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[sonnenstrahl]

Was ich vergaß

Ich reise Erster Klasse durch die Jahre
mit Speisewagen, Bad und Schlafabteil,
und waehrend ich so immer weiter fahre,
verfliegt mein Leben schnell wie ein Indianerpfeil.

Hinter den Scheiben eilt Erinnerung vorueber,
durch bunte Wechselbrillen schau ich in die Welt,
und find ein Puzzlestueck nicht wieder,
das irgendwie in meinem Blickfeld fehlt.

Was ploetzlich gestern ist, war grad noch morgen,
im Spiegel vor mir laeuft ein Film mit einer halben Frau,
die moechte mir ein andres Leben borgen,
das ich wie meinen Schatten kenne, so genau.

Das Schienennetz, auf dem ich fahr, ist bestens ausgebaut,
und einen Zug zu haben, ganz fuer sich, ist doch ein Segen!
Hier drin ist es gemuetlich, sicher und vertraut -
... doch etwas in mir moechte selber sich bewegen.

In der Ferne leuchten schneebedeckte Huegel,
weisse Wolken, Wiesen, Waelder ziehen flugs vorbei.
"Du koenntest dort sein" ruettelt mich die Frau im Spiegel,
"statt in die Polster hier zu sinken, schwer wie Blei!"

Ich hoer verwundert, wie es aus mir toent "Okay!"
Fuehl wie ich meinen Rucksack nehme, und geh steif zur Tuer.
Mein Zug haelt bremsenquietschend irgendwo im Schnee,
und nach drei Stufen lande ich auf Bahnsteig vier.

Oed liegt ein Gehoeft in Eisgewoelk getaucht.
Die Tueren meines Zuges klappen zu, er faehrt davon.
Und wie ein Echo, das mir in die Adern kraucht,
zischt er ein rhythmisches "Viel Spass!" und spuckt mit Hohn.

Ich stapfe los, ein kalter Wind zerwuehlt mein Haar.
Die Schneekruste knirscht harschig, ich versinke bis zum Knie.
Was war noch gleich im Rucksack? Ein Jonglierset und ein Hantelpaar?
Die Antiheldin in mir zickt: "Wie praktisch, mon Chérie!"

Wer ist das, die hier fremde Spuren hinterlaesst,
die keiner sieht, und die im Nu verwehn,
in Filzpantoffeln und bis auf die Zeh'n durchnaesst,
und bang sich fragt: "Wie soll das weitergehn?"

"Warum, zum Teufel, hab ich nur ein Nachthemd an?
Und wer, verflucht, laesst mich dies alles tun?
Werweisswohin faehrt meine wohlgeheizte Bahn,
derweil ich mir den Arsch abfrier! ... Und nun?!?"

Weit und breit kein Mensch, kein Schalter, keine Bar!
Zu sehn ist einzig das Gehoeft im tiefen Schnee.
Nichts laesst erahnen, wo hier einst ein Weg zu finden war.
Ich mueh mich wie ein Pflug, und jeder Schritt tut weh.

Hinter beschlagnen Scheiben, endlich, seh ich Licht.
Ich klopfe. Eine Frau wischt sich ein Kuckloch frei.
Sie ruft: "Wer ist denn da?", ich kraechz: "Ich weiss es nicht!
Hab leider keinerlei Identitaet dabei!"

Unendlich traurig schaut die Frau mich an,
dann zieht sie die Gardinen zu. Ich bleib alleine,
und denk an heisse Suppe und an Marzipan,
bevor ich meine Fluegel haengen lass, und weine.

Meine Fluegel??!? Hallo??!? Spinn ich, oder was?!??
In welchen Alptraum hab ich mich verstiegen?
Was ist mit mir geschehn, dass ich vergaß,
was ich schon immer konnte, naemlich fliegen?!!

Durch die Winternacht hallt laut ein Freudenschrei.
Zwei nasse Hausschuh bleiben stehn, getupft in weisse Wehen.
Ein Fenster in der Zeit geht auf, in mir wird's himmelweit und frei,
und rings um mich ist Horizont zu sehen.

...

...

Es riecht nach Kaffée, ein Sonnenstrahl (IMG:http://www.cosgan.de/images/smilie/verschiedene/s010.gif) kuesst meinen Ellenbogen,
schlaftrunken taste ich nach meinem Schulterblatt,
und denk: "Ach, Himmel, bitte bleibe mir gewogen,
auch wenn mein Adler-Ich nur Seelenfluegel hat ... !
(IMG:http://www.cosgan.de/images/smilie/verschiedene/d050.gif)

Der Beitrag wurde von sonnenstrahl bearbeitet: 09.Oct.2010 - 16:49

[sonnenstrahl]

(IMG:style_emoticons/default/morgen.gif) Da müssen wir dann wohl mit leben, verehrte Kollegin (IMG:style_emoticons/default/wink.gif) Verbindlichsten Dank jedenfalls für´s achtsame dran Rühren - das allein ist mir schon Gold wert, hat dein wacher Blick von außen mich doch, so oder so, zum selbstkritischen Überarbeiten angeregt. Auch wenn ich diesmal, nach einigem Überlegen, schließlich alles so stehen lasse, wie es ist. (IMG:style_emoticons/default/flowers.gif)