilern dazuverdient. Hochhaus. x-ter Stock, Wohnung y. -zig Wohnungstüren hatte ich schon auf- und zugehen sehen, verärgerte, freundliche, aufdringliche, unausgeschlafene, zuvorkommende, … Menschen (und Haustiere) erlebt – Alltag eben. Und an jeder aufgehenden Tür das gleiche multisensorische Schauspiel. Die ganze „Aura“ einer fremden Wohnung dringt im Moment des Türöffnens hinaus. Und in besagter Wohnung nun war schon dieser erste Moment sonderbar: irgendetwas war anders. Kälter, gedämpfter. Ein irgendwie sehr grauer Mann schüttelte den Kopf, nachdem ich mein „Einlass-Sprüchlein“ aufgesagt hatte: „Ablesung! Und ich dachte schon, der Leichenwagen kommt!“ Ein kurzer Blick in die Wohnung genügte, um zu wissen, dass das KEIN schlechter Witz war. … Um mal zum Punkt zu kommen: In der Wohnung befanden sich drei (lebende) Personen und der zugedeckte Leichnam einer alten Frau. Uns allen war die völlige Absurdität/ Surrealität der Situation absolut bewusst und wir alle wussten einen Moment lang nicht, was jetzt richtig wäre. Ich stammelte etwas von Beileid und ob ich etwas tun könne – wie blöd: was soll ich denn tun? „Ist es Ihnen lieber, wenn ich zu einem anderen Zeitpunkt noch einmal wiederkomme?“ Ratlosigkeit. Dann: „Nein, eigentlich wäre es mir ganz lieb, wenn Sie das gleich erledigen könnten. Wenn es Ihnen nichts ausmacht.“ Ich wusste nicht, ob es mir etwas ausmachen soll und hab’s dann einfach (?) getan. In ALLEN Zimmern. Wirklich richtig hat es sich nicht angefühlt. Aber ich weiß nicht, ob es sich richtiger angefühlt hätte, wenn ich etwas anderes gemacht hätte. Ich denke, viele wissen in solchen Situationen so wenig, wohin mit sich, dass ein Einfach-Weitermachen im Alltag wie so ein Strohhalm ist, an dem man sich stumpfsinnig weiterhangelt. Mir ging es jedenfalls nach diesem Erlebnis, denke ich, ganz ähnlich wie dir. Und wer weiß wie vielen deiner Mitreisenden von heute auch?
Ich bin mir nicht so sicher, ob es in diesem Fall (Thema: Tod) nicht als ein hoffnungsloses Unterfangen gelten muss, die Hilflosigkeit überwinden zu wollen. „Das Problem“ – wäre es benennbar? Oder sind es nicht eben – wie auch bei dir – ganz viele Fragen, deren Antworten sich vielleicht irgendwo finden lassen – aber ausgerechnet beim Tod eines Fremden mitten im eigenen Alltag? Gibt es da nicht andere Begegnungen mit dem Tod (oder mit dem Leben), die da ergiebiger sein können? Ich denke nicht, dass es in dieser Situation wie der von dir beschriebenen ein Verdrängen ist, mehr ist es wie ein Aufschieben: Auseinandersetzung – ok. Aber jetzt? Hier? Nee, lieber hinterm Zaun. Wie wir das gelernt haben. Hm. Ratlos. Pik7 |
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Beitrag
#6
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verboden vrucht ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Gruppe: Members Beiträge: 2.903 Userin seit: 16.07.2005 Userinnen-Nr.: 1.862 ![]() |
Liebe Bilana, ich möchte dir statt schlauer Ratschläge, die ich nicht habe, einfach erzählen, wie meine bisherigen "plötzlichen", d.h. mich überraschenden Zusammenkünfte mit Gevatterin Tod waren.
Ich bin ihr bisher dreimal in meinem Leben hautnah begegnet. Das erste Mal war mit 16: Ich habe als Sommerferienjob im Kreiskrankenhaus um die Ecke geputzt. Zimmer für Zimmer auf einer Station für "Innere Medizin". Fünf mal pro Woche klopfen, grüßen, Putzgestell reinfahren, staubwischen, fegen, währenddessen manchmal ein Pläuschchen halten, nass wischen, trocken nachwischen, "Tschüß, bis morgen/Montag." Oder: "Alles Gute zuhause." Je nachdem. Manchmal schliefen die Patienten, und antworteten nicht auf mein Klopfen. Geputzt werden musste trotzdem. Die sehr alte Frau vom letzten Zimmer links antwortete auch nicht. Irgendein Teil in mir wusste sofort, dass sie nicht mehr lebte. Mein Herz klopfte ziemlich doll. Übersprungsmäßig wischte ich Staub. Immer langsamer. Dann ging ich hin. Lauschte, ob da Atem war. Nein, war nicht. Etwas in mir war ganz unruhig. Und etwas anderes war ganz ruhig. Ich legte der Frau meine Hand auf´s Brustbein. Sie war noch warm. Ich redete irgendwas mit ihr. Ich weiss noch als wäre es gestern gewesen, dass ich selbst erstaunt war darüber, dass ich sie duzte. Dann putzte ich weiter. Bevor ich ging, verabschiedete ich mich. Ich meldete es nicht im Stationszimmer. Als ob sie mir gesagt hätte: "Lass mir noch Zeit." Dann kam die gegenüberliegende Korridorseite dran. Ungefähr eine halbe Stunde später Wirbel auf der Station: "Frau Soundso ist tot." "Haben Sie nichts gemerkt?" "Nö." Kaum zehn Minuten später wurde sie mit einer zugedeckten Rollbahre rausgekarrt. Das zweite Mal war ich über dreissig. Es war die Schlaganfallpatientin, die ich ambulant mitbetreute. Nach dem ersten Schlag hatte sie sich nochmal gut berappelt, und war wieder mit ihrem Gehwagen rumgedüst. Der zweite hatte sie mächtig niedergestreckt, sie halbseitengelähmt und sprachlos zurückgelassen. Sie wollte nicht mehr. Die Teamchefin setzte dennoch alle Zeichen auf Mobilisation. Es war eine Qual. Für die Patientin und für mich. Sie mochte nichts mehr essen, das Püree mit Soße auf Rädern landete regelmäßig auf dem Bettlaken und dem Fußboden. Sie schlug es mir aus der Hand, wo sie nur konnte. An physiotherapeutische Übungen war auch nicht wirklich zu denken. Sie weigerte sich auf ganzer Linie. Um sich dann doch wieder zu bemühen - aber nicht für sich, sondern für uns. Ihr Blick dabei sagte immer nur: "Ach, lasst mich doch!" Es war ein unglaublicher Kampf. Und es kam mir so anmaßend vor, sie gegen ihren Willen wieder "fit" machen zu wollen. Aber nun gut - so waren die Vorgaben. Das machte ich eine Weile mit. Doch irgendwann änderte ich den Kurs. Eines Tages stellte ich mich vor ihr Bett, und sagte: "Frau ..., wissen Sie was? Sterben Sie doch einfach, wenn Sie das wollen. Für mich brauchen Sie sich nicht mehr