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> Angst und Ressentiment
Sägefisch
Beitrag 21.Nov.2009 - 11:20
Beitrag #1


Schlaudegen.
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Angeregt durch diesen Beitrag wälze ich gerade die Frage, ob das nicht im Grunde ein nie so recht ausgeloteter Allgemeinplatz ist, dass Ablehnung immer einer Angst vor dem anderen entsprünge, oder grundsätzlich spiegelte was in einem selber wohnt. (Keine Kritik an Dir, malene).

Ich habe das selbst noch nicht ganz ausgebrütet, würde es aber gerne schon in die Runde werfen. Auch wenn das nochmals eine Metadiskussion ergibt, finde ich doch dass die bisherigen Threads unter anderem den Sinn von Begriffsklärungen aufgezeigt haben.

Vorschlagsweise wäre schön: on topic, auf den Punkt und keine Beispiele und Zitate aus den Geschwisterthreads.

Glück ab: wie kommt´s zustande und wie vom einzelnen auf einen breiten Stand?




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dandelion
Beitrag 21.Nov.2009 - 11:54
Beitrag #2


don't care
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Danke (IMG:style_emoticons/default/smile.gif)

Ich für meinen Teil stelle fest, daß ich, je neugieriger und offener ich auf andere zugehe, um so weniger aus eigener Erfahrung diese Frage beantworten kann - weil ich nicht den Anhaltspunkt habe, was ich ablehne.
Es scheint also was dran zu sein, das auf jeden Fall.
Wie ich es auch drehe und wende, ich finde keine Ursachen für Ablehnung, die tatsächlich nichts mit Angst zu tun haben:
[PERSONAL]
- Angst vor dem Unbekannten: Was ich nicht kenne, könnte für mich schädlich sein. Ich will aber keinen Schaden nehmen. Also lerne ich es nicht kennen, dann kann es mir auch nicht schaden.
- Angst vor vergangenen Schmerzen: Als ich das das letzte Mal gemacht habe, habe ich Schaden genommen. Das will ich nicht nochmal erleben. (das kann eine dramatische Liebesgeschichte oder der Konsum eines suspekten Nahrungsmittels sein, ich möchte das nicht weiter eingrenzen)
- Angst vor den Konsequenzen: die klassische Milchmädchenrechnung. Wenn ich das tue, könnte jenes passieren, das führt dann zu welchem, und dann gibt's ne Katastrophe. Das ist ja schrecklich! Wie kann ich die nur aufhalten? Ich fange am besten gar nicht erst an.

Weiterführend wäre dann der Gedanke, was eigentlich Angst ist - ich gehe bei meinem Posting davon aus, daß Angst mit einer mehr oder minder gewissen Aussicht auf Leid für mich und/oder andere verbunden ist.

Das macht Ablehnung zu einer Schutzhandlung - oftmals allerdings schützt sie vor Gefahren, die gar nicht da sind.

Sogar Ablehnung der Inhalte von Gesetzen, mit denen frau selbst nicht konform geht, lassen sich darauf zurückführen:
- An sich finde ich das nicht schlimm.
- Wenn ich es aber trotzdem mache, stehe ich auf der anderen Seite der Gesellschaft.
- Wenn ich auf der anderen Seite stehe, nimmt mich die Gesellschaft weniger in Schutz.
- Wenn ich weniger geschützt bin, und einen Angriff erleide, nehme ich mehr Schaden.
- Ich weiß nicht, ob es einen Angriff geben wird.
- Ich weiß nicht, ob ich Schutz brauche.
- Wenn ich nicht weiß, ob ich Schutz brauche, kann ich es nicht ausschließen.
- Unter Umständen brauche ich Schutz.
- Ich brauche Schutz.
- Ich kann mich nicht gegen die Gesellschaft stellen.
- Ich kann nicht gegen das Gesetz verstoßen.
- Das, was im Gesetz verboten wird, ist (für mich) nicht gut.

