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> Geist und Mammon
Sägefisch
Beitrag 27.Sep.2009 - 17:42
Beitrag #1


Schlaudegen.
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Wer sich regelmäßig nicht nur Tagesschau und -blätter gönnt, sondern auch mal das arte-Spätprogramm oder Kultursendungen auf Nischensendern, und das eine oder andere Subskribentenmagazin zumindest schon mal in den Händen hatte, dem wird auffallen daß es schon sehr lange sowas wie einen alternativen Chic gibt, der sich mehr oder minder subtil vom Massengeschmack abhebt, aber wiederum selbst oft nicht ganz billig ist.

Streng genommen sind Fabriketagen und Klamotten vom kleinen Szeneladen sogar die deutlich teurere Wahl, und keineswegs mehr der Fluchtpunkt für Menschen die sich Neubau und Markenjeans nicht leisten können. So wird der tragende Gedanke mit der Notwendigkeit verknüpft, ein recht aufwändiges materielles Gerüst zu etablieren.

Nicht daß es mir ganz neu an mir wäre, aber heute fiel mir dazu besonders deutlich auf welchen Unwillen ich mobilisiere, wenn intellektuelle oder alternative Beiträge, Konzepte oder Einwürfe mich aus einer Richtung anwehen, in der gleichzeitig privates Wohlleben herrscht. Wieso eigentlich?

Ein Stück weit ist es sicherlich antrainierter Mechanismus; jedenfalls merke ich daß es mich aus irgendwelchen Gründen irritiert wenn die mögliche bessere Welt in besonders idyllischen, teuer restaurierten Privatrefugien exploriert wird, der klare Blick auf die Verhältnisse sich aus dem Oberklassewagen heraus meldet oder hinter vollmundig dekonstruierenden Nachwuchskünstlern ein 2000€ schweres Macbook Pro hervorblitzt. Gewichtiger Inhalt in machtvoller Ästethik.

Neid? Wäre die leichte Erklärung. Interessanter finde ich die Frage, was genau mich da am Gesamtbild stört. Bestimmt die Diskrepanz zwischen selbstformuliertem Durchblick und anders-sein, und gleichzeitiger Realitätsuntauglichkeit der Analyse wegen zu exclusivem Blickwinkel, oft auch offensichtlich doch reichlich vorhandener Konzentration auf die fein austarierte Konsumentscheidung wider den Plebs(?). Womöglich auch der Verdacht, daß die Einkommen in solchen Berufssparten an sich nicht so üppen, als daß man ein so verfeinertes Niveau ohne Finanzspritzen oder profitable Systempöstchen durchziehen könnte.

Wobei das je nach Kultur ja völlig unterschiedlich ist, so scheint es in den USA eine durchaus wohlhabende Sparte von Intellektuellen alter amerikanischer Schule zu geben, deren Personalunion als Gesellschaftskritiker und Mietshausbesitzer an der Upper East Side keinen Widerspruch zu bergen scheint.

Schon mal drüber räsoniert? Wie neutral sind Konsumstatements neben (manchmal anderslautenden) Botschaften?

Der Beitrag wurde von Sägefisch bearbeitet: 27.Sep.2009 - 17:46
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Antworten (1 - 19)
Hortensie
Beitrag 28.Sep.2009 - 04:51
Beitrag #2


"Jeck op Sticker"
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Vielleicht ist an dem alten Scherz (Geld macht nicht glücklich, aber es entspannt) ja mehr dran, als frau so denkt?

Ich weiss noch, als sich in dem kleinen Ort (aus dem ich mich einst in die grosse, weite Welt aufmachte) anfing eine kleine Partei zu gründen, die einst antrat, um das politische Establishment zu revolutionieren, waren die HauptträgerInnen des politischen Gechehens (neben versprengte, die entsttäuscht aus der ältesten Partei Deutschlands ausgetreten waren) Menschen, denen es materiell gut ging (eigenes Häuchen, Neuwagen aus Schweden etc.).

Verschiedenen ging es sogar so gut, dass 1 Einkommen ausreichte, um der Gattin genügend Freiraum zu verschaffen, damit diese sich um die kleine Lebensmittelkooperative kümmern konnte, aus der dann so nach und nach ein Trend entstand.

Vielleicht ist nicht nur materiell gesicherte Entspanntheit, die es ermöglicht, andere Blickwinkel zu entwickeln, sondern tatsächlich eine von existentiellen Sorgen entlastete Lebenswirklichkeit, die eine geistige Freiheit entstehen lässt?

Klar gibt Menschen, die ihre Sachen aus Edellabels beziehen, die anderen Kriterien unterliegen als alles was gerade so im Hochglanzmagazin zu sehen ist.

...aber es ist gibt auch Menschen, die in vielen Dingen einen Konsumverzicht üben, um sich diese Dinge auch bei geringen materiellen Einkünften leisten zu können.