anzustrengen. Sie dürfen loslassen." Dann zog ich los, und kaufte ihr einen Strauss weisser Nelken. Ich wusste, dass sie sie besonders mochte. Seit Wochen hatte Frau ... nur noch gelallt. Die Logopädin erzielte keinerlei Fortschritte mit ihr. Als ich ihr die Nelken in einer Vase ans Bett brachte jedoch, da sagte sie "Schön!" Laut und deutlich. In der Nacht darauf fiel sie ins Koma. Dicker Schleim begann ihr aus den Atemwegen zu quellen. Literweise. Sie röchelte und stöhnte - und ich versuchte, sie so gut es ging von dem Schleim zu befreien. Eines Abends kam ich in die Wohnung - und es war still. Ich trat an ihr Bett, setzte mich zu ihr, legte die Hand auf ihr Herz. Es schlug noch. Ich ließ die Hand ganz leicht liegen, streichelte mit der anderen ihr Haar. Der Herzschlag wurde weniger. Und dann kam keiner mehr. Bis ich den Arzt rief verging bestimmt eine Stunde. In der Zwischenzeit, bis zu seinem Kommen, stellte ich alle Kerzen auf, die ich finden konnte. Es waren bestimmt 20 oder 30, kleine und große, dicke und dünne, Stumpen und Teelichter. Der Arzt war ein kaltschnäuziger Idiot, der mich angeätzt anzickte, mich anschnauzte: "Halten Sie mal!", Frau ... hochzog, mir die Tote in die Arme kippte - um sie am Rücken abzuhören. Nach 10 Minuten war der Totenschein ausgestellt, und der Idiot verschwunden. Mein Ablöse-Kollege schloss die Tür auf. Ich empfing ihn im Wohnungsflur. Wir kannten uns gut, und mochten uns. Schweigend saßen wir zu zweit mehrere Stunden bei ihr. Irgendwann rief ich das Bestattungsunternehmen an. Mein Kollege musste los. Wir verabredeten uns für später beim Inder zum Essen. Die Bestatter kamen recht schnell. Zack! Rein in´n Metallsarg mit Frau ...´s Leichnam. Und ab durch die Mitte. Ihre Seele blieb noch da. Ich sagte ihr "Tschüß. Gute Reise." Und verließ die Wohnung. Meine Liebste kam mit zum Inder. Wir plauderten und lachten viel. Es war ein schöner Abend. Das dritte Mal war wenig später, im Urlaub auf Gozo. Ich hatte morgens beschlossen, zu Fuss zum mehrere Kilometer entfernten rotsandigen Strand zu gehen. Allein. Eine wunderschöne, geradezu magische Küstenwanderung bei windigem Sonnenwetter. Dort, am Strand, warteten meine Liebste und zwei befreundete Familien schon auf mich. "Gut, dass du da bist - wir haben uns schon ein bisschen Sorgen gemacht." Vor Schwimmengehen wurde gewarnt. Zu aufgepeitscht war das Wasser, zu tückisch die Felsen bei diesem Wellengang. "Bleibt im flachen Wasser, wenn überhaupt!" wurde den Leuten am Strand eindringlich geraten. Ein paar Männer - Deutsche - schlugen die Warnungen in den Wind. Und mit einem Mal fehlte einer. Seine Kumpels kamen aufgeregt vom Schwimmen. Er war bei den Felsen geblieben. Ein Raunen, ein Hoffen, ein Bangen verbreitete sich in Windeseile über die Bucht. Nie werde ich das Rattern des Rettungshubschraubers vergessen. Nie die Atmosphäre, die all unsere Herzen umkrampfte. Alle starrten auf den Hubschrauber, der dort hinten in der Luft stehen blieb. Zwei Taucher sprangen in die Fluten. Die Hubschraubergeräusche hallten in den Felsen. Wenig später: "Etwas" wurde zusammen mit den Tauchern per Seil in den Hubschrauber gezogen. Sie flogen zu einem der oben abgeflachten Felsen. Wir hielten fast den Atem an. Die Minuten vergingen im Zeitlupentempo. Es war kühl geworden. Der Wind zerrte an unseren Klamotten. ... Und dann kam der Hubschrauber zum Strand geflogen. An einem Seil schwebte einer der Taucher. Er hielt etwas wie ein dickes Brett vor sich. Es ging ganz schnell. Nein, es war kein Brett. Natürlich nicht. Es war ... ein Mensch. In Badehose. Der Taucher wurde am Strand abgesetzt. Er legte den Menschen in den Sand. Und bedeckte ihn mit einem Tuch. Meine Liebste fing an zu schluchzen. Ebenso eine der Freundinnen. Ich stand wie gelähmt. Mir war kalt. "Bitte um Segen für ihn. Bitte um eine gute Reise. Versuch, seine Seele ein Stück zu geleiten", flüsterte etwas in mir. Ich gab mir einen Ruck. Löste mich ein wenig aus der Erstarrung. Suchte Kontakt zu seiner Seele. Ich spürte nichts. "Egal", sagte ich mir. "Tu, was du kannst. Sei bei ihm." Im Geiste hielt ich ein kleines Ritual ab. Die Bestatter kamen - mit einem winzigen schwarzen Auto. Sie brachten die Bahre zu Fuß zum Strand. Der Tote wurde darauf gelegt. Als er an uns vorbei getragen wurde, wehte ihm das Tuch vom Gesicht. Seine Haut war dunkelgrau. Er hatte eine Nase wie ein Adler. An diesem Abend mochte ich nichts essen. Meine Liebste kochte etwas - und ich stocherte darin herum, und liess das Meiste stehen. Tagelang stand ich wie unter Schock. "Er war noch so jung ... fünfundvierzig ... " (stand am nächsten Tag in der Zeitung.) Dieser letzte Tod machte mir lange zu schaffen. Er steckte mir in den Gliedern, raubte mir den Schlaf. Schließlich ging ich damit zu meiner ehemaligen Therapeutin. Dort endlich schrie ich und weinte. Brüllte mein ganzes Entsetzen raus. Ich hätte mich um mich kümmern sollen, damals - nicht um ihn. Er war längst sicher in den Armen der Großen Grundgütigen. Ich war für ihn überhaupt nicht wichtig. Aber ich meinte, irgendso´ne Pflicht zu haben ... So "spirituell", wie ich zu "sein" glaubte. Und bin dabei glatt für eine Weile auf dem Fluss des Lebens ordentlich ins Schlingern geraten. Sollte mir ´ne Lehre sein ... Herzliche Grüße, sonnenstrahl. (IMG:http://www.cosgan.de/images/smilie/verschiedene/s010.gif) |
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Beitrag
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Salzstreuerin ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Gruppe: Members Beiträge: 92 Userin seit: 31.03.2006 Userinnen-Nr.: 2.790 ![]() |
Sind es nicht drei von Grund auf verschiedene Dinge: Der Tod eines Fremden, der sozusagen zufällig beobachtet wird und in aller Öffentlichkeit stattfindet, der Tod eines irgendwie bekannten und der Tod einer nahestehenden Person?