Aus diesem Grund haben Gesetze dann weniger Macht, wenn sie von der Mehrheit der Gesellschaft nicht ernst genommen werden: der Verlust des Schutzes durch die Herde droht nicht.
[/PERSONAL]
Alles innerhalb "meines" Tags möchte ich nicht als wissenschaftliche Erkenntnisse verkaufen, aber es wäre nur noch schwer lesbar, wenn ich hinter jeden dritten Satz ein "ich denke" oder "meiner Meinung nach" setzen würde.

War das zu allgemein/am Thema vorbei?
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PikSieben
Beitrag 21.Nov.2009 - 12:31
Beitrag #3


ausgewilderte Großstadtpflanze
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Darf ich nachfragen, wie deine Frage gemeint ist, sägefisch?

Mir ist die Definition von Ablehnung, die es ja hier zu untersuchen gilt, nicht ganz klar.
Es gibt aus meiner Sicht nämlich zwei Erscheinungsformen von Ablehnung:

eine eher leise Variante (Wenn ich mal ganz genau in mich hineinhorche, dann merke ich, dass hier und da doch das ein oder andere Ressentiment schlummert und ich frage mich ganz ernsthaft, wo es herkommt.)

und es gibt eine brüllende, stumpfsinnige, verletzende und sehr gewalttätige Erscheinungsform von Ablehnung.
Ich denke, dass es müßig wäre, bei letzterer Variante irgendwie psychologisieren zu wollen, woher der angeblich zugrunde liegende Fremdenhass kommt (Angst? Vor dem Anderen? Angst manchmal auch vor sich selbst?) Und ich denke auch, dass hier als Gegenstrategien Aufklärung und „Angst vor dem Fremden nehmen“ grundsätzlich versagen müssen, weil es meiner Ansicht nach nur ein Pöbeln um des Pöbelns willen ist. Macht ausüben. Andere an ihrem empfindlichsten Punkt treffen wollen. Um sich selbst mal groß zu fühlen. Kompensationsversuche für das eigene Minderwertigkeitsempfinden.

Kann ich also davon ausgehen, dass du erstgenannte Variante meinst, sägefisch?

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Sägefisch
Beitrag 21.Nov.2009 - 13:17
Beitrag #4


Schlaudegen.
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@PikSieben (IMG:style_emoticons/default/wavey.gif) Eher erstgenannte, ja. Ich weiss aber nicht ob man das leise und das laute so absolut trennen kann - Dein Beispiel suggeriert (als eine Variante) den Nazischläger, den es sicherlich in dieser Reinform gibt. Es mag aber (seltener) auch Menschen geben bei denen die Bereitschaft zum öffentlichen Verjagen (physisch oder nicht) einer inneren Radikalisierung gefolgt ist. Aber in Kurzfassung: ja, eher die innere Ablehnung und ihre eventuellen Folgen im Handeln.

Was mich da gerade beschäftigt sind die schwierigen Fragen nach Kompatibilität verschiedener Gruppen und inwieweit Formen von Ablehnung eine Legitimation haben können, im Sinne einer Grenzziehung. Ein -ismus ist ja nach derzeit geltender Lesart eher ein Absprechen von Legitimierung. Was aber wenn Ablehnung auf Wegen entsteht, die zentrale Bedingungen von -ismus oder -phobie gar nicht erfüllen aber dennoch die Grenze der rein individuellen Kritik überschreiten?



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dandelion
Beitrag 21.Nov.2009 - 13:30
Beitrag #5


don't care
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ZITAT(PikSieben @ 21.Nov.2009 - 12:31) *
Es gibt aus meiner Sicht nämlich zwei Erscheinungsformen von Ablehnung:

eine eher leise Variante (Wenn ich mal ganz genau in mich hineinhorche, dann merke ich, dass hier und da doch das ein oder andere Ressentiment schlummert und ich frage mich ganz ernsthaft, wo es herkommt.)

und es gibt eine brüllende, stumpfsinnige, verletzende und sehr gewalttätige Erscheinungsform von Ablehnung.