Die dafür dann weniger konsumieren, aber dafür ihrem eigenen Anspruch genügen.
1 Pfund Kaffee pro Monat statt 2 ... aber dafür fair gehandelt.

1 Rechner in 10 Jahren, aber dafür die Marke mit dem Apfel oder so.

Vielleicht gibt es einfach mehr Sinn, manchmal nicht zu überlegen, wie jemand an Geld gekommen ist, sondern welches Verhältniss er dazu demonstriert?

Obwohl dieser Markenfetischismus, jetzt egal aus welcher Ecke, nervt mich manchmal schon ziemlich ab.
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sonnenstrahl
Beitrag 28.Sep.2009 - 19:01
Beitrag #3


verboden vrucht
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Ich kann dein Unbehagen ein Stück weit nachvollziehen, sägefisch. Die von dir benannte Diskrepanz lässt sich nicht von der Hand weisen.
Trotzdem bin ich - systemimmanent gedacht - froh, dass es diese gourmettempel-, weinseminar- und wellnessoasenbesuchenden Individualklamottenträger-, Manufakturwaren- und Kunsthandwerkkäufer- und AvantgardetheaterbesucherInnen gibt, denn sie sind es vor allem, die kleine Gewerbebetriebe, jenseits der Worldwide-Ketten mit ihren Massenproduktionen, überleben lassen.
Sie sind es, die maßgeblich mit dazu beitragen, dass alte, regionale Apfelsorten nicht aussterben - indem sie sie anstelle von 2,5 kg-weise industriell abgepackter Flugware aus Neuseeland und Argentinien am Biomarktstand zu kaufen bereit sind. Für mehr Geld.
Sie sorgen mit dafür, dass Obst und Gemüse ungespritzt bleiben darf. U.a. die Reben vom kleinen Biowinzer für das Getränk zum Slow-Food-Diner.
In einer Welt der sich wie Pilze vermehrenden Einheitsfußgängerzonen allerorten, der Hightech-Operettenproduktionen, zu denen halb Deutschland in Reisebussen angekarrt wird, der TK-Fertigpizza für TK-Fertigpizza mehr verkümmernden Esskultur, sind sie es in nicht unerheblichem Maße mit, die noch berufliche Nischen ermöglichen (und z.T. - mit Recht, wie ich finde - florieren lassen), in denen die Sinne, das Besondere, wirkliche Kreativität, Kunst und Begeisterung (statt Hype) sich entfalten dürfen.
Wenn sie die handgegerbten und -genähten, natürlich gefärbten Kinderlederhosen in der Szene-Lederwerkstatt, und die Oberetagendeko bei der Hutmacherin um die Ecke kaufen (zum Glück, für die betreffenden HandwerkerInnen), dann wird es natürlich auch getragen, ebenso wie Maßhemden und -Kostüme. Es würde den Dingen und der Arbeit, die darin steckt, ja auch nicht gerecht, wenn sie ihre Bestimmung nicht erfüllen dürften, sondern nur aus Barmherzigkeit gekauft würden.
Und die 5 verschiedenen Trüffelsorten (ich rede von sauteuren Pilzen, nicht von Konfekt!), die es in "Gianluigi´s Bottega del Tartufo", dem Trüffelspeziallädchen (gibt´s tatsächlich - unter anderem Namen), zu kaufen gibt ... ja, sicher, der pure Überfluss. Dekadent vielleicht. Aber die Trüffel werden nicht industriell angebaut. Soweit ist es (noch) nicht. Und irgendjemand lebt davon, dass er sie (evtl. in Begleitung eines Trüffelschweines) sucht und findet.

Meine persönliche Lieblingsklientel ist (Ausnahmen bestätigen die Regel) eine andere. Doch diese, um die es hier geht, trägt gutverdienend und -zahlend dazu bei, dass ich es mir erlauben kann, in meiner Praxis auch ermäßigte Tarife anzubieten.

Und ich selbst? Bin einem gewissen Luxus ganz und gar nicht abgeneigt. Kann ihn mir allerdings nur sehr partiell leisten. Wie Hortensie schon schrieb:
ZITAT
...aber es ist gibt auch Menschen, die in vielen Dingen einen Konsumverzicht üben, um sich diese Dinge auch bei geringen materiellen Einkünften leisten zu können.

So wird halt Vieles Second Hand/auf dem Flohmarkt - oder gar nicht - gekauft, und gelegentlich dann so etwas wie das umfangreiche Set handgeschmiedeter, individuell zusammengestellter Luxusschnitzmesser aus einem kleinen Traditionsbetrieb an irgendeinem Fjord (in diesem speziellen Fall haben allerdings meine FreundInnen zusammengelegt, und es mir zum Geburtstag geschenkt (IMG:style_emoticons/default/wub.gif) ).
Und sehr regelmäßig, d.h. täglich, qualitativ gutes hochwertiges Essen. Das ist mir wichtig.
Ist alles sicherlich auch eine Frage der Prioritäten. Und meines Ehrgeizes, dorthin zu kommen, wo ich, wenn ich will, am reichgedeckten Büffet mitschlemmen darf. Wenigstens ab und zu. Wenn mir gerade verschärft danach ist.