Schon allein aufgrund der Nähe zu der Person macht sich für mich fest ob und wie ich um diese Person trauen kann. Glücklicherweise habe ich einen zufälligen Tod noch nie mitbekommen, die zwei anderen bereits mehrfach. Ich denke, aufgrund des Nichtwissens um irgendetwas aus der Geschichte der zufällig - ich nenne es einfach mal so - verstorbenen Person, ist es eher noch schwerer, unfassbarer, mit dem Tod, seiner vom Prinzip her immerwährenden Präsenz umzugehen. Man ist völlig überrumpelt von dem Ereignis. Das trifft sicher auch bei einem plötzlichen Tod von Bekannten oder Verwandten zu, aber hier hat man letzendlich irgendeinen Anhaltspunkt an dem man seine Trauer fest machen kann bzw. in irgendeiner Form Zeit und Raum zu trauern. Bei absolut Unbekannten wird man einfach mit dem Fakt des Todes konfrontiert und genauso schnell wie er gekommen ist, ist er wieder verschwunden, zurück zum Alltag für die Meisten. Eigentlich kann ich mir nicht vorstellen, dass jemand tatsächlich soetwas völlig vergessen kann. Ich denke schon, dass darüber mit der Familie oder Freunden/ Bekannten gesprochen wird. Ich hoffe es zumindest. Nur in der Situation selber ist es, glaube ich, eine recht natürliche menschliche Reaktion, so zu tun, als ob nichts geschehen wäre - ich sehe das als Fluchtreaktion, Flucht vor Unangenehmen, sehr instinktiv. Ein plötzlicher Verlust von nahestehenden Personen ist auf jeden Fall traumatisch, für jeden. Was nicht herabmindern soll, dass auch ein abzusehender Tod, besonders verbunden mit langer schwerer Krankheit, traumatisch für die Hinterbliebenen sein kann - ich spreche da aus Erfahrung. Für mich hat sich herausgestellt, dass das Thema nicht einfach gemieden werden darf, denn das ist praktisch unmöglich. Als Teil des Lebens sollte es nicht dramatisiert oder stillgeschwiegen werden. Vielleicht ist es auch einfach der Punkt, dass die "moderne Kultur" immer mehr an traditionellen Verhaltensweisen einbüßt. Gerade große Menschenansammlungen wie (Groß-)Städte werden notgedrungen immer anonymer, vormals in der Tradition verankerte Verhaltensvorgaben, die den natürlichen, da gesellschaftlich verankerten, Umgang auch mit Kritischen Lebensereignissen vorgaben und dadurch Sicherheit vermittelten, sind kaum noch vorhanden und dadurch entsteht möglicherweise eine gewisse Ratlosigkeit unter den Menschen. Es tut mir Leid, sollte meine Ausführung hart oder sehr abstrakt wirken, ich denke da möglicherweise etwas rational und soziologisch... Ich weiß sehr wohl um die Brisanz und Schwierigkeit des Themas und hoffe, das auch zum Ausdruck gebracht zu haben. |
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Beitrag
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verboden vrucht ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Gruppe: Members Beiträge: 2.903 Userin seit: 16.07.2005 Userinnen-Nr.: 1.862 ![]() |
Ich habe nochmal ein bisschen nachgedacht über das, was ich gestern geschrieben habe, und auch über das, was emmily schrieb. So überraschend und "plötzlich" wie der Unfall-Tod des 45jährigen Mannes in den Felsen im Meer, waren die beiden anderen Tode sicherlich nicht. Die beiden (alten bzw., im zweiten Fall, nicht mehr jungen) Frauen lagen bereits im Krankenbett. Es ging ihnen nicht gut. Ganz und gar nicht. So war es letztlich wohl in beiden Fällen absehbar, dass sie sich auf den Weg machen. Dennoch habe ich in beiden Situationen nicht konkret damit gerechnet, JETZT dem Tod zu begegnen. Aber es war o.k. - da war kein Entsetzen. Nur ein stilles "Ach so." Ich weiss nichts über den Mann. der da im Mittelmeer starb, ausser eben, dass er 45 war. Und welches seine Freunde oder Kumpels waren. Wohl zweifellos hatte er nicht damit gerechnet, aus seinem Urlaub nicht zurückzukehren. Oder doch? Es war bis dahin so ein besonders bezaubernder Tag für mich gewesen: Die Wanderung oberhalb des Wassers, ein bisschen Klettern über Stock und Stein, der herbe Duft des Meeres und der Pflanzen, die Sonne auf meiner Haut, mein Picknick unterwegs. Mein Herz war ganz offen und ich war so sehr auf Empfang, auf Wahrnehmung, auf Aufsaugen eingestellt. Dann der Unfall. Das Bangen. Die Gewissheit. Es war, als würde in mir abrupt eine schwere Eisentür zugeschmissen. Die Tränen fanden keinen Weg nach aussen damals. Irgendwo in mir fehlte wahrscheinlich noch die "Erlaubnis", einfach loszuheulen, so wie die Anderen es z.T. taten. @ emmily:
Ich glaube nicht, dass Menschen zu anderen Zeiten angesichts "plötzlicher" Tode anders gefühlt haben als heute. Plötzlich wird uns unsere Endlichkeit bewusst. Eben noch waren wir am Machen, am Tun, waren mit unseren Gedanken irgendwie beschäftigt - und mit einem Mal sind wir HIER, in DIESEM Moment. JETZT stirbt jemand vor unseren Augen. Auch wir werden sterben. Wer weiss, wann? Und wenn es JETZT geschähe? Hätte ich mein Leben mit allen Fasern meines Daseins gelebt? Wie ist es, zu sterben? Sanft? Schön? Furchtbar? Ist da dann wirklich Licht? Was lässt dieser Mensch zurück? Was ließe ich zurück, jetzt? Du hast sicherlich Recht damit, dass uns eine Art wohltuendes, gesellschaftlich verankertes Eingebundensein des Todes ins Leben fehlt. Der Arzt kommt. Der Leichenwagen kommt. Weg damit. Und weiter geht´s. Der Einzelne ist - von persönlichen Möglichkeiten des Aufgefangenwerdens einmal abgesehen - sehr auf sich gestellt. Wir