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> Misstrauen, ausgelagert aus "ich frage mich"
DerTagAmMeer
Beitrag 26.Mar.2010 - 08:30
Beitrag #21


Adiaphora
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Historisch gesehen ist ja auch die Geistesgeschichte mit all ihren "Wahrheiten" eher eine Chronologie der Irrlehren, Lügen und Fehlinformationen. Nahezu jede widerlegbare These wurde irgendwann im Laufe der Zeit relativiert.
Es ist also recht wahrscheinlich, dass ein Großteil dessen, worauf ich heute vertraue, keine unumstößliche Wahrheit sondern lediglich eine Annahme ist, die vor dem Wissen von übermorgen keinen Bestand haben wird.
So sehr ich mir Sicherheit und einen festen Boden unter meinen Füßen wünschen, spüre ich doch immer wieder, dass ich die Welt, mich selbst und andere Menschen nur bruchstückhaft begreifen kann.
Mit jeder Positionsveränderung ändert sich meine Perspektive. Und oft ist "die Welt" danach eine andere. Ich muss mich neu orientieren, meine innere Landkarten stimmt nicht mehr mit meiner Wahrnehmung über ein.
Ich sehe diese Fähigkeit sehr positiv. Wir gleichen unsere begrenzte Wahrnehmung durch Anpassungsfähigkeit aus. Wir schaffen immer wieder neue Leitsysteme, die uns Orientierung geben und uns dabei helfen, unsere Lebensbedingungen zu stabilisieren.

Was für "Wahrheiten" wir dabei im Kopf haben, halte ich für ziemlich unerheblich. Wichtig ist das Leben, das wir mit ihnen steuern.
Theoretisch misstraue ich also allem, was ich denke. Es hindert mich aber nicht daran, mich praktisch und emotional auf bestimmte Annahmen zu verlassen. Das ist eine Entscheidung. Weniger weil ich felsenfest vom Wahrheitsgehalt einer Annahme überzeugt bin, sondern weil sie mir ein Leben ermöglicht, das mir entspricht. In Religionen wird das "Glauben" genannt. Und auch die religiöse Praxis verliert ihren kulturellen Wert nicht durch die Nichtexistenz ihrer Gottheit.
Zumindest nicht in "meiner Welt" (IMG:style_emoticons/default/wink.gif)
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dandelion
Beitrag 26.Mar.2010 - 23:14
Beitrag #22


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Zu dem Thema "Religion vs. Wissenschaft" gibt's einen schönen Kompromiss-Entwurf von meinem ehemaligen Physik-Prof: er vertrat einfach die Ansicht, daß Gott den Urknall geschaffen hat (IMG:style_emoticons/default/biggrin.gif)

Ähm... Daß Wissenschaft immer nur empirisch und nie absolut sein kann, ist klar; problematisch finde ich eher, daß teilweise Informationen nicht auf Plausibilität überprüft werden, sondern an der Verträglichkeit mit den Thesen der Unfehlbaren scheitern. So entstand beispielsweise der Begriff der "rationalen" Zahlen: im antiken Griechenland war die Ansicht, es könne eine Zahl 0 geben, absurd bis gefährlich.
Von Sachen wie Untersuchungen über die Haltbarkeit von Atomkraftwerken mal ganz zu schweigen.

Aktuell laufen einige Debatten in dieser Richtung - die Diskussion über eine zurückgehaltene Information zum Luftangriff in Afghanistan, Vertuschung im Vatikan, doppelte Bauplanung der KVB, ...
Ministerien, Religionen und ganz Verkehrsverbünde werden selten abgeschafft. Warum herrscht da so eine unglaubliche Angst, einen Fehler zuzugeben? Es böte doch einen wahnsinnig großen Gewinn an Glaubwürdigkeit. Ist doch so in der Politik: die meisten sind in erster Linie große Rhetoriker. Und die Verwalteten haben langsam die Schn*** voll. Egal, wer anfängt: wer als erster klein bei gibt und einlenkt, wäre der Held vom Erdbeerfeld. Obama hat's doch vorgemacht: nicht nur groß schwafeln und hinterher verwalten, sondern groß schwafeln und hinterher auch machen. Und schon wird ein Politiker zum Popstar.
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DerTagAmMeer
Beitrag 27.Mar.2010 - 10:38
Beitrag #23


Adiaphora
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ZITAT(dandelion @ 26.Mar.2010 - 23:14) *
Warum herrscht da so eine unglaubliche Angst, einen Fehler zuzugeben?