Kann mensch überhaupt IdealistIn sein, und ausgeprägt sinnesfreudig zugleich - ohne jemals mit Madame Doppelmoral auf Tuchfühlung zu gehen?
Ich kenne da niemanden.

Der Beitrag wurde von sonnenstrahl bearbeitet: 28.Sep.2009 - 19:11
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rubia
Beitrag 29.Sep.2009 - 11:47
Beitrag #4


Satansbraten
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ZITAT(sonnenstrahl @ 28.Sep.2009 - 20:01) *
Ich kann dein Unbehagen ein Stück weit nachvollziehen, sägefisch. Die von dir benannte Diskrepanz lässt sich nicht von der Hand weisen.
Kann mensch überhaupt IdealistIn sein, und ausgeprägt sinnesfreudig zugleich - ohne jemals mit Madame Doppelmoral auf Tuchfühlung zu gehen?
Ich kenne da niemanden.


Warum wird in D. Individualismus an Klamotten festgemacht? An Restaurants oder Kneipen die *hype* sind?
Individualismus ist doch mehr... ist individuelle geistige Haltung - nicht Geld für teure Klamotten ausgeben!

Warum geht frau nur in angesagte Restaurants? Das ist alles *Nachäffen* mit im Sandkasten spielen wollen -
hat doch nichts mit Individualismus zu tun - eher mit Angeberei (IMG:style_emoticons/default/gruebel.gif)

(IMG:style_emoticons/default/morgen.gif)
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sonnenstrahl
Beitrag 29.Sep.2009 - 14:47
Beitrag #5


verboden vrucht
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Möglicherweise hast du mich missverstanden, rubia.
Ich mache Individualismus nicht an teuren Klamotten und dem Besuch von bestimmten Restaurants fest. Er kann so viele Facetten haben, wie es Menschen gibt.
Mir ist an der Möglichkeit gelegen, in diesem Land auch weiterhin mit (kunst-)handwerklicher und kulturschaffender Individual-Arbeit im weitesten Sinne (also, neben bildender wie darstellender Kunst, Literatur und Musik, auch: Ess-, Körper-, Freizeit-, Wohnkultur u.a.) Geld verdienen zu können. Dafür braucht es Käufer. Und ob die nun damit angeben wollen, oder genießen, wofür sie bezahlt haben, oder sonstwas - das möchte ich mir zu beurteilen nicht anmaßen.
edit: Und mir ist daran gelegen, dass meine Sinne nicht zum sofortigen Protest-Degenerieren getrieben werden, sondern zumindest die Wahl haben zwischen irgendwo billig fließbandgefertigten Farb-, Konservierungs- und Aromastoffbomben und qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln aus überschaubaren Betrieben, wenn möglich aus der Region. Oder zwischen "Ha&Emm" oder "Känveloh" und Handgestricktem bzw. unter selbstbestimmten Bedingungen Gewebtem, Gewalktem, Genähtem etc., zu fairem Preis Gehandeltem. Oder zwischen "Cäts" oder "Nu York, Nu York" und mittleren/kleinen Theatern mit gerne auch mal widerborstigen Produktionen. Oder zwischen individueller, selbstbezahlter gesundheitsfördernder Betreuung und Zweiminuten-Talk auf Chipkarte. All die genannten Berufszweige könnten einpacken ohne Menschen, die bereit sind, ein gewisses Mehr an Kohle dafür auszugeben als sie es für das Allernötigste tun müssten. Was ich sehr schade fände. Sowohl als Kleingewerbetreibende als auch als genussfreudige, sinnlichkeitsliebende Konsumentin, die sich in aller Regel ein Ei backt auf den Statussymbolgehalt dessen, was ihr gefällt. Und die gegenüber den Schattenseiten des Lebens/Ungerechtigkeiten/Nöten auf der Welt gewiss weder die Augen, noch ihre helfende Hand, noch das Portemonnaie verschließt. Alles zu seiner Zeit.

Der Beitrag wurde von sonnenstrahl bearbeitet: 29.Sep.2009 - 16:12
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sonnenstrahl
Beitrag 30.Sep.2009 - 08:49
Beitrag #6


verboden vrucht
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ZITAT(Sägefisch @ 27.Sep.2009 - 18:42) *
Wie neutral sind Konsumstatements neben (manchmal anderslautenden) Botschaften?