leben in einer Individualismus-Gesellschaft. Mit all ihren Vor- und Nachteilen. Das Motto ist oftmals: "Wenn du (seelische) Hilfe brauchst, organisier sie dir." (Sprich: Geh zu deiner Therapeutin, wenn es was zu Verarbeiten gibt. Zum Beispiel.) Andererseits wird uns eher nichts übergestülpt, was wir vielleicht gar nicht wollen. Wenn zuhause jemand gestorben ist, steht nicht, ruckzuck, automatisch das halbe Dorf in deinem Wohnzimmer und hebt an, zu klagen. Wenn du im Sterben liegst, will der Pfarrer dich nicht zwangsläufig mit irgendwas salben, obwohl du dir, gelinde gesagt, ein Ei drauf bäckst, und viel lieber deine Ruhe hättest. Der goldene Mittelweg zwischen Würdigung des Einzigartigen und auffangendem Ritual für alle wird nur im Einzelfall gefunden - wobei ich gerade denke: Wird nicht gerade durch die Hervorhebung der Besonderheit des Verstorbenen und seiner Hinterbliebenen ein Ritual erst zu etwas Auffangendem? Bekommt der Weggang nicht erst dann etwas Rundes? Im Geiste vergleiche ich gerade das inhaltslose Gewäsch des Trauerredeners bei der Beerdigung meines schwulen Großonkels, als ich 16 war, die Steifigkeit, und den beklommenen Kloß im Hals, den ich damals hatte, mit der berührenden, dankenden, uns alle miteinander verbindenden, lebendigen Trauerfeier für meinen besten Freund, der nach einer schweren Krankheit vor sieben Jahren starb, und auf der alle, wirklich alle, in Sturzbächen heulten.. Das alles erleben wir natürlich nicht mit, wenn ein Fremder vor unseren Augen stirbt. @ emmily:
Ja, da ist sicher viel Wahres dran. edit: Ein Komma zuviel Der Beitrag wurde von sonnenstrahl bearbeitet: 22.Aug.2008 - 09:12 |
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Beitrag
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Satansbraten ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Gruppe: Members Beiträge: 589 Userin seit: 10.07.2008 Userinnen-Nr.: 6.038 ![]() |
Der Tod spielt in meinem Leben eine relativ große Rolle, da ich in einem Forum für verwaiste Eltern und Geschwister Admin bin und viel Zeit dort verbringe, heute weniger aufgrund meiner verlorenen Kinder als für die da zu sein, die neu kommen, denen "es" grad erst passiert ist. Auch wenn ich meine Kinder alle in den Schwangerschaften verloren habe, so habe ich sie doch als lebendige Wesen gesehen und um sie getrauert besonders um das, was ich recht spät verloren, also geboren habe. Diese Tochter war auch der Anlass ein Forum zu suchen um mit der Trauer zu leben und nachdem ich nun viele Jahre schon dort bin ist es wie ein zweites Leben für mich geworden. Wir haben viele Mitglieder, deren Kinder älter waren, der überwiegende Teil sogar. Ich erlebe immer wieder, dass der Tod in der Gesellschaft "totgeschwiegen" wird, man spricht nicht drüber und immer ist da diese Doppelmoral. Lacht man wieder und ist fröhlich heißt es "wie kann sie nur schon wieder lachen, wie kann es ihr so gut gehen", bleibt man in der Trauer gefangen, so heißt es "das Leben geht weiter, Du musst nach vorne schauen". Tatsächlich tut man beides und das ist auch gut so. Verdrängt man die Trauer ist es nicht gut, lebt man nicht weiter auch nicht und beides geht.
Aber was man sich von außen anhören muss, welchen Vorurteilen man in seiner Trauer begegnet, wie die Leute betreten schweigen, das ist sehr traurig. Ein Kollege von mir hat auch seine Tochter im Alter von zwei Jahren verloren. Im letzten Jahr sprach ich ihn an und fragte "wie ist es Euch letzten Freitag ergangen?", er schaute mich verdutzt an und ich meinte "na, weil doch Eure Kleine Geburtstag gehabt hätte..." - er antwortete nur kurz und war dann weg. Eine Stunde später stand er im Büro und fragte "woher wusstest Du denn das?", "na ja, sagte ich, stand doch in der Anzeige" und er sagte nur "Respekt". Ich hatte das Gefühl, dass er sich gefreut hatte, dass man an sein Kind gedacht hatte und vor allem, dass sie mal überhaupt erwähnt wurde. Ich weiß nicht, ob ich jetzt vom Thema abgekommen bin, aber das waren meine Gedanken dazu. Der Tod berührt mich sehr, aber er gehört zu meinem Leben dazu, ich würd auch gern begleiten, ich glaub, das könnte ich gut. Die in der Trauer begleiten oder auch den sterbenden Menschen im Hospiz. Das wäre vielleicht mal eine Option für mich. Irgendwann. |
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Beitrag
#10
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Capparis spinosa ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Gruppe: Members Beiträge: 3.143 Userin seit: 25.08.2004 Userinnen-Nr.: 97 ![]() |
Danke für eure Beiträge. Es tat mir ehrlich gut zu lesen, dass es hier einige gibt, die auch schon ähnliches erlebt haben. Ich denke es ist das Schweigen. Meins aber auch das allgemeine. Das ich gestern Abend dachte: Liegt es an mir? Was ist los, warum passiert mir so was immer? Ich war schon in unterschiedlichen Situationen mit dem Tod konfrontiert, manchmal auch dem gewaltsamen Tod. Ich glaube eigentlich nicht an Schicksal oder so etwas. Aber es ist ein ungelöstes Thema meiner Kindheit. Der plötzliche Tod. Und durch mein Hobby, das Bergsteigen, aber auch meine Arbeit komme ich immer wieder damit in Kontakt. Ich könnte ein anderes Hobby haben, etwas anderes studiert haben, dann könnte ich das meiste vermeiden. Ich frage mich, warum ich dieses Hobby, diese Berufung gewählt habe.