(IMG:style_emoticons/default/wavey.gif)
und es gibt die dazwischen: die Stammtischparole. Auf die wollte ich hinaus... (IMG:style_emoticons/default/pfeif.gif)
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Sägefisch
Beitrag 21.Nov.2009 - 13:32
Beitrag #6


Schlaudegen.
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Sogleich bemerke ich in diesem noch jungen Thread, dass Ablehnung gänzlich negativ konnotiert ist.

EDIT:...nebst einem Schreibfehler.

Der Beitrag wurde von Sägefisch bearbeitet: 21.Nov.2009 - 13:35
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PikSieben
Beitrag 21.Nov.2009 - 13:49
Beitrag #7


ausgewilderte Großstadtpflanze
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ZITAT(Sägefisch @ 21.Nov.2009 - 13:17) *
Eher erstgenannte, ja. Ich weiss aber nicht ob man das leise und das laute so absolut trennen kann


*lächel* und zurück-(IMG:style_emoticons/default/wavey.gif) Ich habe vorhin kurz innegehalten vor dem "Absenden", weil genau das mir auch durch den Kopf ging. (IMG:style_emoticons/default/bluemele.gif)


Ich versuche mal, weiter zu denken:



Fremdheit ruft bei mir mitunter Angst hervor.

Beispiel: Mir ist es völlig fremd, wenn Menschen in einer Lautstärke, die mir fremd ist, scheinbar ganz normale Gespräche führen. Ich empfinde Lautsein als Bedrohung. Das hat etwas mit meiner Sozialisation zu tun, denke ich. Wie oft habe ich schon die Flucht ergriffen oder Panikattacken ausgehalten, weil sich auf der Straße hinter mir Menschen lautstark unterhalten haben. Alkoholisiert? Pubertätshormonverstärkt? Höflich gemeint, weil in anderen Sozialisationskreisen Lautheit vielleicht als Mittel der besseren akustischen Verständlichkeit geschätzt wird? Ich weiß es nicht im Einzelnen und ich habe es schon tausendfach erlebt, dass es sich als harmlos entpuppt hat, aber es verängstigt mich.

Diese Angst kann auch Ressentiments und Ablehnung schüren.

Aber ich habe auch gelernt, dass es möglich ist, trotz dieser Ablehnung zueinander zu finden.

Ich glaube, das Hauptproblem ist es, zwischen der Ablehnung gegenüber bestimmten Aspekten eines Menschen und der grundsätzlichen Ablehnung der Person zu unterscheiden.


Wieder ein Beispiel:
Als ich mich erstmalig mit einer neuen Kollegin unterhielt, fand ich sie sehr angenehm. Sie hatte ähnliche Ansichten wie ich, lustige, wache Augen und lächelte oft irgendwie verschmitzt. Ich fand sie sehr angenehm.
Gegen Ende des Gesprächs hob sie aus irgendeinem Anlass ihre Hände vors Gesicht – und da sah ich es: Fingernagelglitterzeugs. Künstliche Nägel, die mit so grünem Glitzerzeugs relieffiert waren. Du liebe Zeit! Für mich ein Inbegriff von Fremdheit.
Nun. Ich mag sie trotzdem noch. Ich beschränke mich darauf, ihr in die Augen zu sehen, wenn ich mit ihr rede. (IMG:style_emoticons/default/wink.gif) Funktioniert gut. Und von Ablehnung gegen die Person keine Spur. Aber meine Ablehnung gegen dieses Fingernagelgeraffelzeugs bleibt.