Weil es nicht "ein Fehler" ist, sondern ein Sumpf, ein Fass ohne Boden, ein Schrecken ohne Ende.

Unzählige Berater, Werber, PR-Profis, Therapeuten und Designer arbeiten unermüdlich daran, uns selbst und unsere Welt genießbar zu schminken, schön zu reden und anzupreisen. Unser Wertesystem und Urteilsvermögen ist diese Schonkost in allen Lebensbereichen gewohnt und reagiert bereits mit Unwohlsein und Erbrechen auf eine rohe Kartoffel.

Die Informationen liegen ja vor. Wir könnten hinter die Kulissen sehen, wenn wir aushalten, was sich da präsentiert. Wenn unser Organismus genug Galle produzieren kann, solch schwere Kost zu verarbeiten und der Realität auf den Grund zu gehen.

Denn untrennbar verwachsen mit einem schonungslosen Blick sind Ohnmacht und Isolation. Es ist kein Frühlingsspaziergang im Erdbeerfeld.

Obama ist für mich da eher ein Beispiel wirksamer Ablenkung, ein großer und charismatischer Prediger, ein Hoffnungsträger - und ja, vielleicht auch ein Popstar. Sozusagen der TOP-Designer politischer Wirklichkeit mit einer körperlich authentischen Präsenz, die eine anonyme Staatsgewalt ungewöhnlich persönlich und beseelt erscheinen lässt. Doch auch er bleibt an Amt und Lüge gebunden.

Von Altvater Goethe stammen folgende drei Aussagen:
"Das erste und letzte, was vom Genie gefordert wird, ist Wahrheitsliebe"
"Es hört doch jeder nur, was er versteht"
"Eine tätige Skepsis: Welche unablässig bemüht ist, sich selbst zu überwinden und durch geregelte Erfahrung zu einer Art von bedingter Zuverlässigkeit zu gelangen"

Ich finde es sehr aufschlussreich, dass bereits in einer Zeit, in der "das Licht der Aufklärung" noch in so jugendlich optimistischer Kraft erstrahlte, Wahrheit als eine nahezu unerreichbar Liebe, als ein Ideal beschrieben wurde, das uns unablässige Mühe und Selbstüberwindung abverlangt.
Keine leichte Kost also, eher Perlen vor hungrigen Schweinedamen mit marodem Gebiss (IMG:style_emoticons/default/wink.gif) .

Der Beitrag wurde von DerTagAmMeer bearbeitet: 27.Mar.2010 - 10:47
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malene
Beitrag 27.Mar.2010 - 10:42
Beitrag #24


Gut durch
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ZITAT(dandelion @ 26.Mar.2010 - 23:14) *
Zu dem Thema "Religion vs. Wissenschaft" gibt's einen schönen Kompromiss-Entwurf von meinem ehemaligen Physik-Prof: er vertrat einfach die Ansicht, daß Gott den Urknall geschaffen hat (IMG:style_emoticons/default/biggrin.gif)


Dem kann ich folgen. Ich mag auch die Idee von Hoimar von Ditfurth, der die "Unvollkommenheiten" unseres Universums damit erklärt, dass wir uns immer noch im Augenblick der Schöpfung befinden.
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Lucia Brown
Beitrag 31.Mar.2010 - 08:34
Beitrag #25


- keep it up you go girl -
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ZITAT(Lucia Brown @ 24.Mar.2010 - 10:26) *
ZITAT(malene @ 23.Mar.2010 - 23:27) *
Erst dann setzt sich mein Hirn in Gang und ich zerlege die Worte meines Gesprächspartners, analysiere seine Mimik und ziehe ihm meine Vor-urteile an und wieder aus.