Doch ich habe begonnen zu hoffen, dass diese Hilflosigkeit überwindbar ist. Klingt jetzt vielleicht etwas naiv und esoterisch, ist aber ganz pragmatisch. Ich habe viel gelesen, und tue es noch, was der Buddhismus zum Sterben und Tod zu sagen hat. Denn, ich denke auch, wie du und Patrice schrieben gibt es in unserer Kultur offenbar wenig Brauchbares zum Tod. Und jetzt, nach Jahren des immer wieder studierend der Texte spüre ich eine Zuversicht, das die Hilflosigkeit überwindbar ist. Dadurch das man eine andere, eine hilfreiche Einstellung zum Tod gewinnt. Gestern habe ich gemerkt, dass meine Fähigkeit dazu noch schwach ist. Es ist ein langer Weg. @emmyli: Ja ich denke du hast Recht. Der Tod bleibt unfassbar, wen es so wenig zu fassen gibt aus dem leben des Verstorbenen. Ich denke aber auch, es erinnert einen ja, an die Sterblichkeit der Menschen die man liebt, an denen man hängt. Ich sage bewusst hängt, denn nicht die Liebe macht es so unerträglich, sondern die Abhängigkeit. Und es erinnert einen sicher, im Laufe des Lebens muss jeder damit umgehen, den Tod geliebter Menschen.
Ja eben! Aber es wird eben „totgeschwiegen“. So lernt man es nicht selten, wenn man das erste Mal mit dem Tod eines geliebten Menschen konfrontiert wird. Aber das Schweigen funktioniert eben nur äußerlich. Innerlich ist alles so aufgewühlt und hat nie eine Chance sich zu beruhigen. Zumindest bei mir kann ich es sagen. Die zeit heilt solche Wunden nicht, sie bestehen auch nach 20 Jahren noch. So ist da eben ein schwanken, zwischen stillschweigen äußerlich und dramatisieren innerlich. Und es ist schwer etwas anderes zu lernen, wenn ja (fast) alle so reagieren.
Ich weiß nicht sonnenstrahl. Vielleicht ja, der erste Moment ist einfach ein Moment des Schocks und des nicht Wissen wie damit umgehen. Aber was war in Zeiten, als die medizinische Versorgung noch nicht so hervorragend war? Ich kenne das aus Nepal, war och viel unterwegs bin und war. Privat und professionell. Da wird fast immer öffentlich oder zu Hause gestorben. Einfach weil fast nie professionelle „Retter“ rechtzeitig zu gegen sein können oder weil eine Familie es sich nicht leisten kann den sterbenden in ein Krankenhaus abzuschieben. (Manch einer würde allerdings gerne!!) Also MUSS man sich damit beschäftigen. Ist dabei, beim Sterbenprozess. Hat oft nicht mehr Möglichkeiten als eben, Hand halten, wenn man nicht weglaufen will. Und hand halten ist irgendwie fühlen. Auch in sich rein. Und dann gibt es auch keinen professionellen Bestatter, der die Leiche weg bringt, weg aus dem Gesichtsfeld. Es ist maximal ein Angehöriger der Bestatterkaste. Ein Mitglied der Dorfgemeinschaft, der hinzu gezogen wird. Die Angehörigen kriegen das Sterben, den Tod, die Bestattung mit, sind dabei. Ich denke, so war es auch bei "uns" als wir noch nicht in der Lage waren mit Profis und Technik uns den Tod (des anderen) vom Leib zu halten. Ich hab da mal bei einer Familie gewohnt, die einen Schrein im Haus hatten, an dem sie regelmäßig der Toten gedacht haben. Es war auf dem dach, neben „meiner“ Küche. Damals war ich ganz unbeholfen, konnte es auch nicht verstehen. Oft sah ich die Vermieterin vor dem Schrein knien und mit den Toten sprechen. Sie brachte das Lieblingsessen, der Toten, sofern sie es gerade gekocht hatte. Sie brachte Gegenstände, die den Toten gefallen hatten und Öllampen. Später merkte ich, das ich es ganz wundervoll finde, sich auf so lebendige Art an die Toten, die man geliebt hat, noch immer liebt zu erinnern. edit@Melancholia: Ich habe deinen Beitrag jetzt erst gehen, ich würde gerne später antworten. Der Beitrag wurde von Bilana bearbeitet: 22.Aug.2008 - 10:05 |
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verboden vrucht ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Gruppe: Members Beiträge: 2.903 Userin seit: 16.07.2005 Userinnen-Nr.: 1.862 ![]() |
So, wie du darüber schreibst, kann ich mir auch vorstellen, dass du das gut könntest. Und ich möchte dich gerne ermutigen: Mach das! Es gibt viel zu wenige, die sich das Begleiten in solchen Lebenslagen zutrauen. Und sie werden so sehr gebraucht. |
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verboden vrucht ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Gruppe: Members Beiträge: 2.903 Userin seit: 16.07.2005 Userinnen-Nr.: 1.862 ![]() |
Liebe Bilana - es ging mir bei der von dir zitierten Aussage nur um den ersten Moment nach dem unvermittelten Mit-Erleben. Alles Andere, was du schreibst, sehe ich ganz ähnlich. Auch ich habe mich viel mit buddhistischen Lehren zu Leben und Tod auseinandergesetzt, u.a. das "Tibetische Totenbuch" gelesen, und "Das große Buch vom Leben und vom Sterben" von Sogyal Rinpoche. Und auch das, was Elisabeth Kübler-Ross aus ihrem Erfahrensschatz weitergibt, hat mir schon sehr geholfen, gerade damals, als mein Freund starb. Ja, es ist schön und heilsam, etwas zu haben, was die gegangenen geliebten Menschen in uns am Leben erhält, ohne den Tod dabei zu verdrängen. Und wir können sicher so Manches von anderen Menschen, aus anderen Kulturen für uns abkucken. Wobei ich mit Sicherheit nicht alles übernehmen wollte, was andere Kulturen zu bieten haben. Und auch in unserer Kultur gibt es bestimmt Einiges, was, möglicherweise entstaubt, von Angstmacherei befreit, und in ein neues Licht gerückt, hilfreich sein könnte. Geht es eventuell um Wachheit statt Routine? |
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Capparis spinosa ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Gruppe: Members Beiträge: 3.143 Userin seit: 25.08.2004 Userinnen-Nr.: 97 ![]() |
Wie genau meinst du das? |
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Mama Maus ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Gruppe: Members Beiträge: 8.982 Userin seit: 25.08.2004 Userinnen-Nr.: 78 ![]() |
Ich weiß, dass es hier um die Ganzheit des Themas geht.