Und jetzt die Moral von der Geschicht:
Ich schäme mich für diese Ablehnung kein bisschen. Ich betrachte sie als Teil meiner Persönlichkeit und schätze und achte sie sehr.
Ich lasse mir nicht einreden, nicht PC zu sein, weil ich bestimmte Dinge oder Verhaltensweisen ablehne. Und ich sehe keine Veranlassung, deshalb selbstgeißelnd mit mir ins tiefenpsychologische Gericht zu gehen.
Aber: Ich beziehe diese Ablehnung grundsätzlich erst einmal auf die Verhaltensweise und nicht auf die Person als Ganzes.


Ich denke, dass jede von uns irgendwelche ablehnenden Haltungen in sich trägt und dass das auch ok ist.

Aber die Frage muss dann ja vielleicht sein, was einen dazu bewegt, eine ablehnende Haltung anderen gegenüber so heraus kehren zu müssen oder sich aufhetzend zu ereifern.
Und da, denke ich, spielen eher solche Mechanismen eine Rolle, die ich im obigen Post genannt habe.
Und nein, nein, keine Sorge, ganz so gute Mensch bin ich auch nicht: Auch ich bin manchmal nicht ganz frei von Mich-besser-als-die-anderen-Rederei. Und dafür schäme ich mich manchmal hinterher.
Manchmal.

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Oldie
Beitrag 21.Nov.2009 - 13:50
Beitrag #8


multifunktionales Blond(s)chen
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Ich glaube, ab einem gewissen Alter ist es schwierig, eigenes Verhalten, in Bezug auf Fremdes, neutral zu sehen. Meiner Ansicht nach, laufen da sehr viele Denkmuster und –Prozesse ab, die stark mit Erlebtem zusammenhängen.
Und natürlich auch mit dem Durchdenken, was ergibt sich daraus für die Zukunft.
Vielleicht etwa so: Je größer die Zukunftsangst, desto größer die Angst vor Fremdem und Veränderung.
Demgegenüber steht aber auch,, jedenfalls bei mir, viel Neugierde. Lust auf Neues und Unbekanntes.
In diesem Spannungsfeld greifen dann evt. die Mechanismen, Erziehung, Sozialisation und eigene Persönlichkeit.
Vielfach erlebe ich „Ablehnung“ bei mir als (noch) unausgegorenen Prozess, der erst mal bedacht und ausgelotet sein will.

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dandelion
Beitrag 21.Nov.2009 - 13:53
Beitrag #9


don't care
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Sagen wir's mal so... Für mich ist Ablehnung als eine negative Einstellung gegenüber einer "Sache" definiert.

In den meisten Fällen leidet der/die Ablehnende selbst, wenn er/sie an die abgelehnte "Sache" denkt. Das Leid anderer empfinde ich nicht gerade positiv (IMG:style_emoticons/default/wink.gif)
Hinzu kommt bei den nach außen gerichteten Formen der Ablehnung das Leid derjenigen, die von der Äußerung be-/getroffen werden.

Beispiel Studentendemo:
Die Studis lehnen die für sie als untragbar empfunden Bedingungen ab. Die meisten von ihnen kommen mir nicht so vor, als würden sie sich beim Ausleben dieser Abneigung wohl fühlen - bestenfalls ergibt sich eine kämpferische, verbissene Energie, die aber normalerweise ihr zerstörerisches Potenzial nicht verbergen kann.
Beispiel Suppenküche:
Eine Gruppe von Menschen lehnt ab, wie schlecht die Versorgungssituation Obdachloser ist. Also gründen sie eine Suppenküche. Es macht ihnen Spaß, die Obdachlosen fühlen sich ein bißchen wohler.
Aber der Blick auf das Leid, das einmal stärker herrschte und anderenorts immer noch unvermindert herrscht (also die auslösende Ablehnung selbst), führt dennoch zu einer negativen, bitteren Wahrnehmung zwischendrin.

Ich glaube also durchaus, daß Ablehnung positive Effekte haben kann - aber nicht, daß sie selbst "positiv" werden kann.
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Sägefisch
Beitrag 21.Nov.2009 - 22:38
Beitrag #10


Schlaudegen.
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Und wenn man es nun auf die Ebene von Gruppen und deren verbindende Elemente überträgt?