Um nun doch auch noch deine eigentliche Frage aus meiner Sicht zu beantworten, sägefisch:
Neutral ist meiner Ansicht nach letzten Endes nichts, was Menschen tun.
Ich lerne Menschen beruflich oft sehr gut, in all ihrer Besonderheit und Widersprüchlichkeit kennen, inklusive ihres oft recht ausladenden Schattens.
Die Motivationen von Edelkonsumenten unterscheiden sich nach meiner Erfahrung z.T. enorm voneinander. Das Menschsein hat so unendlich viele Facetten, und die Hülle, in die wir uns gewanden, oder das Restaurant, das wir aufsuchen, kann diese Facetten direkt nach außen bringen, wie auch sie verschleiern, überhöhen, leugnen, vortäuschen. Konsumstatements können das Gegenüber auf falsche Fährten zu locken trachten, eine soziale und/oder politische Aussage sein oder sein wollen, mit unserer persönlichen oder familiären Geschichte zu tun haben, das Ausmaß des Bedürfnisses nach Attraktivität, Rebellion, Macht, Arroganz, Bescheidenheit, Lockerheit, Verspieltheit, Nicht-da-sein, das Ausfüllen, sich Auferlegen oder Negieren bestimmter Rollenerwartungen ... zeigen oder verstecken, nicht wirklich vorhandene hohe Einkommen vorspiegeln, einen bestimmten Geschmack und Freude an Farben, Formen und Materialien ausdrücken ...
Usw.
Nicht selten wahrscheinlich mehreres zugleich.

Der Beitrag wurde von sonnenstrahl bearbeitet: 30.Sep.2009 - 08:53
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LadyGodiva
Beitrag 30.Sep.2009 - 12:59
Beitrag #7


Strøse
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Es fällt vielen vermutlich einfach schwer, eine quasi bildungssystemimmanente Statusinkonsistenz zu akzeptieren.
Viele Akademikerkinder haben Eltern, die noch recht traditionell studiert und dadurch zu einem gewissen beschaulichen Wohlstand erlangt haben. Mit einer zunehmenden Akademisierung der Berufsbildungslandschaft erfolgt der Berufseinstieg immer später, umso länger gestaltet sich die Phase, in der Teils aus dem Portemonnaie der Eltern, teils aus eigenem Geldkätzchen improvisiert werden muss. (Da nehme ich mich nicht aus.)
Gleichzeitig, und auch das beobachte ich an mir - nimmt mit Ende zwanzig die Lust am Experimentellen in der Regel einfach ab, die schillernde Mittzwanziger-Urbanität hat ausgezwitschert, jetzt geht's ab in die Nisthöhle. Es erfolgt in einer gewissen Weise ein Gratifikationsstreben - der eigenen Lebensleistung, dem eigenen Selbst geschuldet. Und immer im Abgleich mit einem Milieu, das stramme Insiderkonventionen (und die sind, wie schon eh und je, am Elternhaus bemessen) recht unkonventionell-selbstständig transportiert. Bildung für alle, der Lebensstandard bleibt traditioneller als noch vor 30 Jahren der Herkunft geschuldet. Intellektualität wird also nicht an der Freiheit großer Gesten gemessen, sondern an ihrem Bezug zur Lebenswirklichkeit. Und da sehen nicht wenige dann doch ganz arm aus, Finanzpolster hin oder her.
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DerTagAmMeer
Beitrag 30.Sep.2009 - 16:40
Beitrag #8


Adiaphora
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Na da bin ich doch mal froh, ein diesbezüglich komplexbefreites Proletenkind zu sein und wenig persönliches Abgrenzungsbedürfnis nach "oben" oder "unten" zu verspüren (IMG:style_emoticons/default/biggrin.gif)

Wenn ein selbstständiger Künstler Geld in die Hand nimmt und es in seinen Job investiert (und dazu zähle ich sowohl einen potenten Rechner als auch die mäzengerechte Imagepflege), kann ich daran eigentlich nichts Verwerfliches finden.

Und ich habe ehrlich gesagt auch nicht das Gefühl, dass ein Markenfahrrad oder hochwertiges Olivenöl (weiße Apfelgeräte besitze ich leider nicht) meine Gesinnung irgendwie in Frage stellen. Ebensowenig schäme ich mich für unsere alte energieverschleudernde Heizung. Das Geld für eine neue ist aber definitiv nicht vorhanden - also wird es vorerst so gehen müssen.

Mich befremdet es eher, wenn sich Menschen zieren, zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen zu stehen und aufwändige Eiertänze veranstalten, um etwas darzustellen, was sie nicht sind. Egal in welche Richtung.
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LadyGodiva
Beitrag 30.Sep.2009 - 18:48
Beitrag #9


Strøse
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Der Dreher ist ja, dass betonte Unkonventionalität (vorrangig als Abgrenzung zum Werdegang der Elterngeneration betrachtet) eine Art Eintrittspreis verlangt - gerade so viel, dass es auffällt, wenn aus Alternativensuche eine stillschweigende Konvention wird - weil die zu beobachtende Häufung da nämlich mehr als der Zufall hergibt.
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sonnenstrahl
Beitrag 30.Sep.2009 - 20:50
Beitrag #10


verboden vrucht
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ZITAT(LadyGodiva @ 30.Sep.2009 - 19:48) *
... betonte Unkonventionalität (vorrangig als Abgrenzung zum Werdegang der Elterngeneration betrachtet)