In dem von Dir beschriebenen Fall @Bilana, frage ich mich aber, was die Menschen hätten tun können, außer weiter zu gehen. Wären sie stehen geblieben, hätten sie evtl. die Rettungskräfte behindert, evtl. wären sie als "Gaffer" bezeichnet worden, ich denke aus den Zügen heraus wird hingesehen worden sein. Ich denke auch nicht, das spurlos vorüber ging - aber was hätten sie anders machen sollen? Was hättest Du anders machen können? Ich denke Du machst das einzig Richtige - Du setzt Dich damit auseinander und fragst nach. Meine persönliche Einstellung: Der Tod gehört zum Leben, in aller Ganzheit. Durch einige Erlebnisse konnte ich dies lernen - es war aber schon immer so. Da starben meine Omas - beide sehr plötzlich - und ich durfte und konnte mich nicht verabschieden - an der Beerdigung durfte ich teilnehmen - aber - sie kamen mir beide nicht so vor, als ob es was mit ihr und mir zu tun hatte. Da stab meine Uroma - ebenfalls plötzlich - und das Verabschieden wurde mir verwehrt - noch nichtmal die Beerdigung - ich wäre zu jung (mit 2 Jahren versteht man mehr als die Erwachsenen glauben ;) ). Da starben meine Opas - die Beerdigung des einen besuchte ich noch - das 1. Mal, dass ich mich verabschieden durfte beim Ansehen des Leichnams - beim anderen - er war schon lange aus meinem Leben gegangen (oder ich habe ihn dort hinaus geschmissen) bevor er ging. Immer wenn ein Mensch, oder ein von mir geliebtes Tier stirbt - es entsteht eine Ruhe. Es ist ok - ich muss inzwischen auch nicht mehr weinen - denn es gehört dazu. Es/bzw. er/sie hat seinen Frieden - nun. Wie auch immer der Aussehen mag. Seit ich auf der Geronto arbeite hat es sich nochmal verändert - wieso muss ich denn Leben verlängern, wenn die Willensbezeugung der Älteren manchmal so deutlich gegen "Ich will aber nicht mehr" geht - Essen wird verweigert - eine PEG wird gelegt - für was? Weil es der Betreuer so will - aha! Aber der Mensch? Eine andere durfte sterben - sie wurde gepflegt - liebevoll, es wurde sich Zeit genommen. Bei der Pflege der Verstorbenen - keine Hektik - (realistisch gesehen - es wird wohl noch bis zu 2 o. 3 h was vom Gehörgang aufgenommen) - menschlich, mit Ehrfurcht. Das Empfinde ich beim Anblick von Toten - Ehrfurcht - ich ehre sie. Ganz natürlich, wie ich finde - für mich. Anders in der Ausbildung als ein Mann 3h Reanimiert wurde - das ER ging - damit konnte ich leben, was mir allerdings zu schaffen machte war - die verständliche Reaktion - seiner Familie - 2 Kinder - die Tochter hätte Mittlere Reife gehabt an diesem Tag - eine Frau - die ihr Wehklagen in die Welt hinaus schreiten (und dies auch durften). Eine andere Schwester war ähnlich betroffen und weinte mit - und wurde von der Stationsleitung zur Raison gerufen mit "Das ist Job, du kannst nun nicht den ganzen Tag heulen, hak es ab" - so sinngemäß mit zitierenden Elementen. Lange Rede - kurzer Sinn: für mich gehört es dazu, immer. Ich freue mich, dass die Menschen/ Tiere in meinem Leben waren und behalte sie so in mir, weiß, was sie mir gegeben haben und das ist ihr Vermächtnis - in mir. Der Körper ist gestorben - aber ihre Seele lebt sozusagen weiter in den Erinnerungen. Aber ich denke, jeder geht so damit um, wie er es lernt, wie er es erlebt hat - wie er es kennengelernt hat, man evtl. schon selbst Todesnahe oder Todesbringende Erfahrungen gemacht hat - manche kehren es unter den Teppich - so scheint es, und andere die tragen es nach außen. Aber ich denke nicht, dass jeder, der dort vorbei lief teilnahmslos war. Ich weiß nicht, hast Du in deren Gesichter geschaut? Blickkontakt aufgebaut und ähnliche Verzweiflung spüren können? Liebe Grüsse Mausi |
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verboden vrucht ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Gruppe: Members Beiträge: 2.903 Userin seit: 16.07.2005 Userinnen-Nr.: 1.862 ![]() |
Nur kurz, weil ich gleich zur Arbeit muss: Mit Routine spreche ich auf all das an, was in unseren modernen Gesellschaften professionell vonstatten geht - und entsprechend selbstverständlich delegiert wird (Womit ich keinesfalls sagen möchte, dass Professionalität der immer wieder auf´s Neuen Wachheit entbehren muss, und Routine grundsätzlich fehl am Platz ist. Vielmehr geht es bei Rettungseinsätzen natürlich um Beides): Herbeieilen, Rettungsversuch, Totenschein, Bestattungsinstitut. "Die machen das schon." Wachheit ist für mich mehr als nur pragmatische Geistesgegenwart. Sie hat etwas mit Herzenswärme zu tun: Sich nicht emotional ausklinken. Nicht innerlich flüchten ins "Die machen das schon - bloß weg hier und ablenken." Ich denke auch an Umsicht. Präsenz. Präsenz sowohl in Bezug auf das, was noch getan werden kann - oder was tatsächlich bei den bereits eingetroffenen Rettungskräften bereits optimal aufgehoben ist. Präsenz auch in Bezug auf Umstehende, Angehörige, Mitbetroffene, die evt. Unterstützung brauchen. Als auch Präsenz in mir selbst. Was regt sich in mir? Was brauche ich jetzt? Gibt es zuvor noch etwas Wichtiges zu erledigen (Trost spenden, beruhigen, Hand halten, wegbringen, Beistand leisten ...) ? Es bedeutet für mich auch: Meine eigenen Affekte wahr- und ernstzunehmen - und ihren Ausdruck, den Emotionsausbruch, evtl. bewusst zu verschieben, weil etwas Anderes zuvor noch Priorität hat. Da-Sein. |
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auf dem Hochseil des Lebens balancierende Wölfin ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Gruppe: Members Beiträge: 7.174 Userin seit: 24.08.2004 Userinnen-Nr.: 22 ![]() |
liebe bilana,