Es gibt ein Spannungsfeld zwischen gemachten Erfahrungen mit überpersönlichen Eigenheiten und dem Anspruch, einzelne Mitglieder von Gruppen nicht in Sippenhaft zu nehmen - und natürlich das Bestreben, erst gar keine "unzulässigen" Zusammenfassungen zu betreiben. Man kann aber trotz letzterem auf (durchaus sich selbst als solche identifizierenden) Kollektive stossen, deren "Fremdsein" nicht nur Vielfalt, sondern im Erleben primär Konflikt bedeutet, je nachdem wieviel Raum man dem "eigenen" zugestehen möchte.

Was dann? Wenn man gegen bestimmte Prinzipien und deren Abstufungen Ablehnung empfindet, wo verläuft dann die Grenze zur unreflektierten Ideologie?

Der Beitrag wurde von Sägefisch bearbeitet: 21.Nov.2009 - 22:42
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PikSieben
Beitrag 22.Nov.2009 - 11:06
Beitrag #11


ausgewilderte Großstadtpflanze
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ZITAT(Sägefisch @ 21.Nov.2009 - 22:38) *
Und wenn man es nun auf die Ebene von Gruppen und deren verbindende Elemente überträgt?

Es gibt ein Spannungsfeld zwischen gemachten Erfahrungen mit überpersönlichen Eigenheiten und dem Anspruch, einzelne Mitglieder von Gruppen nicht in Sippenhaft zu nehmen - und natürlich das Bestreben, erst gar keine "unzulässigen" Zusammenfassungen zu betreiben. Man kann aber trotz letzterem auf (durchaus sich selbst als solche identifizierenden) Kollektive stossen, deren "Fremdsein" nicht nur Vielfalt, sondern im Erleben primär Konflikt bedeutet, je nachdem wieviel Raum man dem "eigenen" zugestehen möchte.

Was dann? Wenn man gegen bestimmte Prinzipien und deren Abstufungen Ablehnung empfindet, wo verläuft dann die Grenze zur unreflektierten Ideologie?


Hm.
Ich versuche, deinen Begriff von „überpersönlichen Eigenheiten“ zu fassen, aber es gelingt mir nicht so ganz. Vielleicht kannst du helfen? Vielleicht auch mit einem Bespiel?

Aber auch, wenn ich mir noch nicht sicher sein kann, deine Anmerkung begrifflich richtig erfasst zu haben, will ich mich an einer Antwort auf deine Frage versuchen.

Erstens denke ich immer noch, dass nicht die Ablehnung an sich das Problem ist. Es ist doch ok, wenn ich weiß, dass ich auf bestimmte Dinge/Verhaltensweisen ablehnend reagiere. Der Schritt zur Unreflektiertheit vollzieht sich für mich beispielsweise aber dann, wenn ich diese meine Ablehnung nicht primär als MEINE Empfindung wahrnehme, sondern sie dem Abgelehnten anlaste. Will sagen, es ist für mich ein Unterschied, ob ich sage: „Ich habe ein Problem, damit umzugehen, wenn Menschen laut sind.“ oder ob ich sage: „Lautsein ist schlimm. XYZ ist laut. Also ist XYZ schlimm.“ Die Unreflektiertheit besteht hier für mich darin, nicht zu sehen, dass das Schlimmsein von Lautheit kein allgemeingültiges moralisches Gesetz ist, sondern lediglich eine unzulässige Verallgemeinerung meiner ganz subjektiven - von Sozialisation oder persönlichen Erfahrungen geprägten - Empfindung darstellt.