Sehr schöner Satz und ein sehr spannendes Thema. In der letzten Woche bin ich von einem Arzt zum anderen und von einer Therapeutin zur anderen gereist und geschickt worden. Ich musste sehr schnell ihnen Vertrauen schenken, denn ich war ein Notfall und hatte Schmerzen. Zu analytischer Fragestellung hatte ich gar keine Zeit. Der Schmerz hat die Analyse eingefroren. So langsam taut sie wieder auf und ich beginne Schubladen zu öffnen und genau abzuwägen, wem ich nun Vertrauen schenken möchte. Und jetzt finde ich diese Vorsicht auch sehr angemessen. Aber gerade in der Zeit des größten Schmerzes hätte ich ja an seltsame Ärzte geraten können und frau liest ja auch viel über die negative Seite der Medizin. Ich fand aber, dass gerade im Notfall unser Gesundheitssystem sehr schnell arbeitet und alle nötigen Hilfestellungen geleistet werden. Zum Glück habe ich da nun eine positive Erfahrung machen können und habe gegenüber der Medizin ein neues Vertrauen gewonnen.

lg

Lucia B.



Ich nehme alles wieder zurück, denn seit gestern weiß ich nun, dass ich 1 1/2 Wochen falsch therapiert wurde. Und nun habe ich mein Misstrauen gegenüber der Schulmedizin zurückgewonnen. Mir fehlen noch etwas die Worte. Daher lasse ich dass erstmal so stehen.

Der Beitrag wurde von Lucia Brown bearbeitet: 31.Mar.2010 - 08:35
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dandelion
Beitrag 01.Apr.2010 - 15:06
Beitrag #26


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ZITAT(DerTagAmMeer @ 27.Mar.2010 - 11:38) *
Die Informationen liegen ja vor. Wir könnten hinter die Kulissen sehen, wenn wir aushalten, was sich da präsentiert. Wenn unser Organismus genug Galle produzieren kann, solch schwere Kost zu verarbeiten und der Realität auf den Grund zu gehen.

Denn untrennbar verwachsen mit einem schonungslosen Blick sind Ohnmacht und Isolation. Es ist kein Frühlingsspaziergang im Erdbeerfeld.

Obama ist für mich da eher ein Beispiel wirksamer Ablenkung, ein großer und charismatischer Prediger, ein Hoffnungsträger - und ja, vielleicht auch ein Popstar. Sozusagen der TOP-Designer politischer Wirklichkeit mit einer körperlich authentischen Präsenz, die eine anonyme Staatsgewalt ungewöhnlich persönlich und beseelt erscheinen lässt. Doch auch er bleibt an Amt und Lüge gebunden.

Liegen die Informationen vor? Oder liegen die Gewänder der Informationen in zwei Farben vor, in denen beide Male nur eine Holzstockfigur steckt?

Hattest du die Hand im Sumpf, oder vermutest du ihn, weil du denen glaubst, die ihn predigen? Das ist ja auch Teil der Frage. Gibt es überhaupt noch Fakten, oder läßt sich alles tot und lebendig reden?

Eigentlich sind wir nicht weiter als zu den Zeiten, als Weltenbummler ihre Abenteuergeschichten in Büchern und an Lagerfeuern zum Besten gaben. Die Lagerfeuergeschichten sehen nur professioneller aus - Dokumentationen, die die Schönheit, das Elend, die Bosheit, die Einheit, was auch immer eine Ecke der Welt gerade hat, auftoupieren und in die Kamera halten.