Das war vielleicht mal, LG. Wenn ich mich beim Bahnfahren so unter (sehr) jungen Leuten umkucke, scheint mir die Ansage derzeit eher zu sein, sich betont konventionell, gleichfrisiert und -gestylt, den mitgelauschten Gesprächen nach heirats(in Weiss)wütig, politisch desinteressiert und dumpfbackig zu geben, in Abgrenzung zu ihren (ehemals) um neue Wege bemühten, friedensbewegten, emanzipationsgeübten Eltern. Wenn Eltern durch nichts mehr zu schocken sind, außer durch kultivierte Brägheit ... dann muss eben das für eine Weile herhalten. Denn Abgrenzung ist und war zu allen Zeiten einfach ein wichtiger Schritt zum Erwachsenwerden. (IMG:style_emoticons/default/smile.gif)

Der Beitrag wurde von sonnenstrahl bearbeitet: 30.Sep.2009 - 20:51
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DerTagAmMeer
Beitrag 30.Sep.2009 - 21:00
Beitrag #11


Adiaphora
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Ich befürchte, den Dreher verstehe ich einfach nicht. Vielleicht habe ich auch einfach andere Menschen im Blick. Wer beispielsweise hier in unserem Dorf Kunst studiert, ist sich der eigenen privilegierten Stellung (scheint mir) recht bewusst und wirkt auf mich auch nicht "betont unkonventionell", sondern eher bemüht den eigenen Ansprüchen und sicher auch den Erwartungen von Eltern und Gesellschaft an Persönlichkeit, Individualität und Genialität zu genügen.

@ Sonnenstrahl: hab Deinen Betrag erst nach dem Posten gelesen und erlebe es ähnlich. In der Campus stand neulich ein ganz bemerkenswerter Artikel über einen Ritalin-Selbstversuch "Ich bin ein Zombie, und ich lerne wie eine Maschine":
ZITAT
Ein letzter Satz von Hüther geht mir noch Tage später im Kopf herum: »Ritalin ist die Droge für die Pflichterfüller-Generation.« Es ist etwas Wahres daran: In den Siebzigern nahm man LSD, um dem Muff der Nachkriegszeit zu entkommen. In den Achtzigern nahm man Kokain, um sich trotz Pershing-II-Raketen gut zu fühlen. In den Neunzigern nahm man freitags Ecstasy-Pillen, um bis montags zu tanzen. Es waren Spaßdrogen, mit denen die Jugend gegen die Erwartungen der Gesellschaft rebellierte. Heute nehmen Studenten Ritalin, weil es ihnen hilft, sich den Erwartungen der Gesellschaft anzupassen. Sie sind die erste Generation, die eine Vernunftdroge konsumiert. Eine traurige Droge, ein Armutszeugnis.


Der Beitrag wurde von DerTagAmMeer bearbeitet: 30.Sep.2009 - 21:07
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robin
Beitrag 01.Oct.2009 - 06:01
Beitrag #12


I lof tarof!
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Eine vernunftdroge! Wirklich verrückt. Ich habe auch längere artikel zu ritalin gelesen, wo abhängigkeiten beschrieben wurden, die heroin in nichts nachstehen... unglaublich! (sagt eine, die mit einer noch "bewusstseinserweiternden" droge großgeworden ist)
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Sägefisch
Beitrag 01.Oct.2009 - 07:11
Beitrag #13


Schlaudegen.
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Damit hätten wir dann ja den Bogen geschlagen zum vermeintlichen Gegenteil - der jugendlichen Arbeits- und Leistungswut.

Die natürlich so ausschliesslich auch nicht gilt, immerhin gibt es genauso Totalverweigerer die einfach keinen gangbaren Weg für sich sehen.

Wobei das durchaus zum Thema gehört, denn was treibt die einen ins Privatdoping und die anderen in die Lethargie? Zu einem nicht unerheblichen Teil Wünsche die mit einem gesunden Mass an Anstrengung unerreichbar, aber gleichzeitig für die Persönlichkeit unverzichtbar scheinen. Ichformung durch Konsum.

Genau daran dürften die von mir angesprochenen Bilder einen gewissen Anteil haben, weil sie eine Welt suggerieren in der man nicht nur gut, sondern gleichzeitig auch exakt distinguiert lebt und das alles auch noch mit einer gewissen Coolness vonstatten geht, während man zusätzlich noch alles durchschaut und dekonstruiert zu haben meint.

Wenn das Ende vom Lied ist, dass junge Menschen entweder von Angstanfällen geplagt merken dass ihr schniekes Kunst-/Karriere-/Medienfach sich (gar trotz Uppers) keinesfalls in solcherlei Einkommensklasse niederschlägt, sondern Kiffer-Thorsten von nebenan mit seiner Dachdeckerlehre das Doppelte einfährt, wenn Leute sich als Un-Persönlichkeit erleben weil eine so perfekte Welt vorgegeben wird, dann kann sich das was man in Skandinavien als "die kreative Klasse" bezeichnet nicht zurücklehnen und sagen sie könne nichts dafür.