Ja, und bei Zweitens – dem Schritt zur Ideologie – bin ich mir aus oben genannter Begriffsunsicherheit heraus noch unklar. Ist nicht schon die Annahme der Existenz „überpersönlicher Eigenheiten“ einer Gruppe eine ideologisierende Übergeneralisierung, die ja den Kern von beispielsweise Rassismus ausmacht? Oder habe ich einfach deinen Begriff nicht richtig verstanden?

Und zweieinhalbtens denke ich, dass der Schritt zur unreflektierten Ideologie auch dann stattfindet, wenn man als Einzelne oder als Gruppe nicht bereit ist, eine andere Gruppe als lose (und möglicherweise willkürlich zusammengefasste) Gruppe von INDIVIDUELLEN Persönlichkeiten anzusehen. Oder wenn man einen Einzelnen lediglich als Angehörigen einer Gruppierung oder Träger eines (negativ besetzten) Merkmals wahrnimmt und sich gar nicht die Mühe macht, hinter diesem vorurteilsbelagerten Putz den eigentlichen Menschen zu sehen.



Und um nun doch noch einmal zur Ausgangsfrage: „Angst als Auslöser von Ablehnung?“ zurückzukommen, denke ich, dass es – was mich betrifft – weniger wirklich Angst, als vielmehr ein konfliktbehaftetes* Aufeinandertreffen unterschiedlicher, sozialisationsbedingter Wertvorstellungen oder manchmal auch einfach nur unterschiedlicher Geschmäcker ist, das Ablehnung auslöst. Und ich finde diese Ablehnung dann nicht schlimm, wenn man eben reflektiert damit umgeht.

* Eine Form eines solchen Konflikts kann natürlich auch Angst sein.


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McLeod
Beitrag 22.Nov.2009 - 20:08
Beitrag #12


mensch.
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ZITAT(Oldie @ 21.Nov.2009 - 13:50) *
Ich glaube, ab einem gewissen Alter ist es schwierig, eigenes Verhalten, in Bezug auf Fremdes, neutral zu sehen. Meiner Ansicht nach, laufen da sehr viele Denkmuster und –Prozesse ab, die stark mit Erlebtem zusammenhängen.


Ab einem Alter von eineinhalb Jahren? (IMG:style_emoticons/default/wink.gif) Ich glaube, "neutral" sind wir Menschen nie gewesen und können es auch nicht werden - wenn "neutral" als vorbehaltlos, offen, emotionsfrei o.ä. verstanden werden will. Denkmuster und -prozesse jedenfalls legt unser lernbegieriges Hirn ja schon in frühster Kindheit... vielleicht (bzw. ziemlich sicher) sogar schon im Mutterbauch an. Wissenschaftich betrachtet.

Zur Eingangsfrage, ob Ablehnung ein Ausdruck von Angst ist - meiner Meinung nach ja. Weil ich Angst nicht nur als das "große" Gefühl vor der Gefahr in der dunklen Ecke oder im gänzlich unbekannten definiere, sondern als recht schlichtes Symptom einer gehirnigen Gefahrenmeldung. Und was "Gefahr" ist, ist erlernt - es kann "das Fremde" sein oder die heiße Herdplatte, eine schnelle Bewegung im Augenwinekl beim Autofahren mit Tempo 80 oder etwas Längliches auf dem Boden, das aussieht, wie eine Schlange. Das soll übrigens ein biologisch determinierter Reflex sein, den wir nicht erst mit den Jahren des Erfahrungsammelns erlernen. Zugegeben, ich bin nur populärwissenschaftlich bewandert und schöpfe dieses Wissen nicht aus eigener wissenschaftlicher Arbeit.

Ablehnung ist (für mich) die Zusammenfassung von Gedanken à la "Das möchte ich nicht nochmal machen / schmecken / erleben" oder "Ich habe mit Ausprobieren keine guten Erfahrungen gemacht, ich verlasse mich lieber auf bereits Bekanntes" oder "Ich kenne glaube ich Ähnliches und das gehört zu den Sachen, die ich nicht nochmal machen / schmecken / erleben möchte" (kein Anspruch auf Vollständigkeit).