Niemand hat gesagt, wir müssen die Welt ändern. Niemand hat gesagt, daß uns die Welt gehört, nur weil wir Bilder aller ihrer Ecken sehen, uns überall auf ihr ausbreiten können. Wenn ich mit dem Anspruch eines Einflussnehmers an die Welt gehe, in völliger Verneinung dessen was ich bin - ja, dann kann die Welt nur enttäuschen.

Das ist für mich die Hoffnung, fangen wir mal klein an.
Politiker, denen ein "Ja" oder ein "Nein" über die Lippen kommt, wenn man ihnen eine Frage stellt.
Dinge, die auch bei Überraschungsbesuchen so sind wie sonst.
Menschen, die eine Lüge zugeben.
Körpersprache, die sich anders verhält als ein industriell angebauter Apfel - unter Hochspannung, formvollendet, von vitaler Farbe - und geschmacklich unverbindlich und profillos.

Vielleicht unterscheiden wir uns in diesem Punkt: Staatsgewalt ist für mein Empfinden nicht anonym. Für die Gesetze standen Menschen Pate. Für die Umsetzung sorgen Menschen. Für die Schaffung neuer halten Politiker ihr Gesicht hin (siehe Begriffe wie "Hartz IV" oder "Riester-Rente"). Für den Umgang mit dem, was "Recht" ist, handelt jeder auf eigene Rechnung.
Wirtschaftsgewalt ist nicht anonym. Sie wird ausgeübt und gelenkt von denen, die daraus Gewinn ziehen wollen. Ob sie sich verstecken oder nicht: alles an "dem System" ist menschlichen Ursprungs und wird von Menschen am Leben erhalten. Das geht vom Konzernchef zum Kioskverkäufer an der Ecke.

Persönliches Engagement ist ja auch als Wirtschaftskraft nicht gerade neu - Existenzgründern wird geraten, ihren Namen in den Firmennamen einzubinden, weil diese persönliche Verknüpfung Vertrauen schafft.
Man sollte doch meinen, daß allen Beteiligten klar ist, daß (wie jede andere) auch diese Relation ein anderes Extrem hat - wer sich hinter abstrakten Begriffen versteckt, wird Mißtrauen ernten.
Ich verstehe nicht, warum so wenige Ehrlichkeit und Offenheit vermarkten. Wenn man in der Bahn mal die Ohren aufsperrt, sind wir Konsumvieh mehr als reif dafür.
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DerTagAmMeer
Beitrag 02.Apr.2010 - 08:51
Beitrag #27


Adiaphora
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ZITAT(dandelion @ 01.Apr.2010 - 16:06) *
Hattest du die Hand im Sumpf, oder vermutest du ihn, weil du denen glaubst, die ihn predigen? Das ist ja auch Teil der Frage. Gibt es überhaupt noch Fakten, oder läßt sich alles tot und lebendig reden?


Ich bin im Glauben an Gottes Güte und Gerechtigkeit in Mensch und Welt groß worden. Die Vorstellung, wie alles sein sollte, ist dementsprechend fest in mir verwurzelt. Sie spiegelt und tröstet sich in Filmen, Illustrierten und der Werbung. Mein Bedürfnis, diese Wunschvorstellungen als Realität zu nehmen, ist recht groß. Ich möchte in einer gerechten, harmonischen Welt leben und rühre nicht freiwillig an diesem Schein.
Wenn ich es gelegentlich doch getan habe, dann eher aus der Hoffnung, es mit einer Ausnahme, einem dieser berühmten schwarzen Schafe zu tun zu haben. Und stand dann bald tatsächlich mit beiden Füßen in einem ausweglosen Sumpf aus Lüge, Leid und Sprachlosigkeit. Jedes Mal. Und es übertraf stets meine mutlosesten Befürchtungen.

Irgendwann war ich so weit zu akzeptieren, dass die Ausnahme wohl keine Ausnahme, sondern eher die Regel ist.
Es hat meinen Blick verändert. Vor vielen Dingen verschließe ich bewusst die Augen, weil ich meine Hilflosigkeit und Mitschuld nicht aushalten will. Und es gibt immer wieder Phasen, in denen ich die Zeitung abbestelle und ganz bewusst Weltflucht betreibe.