Sie produziert Bilderwelten für die Masse und für die etwas interessierteren auch gedankliche Konstrukte, die ganz überwiegend eine extrem konsumschwere Kulisse haben. In bewusster Abgrenzung, und unter Ausblenden des Widerspruchs zum Postulat. Es handelt sich ja nicht um Idioten, sondern um Leute die sich den Anspruch verliehen haben, alles ganz bewusst zu tun und zu arrangieren.

Damit wurde im öffentlichen Raum gewissermasse das gekapert was vielleicht mal ein Fluchtpunkt für diejenigen war die menschlicher, langsamer, konsumärmer leben wollten oder mussten - Kunst, Gelehrtentum, Rückzug.
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sonnenstrahl
Beitrag 01.Oct.2009 - 07:54
Beitrag #14


verboden vrucht
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@ sägefisch: Aber wer zwingt die Leute denn, ihr Leben aus der Hand zu gehen, und sich in den Rachen der Manipulation zu schmeißen? Wer zwingt sie denn, sich ausgerechnet diese unerreichbaren Vorbilder auszusuchen? Das vermeintliche Diktat ist - hier - eine Entscheidung, egal ob zur ritalingedopten Anpasserei in Pink, zur immernoch-punkigen Auflehnung dagegen, oder zum Experimentieren mit den realen eigenen Möglichkeiten und Grenzen.

Es sind übrigens längst nicht nur Jugendliche/junge Menschen, die von Angstanfällen geplagt werden. Die Angst wabert durch alle Schichten und Altersklassen, überall dort, wo zwischen Anspruch und Wirklichkeit der gähnende Abgrund klafft, und im Besonderen auch durch die Riege der bewusstseinsbeanspruchenden, überall mitreden könnenden Edelkonsumenten unter Kreativdruck, die mir gerne mal als überfordertes Häuflein Elend weit jenseits von sich selbst begegnen.
edit: Und Hand in Hand mit der Angst die Depression.

Der Beitrag wurde von sonnenstrahl bearbeitet: 01.Oct.2009 - 08:22
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LadyGodiva
Beitrag 01.Oct.2009 - 08:18
Beitrag #15


Strøse
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Ich habe längere Zeit in einem sogenannten "Szenebezirk" gelebt und bin bereits beim Schritt über die Türschwelle mit der jungen Intellektualität und ihren mehr oder weniger diskreten Insignien konfrontiert worden. Als Beispiel aus meinem persönlichen Umfeld eine Bekannte, eine sprachwissenschaftliche Magistra, die sich in ihrem in Relation zur Ausbildung schlecht entlohnten Verlagsjob um die Möglichkeit betrogen sieht, selbst schreibend tätig zu werden. Eine Vernunftentscheidung, die zu respektieren ist... oder mehr noch wäre, müsste es nicht ausgerechnet eine Wohnung im Szeneviertel, das Manufactumbücherboard oder handgenähte Stiefel sein. Andererseits weiß sie, dass sie bei Geschäftsessen gut bedient ist, Visitenkärtchen mit der entsprechenden Wohnadresse vorrätig zu halten oder einen hochwertigen Füllfederhalter aus der Jackentasche ziehen kann - aus Imagegründen. In ihrer Position, die ursprünglich eher eine akzeptierte Gegebenheit darstellte, wird dergleichen in einer Art stillem Konsens vorausgesetzt. Letztenendes hat sie ihr eigentliches Ziel (den Roman) gegen eine akademisch untermauerte, mehr oder weniger behagliche Beschäftigung "mit" (Literatur) ausgetauscht, die von ihr indirekt zu fordern scheint, hinter einer ambitionierten Fassade die Moneten für deren Kitt zusammenzusammeln. Sie hat das Spiel angenommen, weil die Schreiberei nicht den Lebensstil liefert, den die Schreiberei für sie bereit halten sollte.
Es ist sicherlich nur ein Beispiel, aber ich sah eben zu viele davon, um von Einzelphänomenen sprechen zu wollen.
Natürlich ist niemand gezwungen, so zu leben, aber es tun viele.
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sonnenstrahl
Beitrag 01.Oct.2009 - 08:40
Beitrag #16


verboden vrucht
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ZITAT(LadyGodiva @ 01.Oct.2009 - 09:18) *
Natürlich ist niemand gezwungen, so zu leben, aber es tun viele.