das was du an erfahrungen aus neapel mitgeteilt hast, ist doch sehr ähnlich dem, was hier in deutschland vor noch 30-40jahren praktiziert wurde. menschen wurden zuhause aufgebahrt und jedeR hatte ausreichend zeit seinen persönlichen abschied zu machen. ich persönlich fand das sehr menschlich und äusserst gesund für die seele. beruflich und auch privat habe ich unzählbar viele tote gesehen. drei geliebte menschen durch selbstmord, zwei durch unfälle, meine mutter durch eine lange qualvolle krankheit, meine schwester erst kürzlich durch plötzlichen herzstillstand. ich konnte es sehr schätzen, dass meine schwester zu hause (NL) aufgebahrt war. ich durfte ihr ein letztes mal ihre wange streicheln und mich alleine von ihr verabschieden, ihrer frau bei einem teil ihres abschiedes zur seite stehen, meiner kleinen schwester die hand halten und die traurigkeit in den augen ihrer tiere sehen. dies alles gab mir die gelegenheit zu fühlen, zu trauern und mich an schöne, traurige und lustige gemeinsamkeiten zu erinnern und mich mal in den arm nehmen zu lassen und trost zu empfangen. es ging mir trotz des großen verlustes, recht gut. meine mutter dahingegen starb in einer klinik. wir wurden erst am morgen danach angerufen. obwohl wir rund um die uhr zur verfügung standen und in jeder noch so kleinen situation angerufen werden wollten, musste meine ma alleine sterben, weil die leute von der intensivstation keine zeit hatten uns anzurufen. :angry: als man uns benachrichtigte, lag sie schon aufgebahrt in der kapelle, aus der uns kälte und unpersönliche atmosphäre entgegenströmte. zeit um einen richtigen, warmen abschied zu machen, war keine da...vor der tür wartete jemand, der die tür wieder verschließen musste und zum nächsten patienten musste. ** ich ging ohnmächtig, verwirrt und wütend... und all diese gefühle schleppte ich fast 10 jahre mit mir herum, bevor ich sie in einer therapie ver/bearbeiten konnte. so unterschiedlich kann sterben und der umgang damit sein. persönlich bevorzuge ich den ruhigen abschied in persönlicher umgebung. beruflich handhabe ich es immer so, dass es ruhig, warm und menschlich ist. mein bestreben ist es dem sterbenden, dass gehen so "angenehm" wie möglich zu machen... manchmal lese ich etwas aus der bibel oder einem lyrischen buch, singe leise kölsche lieder, oder schweige einfach, halte die hand oder streiche zart über die stirn, je nach bedürfnis oder kennen des sterbenden. zu deinem eingangspost bilana, was hättest du dir gewünscht, wie hätten passanten sich in deinen augen anders/besser verhalten können? ich denke da eher wie mausi....ein stehen bleiben könnte man als gaffertum auslegen, oder es könnte prof.helferInnen behindern. einem innehalten steht allerdings nichts im wege edit...** absatz eingefügt Der Beitrag wurde von pandora bearbeitet: 22.Aug.2008 - 14:11 |
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Capparis spinosa ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Gruppe: Members Beiträge: 3.143 Userin seit: 25.08.2004 Userinnen-Nr.: 97 ![]() |
@Melancholia:
Ja also aus meiner Erfahrung ist das auch so. Es tut gut, wenn es Menschen gibt die sich an einen geliebten, gestorbenen für einen, mit einem erinnern. Ganz besonders von es die eigene Mutter oder eben, wie bei dir das eigene Kind ist. Jemand, mit dem man eine irre enge Beziehung hat(te?). Viele Menschen denken leider, man sollte Menschen, die einen so schweren Verlust erlitten haben nicht an die/den Tote/n erinnern. Und man solle auf keinen fall mit einem sehr kranken oder sehr alten Menschen über den nahenden Tod sprechen. Wenn es totgeschwiegen wird, bläht es sich monströs auf und wird gleichzeitig surreal. Das weiß ich leider auch. Bei meiner Omi zum Beispiel ist es so, das sie richtig aufgelebt ist, als ich ihr ein Bestattungsvertrag und ein grab besorgt habe. Wir haben viel darüber gesprochen, auf welchen Friedhof sie möchte, welche Bestattungsart und all die Details bis hin zur Farbe der Blumen. Ich wollte das eigentlich für mich regeln, damit ich nicht vor dem Horror stehe, wenn es passiert, was bei einer weit über 90jährigen ja jeden tag sein kann. Aber auch meine Oma konnte sich richtig für die Sache begeistern. Und als ich sie den Bestattungsvertrag mit Grab unterschreiben lies, wo mir wirklich mulmig war, lachte sie und sagte, es würde ja Zeit das sie ein Grab bekäme. Ich habe gemerkt wie viel Sicherheit ihr das gab darüber reden zu dürfen wie sie beerdigt werden möchte und auch darin ernst genommen zu werden. Es war gut für mich das zu lernen, dass totschweigen eben doch nicht die beste Lösung ist. Ich glaube es wäre bestimmt gut und richtig toll, wenn du deine Erfahrung mit dem Thema Sterben in der Hospizbewegung oder woanders einbringen kannst, auch aufklärend. Das ist stark und mutig. |
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Beitrag
#18
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Freies Vögelchen ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Gruppe: Members Beiträge: 9.416 Userin seit: 24.08.2004 Userinnen-Nr.: 14 ![]() |
folgendes "ritual" mache ich schon seit langer zeit intuitiv, wenn ein mensch zusammengebrochen oder verunglückt ist und die professionellen helfer schon da sind, also nichts mehr, was ein dazutun einer krankenschwester, die ich ja auch bin, erfordert. ein kleines innehalten, nicht "glotzen", ein kurzes inneres begleiten dieses menschen, ein zartes wahrnehmen seiner/ihrer seele, ein kleines streicheln seiner/ihrer aura. das hört sich jetzt vielleicht ziemlich seltsam an, aber so mache ichs... Der Beitrag wurde von Rafaella bearbeitet: 22.Aug.2008 - 15:23 |
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Beitrag
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Satansbraten ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Gruppe: Members Beiträge: 589 Userin seit: 10.07.2008 Userinnen-Nr.: 6.038 ![]() |