Ich empfinde es trotzdem als Spagat. Manchmal beneide ich Zynikerinnen um ihre Distanziertheit und Gläubige um ihren allmächtigen Gott.

ZITAT
Eigentlich sind wir nicht weiter als zu den Zeiten, als Weltenbummler ihre Abenteuergeschichten in Büchern und an Lagerfeuern zum Besten gaben. Die Lagerfeuergeschichten sehen nur professioneller aus - Dokumentationen, die die Schönheit, das Elend, die Bosheit, die Einheit, was auch immer eine Ecke der Welt gerade hat, auftoupieren und in die Kamera halten.


Landminen, Phosphorbomben, Folter, Missbrauch, Massentierhaltung, Korruption, Drogenmissbrauch, Kriegsverbrechen, Hungersnöte und Naturkatastrophen liefern nicht nur Bilder für Kameras. Sie quälen und töten schutzloses Leben. Ganz egal, ob jemand hinsieht oder nicht. Es sich zu Herzen nimmt oder Erleichterung verspürt selbst nicht zu den Opfern zu gehören.

Man muss nicht weit reisen, um das Fürchten zu lernen. Mit offenen Augen und Ohren ein Pflegeheim, ein Tierasyl oder eine Geflügelfarm zu besuchen genügt um zu verstehen, warum die "Lebensrealität der Insassen" den "Kunden" nicht ungeschminkt vermittelt wird.
Menschen erwarten nun einmal ein "gutes Gefühl", wenn sie konsumieren, spenden, helfen oder Dienstleistungen in Anspruch nehmen.
Und so wird auch oft gelogen, um zu helfen. Um Spendengelder zu mobilisieren. Um namenlosen Opfern zu einer anrührenden Geschichte zu verhelfen, die ihr Leben rettet.

ZITAT
Niemand hat gesagt, wir müssen die Welt ändern. Niemand hat gesagt, daß uns die Welt gehört, nur weil wir Bilder aller ihrer Ecken sehen, uns überall auf ihr ausbreiten können. Wenn ich mit dem Anspruch eines Einflussnehmers an die Welt gehe, in völliger Verneinung dessen was ich bin - ja, dann kann die Welt nur enttäuschen.


Damit hast Du mein Dilemma perfekt auf den Punkt begracht. Allein steht es nicht in meiner Macht, Empathie und Mitleid abzustellen.
Und ich denke auch nicht, dass ich damit verneine, was ich bin. Ich denke vielmehr, dass mich dieses Fühlen erst menschlich macht.

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dandelion
Beitrag 02.Apr.2010 - 09:50
Beitrag #28


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ZITAT(DerTagAmMeer @ 02.Apr.2010 - 09:51) *
ZITAT(dandelion @ 01.Apr.2010 - 16:06) *
Das ist ja auch Teil der Frage. Gibt es überhaupt noch Fakten, oder läßt sich alles tot und lebendig reden?

Landminen, Phosphorbomben, Folter, Missbrauch, Massentierhaltung, Korruption, Drogenmissbrauch, Kriegsverbrechen, Hungersnöte und Naturkatastrophen liefern nicht nur Bilder für Kameras. Sie quälen und töten schutzloses Leben. Ganz egal, ob jemand hinsieht oder nicht. Es sich zu Herzen nimmt oder Erleichterung verspürt selbst nicht zu den Opfern zu gehören.

Wieder eine Frage, die sich mir stellt, und auf die ich eigentlich keine Antwort erwarte: warum sind so viele Menschen so doof und ziehen in den Krieg.
ZITAT(DerTagAmMeer @ 02.Apr.2010 - 09:51) *
Man muss nicht weit reisen, um das Fürchten zu lernen. Mit offenen Augen und Ohren ein Pflegeheim, ein Tierasyl oder eine Geflügelfarm zu besuchen genügt um zu verstehen, warum die "Lebensrealität der Insassen" den "Kunden" nicht ungeschminkt vermittelt wird.
Menschen erwarten nun einmal ein "gutes Gefühl", wenn sie konsumieren, spenden, helfen oder Dienstleistungen in Anspruch nehmen.
Und so wird auch oft gelogen, um zu helfen. Um Spendengelder zu mobilisieren. Um namenlosen Opfern zu einer anrührenden Geschichte zu verhelfen, die ihr Leben rettet.