Bis der Leidensdruck so groß geworden ist, dass sie entweder (gerade noch) rechtzeitig aussteigen, und den Standard deutlich runterschrauben, bevor die Alarmsignale zu manifesten Erkrankungen werden, oder dass sie sich selbst gegenüber endgültig resignieren, Tabletten futtern, die teuren Teller und LeCröset-Töpfe volljammern, sich in steter Verzweiflung allabendlich mit preisgekröntem Wein besaufen, und blass das frühe Grab ansteuern.
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dandelion
Beitrag 01.Oct.2009 - 08:42
Beitrag #17


don't care
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@sonnenstrahl: wir sehen uns durch die Virtualisierung, gepaart mit Data Mining und dessen Verwendung im Marketing (hach, Anglizismen sind toll) einer Armada wohlsortierter und bestens informierter Vertriebler gegenüber, die auf Grund unserer eigenen Unvorsicht ziemlich genau wissen, wo sie uns zu packen kriegen - durch Informationen, die wir selbst an anderer Stelle rausposaunt haben, in der verzweifelten Hoffnung, endlich gesehen zu werden.
Jeder Mensch hat Ziele. Und die wenigsten nehmen sich die Zeit für eine umfassende Nabelschau, um der Gesamtheit ihres Wesens nachzuspüren. Viele verspüren dann allerdings das Defizit, das dadurch entsteht. Und tun das natürlichste, was man tun kann, wenn man lernen will - sie ahmen nach, von der Form zum Kern. Da dann wiederum ist es wie in der Kunst: Viele bleiben auf dem Weg nach innen irgendwo hängen. So entstehen dann Hobby-Hippies, bornierte Intellektuelle und nicht zuletzt die heiß geliebten Stammtischphilosophen jeglicher Couleur.

Manche entscheiden bewußt, so wie du, sonnenstrahl. Manche tun es nicht. Auch das ist Gegenstand der Freiheit, die du zu Beginn des Threads einfordertest. Ich kann wählen, ob ich lieber schicke/"industriellunikate" Kleidung, die neueste Technik oder tägliches Biogemüse haben will. Ich kann auch entscheiden, ob ich mich mit depressiver, aggressiver, nonchalanter, sarkastischer oder sonst einer Philosophie auseinandersetzen möchte, ob ich meinen Körper perfektioniere, meinen Geist oder mein Maultrommelspiel.
Es ist möglich, einem Menschen Anreize zu geben, Einladungen zu geben. Und ich lebe mit der Auffassung, daß mensch in erster Linie Neugier und Offenheit benötigt, um ein erfülltes Leben zu haben. Aber beides kann und sollte man nicht voraussetzen; für manche ist das liebevolle Hegen der kleinen Welt diesseits des Tellerrandes nun mal alles, was es braucht zum Glück.
Das sage ich - heute mal - überhaupt nicht aus Bitterkeit, sondern aus Respekt vor der Entscheidung anderer Leute. Auch hinter dieser Entscheidung warten Kämpfe, Ängste, Sorgen, Frust und viel, viel Arbeit.

Das Prinzip des Statussymbols ist durch alle Zeiten und Kulturen gegangen. Jetzt, in der Zeit der Ritalinkinder, ist Arbeit und Zeit für viele seltener als Gold. Was heißt das? Wenn mensch zeigen will, daß mensch was ist, hat mensch entspannt zu wirken. Aber beschäftigt. Kreativmenschtum scheint beides zu versprechen. Hinzu kommt der Touch von Dencklerblock - das ärmlich anmutende als Erkennungszeichen des Studenten, das Provisorium als Emblem dessen, der Kapazitäten in Gehirn und Zeitplan hat, um zu reparieren.
Dabei würden sie nicht reparieren, und alles darf nur so aussehen, als ob. Gewissermaßen der Wonderbra des Geistes.
Ich wurde schon angesprochen: "Tolle Hose, wie hast du denn den used look hingekriegt?" - "Äh... zehn Jahre getragen?" - "Ach so." weg war sie. schmunzeln und winken (IMG:style_emoticons/default/cool.gif)
Das an sich schreckt mich wenig. Ich finde es in erster Linie menschlich.

Was mich erschreckt ist die Industrialisierung, der wir gegenüberstehen. Vor dem Bild, das ich gerade gezeichnet habe, stehe ich wie ein Hamster, der gerade feststellt, daß er vielerseits beobachtet in einem Rad in einem Labor läuft, statt frei und auf der Flucht vor Raubkatzen durch Erdlöcher in Sibirien (oder wie in dem traurigen Mittelteil eines Miyazaki-Films vor einer riesigen, schmutzigen Maschine). Die Maschine hat verstanden, daß wir in der Mehrheit zu soziale Wesen sind (oder sein wollen), um uns seiner Beobachtung durch "Ausstieg" zu entziehen. (IMG:style_emoticons/default/ph34r.gif)


ich hoffe, ich bin nicht am Thema vorbei, völlig konfus oder in Plattitüden ersoffen. tschuldigung, müde.
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sonnenstrahl
Beitrag 01.Oct.2009 - 09:03
Beitrag #18


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ZITAT(dandelion @ 01.Oct.2009 - 09:42) *
Es ist möglich, einem Menschen Anreize zu geben, Einladungen zu geben. Und ich lebe mit der Auffassung, daß mensch in erster Linie Neugier und Offenheit benötigt, um ein erfülltes Leben zu haben. Aber beides kann und sollte man nicht voraussetzen; für manche ist das liebevolle Hegen der kleinen Welt diesseits des Tellerrandes nun mal alles, was es braucht zum Glück.
... Respekt vor der Entscheidung anderer Leute. Auch hinter dieser Entscheidung warten Kämpfe, Ängste, Sorgen, Frust und viel, viel Arbeit.