Liebe Bilana, da schreibst Du wahre Worte! Ich finde schön, was und wie Du von Deiner Omi schreibst und treibt mir ein paar Tränen in die Augen. Weil Du sie gehen lassen musstest, aber auch, weil ich nachfühlen konnte wie schön es für sie war, dass sie über ihren Tod laut nachdenken durfte. Danke Dir - und auch Dir, Sonnenstrahl - auch sehr für den Zuspruch und die Ermunterung irgendwann vielleicht tatsächlich Trauernde oder Sterbende zu begleiten. Im Moment reicht mir das Da-sein für Betroffene im Forum für verwaiste Eltern, aber das ist vielleicht nur eine Vorbereitung für etwas Anderes. |
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Beitrag
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Dreht manchmal durch... ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Gruppe: Members Beiträge: 3.965 Userin seit: 30.10.2004 Userinnen-Nr.: 685 ![]() |
"Man könnte viele Beispiele für unsinnige Ausgaben nennen, aber keines ist treffender als die Errichtung einer Friedhofsmauer. Die, die drinnen sind, können sowieso nicht hinaus und die, die draußen sind, wollen nicht hinein." (Mark Twain)
Diesen Satz hat mein Opa vor knapp sieben Wochen von sich gegeben, als wir am Grab meiner Großtante waren. Danach drehte er sich in seinem Rollstohl zu mir um und meinte, dass ich ihn von dort wegbringen solle, weil er "schon früh genug dorthin käme". Fünf Tage später ist er in seiner Wohnung gestorben. Mein Opa ist 95 Jahre geworden, ein stolzes Alter! Aber er hat seit mindestens 15 Jahren immer gesagt, dass er eine "Eintagsfliege" wäre. Für ihn war der Tod immer anwesend. Wir haben darüber gesprochen. Ganz normal, weil er es als etwas normales empfand. Er hat die Einsätze im 2. Weltkrieg überlebt, war in Gefangenschaft, hat in seinem späteren Leben diverese Unfälle und Krankheiten gehabt, und hat nicht zuletzt fast alle Bekannten aus seiner Generation überlebt. Sein einzigster Wunsch war es, zu Hause sterben zu dürfen. Er wollte in keine Klinik, wollte keine Schläuche und Maschinen und schon gar keine Studenten, für die er nur ein "Versuchskaninchen" wäre. Sein Wunsch ist erfüllt worden. Vielleicht ist es für mich deshalb relativ "leicht" mit seinem Tod umzugehen. Schwerer war für mich der plötzliche Tod meines Bruders. Ich habe mich damals geweigert, ihn mir in der Friedhofskapelle noch einmal anzusehen. Und auch, wenn mir damals alle gesagt haben, dass ich das irgendwann bereuen könnte, bin ich mir heute sicher, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Das letzte Bild, dass ich von meinem Bruder im Kopf habe, ist, wie er auf einem Stuhl steht und fluchend versucht eine Lampe unter der Decke anzuschließen. Eine ganz typische Szene für ihn. Als ihn seine Frau einen Tag später vermisste und wir ihn suchen mussten, wusste ich, dass wir ihn finden werden. Und obwohl ich gehofft habe, dass ihm nichts passiert ist, wusste ich tief in mir drinnen, dass ich ihn nicht wieder sehen werden. Eine tiefe Ahnung von dem, was passiert war. Ich selbst bin relativ offen mit seinem Tod umgegangen. Ich hab die Menschen mit mir konfrontiert. Dabei ist es vorgekommen, dass sie die Straßenseite gewechselt haben, wenn sie mich sahen, oder ohne ein Wort, völlig perplex hinter mir her gesehen haben. Andere haben mir ihr "Beileid" ausgesprochen, ein Wort, dass ich bis heute nicht mag und selbst nie benutze. Ich hab immer gesagt, dass ich ihr "Beileid" nicht brauche, nur ihr "Mitgefühl". Auch bin ich bereits am nächsten Tag wieder arbeiten gegangen, hab mir nur am Tag seiner Beerdigung frei genommen. Für mich war das die beste Therapie überhaupt. Im Kindergarten war ich den Fragen und Kommentaren der Kinder ausgeliefert und es ist erstaunlich mit welcher Selbstverständlichkeit die Kleinen mit diesem doch schweren Thema umgehen. Ich habe Fragen beantworten müssen, die ein Erwachsener niemals stellen würde. Angefangen bei so "leichten" Sachen, wie: "Bist du traurig?", über Fragen, wie: "Kannst du ihm denn noch Tschüss sagen?", bis hin zu Fragen, wie: "Wenn du ihm einen Brief schreiben willst, kann der den denn überhaupt noch lesen?" (Ich wollte mich, wie gesagt, nicht in der Friedhofshalle verabschieden, sondern statt dessen einen Brief ins Grab legen) Auch heute ist der Umgang mit seinem Tod oft sehr merkwürdig. Ich selbst habe kein Problem, darüber zu reden, zu erzählen. Für mich zählt nicht sein Tod, sondern sein Leben und all die schönen und weniger schönen Erinnerungen an ihn, die sowohl sein, als auch mein Leben ausmachen. Was ich gar nicht mag, ist der Satz: "Das tut mir leid", den ich meist von Menschen höre, denen ich von seinem Tod erzähle und die ihn nicht kannten. Ich weiß dann nie so recht, wie ich darauf reagieren soll. Abschließend kann ich sagen, dass der Tod für mich, heute etwas ist, was eben dazu gehört. Ich habe erlebt, wie meine Oma jahrelang als Pflegefall dahin vegetierte, ich habe die Krebserkrankung einer Tante miterlebt. Für beide war der Tod eine Erlösung. Ich hab einen guten Freund durch einen Autounfall verloren, hab den plötzlichen Tod meines Bruders hinnehmen müssen und den absehbaren Tod meines Opas. Das alles hat weh getan, tut auch heute mitunter noch weh, doch ich möchte meinen Beitrag mit einem Satz abschließen, den mein Opa immer gesagt hat, wenn ein junger Mensch starb, und von dem ich glaube, dass er eine Wahrheit beinhaltet, die ihm sein Leben gelehrt hat: "Wer weiß was ihm erspart geblieben ist!" Der Beitrag wurde von Schräubchen bearbeitet: 24.Aug.2008 - 16:50 |
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Vereinfachte Darstellung | Aktuelles Datum: 10.05.2025 - 17:29 |