(IMG:style_emoticons/default/thumbsup.gif) Aber wie kann sich ein gutes Gefühl einstellen, wenn es niemanden gibt, der (wenigstens seine eigene) Wahrheit spricht?
ZITAT(DerTagAmMeer @ 02.Apr.2010 - 09:51) *
ZITAT
Niemand hat gesagt, wir müssen die Welt ändern. Niemand hat gesagt, daß uns die Welt gehört, nur weil wir Bilder aller ihrer Ecken sehen, uns überall auf ihr ausbreiten können. Wenn ich mit dem Anspruch eines Einflussnehmers an die Welt gehe, in völliger Verneinung dessen was ich bin - ja, dann kann die Welt nur enttäuschen.


Damit hast Du mein Dilemma perfekt auf den Punkt begracht. Allein steht es nicht in meiner Macht, Empathie und Mitleid abzustellen.
Und ich denke auch nicht, dass ich damit verneine, was ich bin. Ich denke vielmehr, dass mich dieses Fühlen erst menschlich macht.

Du mißverstehst mich. Ich meinte nicht das menschliche Bewußtsein, sondern die Größe des Menschen in seinem Ökosystem.
Ich bin ein Staubkorn auf einem Staubkorn im Weltall. Um mich rum ist eine kleine Flocke von anderen Staubkörnern. Wenn wir zusammenhalten, schaffen wir es vielleicht zu einem Krümel Ackerland. Das wäre dann ein Gewinn, nicht nur für uns. Und wenn nicht - ja nun, dann sind wir weiter Staub mit Staub auf Staub.
Das ist für mich auch kein tristes Bild - wenn man einem alten Gemäuer mit einem Besen zuleibe rückt, kann Staub lustig tanzen. Er kann Maschinen verstopfen, Geheimnisse wahren und verraten. Man kann darin malen wie in Schnee. Und neulich habe ich dazu ein Bild gesehen, das dem Ganzen vielleicht noch näher kommt...

Was ich damit ausdrücken möchte, ist die Relativität von Ohnmacht. Es gibt Dinge, mit denen wir die Welt besser machen können, daran glaube ich. Aber eben nur an den Punkten, an denen wir tatsächlich beteiligt sind (oder tatsächlich sein könnten, trotz der ganzen Staubkorn-Geschichte). Wie soll ich einen Krieg verhindern? Ich muß auch kein schlechtes Gewissen wegen dieses Krieges haben, denn ich habe ihn nicht gefordert, nicht gefördert und nicht gefochten. Das hält mich nicht davon ab, mit den Opfern zu fühlen und ihnen zu helfen, wenn ich kann.

Das gemeine an Selbstüberforderung: das müssen übersteigt das können, und das schlechte Gewissen ist vorprogrammiert. Und ich frage mich, was das soll. Ist es so schmerzhaft, nicht allmächtig zu sein?
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DerTagAmMeer
Beitrag 03.Apr.2010 - 06:40
Beitrag #29


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ZITAT(dandelion @ 02.Apr.2010 - 10:50) *
Was ich damit ausdrücken möchte, ist die Relativität von Ohnmacht. Es gibt Dinge, mit denen wir die Welt besser machen können, daran glaube ich. Aber eben nur an den Punkten, an denen wir tatsächlich beteiligt sind (oder tatsächlich sein könnten, trotz der ganzen Staubkorn-Geschichte). Wie soll ich einen Krieg verhindern? Ich muß auch kein schlechtes Gewissen wegen dieses Krieges haben, denn ich habe ihn nicht gefordert, nicht gefördert und nicht gefochten. Das hält mich nicht davon ab, mit den Opfern zu fühlen und ihnen zu helfen, wenn ich kann.