Ja. Ich halte das liebevolle Hegen der kleinen Welt diesseits des Tellerrandes für elementar. Ohne diese Basis wäre der darüberhinaus neugierige und offene Mensch wie ein Zugvogel ohne Ziel und Heimat. Und wer dort stehenbleibt, und wirklich glücklich ist - sprich: Anderen ihr Andersleben aus vollem, offenem Herzen zu gönnen vermag - , dem würde ich bestimmt keine Tretminen in sein Gärtchen legen wollen. Wir müssen nicht unbedingt leben, was in unserem Herzen möglich ist. Kritisch wird es, wie ich finde, wenn dieser innere Ort mit Stacheldraht umzäunt ist.
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sonnenstrahl
Beitrag 01.Oct.2009 - 09:27
Beitrag #19


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ZITAT(dandelion @ 01.Oct.2009 - 09:42) *
Was mich erschreckt ist die Industrialisierung, der wir gegenüberstehen. Vor dem Bild, das ich gerade gezeichnet habe, stehe ich wie ein Hamster, der gerade feststellt, daß er vielerseits beobachtet in einem Rad in einem Labor läuft, statt frei und auf der Flucht vor Raubkatzen durch Erdlöcher in Sibirien (oder wie in dem traurigen Mittelteil eines Miyazaki-Films vor einer riesigen, schmutzigen Maschine). Die Maschine hat verstanden, daß wir in der Mehrheit zu soziale Wesen sind (oder sein wollen), um uns seiner Beobachtung durch "Ausstieg" zu entziehen. (IMG:style_emoticons/default/ph34r.gif)
ich hoffe, ich bin nicht am Thema vorbei, völlig konfus oder in Plattitüden ersoffen. tschuldigung, müde.


Ein triftiger Grund mehr, uns mit uns selbst auseinanderzusetzen (was weit entfernt von Nabelschau ist!), und - jeder für sich als auch im offenen Austausch - wir selbst sein zu wollen, mit all unseren Entwicklungsmöglichkeiten und Unzulänglichkeiten, anstelle eines markentragenden Cyborgs mit echten Tränen, dem unsere Seele einen leckeren Nährboden liefert.
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Sägefisch
Beitrag 01.Oct.2009 - 11:45
Beitrag #20


Schlaudegen.
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Gut und schön, man ist also hoffentlich frei genug, sich zu entziehen.

Damit ist dann aber noch nicht derjenige benannt, der aktiv solche Wunschwelten gestaltet. Und erst recht ist ihm damit noch nicht offen widersprochen, zumal man sich nicht einbilden sollte dass die Verfügbarkeit privater Kleinstblogs schon eine reelle Gegenstimme zu Menschen ist, die die grosse Leinwand zur Hand haben.

Wie überhaupt viel Fluchtstrategie ausbaldowert ist, es unserer Zeit aber (so scheint´s) an Wirkmitteln gegen menschenfeindliche Prozesse fehlt. Seien es nun parasitäre Finanzwelt, verzerrende Kulturbilder oder destruktive Politik - es gibt kaum öffentlichen Konflikt und erst recht keine Straftatbestände für manches was vielen sehr grossen Schaden zufügt.

Also scheint ja doch eine ziemliche Hegemonie zu herrschen, die man höchstens Umgehen kann - unter der Prämisse, sich dann aus bestimmten Bereichen aber auch heraushalten zu müssen.

Irgendwas sträubt sich in mir, wenn Dinge aus konkretem Handeln entstehen, aber offensichtlich in so abgeschirmte Bereiche eingebettet sind dass die konkreten Personen nicht benannt und als verantwortlich angesprochen werden.

Macht man dann nicht mit bei der Behauptung, alles sei easy, fast ein Spiel? Macht wird auf diesem Gebiet jedenfalls kaum als solche benannt, ja inszeniert sich geradezu als Gegenpol zu selbiger, weshalb man auch nicht zur Debatte oder gar Rechenschaft stehen muss. (Vielleicht ist genau das der Dreher der mir sauer aufstösst, merke ich gerade).

Für viele die es nicht schaffen, sich zu entziehen ist es jedenfalls kein Spiel, sei es nun der Jugendliche der sich unzulänglich und abgehängt fühlt, der Student der sich an geistigen Produkten orientiert die seine Realität gar nicht erst erfassen, oder die Putzfrau die eine Milliardärskrise zu begleichen hat.

Diese Bereiche haben sich angenähert, und sind als neues Machtgefüge noch nicht voll kartiert, scheint mir.

Der Beitrag wurde von Sägefisch bearbeitet: 01.Oct.2009 - 11:46
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