Angst, Agression, Ablehnung sind (für mich wohlgemerkt) recht synonyme Begriffe desselben "Symptoms": In unserem komplexen Synapsen-System entsteht eine Bewertung des Bevorstehenden und sie fällt als "nicht-erstrebenswert" oder(!) "nicht-bekannt" aus.

Was ich spannend finde ist die Frage nach dem danach: Was für Konsequenzen ziehe ich aus dieser meiner Bewertung...? Schließlich springen Menschen mit Gummiseilen um die Füße von Brücken, obwohl sie eben keine Erfahrung in diesem Bereich haben. Oder bestellen Menschen unbekannte Speisen von der Karte. Oder flunkern Menschen, obwohl sie lügen unmoralisch finden und... ablehnen. Oder umgekehrt... dissen jene, die sie eigentlich bewundern oder zu denen sie eigentlich gerne gehören würden. (Beispiel: ein homophober Schwuler)

Wie kommt dieser vielseitige Umgang mit Angst und Ablehnung...?

McLeod grüßt interessiert
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Sägefisch
Beitrag 27.Nov.2009 - 10:38
Beitrag #13


Schlaudegen.
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QUOTE(PikSieben @ 22.Nov.2009 - 11:06) *
Ist nicht schon die Annahme der Existenz „überpersönlicher Eigenheiten“ einer Gruppe eine ideologisierende Übergeneralisierung, die ja den Kern von beispielsweise Rassismus ausmacht?


Eben darum soll´s hier ja gehen.

Treffen verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Interessen aufeinander und versuchen diese durchzusetzen, kann ein entsprechender -ismus zum Mittel werden, muss aber nicht Voraussetzung sein.

Es gibt da eine Ebene die ich nicht rein individualistisch aufgebohrt kriege. Spannungen zwischen Kollektiven existieren ja. Wie aber kann man die austragen, wenn das oberste Gebot lautet: Du darfst immer nur den Einzelnen sehen.
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dandelion
Beitrag 28.Nov.2009 - 11:07
Beitrag #14


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ZITAT(PikSieben @ 22.Nov.2009 - 11:06) *
Ist nicht schon die Annahme der Existenz „überpersönlicher Eigenheiten“ einer Gruppe eine ideologisierende Übergeneralisierung, die ja den Kern von beispielsweise Rassismus ausmacht?

ZITAT(PikSieben @ 22.Nov.2009 - 11:06) *
zweieinhalbtens denke ich, dass der Schritt zur unreflektierten Ideologie auch dann stattfindet, wenn man als Einzelne oder als Gruppe nicht bereit ist, eine andere Gruppe als lose (und möglicherweise willkürlich zusammengefasste) Gruppe von INDIVIDUELLEN Persönlichkeiten anzusehen. Oder wenn man einen Einzelnen lediglich als Angehörigen einer Gruppierung oder Träger eines (negativ besetzten) Merkmals wahrnimmt und sich gar nicht die Mühe macht, hinter diesem vorurteilsbelagerten Putz den eigentlichen Menschen zu sehen.

Ich denke, gemeinsame Gruppenmerkmale (sind "überpersönliche Eigenheiten" für euch etwas anderes? dann verstehe ich euch falsch und bräuchte noch mal erklärenden Beitext (IMG:style_emoticons/default/bluemele.gif) ) gibt es immer - denn daraus ergibt sich die Zuordnung zur Gruppe. Sie können natürlich größer oder kleiner, fürs miteinander auskommen mehr oder weniger relevant sein. Aber es gibt immer etwas, das den Unterschied zwischen dem "wir" und dem "ihr" ausmacht. (Schüler einer Klasse sollte man zwar nicht in Bezug auf das, was sie gerne lesen, über einen Kamm scheren, aber gleich alt sind sie meistens (IMG:style_emoticons/default/wink.gif) )