Ich erwarte nicht von mir Kriege verhindern zu können.
Ich fühle mich in dem Maße verantwortlich, in dem ich von Kriegen profitiere. Deutschland ist Europameister im Export von Rüstungsgütern und liegt weltweit auf Platz drei hinter Amerika und Russland. ThyssenKrupp hat seine beschäftigungsreichsten Standorte in unser beider Region und hält hier zudem Tochterfirmen und zahlreiche Beteiligungen. Ob ich Straßenbahn oder Fahrstuhl fahre, in einer Nirosta-Spüle meinen Abwasch erledige oder beim RheinRuhr-Maraton mitlaufe ... ich beteilige mich am Blutgeld-Kreislauf. Die Steuereinnahmen fließen in unser Bildungssystem, fördern die Infrastruktur, ermöglichen soziale Projekte, schaffen nicht zuletzt Arbeitsplätze und tragen dazu bei den sozialen Frieden hier bei uns zu erhalten ... indem Mord und Totschlag ins Ausland verschickt und enorme Erträge erwirtschaftet werden. Es ist nicht doof. Es ist kalte Berechnung der durch Wählerstimmen legitimierten Regierungen, die stets Rücksicht auf einen gewichtigen Wirtschaftsfaktor nahmen und nehmen. (zeit: Deutsche Waffen für die Welt, sueddeutsche: Ein bisschen Krieg)

Ich erwarte auch nicht von mir die Ausbeutung von Tieren beenden zu können.
Ich fühle mich in dem Maße verantwortlich, in dem ich mit meinem Konsumverhalten Versuchslabore und Intensivhaltung unterstütze. (Barbara Hohensee: Ethik und Moral, Veganismus und Weltaschauung, PETA)

ZITAT
Was ich damit ausdrücken möchte, ist die Relativität von Ohnmacht. Es gibt Dinge, mit denen wir die Welt besser machen können, daran glaube ich. Aber eben nur an den Punkten, an denen wir tatsächlich beteiligt sind


Der Punkt ist vielleicht der, dass mir sehr bewusst ist, wie lebensuntüchtig ich als einzelnes Staubkorn bin. Allein die Vernetzung des Systems, in das ich geboren wurde, ermöglicht mir das Überleben. An unzähligen Stellen bin ich verknüpft. Und ich trage dem entsprechend für alles Verantwortung, was in meiner Entscheidunggewalt liegt, was ich besser machen könnte. Zumindest in meinem Leben herrscht da (trotz ehrlicher Bemühungen) eine beschämende Diskrepanz zwischen der Konsequenz, die ich von mir erwarte und der, die ich realisiert bekomme.
Ich strebe nicht nach Allmacht. Ich versuche lediglich so ehrlich zu sein, mir mein eigenes Leben nicht schöner zu reden als es ist.
Ich versuche erwachsen zu werden - auch wenns machmal weh tut, Überforderung mit sich bringt und ich eine schlechte dabei Figur abgebe. Es lässt sich ohnehin nicht verhindern ... nur verdrängen. Ich habe da weniger das Bild eines friedfertig tanzenden Staubkorns im Kopf, sondern denke eher daran im Auto mit 200 kmh und verschlossenen Augen durch eine Fußgängerzone zu heizen (in meinem Fall auch noch ohne Führerschein und Fahrpraxis). Selbstverständlich wäre es pure Selbstüberschätzung bei dieser Aktion von sich zu erwarten, dass niemand zu Schaden kommt. Ein bisschen vom Gas muss man schon gehen, ein bisschen hinsehen, ausweichen und ein bisschen aussteigen letztendlich wohl auch.

Der Beitrag wurde von DerTagAmMeer bearbeitet: 03.Apr.2010 - 09:49
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