Insofern sehe ich diese Generalisierung - bezogen auf die konstitutiven Merkmale einer Gruppe - schon als legitim und vereinfachend für Denkprozesse an.
Vor diesem Hintergrund kann der "ismus" auch auf einem Mißverständnis beruhen: wenn die konstitutiven Merkmale der "anderen" Gruppe falsch eingeschätzt werden. Zeigt sich eine Person als Mitglied einer Gruppe und legt ein bestimmtes Verhaltensmuster an den Tag, erfolgt ein Irrtum darüber, welche Teile des Musters zur Gruppenidentität gehören.
ZITAT(Sägefisch @ 27.Nov.2009 - 10:38) *
Es gibt da eine Ebene die ich nicht rein individualistisch aufgebohrt kriege. Spannungen zwischen Kollektiven existieren ja. Wie aber kann man die austragen, wenn das oberste Gebot lautet: Du darfst immer nur den Einzelnen sehen.

Spannungen zwischen Gruppen schließen - aufgrund der Lage des Spannungsfeldes - diese Sichtweise oft aus, denke ich. Sie entstehen, weil sich eine Gruppe als Gruppe fühlt: die Gemeinsamkeiten bieten einen Rückhalt. Man besinnt sich stärker auf das Verbindende. So fühlt sich die Gruppe zusammengehörig und durch die größere Anzahl stärker.
Treten nun zwei Gruppen in Konflikt, wird die andere Gruppe aus den gleichen Gründen stärker (und damit bedrohlicher) als ein Individuum wahrgenommen. Diese Gruppe muß, um die "Angreifer" zu schwächen, in ein anderes Licht gerückt werden. Handelt nun ein Mitglied der anderen Gruppe in einer Weise, die dazu geeignet ist, wird dieses Handeln auf die Gruppe projeziert, weil das Gegenüber als Teil der Bedrohung, nämlich der anderen Gruppe, wahrgenommen wird.

Wäre jetzt mein - mäßig qualifiziertes (IMG:style_emoticons/default/wink.gif) - Handlungsmodell dazu, das auf dem "Tunnelblick" im Bedrohungsfall basiert.
Grundlage dessen ist der Effekt, daß Lebewesen dazu tendieren, sich auf ihre Bedrohung zu fokussieren. Menschen fahren bei glatter Fahrbahn gegen Bäume, weil sie sich auf den Baum konzentrieren statt auf die Straße daneben. Kaninchen starren, vor Angst gebannt, auf die angreifende Schlange, statt zu flüchten. Hunde nehmen Lebewesen, die sie anstarren, als Bedrohung wahr, Lebewesen, die den Augenkontakt meiden, aber als freundlich gesonnen. (und während ich das schreibe, stelle ich fest, daß es mir ähnlich geht (IMG:style_emoticons/default/roetel.gif) )

ZITAT(McLeod @ 22.Nov.2009 - 20:08) *
Ablehnung ist (für mich) die Zusammenfassung von Gedanken à la "Das möchte ich nicht nochmal machen / schmecken / erleben" oder "Ich habe mit Ausprobieren keine guten Erfahrungen gemacht, ich verlasse mich lieber auf bereits Bekanntes" oder "Ich kenne glaube ich Ähnliches und das gehört zu den Sachen, die ich nicht nochmal machen / schmecken / erleben möchte" (kein Anspruch auf Vollständigkeit).

Angst, Agression, Ablehnung sind (für mich wohlgemerkt) recht synonyme Begriffe desselben "Symptoms": In unserem komplexen Synapsen-System entsteht eine Bewertung des Bevorstehenden und sie fällt als "nicht-erstrebenswert" oder(!) "nicht-bekannt" aus.

Danke - ich hab's ähnlich gesehen, habe aber den Knackpunkt nicht so gefunden. (IMG:style_emoticons/default/flowers.gif)

Der Beitrag wurde von dandelion bearbeitet: 28.Nov.2009 - 11:07
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